Lemieux, Jean – Todeslied

_Abgeschiedene Lokalitäten_ sind oft ganz herausragende Handlungsorte für Krimiplots. Man denke nur an Agatha Christies „Zehn kleine Negerlein“, in dem auf einer von der Außenwelt abgeschnittenen Insel mehrere Morde geschehen und der Täter eine der Personen auf der Insel sein muss. Eine ähnliche Situation ist die Grundlage für den Plot von „Todeslied“, einem kanadischen Krimi aus der Feder von Jean Lemieux, der 2007 in Deutschland bereits [„Das Gesetz der Insel“ 3869 veröffentlichte.

Die Geschichte spielt auf der kleinen kanadischen Insel Île-d’Entrée. Dort lebt eine kleine verschworene Gemeinschaft, die Fremden seit jeher skeptisch gegenübersteht. Wer hier als Außenstehender Fuß fassen will, hat es nicht leicht. Das bekommt auch die englische Krankenschwester Gladys Patterson zu spüren. Nach nunmehr 30 Jahren auf der Insel wird sie zwar geduldet, so richtig akzeptiert wurde sie aber nie.

Da wird eines Morgens die Leiche einer auf der Insel lebenden jungen Frau unterhalb der Klippen der Île-d’Entrée gefunden. Der Arzt François Robidoux ist gerade zu seinem üblichen Arbeitsbesuch auf der Insel, kann aber auch nichts mehr ausrichten. Sergeant Moreau wird mit dem Fall betraut, stößt aber bei seinen ersten Befragungen der Anwohner nach seiner Ankunft auf der Insel auf wenig Verwertbares. Jeder scheint ihm etwas zu verschweigen, und so tappt der Sergeant erst einmal im Dunkeln. Als dann ein Sturm heraufzieht und die Insel vorübergehend von der Außenwelt abgeschnitten ist, spitzen sich die Dinge zu …

_“Todeslied“_ ist ein ganz gemächlicher und subtiler Krimi. Lemieux lässt sich zu Beginn Zeit. Zwar weiß der Leser gleich im Prolog, dass auf der Île-d’Entrée zwei Frauen unter höchst verdächtigen Umständen ums Leben gekommen sind, von denen die eine die Krankenschwester Gladys Patterson ist, doch lässt Lemieux es danach erst einmal sehr beschaulich und unspektakulär angehen.

Der Leser begleitet den noch recht jungen Arzt François Robidoux bei seinem Besuch auf die Île-d’Entrée. Zusammen mit Gladys Patterson klappert er seine Patienten ab und hofft, die Insel möglichst bald wieder verlassen zu können. Er isst mit Gladys zusammen zu Abend und liest auf Gladys Bitte lange Passagen aus ihrem Tagebuch, in dem sie ihre erste Zeit auf der Insel schildert. Die Handlung plätschert vor allem in der ersten Hälfte des Romans darum eher gemächlich vor sich hin. Bis die Leiche der jungen Frau gefunden wird, vergehen 130 Seiten – und dabei umfasst das Buch nur 277 Seiten insgesamt.

Mit dem Leichenfund an den Klippen kommt zumindest kurzzeitig so etwas wie Spannung auf und die Geschichte wird interessanter. Bis es zu den finalen Ereignissen kommt, die dann auch den Tod von Gladys Patterson bedeuten, dauert es noch einmal gute 80 weitere Seiten, und zumindest dann kehrt auch die Spannung wieder einmal zurück in die Geschichte.

Ansonsten ist „Todeslied“ eher unspektakuläre Lektüre. Lemieux greift auf einen seltsam distanzierten Erzählton zurück. Manche Verknüpfungen setzt er so beiläufig und unterschwellig, dass man nicht immer alles direkt nachvollziehen kann, und auch die Figuren bleiben dem Leser eher fremd. Man kommt nicht dazu, eine Beziehung zu ihnen aufzubauen. Lemieux hält seine Protagonisten auf Distanz zum Leser, und so kann dieser ihre mitunter seltsamen Verhaltensweisen oft herzlich wenig nachvollziehen.

Das ist ein echtes Manko, da gerade bei einem so subtilen Krimi, der im Prinzip von der Interaktion der Protagonisten und von den Spannungen zwischen den einzelnen Figuren lebt, die Figuren nachvollziehbarer sein müssten. Lemieux‘ Figuren bleiben für den Leser aber teils bis zum Schluss rätselhaft und verschlossen. Da man sich somit kaum in die Figuren hineinfühlen kann, hinterlässt auch die Geschichte selbst kaum Spuren. Nicht alles wird nachvollziehbar dargelegt, und auch das Finale fällt nicht wirklich zufriedenstellend aus.

Am Ende entpuppt sich „Todeslied“ als ein äußerst blasser Roman. Als belletristischer Krimi funktioniert er kaum und als reiner Unterhaltungskrimi ist er nicht spannend genug. „Todeslied“ wirkt damit irgendwie profillos und hinterlässt keinen bleibenden Eindruck, sondern ist ganz im Gegenteil sehr schnell aus dem Gedächtnis verschwunden.

Rätselhaft bleibt auch der deutsche Titel des Romans. Wie man auf „Todeslied“ als Übersetzung für „La lune rouge“ kommt und was das Ganze mit dem Inhalt dieses Buches zu tun haben soll, bleibt wohl das Geheimnis des Übersetzers. Rein äußerlich riecht „Todeslied“ ein wenig nach einer Mogelpackung. Hinten prangt in großen blutroten Lettern „Spiel mir das Lieb vom Tod“ auf dem Buchdeckel und das wird noch gekrönt durch einen Klappentext, der nicht ganz zum Inhalt des Buches passt und mehr nach reißerischer Thrilleraufmachung aussieht. Der Klappentext verspricht somit weit mehr Spannung als das Buch letztendlich bieten kann.

_Bleibt unterm Strich_ ein eher schwacher Eindruck zurück. Lemieux gelingt es nicht so recht, dem Leser seine Protagonisten näherzubringen, denn dafür baut er schon durch seine kühle Sprache eine zu große Distanz zum Leser auf. Und so ist „Todeslied“ leider ein Buch, das scheinbar spurlos an einem vorüberzieht. Zu wenig Spannung, zu viel Distanz und ein Klappentext, der mehr verspricht, als der Inhalt zu halten vermag.

_Jean Lemieux_, 1954 in Iberville (Quebec/Kanada)geboren, ist Allgemeinarzt und Schriftsteller. Zwischen 1980 und 1982 war er auf den Îles-de-la-Madeleine als Arzt tätig. Nachdem er 1983 durch die Welt reiste, kehrte er 1984 auf die Inseln zurück, wo er bis 1994 schrieb und lebte. Seit 1994 wohnt er wieder auf dem Festland in Québec, der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz.

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