Lukianenko, Sergej – Wächter der Ewigkeit

Band 1: [„Wächter der Nacht“ 1766
Band 2: [„Wächter des Tages“ 2390
Band 3: [„Wächter des Zwielichts“ 2910

_Was lange währt, wird endlich gut?!_

Wahrscheinlich wurde schon lange kein Buch mehr so sehnsüchtig erwartet wie Sergej Lukianenkos fulminanter Abschluss seiner beliebten Wächter-Reihe. Endlich ist es nun so weit, die „Wächter der Ewigkeit“ sind erschienen und bilden das Ende einer Fantasyreihe, wie sie erfolgreicher kaum sein könnte.

Und eines steht fest: Sergej Lukianenko hat sich seine Lorbeeren vollkommen zu Recht verdient; seine Figuren sind glaubwürdig, aber doch zwiegespalten, seine Geschichte ist packend, verschlungen und regt immer wieder zu eigenen Spekulationen an, denn oft genug durchschaut man die Gedanken hinter einer Handlung nicht, vor allem aber ist die Welt, die Lukianenko erfunden hat, düster, geheimnisvoll und absolut anziehend. Welcher Fantasyfan könnte sich dieser gelungenen Mischung schon entziehen?

Ich konnte es nicht und habe jede Leseminute genossen, auch wenn ich nicht immer vollkommen einverstanden war mit den Wendungen, die Lukianenko eingebaut hat. Doch nun ist es vorbei, das letzte Buch gelesen und die Geschichte hat für mich und alle anderen Lukianenko-Anhänger nun ihr Ende gefunden; doch ob es auch zufrieden stellend war, das schauen wir uns nun genauer an.

_Die Reise beginnt_

Die Geschichte nimmt dieses Mal ihren Beginn in Edinburgh zur Zeit des Festivals, als Viktor mit seiner Freundin Valerija dort Urlaub macht. Die beiden stammen aus Russland, und bei Viktors Vater handelt es sich nicht nur um einen bekannten Politiker, sondern auch um einen nicht-initiierten Anderen.

Als die beiden ein Gruselkabinett aufsuchen, ahnen sie noch nicht, dass nur einer von ihnen dieses lebend verlassen wird, denn auf dem Blutfluss wird Viktor plötzlich auffallend schweigsam – jedoch nicht, weil er seiner Freundin nichts mehr zu sagen hat, sondern weil jemand ihm seine Vampirzähne in den Hals geschlagen und ihn ausbluten gelassen hat. Diese merkwürdige Tat ruft folglich nicht nur die örtliche Polizei auf den Plan, sondern auch die schottische Wache und Geser, der Anton nach Schottland schickt, um dort auf eigene Faust zu ermitteln.

In Edinburgh angekommen, kommt Anton in einem merkwürdigen Hotel eines alteingesessenen Vampirs unter, wo er das lichte Zimmer beziehen darf, das komplett in Weiß, Beige und Rosa eingerichtet ist. Bei seiner Befragung findet Anton heraus, dass der Vampir nichts davon weiß, dass einer seiner „Artgenossen“ für die Tat im Gruselkabinett verantwortlich ist, also begibt sich Anton selbst dorthin und macht die Bekanntschaft eines verkleideten Angestellten, der die inzwischen geschlossene Einrichtung bewacht. Doch auch dieser kann Anton bei seinen Nachforschungen nicht behilflich sein.

Als Anton allerdings recht bald zu einem weiteren Mord ins Gruselkabinett gerufen wird, erfährt er auf unsanfte Art und Weise, dass der Angestellte vermutlich der Mörder gewesen ist, da er den diensthabenden Angestellten tot vorfindet und er sich eingestehen muss, dass es nicht derjenige ist, den er zuvor befragt hatte. Dennoch kann Anton eine wichtige Entdeckung machen, denn an Viktors Tod war kein blutdurstiger Vampir schuld, denn Viktors komplettes Blut befindet sich noch im Blutfluss, der sich diesen Namen nun zu Recht verdient hat. Was ist hier wirklich vorgefallen?

Bevor Anton sich zurück nach Russland begeben kann, macht er noch die unbequeme Bekanntschaft mit einem Roboter, der auf Anton schießt und ihn fast besiegt hätte, wäre ihm nicht ein Tiermensch zu Hilfe geeilt. Außerdem erfährt er, warum der Chef der schottischen Wache der Besitzer des Gruselkabinetts ist und was sich in den Schichten des Zwielichts unter der gruseligen Einrichtung verbirgt, denn dort hat der große Zauberer Merlin – der einzige Nullmagier, den es bislang gegeben hat – ein wichtiges Artefakt versteckt, das sich in der siebten und letzten Schicht des Zwielichts verbirgt.

Auf dieses nun machen drei Andere gemeinsam Jagd, wie Anton vom Chef der schottischen Wache erfahren muss. Wer ist es nur, der das Geheimnis von Merlins größtem Zauber aufdecken will? Um das herauszufinden, muss Anton weiterreisen nach Usbekistan, um einen alten Bekannten Gesers aufzufinden, der dort vor zig Jahren untergetaucht ist. Aber auch in Usbekistan erwarten mächtige Gegner den lichten Magier und machen ihm das Leben mehr als schwer, doch nach und nach kommt Anton seinen drei starken Widersachern auf die Spur, die für ihn keine Unbekannten sind.

_Darf ich vorstellen – Merlin!_

Wieder einmal öffnet Sergej Lukianenko zu Beginn seines nächsten Wächterromans eine ganz neue Schublade. Uns erwartet hier ein neuer grausamer Mord, den es aufzuklären gilt und der uns ganz am Ende das Geheimnis des Zwielichts offenbaren wird. Denn dieses Mal werden wir uns bis hinab in die siebte Schicht des Zwielichts begeben, wo eigentlich nur ein Nullmagier hingelangen kann, also ein Anderer, der sämtliche Kraft von den Menschen abzieht. Nach Merlin kann dies nur Antons Tochter schaffen, denn sie ist die nächste Nullmagierin, sodass auch sie hier erstmals ihren Auftritt als große Andere haben wird.

Doch bevor es so weit kommt, reist Anton über den Globus und sucht geheimnisvolle Orte auf, die einen ganz eigenen Zauber haben. Wir begeben uns in das schöne Edinburgh, das im Zwielicht allerdings einiges zu verbergen hat. Denn hier hat der große Merlin gewirkt, der einst ein Lichter war, dann aber zum Dunkel übergetreten ist. Wir lernen also einen prominenten Magier kennen, den nicht erst Sergej Lukianenko für seine Geschichte erfunden hat, und ich muss ehrlich gestehen, dass Lukianenko es nicht nötig gehabt hätte, auf einen so bekannten Namen zurückzugreifen, denn bislang ist er auch mit seinen eigenen Ideen auskommen, und das ganz hervorragend. Glücklicherweise fügt Lukianenko seiner Erzählung genügend eigene Komponenten hinzu, sodass das Auftauchen Merlins nicht allzu störend auffällt.

_Geheimnisvolle Charaktere und Welten_

Die Geschichte seines vierten Wächterromans könnte kaum mysteriöser sein. Was ist nur im schottischen Gruselkabinett vorgefallen, als der junge Viktor brutal sterben musste? Schnell findet Anton heraus, dass Viktor offensichtlich im Spiegellabyrinth jemanden gesehen hat, den er kannte, der aber nicht entdeckt werden wollte. Dieser kleine Moment ist es, der Viktor sein Leben kostet, doch wen hat er wiedererkannt? Welcher Vampir war inkognito in Edinburgh und wollte unter keinen Umständen gefunden werden?

Nach und nach fügen sich die Einzelteile zu einem Ganzen zusammen und wir kommen den drei großen Zauberern auf die Spur, die sich gemeinsam auf die Jagd nach Merlins Geheimnis gemacht haben und dabei auch über Leichen gehen. In Edinburgh setzen sie einen Kampfroboter auf Anton an, aber auch in Usbekistan haben sie sich eine besondere Überraschung ausgedacht, denn dort nutzen sie die Menschen für ihre Zwecke aus und machen aus ihnen eine tödliche Waffe, wie Anton unsanft erkennen muss.

Ein besonderes Vergnügen ist wieder einmal die Figurenzeichnung, und es macht wirklich deutlich mehr Spaß, Anton jetzt auf seinen Reisen zu begleiten, wo er zu einem Anderen außerhalb jeder Kategorie geworden ist, denn dieser Aufstieg macht ihn spürbar zufriedener – ihm gelingen inzwischen viele Dinge, für die er vorher nicht mächtig genug war. So kann er sich auch einen angesehenen Vampir vorknüpfen und ihn mit Magie ausfragen, wo dieser ihm vorher überlegen gewesen wäre. Auch das Eintauchen in die tieferen Schichten des Zwielichts ist kein Problem mehr, sodass wir dort viel Zeit verbringen.

Aber auch die anderen Charaktere offenbaren wieder viel Potenzial und vor allem eine zwiegespaltene Persönlichkeit. Natürlich sind wir es bereits gewöhnt, dass viele Figuren kein ehrliches Spiel treiben, aber trotzdem schafft Lukianenko es erneut, uns zu überraschen und an der Nase herumzuführen. So begegnen wir eigentlich jeder auftauchenden Figur zunächst mit Misstrauen, doch wenn wir ihr angefangen haben zu vertrauen, zeigt sie plötzlich ihr wahres Gesicht und wir müssen eingestehen, dass Lukianenko wieder zu schlau für uns gewesen ist.

Einziges Manko ist die Tatsache, dass die mächtige Swetlana zu einer einfachen Hausfrau und Mutter mutiert ist, die sich damit zufrieden gibt, ab und an die Wahrscheinlichkeitslinien in Antons Zukunft zu lesen, die aber aktiv gar keine Rolle mehr spielt. Hier verspielt Lukianenko meiner Meinung nach einiges Potenzial, da er in den vergangenen Romanen viel Arbeit darauf verwendet hatte, Swetlana zu einer interessanten und sympathischen Figur auszubauen. Auch Jegor, einen weiteren nicht-initiierten Anderen treffen wir wieder, aber auch er hat mit dem eigentlichen Geschehen nichts zu tun, und das, obwohl wir seit „Wächter der Nacht“ darauf warten, dass er seinen großen Auftritt haben wird.

_Das war’s_

Nach nur 446 Seiten heißt es, das Buch zuzuklappen, und zwar ohne die Bemerkung, dass man im nächsten Wächterroman weiterlesen könnte. Das war wohl die erste Enttäuschung beim vorsichtigen Nach-vorne-blinzeln, bei dem ich feststellen wollte, ob es nicht vielleicht doch einen fünften Roman geben wird. Doch diese Hoffnung löst sich zunächst in Luft auf.

So blicken wir also zurück auf insgesamt vier Romane, in der uns Sergej Lukianenko seine Welt der Anderen und des Zwielichts präsentiert hat, und es ist wahrlich eine fantastische Welt, in die man äußert gerne eingetaucht ist. Aber am Ende kommt man doch nicht umhin, auch ein wenig Enttäuschung zu zeigen, denn hat Lukianenko uns eigentlich alle offenen Fragen beantwortet? Zugegeben, er hat uns den Unterschied zwischen Menschen und Anderen erklärt, er offenbart uns das Geheimnis des Zwielichts, aber was mich unter anderem brennend interessiert hätte, wäre eine nähere Beleuchtung der beiden großen russischen Chefs Geser und Sebulon gewesen, die beide in den Geschichten zuvor immer wieder ein undurchsichtiges Spiel getrieben hatten und meist keiner Seite so recht zuzuordnen waren. Denn bei Lukianenko ist Licht nicht gleich Gut und Dunkel nicht gleich Böse, doch wie diese Verwaschung der Grenzen zustande gekommen ist, was Sebulons und Gesers Intentionen hinter ihren Taten waren, das erfahren wir leider nicht.

_Abschied vom Zwielicht_

Insgesamt bleibt ein wenig Enttäuschung zurück angesichts vieler ungeklärter Fragen und einiger offener Handlungsstränge, die Lukianenko nicht zu Ende geführt hat. Erst auf den allerletzten Seiten präsentiert er uns im Schnelldurchgang seine Idee des Zwielichts, und wir erfahren, was es mit der siebten Schicht auf sich hat; doch alles wirkt etwas undurchsichtig und meiner Meinung nach auch weichgespült.

Lukianenko bastelt sich hier ein Happyend, das viel Spannung verpuffen lässt und nicht gerade zur Zufriedenheit des Lesers beiträgt. Keine Frage, auch „Wächter der Ewigkeit“ ist ein packender Roman mit gelungenem Spannungsbogen, der mit einigen lustigen Szenen, interessanten Figuren und spannenden Machtkämpfen aufwarten kann, doch als Abschluss einer genialen Fantasyreihe fehlen doch einige Erklärungen, die den Leser wirklich entspannt zurücklehnen lassen könnten. Für mich war „Wächter des Zwielichts“, also der dritte Teil der Wächterreihe, der deutlich stärkere Roman, sodass ich doch ein wenig enttäuscht bin, aber vielleicht beglückt uns Lukianenko ja irgendwann mit einer weiteren spannenden Fantasyreihe – wünschenswert wäre es.

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