H. P. Lovecraft – Der Schatten aus der Zeit (Lesung)

Audio-Horror: Das Grauen wartet in Australien

Professor Peaslee bricht während einer Vorlesung bewusstlos zusammen und erwacht erst Stunden später. Er leidet unter völligem Gedächtnisverlust. Sechs Jahre später beginnt er mit der Konstruktion einer seltsamen Maschine. Kurz darauf findet man ihn wieder bewusstlos. Die Maschine ist verschwunden. Die Schriften, die er in den letzten Jahren verfasste, verbrannt. Am nächsten Tag kehrt er ins Bewusstsein zurück, ohne sich an die vergangenen sechs Jahre erinnern zu können. Was ist passiert? Seine Alpträume zeigen ihm nach und nach die schreckliche Wahrheit … (Verlagsinfo)

Der Autor

Howard Phillips Lovecraft, 1890-1937, hatte ein Leben voller Rätsel. Zu Lebzeiten wurde er als Schriftsteller völlig verkannt. Erst Jahre nach seinem Tod entwickelte er sich zu einem der größten Horror-Autoren. Unzählige Schriftsteller und Filmemacher haben sich von ihm inspirieren lassen.

Howard Phillips Lovecraft wurde am 20. August 1890 in Providence, Rhode Island geboren. Als Howard acht Jahre alt war, starb sein Vater und Howard wurde von seiner Mutter, seinen zwei Tanten und seinem Großvater großgezogen. Nach dem Tod des Großvaters 1904 musste die Familie wegen finanzieller Schwierigkeiten ihr viktorianisches Heim aufgeben. Lovecrafts Mutter starb am 24. Mai 1921 nach einem Nervenzusammenbruch. Am 3. März 1924 heiratete Lovecraft die sieben Jahre ältere Sonia Haft Greene und zog nach Brooklyn, New York City. 1929 wurde die Ehe, auch wegen der Nichtakzeptanz Sonias durch Howards Tanten, geschieden. Am 10. März 1937 wurde Lovecraft ins |Jane Brown Memorial Hospital| eingeliefert, wo er fünf Tage später starb. Am 18. März 1937 wurde er im Familiengrab der Phillips beigesetzt. Nach seinem Tod entwickelte er sich bemerkenswerterweise zu einem der größten Autoren von Horrorgeschichten in den USA und dem Rest der Welt. Sein Stil ist unvergleichlich und fand viele Nachahmer. (abgewandelte Verlagsinfo)

Lovecrafts Grauen reicht weit über die Vorstellung von Hölle hinaus: Das Universum selbst ist eine Hölle, die den Menschen, dessen Gott schon lange tot ist, zu verschlingen droht. Auch keine Liebe rettet ihn, denn Frauen kommen in Lovecrafts Geschichten praktisch nur in ihrer biologischen Funktion vor, nicht aber als liebespendende Wesen oder gar als Akteure. Daher ist der (männliche) Mensch völlig schutzlos dem Hass der Großen Alten ausgeliefert, die ihre Welt, die sie einst besaßen, wiederhaben wollen. Das versteht Lovecraft unter „kosmischem Grauen“. Die Welt ist kein gemütlicher Ort – und Einsteins Relativitätstheorie hat sie mit in diesen Zustand versetzt: Newtons Gott ist tot, die Evolution eine blinde Macht, und Erde und Sonne sind nur Staubkörnchen in einem schwarzen Ozean aus Unendlichkeit. Auf Einstein verweist HPL ausdrücklich in seinem Kurzroman „Der Flüsterer im Dunkeln“.

Der Sprecher

David Nathan, geboren 1971 in Berlin, gilt laut Verlag als einer der besten Synchronsprecher Deutschlands. Er leiht seine Stimme Darstellern wie Johnny Depp, Christian Bale und Leonardo Di Caprio. Er hat zuletzt beispielsweise das Hörbuch „The Green Mile“ von Stephen King ausgezeichnet gestaltet.

Regie, Produktion und Grafik lagen in den Händen von Lars Peter Lueg. Die Musik und Tontechnik steuerte Andy Matern bei.

Der Komponist

Andy Matern wurde 1974 in Tirschenreuth, Bayern geboren. Nach seiner klassischen Klavier-Ausbildung arbeitete er einige Jahre als DJ in Clubs. Seit 1996 ist er als freiberuflicher Keyboarder, Produzent, Remixer, Songwriter und Arrangeur tätig. Er kann trotz seiner jungen Jahre bereits mehr als 120 kommerzielle CD-Veröffentlichungen vorweisen. Darunter finden sich nationale und internationale Chart-Platzierungen mit diversen Gold- und Platin-Auszeichnungen.

Bereits Andy Materns erste Hörbuch-Rhythmen erreichten schnell Kultstatus bei den Fans und der Fachpresse. Durch seine musikalische Mitarbeit wurde „Der Cthulhu-Mythos“ zum besten Hörbuch des Jahres gewählt (Deutscher Phantastik Preis 2003). Andy Matern lebt und arbeitet in München. (Verlagsinfos)

Handlung

Professor Nathaniel Wingate Peaslee schreibt seinen erschütternden Bericht 1935 an Bord eines Dampfers, der ihn von West-Australien nach Amerika bringen soll. Noch muss er sich von den grauenerregenden Erlebnissen in den Tiefen einer vorzeitlichen Stadt erholen, die er in der australischen Wüste mit seiner Expedition ausgegraben hat. Doch wie konnte er in diesen schlimmen Zustand geraten? Und warum glaubt er, uns vor einem namenlosen Grauen aus der Tiefe warnen zu müssen?

Alles begann 27 Jahre zuvor an einem Tag des Jahres 1908. Professor Peaslee lehrt Wirtschaft an der Miskatonic-Universität von Arkham und doziert gerade in einer Vorlesung über einen Wirtschaftstheoretiker, als er plötzlich den Faden verliert und in Ohnmacht fällt. Nach mehreren Tagen erwacht er wieder aus seiner Bewusstlosigkeit, kann sich aber kaum an sein früheres Leben erinnern. Auch seine Verhalten ist verändert und er spricht auf eine antiquierte Weise. Zudem scheint er über ein ungewöhnliches Wissen über die fernste Vergangenheit und sogar über die Zukunft zu verfügen.

Seiner Frau ist dieser Wandel höchst unheimlich; sie lässt sich 1910 scheiden und zieht mit zweien der drei Kinder weg. Nur sein Sohn Wingate glaubt weiterhin an seinen Vater. Die Nervenärzte glauben, dass Peaslee ein ausgezeichnetes Beispiel für eine Sekundärpersönlichkeit ist. In den folgenden Jahren bereist er den Himalaya, die Wüste Arabiens und die Arktis, erkundet die tiefen Höhlen West Virginias und liest rasch und viel. Seine Intelligenz ist derart gesteigert, dass ihm schwierigste Matheaufgaben leicht fallen. Wenn man den Sensationsblättern glaubt, so kommuniziert er mit Sektenführern und kann das Verhalten anderer Menschen mit Gedankenkraft beeinflussen. Angeblich liest er sogar verbotene Bücher wie das „Necronomicon“ des verrückten Arabers Abdul Alhazred. Er selbst denkt nicht über sich nach, doch später wundert er sich über den Sinn all dieser Aktivität.

Doch Ende September 1913 endet der Spuk, nachdem ein Unbekannter die Maschine mitgenommen hat, die Peaslee gebaut hat. Alle Schriften, die er in dieser Zeit schrieb, sind verbrannt worden. Am 27.9. erwacht er wie aus einem Koma und setzt seinen ursprünglichen Vortrag aus dem Jahr 1908 fort, als sei nichts gewesen. Danach beginnen die Albträume. 1915 tritt er von seiner Professur zurück und widmet er sich der Aufklärung dessen, was geschehen sein muss.

Vor 150 Millionen Jahren

Wenn er sechs Jahre lang von einem unsichtbaren Wesen besessen gewesen war, wo befand sich dann sein wahres Ich in dieser Zeit? Er ist ja weder der erste noch der einzige Mensch, dem dieses Missgeschick widerfuhr, denn schon in der Antike scheint es Fälle wie ihn gegeben zu haben. Und in den letzten fünfzig Jahren gab es drei Fälle von Besessenheit.

Die Fragmente der im Traum erinnerten Erlebnisse versucht er in eine chronologische Ordnung zu bringen. Demnach existierte sein wahres Ich als eine Art Gefangener in einer Stadt, die vor 150 Millionen Jahren von einer Rasse bewohnt wurde, die von den Sternen gekommen war. Die Vertreter dieser Großen Rasse war mehrere Meter groß, besaßen drei Augen und einige Gliedmaßen, mit denen sie sehr geschickt hantieren konnten. Sie besitzen Maschinen und beherrschen die Luft wie auch das Meer mit ihren Vehikeln.

Der gefangene Peaslee besitzt zu seinem Entsetzen ebenfalls einen solch hässlichen Körper. Er schuftet jahrelang im Archiv, wo es unter anderem seine Aufgabe ist, seine eigene Epoche zu beschreiben. Darin teilt er das Schicksal vieler anderer Gefangener, die aus allen möglichen Zeiten und von vielen Welten stammen.

Doch sosehr er auch die Große Rasse wegen ihrer Errungenschaften bewundert, sosehr teilt er auch ihre tiefe Furcht vor den Wesen, die hinter versiegelten Falltüren und verschlossenen Pforten lauern. Diese nur halbstofflichen Wesen kamen vor 600 Millionen Jahren zur Erde und machten sich das Leben untertan. Die Große Rasse besiegte sie und sperrte sie weg. Die schwarzen Basalttürme ohne Fenster sind ein Mahnmal für die grausame Herrschaft jener Großen Alten (über die Lovecraft in seinem Cthulhu-Mythos schrieb).

1935: nach Australien

Wenige Jahre, nachdem Peaslee im „American Journal of Psychology“ 1928/29 eine Serie Artikel über seine Erlebnisse geschrieben hatte, bekommt er am 10. Juli 1934 einen Brief aus West-Australien, in dem ihm ein Bergbauingenieur mitteilt, er habe ähnliche Trümmer wie jene gefunden, die Peaslee beschreibe, jedenfalls mit entsprechenden Reliefs und Schriftzeichen. Die Aborigines fürchteten sich vor diesen Arealen, wo die Steintrümmer liegen. Dort seien schon oft einige ihrer Jäger verschwunden. Mackenzie lädt Peaslee ein, sich das mal anzusehen.

Kein zehn Pferde könnte Peaslee davon abhalten! Mit mehreren Kollegen an der Miskatonic-Universität und seinem Sohn Wingate macht er sich auf den Weg. Am 3. Juni 1935 stößt die Expedition aus 18 Mann auf die ersten Mauerüberreste. Diese weisen tatsächlich Reliefs der Großen Rasse auf. Peaslee ist erschüttert. Er erinnert sich an seine Traumerlebnisse. Doch als er am 11. Juli einen Basaltstein freilegt, der nicht wie gewöhnlich achteckig, sondern quadratisch ist, schaudert es ihn. Also doch: Auch die Großen Alten hatten hier ein Domizil. Ein namenloses Grauen packt ihn.

Nun weiß er genau, wo er sich befindet: in jener weitläufigen Stadt der Großen Rasse, in deren Archiv er sich offenbar sechs Jahre lang aufhielt – 150 Millionen Jahre in der Vergangenheit! Nun gibt es zwei Dinge, die er unbedingt finden muss, um sich selbst beweisen zu können, dass seine Traumerinnerungen nicht bloß Hirngespinste eines Wahnsinnigen sind, sondern auf wirklichen Geschehnissen beruhen: die Falltür zum Verlies der Großen Alten und zweitens das Archiv, in dem sich jenes eine Ding befindet, das der unwiderlegbare Beweis seiner Anwesenheit ist – sein selbst geschriebenes Buch …

Was er in der Tiefe vorfindet, ist Anlass genug, die Welt mit seinem auf dem Dampfer geschriebenen Bericht dringend vor dem „Schatten aus der Zeit“ zu warnen. Dieser warte nur darauf, aus seinen Verliesen, die seit Äonen kein Wächter mehr bewacht, hervorzubrechen und seine grausame Herrschaft erneut zu errichten …

Mein Eindruck

Die lange Novelle hat zwei Höhepunkte: das Finale und die Jahre zwischen 1908 und 1913. Dieser erste Teil vor der Ankunft in Australien ist lediglich unheimlich und fußt auf Peaslees sonderbarer Erfahrung zwischen 1908 und 1913. An diese erinnert er sich aber nur bruckstückhaft in Träumen. Dass Träume nur sehr bedingt als Erkenntnismittel und reale Wahrnehmung anerkannt werden, dürfte bekannt sein. Demzufolge hält er diese Traumerinnerungen nur für Halluzinationen, eine komplexe Neurose, einen Streich, den ihm sein Unterbewusstes spielt.

Daher fällt es ihm nicht allzu schwer, sich selbst zu beruhigen und wieder zum Alltag überzugehen, den er einigermaßen gut an seiner Miskatonic-Universät bewältigt. (Diese Uni wurde von Lovecraft frei erfunden, ebenso wie der Ort Arkham, in dem sie liegen soll. Arkham taucht jedoch viele Male in HPLs 55 Erzählungen auf. Die Stadt wurde als Providence in Rhode Island interpretiert.) Mit dem Schreiben der Artikel für die Psychologie-Zeitschrift hält er das Kapitel für erledigt.

Was, wenn alles wahr wäre?

Doch dann kommt der verhängnisvolle Brief aus Australien und scheint die Vergangenheit wieder zum Leben zu erwecken. Was, wenn Peaslee in den uralten Wüsten-Ruinen den Beweis fände, dass seine Träume nicht Hirngespinste waren, sondern in einer bizarren Realität fußten? Dann müsste er nicht nur sein psychologisches Weltbild revidieren, sondern auch seine Auffassung von der Natur der Zeit. Denn wie sonst wären der große Rasse jene Geistprojektionen möglich, die ihren Vertreter erlauben, Wesen in fernster Zukunft wie Vergangenheit zu „übernehmen“, um aus deren Erfahrungen zu lernen?

Neben seinen Spekulationen über relativistische Zeit gemäß der Speziellen Relativitätstheorie Einsteins gehört die Beschreibung dieser Großen Rasse zu Lovecraft größter Leistung in diesem Kurzroman. Die Welt vor 150 Millionen Jahren: Sie hält für jeden Dinosaurierfreund zahllose Wunder bereit, und SF-Fans dürfen sich über Luftfahrzeuge und Atom-U-Boote freuen. Der Autor saugte sich diese Dinge nicht aus den Fingern, sondern befand sich durch seine umfangreiche Korrespondenz auf der Höhe seiner Zeit, was die Entwicklung von Wissenschaft und Technik anbelangt. (Von seinem Brieffreund Robert E. Howard leiht er sich hier z. B. den Namen Kimmerien aus, in dem dessen Fantasy-Figur CONAN Abenteuer erlebt.) Manche Passagen erinnerten mich deutlich an [„Utopia“ 1841 von Thomas Morus. Selbstverständlich kannte der belesene Autor auch dieses grundlegende Werk.

Wozu Zeitreisen?

Die Kardinalfrage ist jedoch, warum die Große Rasse überhaupt ihre Vertreter in ferne Zeit projiziert. Warum konnte es überhaupt zu Peaslees sonderbarem Schicksal kommen? Wenn ich alles richtig verstanden habe, so fürchtete die Große Rasse die Wiederkehr der Großen Alten, die sie besiegt und in Verliese gesperrt hatten. Jeden Tag fiel ihr Blick auf deren finstere Basalttürme und gemahnte sie daran, was passieren könnte, wenn die Bewachung versagen oder enden sollte. (In Robert Jordans Zyklus [„Das Rad der Zeit“ 700 gibt es das gleiche Problem.) Was, wenn der „Schatten aus der Zeit“ ausbricht?

Um diesem unausweichlich scheinenden Tag des Jüngsten Gerichts vorzubeugen und herauszufinden, wann es stattfindet, sendet die Große Rasse ihre Späher aus. Sie suchen – wie Peaslees alter ego – alle Dokumente, die auf den Feind hindeuten. Daher liest Peaslee beispielsweise das „Necronomicon“. Es geht aber auch um Orte, wo sich die Großen Alten verstecken könnten: im Himalaya, in der Arktis, in den Wüsten Innerarabiens (wo Abdul Alhazred herkam). Alle ihre Funde schreiben sie auf und speichern sie, beispielsweise in jener Maschine, die Peaslee baute und am 26.9.1913 an den unbekannten Besucher verlor. (Wie die Scouts in die Zeit reisen können, erfahren wir meines Wissens nicht. Dafür sind wohl die Physiker zuständig.)

Der Tod der Sonne

Dass die Große Rasse natürlich auf den „Tag des Jüngsten Gerichts“ gestoßen sein muss, ist logisch, denn sonst wäre sie nicht verschwunden. Doch leider erlebt Peaslee nicht die heftige Reaktion, die dieser epochale Fund in der Rasse ausgelöst haben muss. Vielmehr scheint sich sein Alter Ego nur mit Archivarbeiten und diversen Forschungsreisen in der Welt vor 150 Mio. Jahren beschäftigt zu haben. Das ist alles schön und gut, aber auch etwas langweilig: Es gibt keinen Konflikt, der Spannung erzeugen würde.

Selbst die Nachricht, dass die Herrschaft des Menschen von der der Käfer abgelöst werden würde, überrascht uns nicht. Wir haben schließlich H.G. Wells’ [„Zeitmaschine“ 1414 gelesen, in der genau dieses Endzeitszenario in den gruseligsten Farben ausgemalt wird. Dass die Erde einfach erkalten werde, ist jedoch inzwischen widerlegt: Zuvor wird sich die Sonne zu einem Roten Riesen aufblähen und alles Leben auf der Erde verbrennen, das sich nicht tief genug vergraben hat. Erst Äonen später, wenn die Sonne allen Treibstoff verbrannt hat, wird sie zu einem Zwergstern (rot oder weiß, bitte Farbe aussuchen) schrumpfen und die Erde als Schlackeklumpen zurücklassen.

Der zweite Höhepunkt

Keine Sorge: Ich werde hier nicht verraten, was Peaslee auf seiner nächtlichen Exkusion durch die Ruinen findet. Doch ich kann sagen, dass dies – wie stets in seinen besten Novellen – der beste Teil der ganzen Story ist. Der Autor erzählt anschaulich, spannend, mit geschickt eingesetzten Verzögerungen und Pannen, bis alles bereits verloren scheint. Es kommt zu einer Art Showdown, den der Forscher gerade noch zu überleben scheint – sonst könnte er uns wohl nicht davon berichten (das ist ja immer die Crux des Erzählens eines Abenteuers).

Was haben wir nun von seinem sonderbaren Bericht zu halten? Die Hirngespinste eines Wahnsinnigen, dem die Begegnung mit einem der Großen Alten nicht gut bekommen ist und der nun völlig durchdreht? Denn man bedenke: Schenkt man dem Bericht Glauben, so muss man auch seine dringliche Warnung ernst nehmen: vor dem Schatten aus der Zeit, der lauert. Ulkig, dass er schon seit Millionen Jahren so vor sich hinlauert, ohne etwas zu unternehmen.

Übersetzung

Schade, dass dieses Hörbuch kein Glossar besitzt. So aber muss der Hörer selbst nachschlagen, was die zahlreichen ausgefallenen Begriffe bedeuten. Zu den wenigen Bezeichnungen, die ich nicht auf Anhieb kannte, gehören „Kalamiten“ und „Zykaden“. Der |DUDEN| sollte also zur Hand sein.

Der Sprecher

David Nathan stellt wieder einmal seine Meisterschaft beim Vortragen unheimlicher Texte unter Beweis. Es ist nicht nur seine Flexibilität in Tonhöhe und Lautstärke: Er flüstert und krächzt, dass für Abwechslung gesorgt ist. Aber sein eigentlich effektvoller Kniff ist die winzige Verzögerungspause vor einem wichtigen Wort. Der Eindruck entsteht, als gebe es einen Zweifel an diesem Wort und als zöge dieser Zweifel ein gewisses Grauen nach sich oder leite sich daraus ab.

Es ist der Unglaube angesichts des Schreckens, der sich dem jeweiligen Betrachter bietet, der den Zuhörer in den Bann von Nathans Vortrag zieht. Es ist die hintergründig mitschwingende Frage: Kann das wirklich wahr sein? Und wenn es wahr ist, dann ist es grauenhaft!

Die Musik

Es gibt zwar keine Geräusche, aber doch ein wenig Musik. Diese wird als Intro und Extro sowie in den Pausen zwischen acht Kapiteln hörbar. Wie es sich gehört, stimmt sie den Hörer auf die unheimlich-angespannte Atmosphäre der Geschichte ein. Diesmal hat sich Matern dafür eine Drum-Percussion einfallen lassen, die wie Hammerschläge klingt. Darüber liegt eine ansteigende Kadenz, die von Streichern (oder einem ähnlichen Synthi-Sound) bestritten wird. Nichts Aufregendes, aber doch zum Thema passend.

Unterm Strich

Jeder kann aus dieser Novelle etwas herausziehen, das ihn besonders interessiert. Science-Fiction-Freunde finden wahrscheinlich die Idee der Zeit- und Geistreise faszinierend. Die Beschreibungen der Welt vor 150 Mio. Jahren dürften sie ebenso fesseln wie HPLs Visionen über das Ende der Erde und die Gesellschaft der Großen Rasse. Fantasyfreunde könnten sich eher über die Schilderungen fremder Wesen und ihrer magischen Macht freuen, heißen sie nun Große Rasse oder „die Großen Alten“. Doch Horrorfreunde scheinen mir erst im letzten Drittel auf ihre Kosten zu kommen.

Die Handlung hat eine entscheidende dramaturgische Schwäche: Es gibt keinen direkten äußeren Gegenspieler, aus dem ein Konflikt Spannung erzeugen könnte. Der Gegner besteht jedoch indirekt in den Großen Alten, die auch im Jahr 1935, glaubt man Peaslees Bericht, noch eine Rolle spielen. Und erst als die Konfrontation mit ihnen unmittelbar droht, kommt für mich so etwas wie packende Spannung auf. Alles davor sind Taschenspielertricks, die sich auf zahllose Quellen wie „Utopia“ und „Die Zeitmaschine“ stützen.

Sicher ist es einfallsreich, eine ganze Kultur Psychoscouts aussenden zu lassen, um den eigenen Untergang vorherzusehen, doch was soll das bringen, wenn doch der Untergang de facto erfolgt sein muss, als Peaslee auftaucht? Der Schluss drängt sich auf, dass die Große Rasse, um sich zu retten, die Erde im Jahr 1935 schon längst verlassen hat. Doch warum ließ sie dann ihr kostbares Archiv zurück, auf das Peaslee ja in jenem Jahr stößt? Wurde es nicht mehr benötigt – oder haben die Großen Alten schließlich die Große Rasse doch besiegt und sie daran gehindert, es zu vernichten? Wenn die Monster von den Sternen aber frei sind, warum beherrschen sie dann nicht schon längst die Erde?

Eine Menge offener Fragen in der Story. Um die letzte Frage zu beantworten: Im Cthulhu-Mythos postuliert Lovecraft, dass die Großen Alten, die tatsächlich die Erde eroberten und Sklaven züchteten, ihrerseits von einer Rasse von den Sternen besiegt wurden, wie schon einmal durch die Große Rasse. (Das erinnert mich schwer an das Eingreifen der Valar gegen Melkor/Morgoth in Tolkiens [„Silmarillion“.) 408 Diese Sieger verbannten die Überlebenden wie etwa Cthulhu selbst in Verliese. Cthulhu soll gemäß diesem Mythos auf dem Grund der Meere in der Stadt R’lyeh träumen. Doch wo sind die Wächter?

Das Hörbuch

Das Hörbuch ist eine saubere Arbeit, wie ich sie von |LPL records| inzwischen erwarte. Der Titel passt ausgezeichnet in die bisherige Lovecraft-Reihe. David Nathan fesselt mit seinem nuancenreichen Vortrag den Hörer, aber er sollte mal lernen, wie man „psychology“ ausspricht. Sehr sympathisch fand ich die Mitarbeit von Daniela Hofmann. Sie ist bekanntlich die Synchronsprecherin von Julia Roberts. Der Hörer darf sich also auch einen Auftritt von „Pretty Woman“ freuen, wenn sie ihn zärtlich darauf hinweist, dass die Geschichte auf CD Nr. x fortgesetzt wird. Dieser Aufforderung leistet man nur allzu willig Folge …

Originaltitel: The Shadow out of Time, 1936
Aus dem US-Englischen übersetzt von Andreas Diesel
197 Minuten auf 3 CDs.
ISBN-13: 9783785731390

http://www.luebbe.de/luebbe-audio

Der Autor vergibt: (4.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (1 Stimmen, Durchschnitt: 4,00 von 5)

Schreibe einen Kommentar