Liu, Marjorie M. – Shadow Touch

Marjorie M. Liu ist Autorin aus Überzeugung. Obwohl sie neben dem Studium der osteuropäischen Sprachen und Kultur zusätzlich ein Jurastudium absolviert hat, hat sie sich für eine Karriere als Autorin entschied, weil sie nach eigenen Angaben keine Anwältin sein wollte. Ihre Rechnung scheint aufzugehen. In den USA erfreut sich ihre „Dirk and Steele“-Reihe großer Beliebtheit und umfasst bald sieben Bände. Nun soll der Virus auch in Deutschland übergreifen: |Blanvalet| veröffentlicht nach „Tiger Eye“, dem ersten Band, nun auch „Shadow Touch“.

Dieses lässt sich unabhängig vom ersten Band lesen, da völlig andere Protagonisten im Vordergrund stehen. Dies wäre zum einen die junge Elena Baxter, die eine kleine Farm betreibt und ein Geheimnis hat: Durch die Kraft ihrer Gedanken kann sie Menschen heilen und tut dies immer wieder bei ihrer ehrenamtlichen Arbeit im Krankenhaus. Sie glaubt, diese Fähigkeit verstecken zu müssen, und fühlt sich von anderen Menschen isoliert, weil sie anders ist. Bei Artur, einem ehemaligen russischen Mafiakiller, ist die Situation eine andere. Er hat seine Gabe, in die Seele anderer Menschen blicken zu können, zu seinem Beruf gemacht und ist bei der Detektivagentur |Dirk and Steele| angestellt. Diese beschäftigt ausschließlich Personen mit paranormalen Kräften, die diese dazu benutzen, um Kriminalfälle zu lösen.

Elena und Arthur, die sich nicht kennen, sind einer Gruppierung, die sich |Konsortium| nennt, aufgefallen. Wie man sich denken kann, handelt es sich dabei nicht unbedingt um besonders freundliche Zeitgenossen. Im Gegenteil strebt die Anführerin des Konsortiums eine Verbindung mit den russischen Mafiabossen an, um ihr Imperium zu vergrößern. Da auch sie mit paranormalen Kräften arbeitet, kommen ihr Artur und Elena nur recht. Sie lässt die beiden entführen und in ein geheimes Laboratorium in Russland bringen. Dort begegnen sich die beiden zum ersten Mal. Als Artur zusammenbricht, weil die Dinge, die er in anderer Menschen Seelen gesehen hat, einen „Kurzschluss“ in seinem Gehirn verursachen, rettet Elena ihm mit ihren Kräften das Leben. Doch das bleibt nicht ohne Folgen. Von nun an können die beiden ohne Berührung eine Verbindung zueinander aufbauen, eine noch tiefere Verbindung als Liebe. Gemeinsam mit zwei Gestaltwandlern, die ebenfalls gefangen gehalten werden, begeben sie sich auf eine überstürzte Flucht, als sich ihnen die Gelegenheit bietet. Sie ahnen nicht, dass dies der Anfang zu einem großen Abenteuer ist …

Marjorie M. Liu macht möglich, was man nicht für möglich hält: Sie verbindet Action mit einem guten Schuss Romantik, ohne pathetisch oder eindimensional zu werden. Was ruhig und unspektakulär beginnt, entwickelt sich schnell zu einem rasanten Abenteuer. Die Zutaten der Geschichte sind dabei nicht immer neu, aber gut zusammengesetzt. Sie erhalten durch die ausgefallene Figurenzeichnung eine besondere Note und wirken nicht klischeehaft. Die Verfolgungsjagden und Kämpfe sowie die Enthüllungen von Geheimnissen folgen flott aufeinander und lassen kaum Wünsche offen. Obwohl nicht als Thriller deklariert, können sich einige Bücher dieses Genres eine Scheibe an „Shadow Touch“ abschneiden.

Dabei kommt die leichtfüßige Romantik nicht zu kurz. Auch hier macht die Autorin alles richtig, denn sie wird nie schwülstig oder übertreibt es mit expliziten Szenen, sondern entwickelt eine zarte, authentische und berührende Liebesgeschichte. Diese nimmt nicht zu viel Raum ein, sondern ist eher eine Nebensächlichkeit, ohne ihren Zauber zu verlieren. Das ist insofern vorteilhaft, als dieses Buch nicht nur ausgemachte Romantiker, sondern auch „normale“ Fans von Romanen mit paranormalem Einschlag begeistern wird.

Im Vordergrund stehen dabei immer die beiden Hauptfiguren, deren Persönlichkeiten sich wie ein roter Faden durch die Geschichte ziehen. Anders als man es vielleicht erwartet, hat man es in „Shadow Touch“ nicht mit seichten, oberflächlichen Charakteren zu tun, denen es an Substanz mangelt. Auch wenn die eine Ecke oder Kante zusätzlich nicht geschadet hätte, werden Artur und Elena sehr eigenständig dargestellt. Arturs Vorgeschichte als Straßenjunge und Mafiakiller ist zwar nicht unbedingt innovativ, wird aber auch nicht ausgeschlachtet. Die eigentliche Überraschung ist Elena, da sie anders als ähnlich geartete Figuren gezeichnet wird. Das zeigt sich vor allem in ihrer Schlagfertigkeit und ihrem erdigen Humor. Sie ist emanzipiert, und trotz ihrer tiefen Liebe zu Artur wirkt sie nie blass oder heimchenhaft, aber auch nie wie eine Witzfigur aus einem Frauenroman.

Das Einzige, woran Liu stellenweise noch arbeiten sollte, ist ihr Schreibstil, wobei nicht ersichtlich ist, was ihre und was die Schuld der deutschen Übersetzung ist. Die ersten Seiten des Buchs sind hart. Die häufigen Wiederholungen einzelner Worte in Sätzen wirken gekünstelt und zu bemüht erhaben. Die Geschichte läuft nicht so ganz rund und mutet stellenweise kitschig an. Diese Startschwierigkeiten werden möglicherweise bei Lesern mit wenig Geduld eher zum Zuschlagen des Buches führen. Hat man sich jedoch erstmal in Lius Stil eingelesen, merkt man schnell, dass sie ihre Sache eigentlich gar nicht so schlecht macht. Manchmal klingt sie ein wenig naiv und der oft komische Humor wird nicht richtig herausgearbeitet. Auf der Haben-Seite stehen allerdings die ungewöhnlichen Metaphern und Vergleiche, mit denen sie die Geschichte immer wieder auflockert, auch wenn nicht jedes dieser Stilmittel als gelungen bezeichnet werden kann.

Der Verlag sagt über die Autorin, sie sei „eine außergewöhnlich optimistische junge Frau, die fest daran glaubt, allem im Leben mit einem Lächeln begegnen zu können.“ Bei der Lektüre von „Shadow Touch“ hat man genau dieses Gefühl. Fast ein bisschen naiv wirkt das Buch auf den ersten Seiten, entwickelt sich aber zu einem unerwartet spannenden und stellenweise düsteren Thriller mit einem romantischen Einschlag. Während der Schreibstil erst in Schwung kommen muss, gibt es an der Personenzeichnung und an der Handlung nicht viel zu bekritteln. Marjorie M. Liu gelingt es, ein Buch zu schreiben, das gerne in die Romantikecke gestellt wird, aber nicht so kitschig ist, dass es nicht auch Nichtromantikern gefallen dürfte.

|Originaltitel: Shadow Touch
Originalverlag: Dorchester Publishing, New York 2006
Aus dem Englischen von Wolfgang Thon
406 Seiten, Taschenbuch|

Home


http://www.blanvalet.de

Schreibe einen Kommentar