„Brainwash – Gefangene Gedanken“ ist die erste von drei EUROPA-Hörspiel-Auskopplungen bzw. Sonderausgaben aus der jüngst erschienenen „Top Secret Edition“ des Kosmos-Verlags. Diese beinhaltet die drei bislang verschollenen Fälle „House of Horrors“ (1986), „Brainwash“ (1989) und „High Strung“ (1991) der berühmten wie beliebten Junior-Detektei, welche bis dato in irgendeinem staubigen Archiv des damaligen Verlags schlummerten und erst kürzlich zurück ans Licht der Öffentlichkeit kamen.
Die Story von Peter Lerangis stammt aus den späten Achtzigern und somit zu den „Crimebusters“-Fällen, wie die drei ??? in ihrem Mutterland später hießen. Es war der Sprung, der die Jungs quasi über Nacht von 14- zu 17-Jährigen machte, eine mehr actionlastige Gangart anschlug und zu neuen Interessen wie Autos (Peter), Mädels (Bob) und Computer (Justus) führte, was die Einstellung der Serie in den USA aber eher beschleunigte denn verhinderte. Dieser zwölfte |Crimebusters|-Fall wurde damals schon nicht mehr veröffentlicht.
_Zur Story_
Gleich zwei Jungs aus dem Bekanntenkreis der drei ??? scheinen sich ganz plötzlich aus dem Leben, was ihnen von ihrem gesellschaftlichen Umfeld aufdiktiert wird, ausgeklinkt zu haben. Zwei ganz unterschiedliche Charaktere und Biografien, doch ein Ziel: Selbstbestimmung. Bei Ben Rademacher sind es die Eltern, welche ihn unter Leistungsdruck setzen, dabei ist er Klassenbester. Er verschwindet als Erster – nicht jedoch ohne vorher sein gesamtes Erspartes vom Konto geholt zu haben. Bei Slide Terranova, dem hochbegabten Gitarristen einer Newcomer-Rockband, welche Bob grade für Sax Sandler bei „Rock Plus“ betreut, ist es der Unmut immer nur die kommerziell erfolgreichen Songs spielen zu dürfen – nicht die eigenen, experimentellen und somit vermeintlich künstlerisch wertvolleren.
Das veranlasst ihn dann ausgerechnet bei ihrer Premieren-Tour in den Sack zu hauen und die Band im Stich zu lassen, von Bob und Sax ganz zu schweigen. Als sich die Hinweise verdichten, dass die beiden möglicherweise der derzeit auf allen TV-Kanälen für sich Werbung machenden „SynRea“-Vereinigung auf den Leim gegangen sein könnten, entscheiden sich Justus, Peter und Bob, dem angeblichen Paradies in der Nähe von New York mal einen Besuch abzustatten und sich dort einzuschleusen. Sax spendiert den dreien die Tickets – Bob hat bereits einen Tag Vorsprung, doch bald darauf lassen sich Peter und Justus am Flughafen ebenfalls von SynRea- Mitgliedern „überzeugen“ der Community probeweise beizutreten. Als „Romeo“, „Whizz Kid“ und „Iron Man“ starten sie ihre Undercover-Suche nach Ben und Slide in der Höhle des Löwen namens Pejo McGaskill. Seines Zeichens der Ober-Guru.
_Eindrücke_
Wer die erhellende Einleitung bzw. das Vorwort der Printversion nicht kennt, wundert sich vielleicht im Laufe des Hörspiels über so manch altertümlich anmutende Ausdrücke, die da fallen. „Floppy Disk“ etwa oder „Videorekorder“. Selbst der Computer quittiert Eingaben, mit einem Piepen, wie es die älteren von uns vielleicht noch aus seligen DOS-Zeiten kennen. Das ist – obwohl das erst kürzlich stattgefundene Erscheinen dieser Folge anderes nahelegt – allerdings auch kein moderner Fall aus heutiger Zeit. Die Geräuschkulisse und Sprache sind dem Entstehungsdatum in den späten Achtzigerjahren geschuldet und sie werden hier mit voller Absicht auch eingesetzt, um der Story das entsprechende Flair jener Ära zu verpassen, in welche auch das erstmalig vermehrte Auftreten der hier thematisierten Fernsehprediger und New-Age-Sekten in der (vorwiegend) amerikanischen TV-Landschaft fällt.
Das gelingt bis in die musikalische Untermalung hinein, welche sich aus altbewährten Soundsamples aus den allerfinstersten EUROPA-Archiven, bis hin zu rockig-poppigen Stücken, die offenbar eigens für diese Folge komponiert wurden. Schließlich spielt eine Band bzw. Gitarrist darin eine nicht unwichtige Rolle, womit man deren Auftritten musikalisch passend Rechnung trug. Handwerklich gibt es also nichts zu mosern, es wurde mit viel Liebe zum Detail gearbeitet. Das Team um Produzentin/Regisseurin Heikedine Körting (die – vielleicht auch in Anlehnung an alte Zeiten – hier mal wieder als „Pamela Punti“ in der Sprecherliste auftaucht) versteht seinen Job seit Jahren. Die Riege der Sprecher präsentiert sich mit vielen bekannten wie routinierten (Synchron-)Stimmen. Neben den zahlreichen Stammsprechern wären da noch die Gastauftritte von Fabian Harloff und Enie van de Meiklokjes zu erwähnen.
|Spoilerwarnung: Enthält enthüllende Informationen!|
Die Geschichte krankt an einer zentralen Stelle und das ist beileibe nicht die Schuld der Hörspieladaption. Schon in der Vorlage geht alles viel zu schnell. Es ist nicht nachvollziehbar, dass die drei ??? innerhalb weniger Tage eine derart etablierte Sekten-Struktur nicht nur infiltrieren, sondern auch quasi im Vorbeimarsch gleich erfolgreich zum Einsturz bringen können. Im Hörspiel geht das aufgrund von Kürzungen gegenüber dem Buch sogar noch fixer – was ein Paradoxon entstehen lässt: Der Showdown selbst läuft hier nämlich erstaunlicherweise und trotz des radikal eingedampften und strafferen Zeitrahmens, sogar ein gewisses Maß glaubwürdiger ab. Diesen offensichtlichen Widerspruch zu erklären ist nicht ganz leicht.
Vereinfacht gesagt spart sich das Hörspiel eine ganze Reihe recht hanebüchener – dafür aber die Zusammenhänge und auch die SynRea-Figuren besser erklärende – Handlungsstränge. Bis auf die versuchte Gehirnwäsche bei Justus (die aber in einem anderen Kontext stattfindet) ist daraus nicht viel übrig geblieben. Der Aufstieg von Justus in die Führungsriege um den Oberguru Pejo McGaskill, wo er tiefe Einblicke in die Machenschaften und Vorgänge der Organisation erhält, fehlt komplett. Dieses Manko gleicht das Skript dadurch aus, dass Justus die Verfehlungen Pejos einfach als Faktum schildert. Unter dem Strich wirkt das Hörspiel aber vielleicht gerade dadurch glatter, obschon noch verwirrend und hopplahopp genug, da der Hörer – anders als der Leser – nicht weiß, wie Justus an die entsprechenden Informationen kam.
|Spoilerentwarnung: Ab hier ist das Weiterlesen halbwegs ungefährlich|
Woanders haben die Anpassung und die Lokalisierung aber deutliche Vorteile erbracht. Bei der Ausgestaltung der Hauptfiguren und des allgemeinen doch sehr oberflächlichen, actionlastigen „Crimebusters“-Stils des Originals nämlich. Während die Figuren mit ihren uns hierzulande zum Teil unbekannten Eigenschaften („Buchwurm-Bob“ als unbebrillter Teenage-Casanova oder ständig das Herumreiten auf Konfektionsgrößen sowie irgendwelchem Karate-Geschwafel und dergleichen mehr) bei dem deutschen Leser doch mindestens das Hochziehen einer spock’schen Augenbraue provozieren, bleibt dem Hörer dieser Kulturschock erspart. Das Hörspiel wurde von solch Anleihen an den amerikanischen Massengeschmack (man könnte auch Unfug sagen) dankenswerterweise bereinigt und die drei ??? agieren ganz so, wie man es von ihnen gewohnt ist. Interessanterweise diesmal ohne Erzähler (sonst: Thomas Fritsch) und mit der „alten“, per Vocoder eingesungenen Titelmelodie – nicht dem inzwischen verwendeten Instrumental.
_Die Produktion:_
Drehbuch und Effekte: André Minninger
Redaktion und Geräusche: Wanda Osten
Regie und Produktion: Heikedine Körting
Musik: Hagitte, Bertling, Conrad, George, Morgenstern, Stahlberg, Kuntke
|Sprecher und Figuren:|
Oliver Rohrbeck (Justus Jonas), Jens Wawrczeck (Peter Shaw), Andreas Fröhlich (Bob Andrews), Peter Kirchberger (Pejo), Fabian Harloff (Ben Rademacher), Nico König (Slide Terranova), Enie van de Meiklokjes (Werbestimme), Christian Concillio (Sax Sandler) u. a.
_Fazit_
Die atmosphärisch dichte Folge hinterlässt gemischte Gefühle, denn einerseits haben die Kürzungen und Anpassungen der Geschichte ihr nicht nur Übles angetan, sondern sogar positive Aspekte. Andererseits ging vom Original sehr viel flöten, was insbesondere bei diesem lange verschollenen „spezialgelagerten Sonderfall“ ein wenig frevelhaft erscheint. Vielleicht wäre eine inhaltlich nicht ganz so arg gestrippte Version auf einer Doppel-CD die bessere Lösung gewesen. Langweilig ist das Ganze jedenfalls nicht, sondern kommt schnell auf den Punkt. In mancher Hinsicht auch zu schnell. Immerhin ist „Brainwash – Gefangene Gedanken“ eines der gelungeneren Hörspiele, die in letzter Zeit ihr Roll-Out hatten. Und das ist doch auch schon mal was.
|Audio-CD mit ca. 69 Min. Spieldauer
Story von Peter Lerangis nach Figuren von Robert Arthur
EAN: 88697773332|
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