H. P. Lovecraft – Jäger der Finsternis

Unter dem Dämonenbann: Hexen, Kannibalen, U-Boot-Kapitäne

Wie wäre es, mal eine Nacht allein in einer gruseligen Gruft zu verbringen? Oder der nervenzerrüttenden Musik des verrückten Geigers Zann zu lauschen? Der Selbstversuch könnte einem Spiel mit dem Feuer gleichen.

Auf den vier CDs dieser Lovecraft-Audio-Ausgabe finden sich folgende sechs gruselige Geschichten: „Die Musik des Erich Zann“, „In der Gruft“, „Das Bild im Haus“, „Der Tempel“, „Jäger der Finsternis“ und „Träume im Hexenhaus“.

Der Autor

Howard Phillips Lovecraft wurde am 20. August 1890 in Providence, Rhode Island geboren. Als Howard acht Jahre alt war, starb sein Vater und Howard wurde von seiner Mutter, seinen zwei Tanten und seinem Großvater großgezogen. Nach dem Tod des Großvaters 1904 musste die Familie wegen finanzieller Schwierigkeiten ihr viktorianisches Heim aufgeben. Lovecrafts Mutter starb am 24. Mai 1921 nach einem Nervenzusammenbruch. Am 3. März 1924 heiratete Lovecraft die sieben Jahre ältere Sonia Haft Greene und zog nach Brooklyn. 1929 wurde die Ehe, auch wegen der Nichtakzeptanz Sonias durch Howards Tanten, geschieden. Am 10. März 1937 wurde Lovecraft ins Jane Brown Memorial Krankenhaus eingeliefert, wo er fünf Tage später starb. Am 18. März 1937 wurde er im Familiengrab der Phillips beigesetzt.

Nach seinem Tod wurde er zu einem der größten Autoren von Horrorgeschichten in den USA und dem Rest der Welt. Obwohl er nur etwa 55 Erzählungen schrieb, hat sein zentraler Mythos um die Großen Alten, eine außerirdische Rasse bösartiger Götter, weltweit viele Nachahmer und Fans gefunden, und zwar nicht nur auf Lovecrafts testamentarisch verfügten Wunsch hin.

Aber Lovecrafts Grauen reicht weit über die Vorstellung von Hölle hinaus: Das Universum selbst ist eine Hölle, die den Menschen, dessen Gott schon lange tot ist, zu verschlingen droht. Auch keine Liebe rettet ihn, denn Frauen kommen in Lovecrafts Geschichten praktisch nur in ihrer biologischen Funktion vor, nicht aber als liebespendende Wesen oder gar als Akteure. Daher ist der (männliche) Mensch völlig schutzlos dem Hass der Großen Alten ausgeliefert, die ihre Welt, die sie einst besaßen, wiederhaben wollen. Das versteht Lovecraft unter „kosmischem Grauen“. Die Welt ist kein gemütlicher Ort – und Einsteins Relativitätstheorie hat sie mit in diesen Zustand versetzt: Newtons Gott ist tot, die Evolution eine blinde Macht, und Erde und Sonne sind nur Staubkörnchen in einem schwarzen Ozean aus Unendlichkeit. Auf Einstein verweist HPL ausdrücklich in seinem Kurzroman [„Der Flüsterer im Dunkeln“.]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?idbook=1961

Sprecher & Produktion

David Nathan, geboren 1971 in Berlin, gilt laut Verlag als einer der besten Synchronsprecher Deutschlands. Er leiht seine Stimme Darstellern wie Johnny Depp, Christian Bale und Leonardo DiCaprio. In „Jäger der Finsternis“ erweckt er die Spannung und den Horror zum Leben.

Für Regie, Produktion & Dramaturgie zeichnet Lars Peter Lueg verantwortlich, für Schnitt, Musik & Tontechnik Andy Matern.

CD 1:

Track 01-05 : Die Musik des Erich Zann
Track 06-11 : In der Gruft
Track 12-16 : Das Bild im Haus

CD 2:

Track 01-08 : Der Tempel
Track 09-16 : Jäger der Finsternis

CD 3:

Track 01-07 : Jäger der Finsternis [Fortsetzung]
Track 08-16 : Träume im Hexenhaus

CD 4:

Track 01-15 : Träume im Hexenhaus [Fortsetzung]

Handlung von „Die Musik des Erich Zann“ (1922)

Die erste Geschichte spielt in Paris, und der „Student der Metaphysik“, der uns berichtet, findet die bewusste enge Straße nicht mehr, in der er in einem Mietshaus zum ersten Mal die Musik jenes stummen deutschen Geigers gehört hatte, den er als Erich Zann kennen lernte.

Die Musik, die Zann ihm vorspielte, wenn sein Besucher im Zimmer war, war zunächst ganz normal: Bach’sche Fugen. Doch sobald er gegangen war, spielte er so unheimliche Melodien, dass es den Studenten grauste. Bis zu jenem Tag, da der Besucher den Vorhang vor dem Fenster entfernte und in die gähnende Schwärze des gierigen Kosmos dahinter schaute – und von dort eine Antwort erklang …

Mein Eindruck

Diese kurze Geschichte ist sehr stimmungsvoll und detailliert erzählt, so dass wir einen realistischen Eindruck davon erhalten, wie es im Haus des Erich Zann zugeht. Ganz allmählich werden wir zum Geheimnis geführt, das dessen Musik umgibt. Warum bearbeitet der Deutsche seine Geige derart wild und unheimlich – und vor allem beschäftigt uns die Frage: Für wen spielt er eigentlich? Die Entdeckungen, die unser Student der „metaphysischen Wissenschaften“ macht, sind in der Tat schauerlich und gemahnen zunächst an das unheimliche Geigenspiel des [Roderick Usher,]http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?idbook=2347 den Poe unsterblich machte. Doch Lovecraft geht noch einen Schritt weiter: Das Geigenspiel ist keine Beschwörung, sondern eine Art Beschwichtigung oder Abwehrzauber, um etwas fernzuhalten …

Handlung von „In der Gruft“ (1925)

Der alte Säufer George Birch ist im Jahr 1881 Totengräber, als ihm eine merkwürdige Sache widerfährt, die seinen Charakter verändert. Er soll neun Leichen aus ihren Gräbern holen und sie in die geräumige Gruft umbetten – in frischen Särgen. Leider scheint er dabei unvorsichtig zu sein, denn plötzlich bricht der Riegel an der Tür ab, die Tür fällt durch einen Windstoß zu – und Birch ist in der Gruft eingeschlossen. Den einzigen Ausweg stellt ein Oberlicht dar, doch um dieses zu erreichen, muss er drei der neun Särge übereinander stellen. Als sein Fuß beim Hinaufsteigen in einen der Särge einbricht, krallen sich ihm unsichtbare Fingernägel in die Wade und zerfetzen seine Sehnen. Doch der echte Horror wartet in der letzten Zeile.

Mein Eindruck

Diese Story erinnert ebenfalls an Poes Erzählungen. Es ist wenig bekannt, dass Poe auch sehr bissige, geradezu satirische Storys schrieb, die an vermeintlich angesehenen Bürgern kein gutes Haar mehr ließen. Ähnlich wie seine Verbrechergeschichten wie „Die schwarze Katze“ oder „Das verräterische Herz“ ist auch „In der Gruft“ aufgezogen. Und sie ist so kunstvoll erzählt, dass sie nicht nur einen, sondern zwei horrormäßige Höhepunkte aufweist. Außerdem ist es eine Geschichte von Rache und gerechter Strafe – das Grundprinzip jeder Verbrecherstory.

Handlung von „Das Bild im Haus“ (1920)

Ein junger Archäologe interessiert sich für die unheimlichen einsamen Gehöfte, die in Neu-England verlassen und überwuchert vor sich hin schlummern. Doch sie bergen das Grauen und das Groteske. Und ihre Fenster blicken wie Augen auf den ahnungslosen Besucher, sie erinnern sich an Unaussprechliches.

Es ist November 1896, als der junge Ich-Erzähler Zuflucht vor einem Wolkenbruch sucht. Er ist durch das Miskatonic Valley nahe Arkham (= Salem/Massachusetts) geradelt. Ein Haus unter Ulmen bietet ihm Obdach, niemand antwortet auf seine Rufe, die Tür ist offen, und der Besucher tritt in eine andere Zeit.

Zuerst fällt ihm ein widerlicher Geruch auf. Er entsteigt dem Inventar, das offenbar aus der Zeit vor 1776 stammt, als der amerikanische Unabhängigkeitskrieg ausbrach. Auf dem Tisch fällt ihm ein aufgeschlagenes Buch aus dem Jahr 1598 auf, das den Titel „Beschreibung des Kongo“ trägt und auf der Tafel 12 aufgeschlagen ist. Es zeigt den Metzgerladen von Menschenfressern auf drastischste Weise. Daneben steht ein Buch von Cotton Mather, der puritanischen Hauptfigur der Hexenprozesse von Salem.

Da hört er Schritte, die von oben kommen. Es ist ein alter, weißbärtiger Mann, doch erscheint er überraschend stämmig und kräftig, seine blauen Augen blicken wach, wenn auch ein wenig blutunterlaufen. Nur will sein lumpenartiges Äußeres gar nicht dazu passen. Der Besucher ist abgestoßen und verspürt Beklommenheit. Der Alte bietet höflich einen Stuhl an und erwähnt, es würden keine Postkutschen mehr von Arkham kommen und der Bezirkslehrer sei seit anno ’84 verschwunden. Er setzt eine alte Brille mit achteckigen Gläsern auf. Dann bittet er seinen Besucher, aus dem „Regnum Congo“, das in Latein geschrieben ist, zu übersetzen.

Seine freundliche Geschwätzigkeit vermag das gierige Glitzern in den Augen kaum zu verbergen, mit der er seinen Gast belauert. Während des folgenden bizarren Gesprächs wächst in unserem jungen Besucher nicht nur der Ekel vor den sonderbaren Ausführungen seines Gastgebers, sondern auch die Gewissheit, dass der Alte ein böses Spiel mit ihm treibt und sein Opfer bereits in der Falle weiß.

Mein Eindruck

Diese frühe Erzählung aus dem Jahr 1920 wird selten abgedruckt, denn sie rührt an ein Tabu, der sehr unappetitlich ist: Kannibalismus. Der Alte verschlingt seine ahnungslosen Opfer, nach dem Vorbild der Bewohner des Kongo. Degeneration – ein häufig wiederkehrendes Motiv in Lovecrafts Erzählungen. Degeneration nicht so sehr im körperlichen Sinne (der Alte ist unnatürlich kräftig und gesund), sondern vielmehr im moralischen. Die Grenze zwischen Tier und Mensch existiert für den Alten nicht mehr. Aber er hat dadurch sein Leben auf unnatürliche und unmoralische Weise verlängert.

Eingebettet in das Bild vom Haus des Menschenfressers ist die Warnung vor der unheiligen Vergangenheit Neu-Englands – der Verweis auf den Hexenverfolger Cotton Mather spricht für den Eingeweihten Bände. Lovecraft entführt den Leser bzw. Hörer in diese andere Zeit, um ihn mit schaurigen Phänomenen zu konfrontieren und davor zu warnen.

Handlung von „Der Tempel“ (1925)

Diese selten zu lesende Story spielt im Jahre 1917 – auf einem deutschen U-Boot. Optimal also für Wolfgang Petersen. Das Manuskript soll eine Flaschenpost sein, die Kapitän Carl Heinrich von U-29 abschickte, bevor er, der letzte Überlebende der Besatzung, sein Boot auf Nimmerwiedersehen verließ.

Bei der Versenkung des Frachters „Victory“ lässt Heinrich auch die Rettungsboote beschießen. Als er wieder auftaucht, hängt ein toter Seeman an der Reling. Als man ihn durchsucht, findet Lt. Klenze einen kleinen, geschnitzten Elfenbeinkopf und nimmt ihn an sich. Der Kopf stellt einen bekränzten Jüngling dar. Bei der Bestattung glauben drei Seeleute, dass der Tote die Augen aufklappt, sie anstarrt und dann davonschwimmt. Kann ja wohl nicht sein, und der Kapitän lässt die halb wahnsinnigen Männer bestrafen. Aber das ist erst der Anfang.

Zwei der Wahnsinnigen, die etwas von einem Fluch faselten, springen über Bord. Am 28. Juni ereignet sich eine Explosion im Maschinenraum, so dass an eine Heimfahrt nicht mehr zu denken ist. Das Boot driftet fast antriebslos nach Süden, wo nach einiger Zeit Vögel auftauchen. Am 4. Juli bricht die offene Meuterei an Bord aus. Sechs verrückt gewordene Männer zerstören die Instrumente, bevor Heinrich und Klenze sie erschießen können. Danach scheint auch Klenze durchzudrehen: Er fühlt sich gerufen und wolle sich unterwerfen, solange eine Chance auf Gnade bestehe.

Am 9. August entdecken sie auf dem Meeresboden regelmäßige, künstliche Strukturen, doch nur drei Tage später dreht Klenze vollends durch und stirbt. Nun ist Heinrich ganz auf sich gestellt. Träume suchen ihn heim, doch sobald er bei Bewusstsein ist, steuert er sein U-Boot in eine unterseeische Stadt, die von unerhörter Pracht ist. Ist dies Atlantis? Doch der Eingang zu einem Tempel ruft ihn. Dort entdeckt er das Abbild, das dem Kopf der Elfenbeinschnitzerei Klenzes haargenau entspricht.

Mein Eindruck

Neben „Dagon“ ist dies eine der wenigen HPL-Storys, die im Ersten Weltkrieg spielen. Das Thema ist sehr einfach: die Auflösung der Kommandostruktur an Bord durch die Zersetzung der Intelligenz. Das ES, das an Bord geschleppt wurde, übernimmt den Befehl und führt zur inneren Zerstörung. Der letzte Überlebende muss das Geheimnis dieses unheilvollen Einflusses ergründen. Zunächst ist er der Einzige, der noch zu rationalen Überlegungen in der Lage ist, doch je näher er der Quelle des Übels kommt, desto irrationaler verhält er sich.

Der Grund, warum die Story hierzulande so selten abgedruckt wird, sind vor allem die chauvinistischen Äußerungen und Beleidigungen des Kapitäns. Als Preuße, der die deutschen Tugenden schlechthin verkörpert, schaut er auf Klenze, den verweichlichten Rheinländer, herab. Dies wiederholt sich mehrere Male, was nicht besonders schön zu lesen bzw. zu hören ist. Außerdem ist es aus heutigem Blickwinkel völlig anachronistisch.

Handlung von „Jäger der Finsternis“ (Haunter of the Dark, 1936)

Wurde der Anthropologe Robert Blake in der Nacht des 8.8.1935 vom Blitz erschlagen? Oder hat ihn sich eine Kreatur der Großen Alten geschnappt? Die Meinungen der Gelehrten und Experten gehen auseinander. Was hier also erzählt wird, hält sich an Blakes Tagebuch. Darin berichtet er von seiner Faszination mit dem düster empor ragenden Kirchturm aus dem Federal Hill des Städtchens Providence (wo auch HPL lebte). Bei näherer Untersuchung zeigt sich, dass das verwahrloste Gebäude schon seit fast 60 Jahren keinen sakralen Charakter hat. Ab 1846 hatte ein Archäologe hier einen Sektenkult namens Starry Wisdom (Weisheit von den Sternen) eingerichtet.

Blake findet in der Turmstube, wo eigentlich Glocken sein sollten, nur sieben leere Stühle und Steinplatten, ein Reporter-Skelett aus dem Jahr 1897 – und eine Schatulle mit einem leuchtenden Stein darin. Hineinschauend erblickt er grauenerregende kosmische Weiten und schwarze Planeten, wo die Großen Alten hausen. Dann begeht er einen schwerwiegenden Fehler: Von einem Geräusch über sich erschreckt, klappt er die Schatulle zu. Da nun kein Licht mehr das Ding im Turmhelm fernhält, treibt es alsbald lautstark sein Unwesen in der entweihten Kirche, so dass die gläubigen italienischen Einwanderer das Zähneklappern kriegen. Doch das Ding weiß, wo sich Blake aufhält und holt ihn …

Mein Eindruck

Dies ist eine sehr dicht aufgebaute und stimmungsvoll erzählte Geschichte, die zielbewusst auf den grauenerregenden Schluss zusteuert, der nur aus panischem Gestammel des Tagebuchschreibers besteht. Aus dem, was Blake in der alten Kirche fand, haben andere Autoren ganze Erzählungen geschmiedet. Und weil so viele Fragen offen blieben, schrieb Robert Bloch, dem die Story gewidmet war, eine Fortsetzung (abgedruckt in „Hüter der Pforten“, Bastei-Lübbe).

Durch die äußerst realistisch wirkende Erzählweise rückt der unwahrscheinliche Kern der Begebenheiten in den Bereich des Glaubwürdigen. Als der Horror beginnt, wirkt er dadurch umso stärker auf uns. Wie schon in „Cthulhus Ruf“ bemüht der Autor Zeitungsartikel, Polizistenanekdoten, verschlüsselte Notizen eines Reporters und natürlich Blakes Tagebuch, um so viel Objektivität wie möglich vorzuspiegeln. Dies ist die Arbeitsweise des späten Lovecraft – der Meister starb ein Jahr später – und rückt die Erzählung in den Rang der Top Ten unter Lovecrafts Erzählungen (die Novellen und Kurzromane ausgenommen).

Handlung von „Träume im Hexenhaus“ (1932)

Walter Gilman ist ein Student der Mathematik und Geometrie an der Miskatonic Universität in Arkham (= Salem bei Boston). Durch seine Beschäftigung mit ungewöhnlichen Dimensionen, Linien, Kurven der nichteuklidischen Geometrie ist er auf Hinweise gestoßen, dass es an der Uni und mehr noch in Arkham selbst einst Aktivitäten okkulter Machenschaften gegeben habe. Tatsächlich lagern im versperrten Keller der Uni viele verbotene Bücher wie das verfluchte „Necronomicon“. Doch Walter ist auf ein Haus mit einer okkulten Geschichte mitten in Arkham gestoßen: das Haus der Hexe Keziah Mason, die im Jahr 1692 darin eingekerkert wurde und die auf rätselhafte Weise daraus entwich. Bei ihr sah man eine rattenähnliche Kreatur mit langem Fell, die ebenfalls verschwand.

Obwohl dies alles vor 235 Jahren geschah, zieht es Walter wie magisch an und er lässt sich das Mansardenzimmer der Hexe geben. Es weist in seiner Architektur einige ungewöhnliche Winkel auf, die ihn wie magisch anziehen. Der Zugang zum Dachspeicher ist ebenso vernagelt wie der Zugang zu einem Fenster. Was mag wohl dahinter liegen? Ein großes Rattenloch hingegen lässt sich gar nicht verschließen, so sehr man es auch versucht. Die Ratte nagt immer wieder ein neues Loch. Walter kennt sowohl das Geständnis der Hexe als auch ihren ständigen Begleiter, der als Brown Jenkin bekannt war und, wie Walter herausfindet, es immer noch ist. Es soll sich um ein rattengroßes Wesen handeln, doch verfüge es über ein menschenähnliches Gesicht und menschliche Hände statt Pfoten. Und in seinem Gesicht ragen lange Reißzähne aus seinem Maul.

Anfang Februar beginnen Walters Träume, und er glaubt zu schlafwandeln. Zu seinem Leidwesen setzen sie sich sehr lebhaft fort und zwar so lange, bis der 30. April gekommen ist: die Walpurgisnacht. Die alte Frau ist ihm mit ihrem Gefährten erschienen, und offenkundig sind beide Boten für einen großen Schwarzen Mann, bei dem es sich möglicherweise um Azathoth, den Herrscher des Chaos, oder um Nyarlathotep, seinen ersten Boten, handelt.

Zunächst nehmen sie ihn im Traum mit auf fremde Planeten, und er staunt über die dortigen Wesen und ihre Zivilisation. Doch als dort eine Figur aus einer Balustrade bricht, erscheint diese am nächsten Tag in seinem Zimmer. Waren Traum und Reise echt und wirklich? In der Tat ergibt eine chemische Analyse, dass die Metallfigur fremdartige Elemente enthält, die man auf Erden nicht kennt.

Doch für die Walpurgisnacht hat die alte Hexe Walter für einen ganz besonderen Dienst ausersehen, und alle Utensilien liegen schon bereit: eine mit Runen versehene Schüssel, ein ebensolches Messer. Nun fehlt nur noch das in der Schüssel darzubringende Opfer.

Mein Eindruck

Obwohl die Geschichte in vielerlei Hinsicht zu fesseln und zu faszinieren vermag, weist sie doch etliche Schwächen auf. Sie ist eine der wenigen von Lovecrafts Erzählungen, in denen eine weibliche Hauptfigur vorkommt – nun ja, es handelt sich um einen Geist, eine Wiedergängerin. Wieder einmal wird eine Verbindung zu fernen Alienwelten hergestellt, den Welten der Großen Alten. Doch der schreckliche Abschluss von Walter Gilmans Traumreisen ist ganz diesseitig und erscheint uns deshalb durchaus grausam. Fände dies irgendwo im Weltall statt, wäre er für uns kaum von Belang. Das Ritual scheint hingegen, späteren Zeitungsberichten zufolge, in den dunklen Gassen Arkhams stattzufinden.

Die Schwächen scheinen mir eher darin begründet, dass sich Gilman und sein Mitstudent Elwood weigern, eins und eins zusammenzuzählen und Traum und Realität miteinander in Verbindung zu setzen. Mag sein, dass ihnen ihr mathematischer Verstand dies verbietet. Sie erklären sich die Traumerlebnisse mit Gilmans Nachtwandeln, doch wo kommt dann die fremdartige Metallfigur her? Sie sind von wohlmeinenden Nachbarn umgeben, die sie beobachten und ebenfalls ihre Meinung zu den seltsamen Vorkommnissen beitragen, vor allem Kratzen, Poltern, Schritte sowie ein violettes „Hexenlicht“. Auf diese objektivierende Weise lassen sich die Erlebnisse Gilmans rational erklären. Natürlich ist er ein Fall für den Nervenarzt, das ist ihm auch klar. Aber er geht nie hin. Das ist Pech für ihn, aber Glück für uns: So können wir seinen Opfergang bis zum bitteren Ende mitverfolgen.

Der Autor lässt keine offenen Enden in seinem Gewebe übrig. Am Schluss enthüllen uns Abrissarbeiten, was sich hinter dem vernagelten Fenster und im ebenso unzugänglichen Dachboden verbirgt: allerlei unappetitliche Dinge, die hier nicht ausgebreitet werden sollen.

Die Produktion

Der Sprecher

David Nathan stellt wieder einmal seine Meisterschaft beim Vortragen unheimlicher Texte unter Beweis. Es ist nicht nur seine Flexibilität in Tonhöhe und Lautstärke: Er flüstert und krächzt, dass für Abwechslung gesorgt ist. Aber sein eigentlich effektvoller Kniff ist die winzige Verzögerungspause vor einem wichtigen Wort. Der Eindruck entsteht, als gebe es einen Zweifel an diesem Wort und als zöge dieser Zweifel ein gewisses Grauen nach sich oder leite sich daraus ab.

Es ist der Unglaube angesichts des Schreckens, der sich dem jeweiligen Betrachter bietet, der den Zuhörer in den Bann von Nathans Vortrag zieht. Es ist die hintergründig mitschwingende Frage: Kann das wirklich wahr sein? Und wenn es wahr ist, dann ist es grauenhaft! Es ist dieses Grauen, das die Figuren angesichts des Grauenerregenden erfasst, dass wir über Nathans Vermittlung mit ihnen spüren können. Die beste Leistung in dieser Hinsicht bietet uns Nathan am Schluss der titelgebenden Erzählung „Jäger der Finsternis“: Als Blake flüstert er erregt, dann entsetzt, schließlich wie besessen, am Ende flehend – man müsste aus Stein sein, wenn einem da keine kalten Schauder den Rücken hinabliefen.

Herrlich komisch ist hingegen seine Darstellung des alten Kannibalen in „Das Bild im Haus“. Laut Autor redet dieser schräge Typ einen alten, längst ausgestorbenen Yankeedialekt. Aber wie stellt man so etwas in modernem, möglichst verständlichem Deutsch dar? Nathan greift zu einem berlinerisch angehauchten Umgangsdeutsch, wie es einem Quartalssäufer wohlanstünde, aber doch zu deutlich artikuliert ist. Statt versoffen klingt daher sein Alter wie ein durchtriebener, durchaus gefährlicher Typ. Da Komik durchaus mit Schrecken gepaart sein kann (und es meist auch ist), wird aus der zunächst begeisterten und heiteren Wesensart des Alten über kurz oder lang eine Grauen erregende Komik, die den Hörer sehr beunruhigen dürfte.

Im Eifer des Gefechts unterlaufen Nathan aber auch kleinere Fehler. Der auffälligste unter diesen ist die Aussprache des ausgefallenen Wortes „Bacchantinnen“ – das sind laut DUDEN „weinselige Trinkerinnen“. Das cch wird korrekt als [k’ch] ausgesprochen und das i natürlich kurz, weil ein Doppelkonsonant folgt. Daraus macht Nathan allerdings [bakanti:nen], also ein k ohne ch sowie ein langes i. Schwamm drüber. Vielleicht war sein Manuskript nur schlecht getippt.

Die Musik

Es gibt zwar keine Geräusche, doch dafür eine ganze Menge Musik. Diese wird als Intro und Outro sowie in den Pausen zwischen den Erzählungen hörbar. Auch als Hintergrundmusik wird Materns Komposition eingesetzt. Wie es sich gehört, stimmen die musikalischen Motive den Hörer auf die unheimlich-angespannte Atmosphäre der Geschichte ein. Diese Motive sind in der Lage, jeder Erzählung ein charakteristisches Soundgepräge zu verleihen.

Vor der Erich-Zann-Erzählung ist ein ziemlich verrückt klingendes Violinmotiv zu hören. Die Geige ertönt vor einem basslastigen Hintergrund, der von einer fatal zuschlagenden Trommel dominiert wird. Dieses Intro dauert, ebenso wie das Outro, etwa ein bis zwei Minuten. Das Violinmotiv setzt sich natürlich auch in der Story selbst fort.

Völlig anders instrumentiert ist der Übergang zur Erzählung „In der Gruft“. Ein (elektrisches) Cembalo spielt parallel zu einem dumpfen, aber druckvollen Bass ein paar langsame Kadenzen, die schon recht unheilvoll und schräg klingen, doch als das volle Orchester einsetzt und sie aufnimmt, wird aus „skurril“ auf einmal „unheil- und verhängnisvoll“. Das Intermezzo vor „Der Tempel“ ist durch einen gewissen majestätischen Gestus gekennzeichnet. Wie passend, geht es doch um die untergegangene Stadt Atlantis in all ihrer Pracht.

Die Hintergrundmusik ist äußerst dezent eingesetzt und stört zu keiner Zeit den im Vordergrund stattfindenden Vortrag der Erzählung. Dabei fiel mir während der titelgebenden Geschichte das leichte Hintergrundmotiv auf, das seine düsteren Akzente leicht hintupft. Was zunächst wie äolische Klänge leicht und heiter wirkt, nimmt eine zunehmende Düsterheit an und wird schließlich unheilvoll, und zwar immer dann, wenn es um die Titelfigur des „Jägers der Finsternis“ geht.

Der Titel

„Jäger der Finsternis“ klingt zwar toll, doch es geht nicht darum, dass die Finsternis gejagt wird. Vielmehr kommt dieser „Jäger“ aus der Finsternis. „Jäger“ müsste in der Vorlage „hunter“ lauten, doch dies stellt sich als Irrtum heraus. Im Original steht „haunter“, also in diesem Fall ein geisterhafter Bewohner. Das trifft den Sachverhalt ziemlich genau. Aber „Jäger“ klingt natürlich viel besser als „Bewohner“.

Unterm Strich

Die drei CDs lassen sich in zwei Hälften aufteilen. Auf den ersten anderthalb CDs sind vier kürzere Erzählungen zu finden: „Die Musik des Erich Zann“, „In der Gruft“, „Das Bild im Haus“ und „Der Tempel“. Die zweite Hälfte wird von zwei recht langen Novellen bestritten: „Jäger der Finsternis“ und „Träume im Hexenhaus“. Während die drei ersten Geschichten jeweils ihre effektvolle Pointe erreichen, verfehlt die vierte, „Der Tempel“, diese jedoch und enttäuscht mit einem offenen Ende.

Die Novelle „Jäger der Finsternis“, die hierzulande bereits zweimal unter dem Titel „Der leuchtende Trapezoeder“ abgedruckt worden ist, liegt nun endlich in einer modernen, gültigen und vollständigen Übersetzung vor. Diejenige, die man bei Suhrkamp findet, stammt von H.C. Artmann und ist völlig veraltet, obendrein auch noch lückenhaft. Leider wurde sie auch so in die Anthologie „Hüter der Pforten“ (Bastei-Lübbe) übernommen. Nur die des Festa-Verlags ist nach meiner Meinung gültig. Sie liegt dem Hörbuch zugrunde. Deshalb kann sich der Horrorfan unbeschwert dem Genuss dieses feinen Gruselstücks hingeben, ohne zweifeln zu müssen, ob dies der Text ist, den Lovecraft 1936 veröffentlichte.

Die Novelle „Träume im Hexenhaus“ kann leider wenig überzeugen, denn ihre Schwäche ist die zentrale Figur Walter Gilman. Statt sich einen Mentor zu suchen, der ihm im Kampf gegen den Einfluss der Hexe beisteht, liefert er sich immer weiter aus und muss dafür schließlich den Preis bezahlen. Die Wege Walters sind ebenfalls sehr dem Zufall überlassen, wenn man sie mal aufmerksam verfolgt, und dass sein Ende in der Walpurgisnacht besiegelt ist, steht schon lange vorher fest, so dass nur wenig Spannung aufkommt. Ich habe mich daher gelangweilt. Immerhin hat ihre Aufnahme in dieses Hörbuch für den Kenner den Vorzug, dass diese Erzählung selten zu finden ist und hier erstmals akustisch präsentiert wird.

Das Hörbuch

Das Hörbuch ist eine saubere Arbeit, wie ich sie von LPL records inzwischen erwarte. Der Titel passt ausgezeichnet in die bisherige Lovecraft-Reihe und bietet demjenigen, der die Vielfalt von Lovecrafts Werk kennen lernen möchte, einen guten Einstieg: Die unterschiedliche Machart der Storys vermittelt einen Eindruck davon, dass es in Lovecrafts Werk drei große Phasen gab, die es zu erkunden gilt.

David Nathan fesselt mit seinem nuancenreichen Vortrag den Hörer. Insbesondere mit der Darstellung des kannibalischen Alten in „Das Bild im Haus“ und mit Blake am Ende von „Jäger der Finsternis“ gelingen ihm ausgezeichnete Leistungen, die keinen Hörer unberührt lassen dürften. Die feinfühlige Musik von Andy Matern unterstützt ihn in seinem Bemühen um die optimale dramatische Wirkung.

Ausblick

Die nächsten Hörbücher der Reihe müssten eigentliche noch die verbleibenden großen Kurzromane des Meisters bieten, nämlich „Der Fall Charles Dexter Ward“ und „Berge des Wahnsinns“. Während die erste Novelle sehr langsam voranschreitet, bevor sie ihren Höhepunkt erreicht, bietet der zweite eine Fortsetzung von E.A. Poes „Arthur Gordon Pym“ eine Expedition in die warme (!) und von einer uralten Stadt beherrschte Antarktis.
Die logische Fortsetzung dieses Romans wiederum bestünde in Michael Marraks Roman „Imagon“.

310 Minuten auf 4 CDs
Aus dem US-Englischen übersetzt von Frank Festa
/www.lpl.de
www.luebbe-audio.de
www.festa.de