Leon, Donna – Blutige Steine

_Handlung_

Venedig, mitten in der Vorweihnachtszeit. Auf dem Campo Santo Stefano wird ein so genannter |vucumprà|, ein Taschenhändler, der illegal aus Afrika eingereist ist, von zwei Profikillern erschossen. Inmitten einer Gruppe amerikanischer Touristen, und niemand hat etwas gesehen. Neben den üblichen Problemen seitens seines Vorgesetzten Patta, der ihm bald verbietet, weiterzuforschen, muss Commissario Brunetti auch mit dem Rassismus im eigenen Land sowie Problemen von ganz oben kämpfen. Selbst bei den anderen |vucumprà| gibt es nicht viel Hilfe, und so muss sich Brunetti wieder auf seine Kontakte und die tatkräftige Hilfe von Elettra und Vianello verlassen.

_Kritik_

Schon vierzehn Fälle hat die amerikanische Autorin Donna Leon über ihren liebenswürdigen Commissario Brunetti und seine Ermittlungen im beschaulichen Venedig veröffentlicht, ein fünfzehnter ist bereits in Arbeit, der dann im Juni erscheinen soll. Die Rezeptur wirkt auch hier wieder einwandfrei; so sind die Beschreibungen der edlen Gemäuer und die verfallenen Gassen Venedigs ebenso ein Hauptbestandteil wie die italienische Lebensart. Da stört es auch nicht, wenn auch hier wieder kaum Neues festzustellen ist. Brunetti fragt sich durch, anstatt sich von Actionsequenz zu Actionsequenz zu prügeln, die Familie von Guido Brunetti steht wieder im Mittelpunkt und sowohl Komissar Zufall als auch seine Verbindungen mit den Einwohnern Venedigs helfen Brunetti bei der Lösung des Falles.

Die Story ist herrlich typisch für Commissario Brunetti. Auf der einen Seite entsteht Reiselust nach Venedig, erweckt durch die ausgiebigen Beschreibungen der Stadt, ihrer Sitten und Gebräuche und ihrer kulinarischen Gewohnheiten. Auf der anderen Seite überschattet das Bild hinter den Kulissen den beschaulichen Ausblick auf die Lagunen. Der Rassismus, der sich in die alteingesessenen Herzen der Venezianer geschlichen hat, zeigt sich an vielen Ecken, sogar in der eigenen Familie von Commissario Brunetti. Die Fragen, wie man mit Schwarzafrikanern umgehen soll, wie man sie als Individuen „unterscheiden“ kann und wie ihre Handlungsmotivationen aussehen, beschäftigen Guido Brunetti genauso wie die Lösung des Falles, was sehr interessant nachzulesen ist und den Leser gedanklich anregt. Diese dezente Gesellschaftskritik, wie sie in anderen Romanen schon bezüglich Homosexualität oder auch Aristokratie in der heutigen Zeit gezeigt wurde, dient auch in diesem Fall als roter Faden für viele innere Monologe des Commissario.

Die Spuren des Falles sind im Übrigen allesamt gut nachvollziehbar, und mit ein bisschen eigenem Mitdenken lassen sich auch hier wieder vom Zuhörer diverse Fährten selbst verfolgen, was durch das gemäßigte Erzähltempo sehr gut unterstützt wird.

Bei der CD selbst bin ich geteilter Meinung. Achim Höppner liest klar und verständlich, und seine charakteristische Stimme klingt überaus angenehm. Leider wirkt es immer etwas unpassend, wenn er versucht, den Charakteren eine eigene Stimme zu geben. Da werden die Frauen ein kleines bisschen höher und die Amerikaner mit Akzent gesprochen, aber ein wirkliches Auseinanderhalten kommt dennoch nicht zustande, da wäre ein ganz normales Vorlesen ohne Charakterunterscheidung angebrachter gewesen. Wenn das Erzähltempo gesteigert wird, liest Höppner übrigens weiterhin im gleichen, ruhigen Ton und Tempo, obwohl man als Hörer vor Spannung am liebsten vorspulen möchte, ganz wie man es beim Lesen schließlich auch macht. Generell ist die langsame Vortragsweise der größte Kritikpunkt am Hörbuch. Bei vielen, nicht storyrelevanten Einschüben, wie etwa Gedanken über die Klimakatastrophen oder auch Ortsbeschreibungen, kann es durchaus passieren, dass man sich nur wünscht, Herr Höppner würde mal ein bisschen Tempo zulegen.

_Fazit_

So langsam stellt sich wohl die Frage, ob Frau Leon das gleiche Schicksal wie den von mir geschätzten Henning Mankell ereilt und sie die Lust auf die jährliche Reise nach Venedig verliert. Aber es scheint nicht so. Während es sich bei Mankell schon bemerkbar machte, dass er irgendwann aus seinen literarischen Strukturen ausbrechen würde, so merkt man Leon wiederum an, dass sie weiterhin an ihrer Struktur festhalten will und daran auch nichts verändern wird. Wer nach dreizehn Bänden immer noch hofft, dass ein großer Schicksalsschlag oder eine andere Wendung den generellen Ablauf aufbricht, der wird auch hier wieder enttäuscht sein. Venedig und das Leben Brunettis sind die Hauptdarsteller, der Fall ist faszinierend und mit aktueller Sozialkritik versehen, und auch die Gespräche abseits der Story sind interessant gehalten. Bis auf das etwas abrupte Ende kann man dem Buch kaum etwas Negatives vorhalten.

Ganz anders sieht es wie gesagt beim etwas langatmigen Vortrag des Hörbuches aus. Nur wer die absolute Ruhe hat und sich mit Heißgetränk gemütlich aufs Sofa setzen und abschalten kann, den wird das gemächliche und durch nichts aus der Ruhe zu bringende Erzähltempo von Achim Höppner nicht stören. Allen anderen sei dann doch eher das Buch ans Herz gelegt.

http://www.diogenes.de/

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