Lukianenko, Sergej – Weltenträumer

Kirill hat sich von seiner Funktion als Zöllner gelöst und ist nun, nachdem er das Hebammenfunktional Natalja ermordet und mehr über die verschiedenen Welten und die Funktionale erfahren hat, als er eigentlich dürfte, vor den arkanischen Soldaten auf der Flucht. Mit dem Zug schlägt er sich von Moskau nach Charkow durch, in der Hoffnung, das Zöllnerfunktional Wassilissa stünde ihm bei und hülfe ihm, den Arkanern zu entkommen. Mit ihrer Hilfe und einer weiteren Zollstelle schafft er es letztendlich, sich nach Veros durchzuschlagen, wo er dann von dem Kurator Kotja, seinem ehemaligen besten Freund, vor einer Horde Polizistenfunktionalen gerettet wird.

So haben die beiden endlich Zeit sich auszusprechen, und Kirill erfährt nicht nur, warum Kotja ihn zum Funktional gemacht und warum er ihn bei ihrem letzten Treffen beinahe getötet hätte, sondern auch, dass Kotja langsam aber sicher seine Macht als Kurator verliert. Gleichzeitig wird Kirill immer stärker, obwohl er kein Funktional mehr ist. Kotja befürchtet, dass Kirill seine Stelle als Kurator einnehmen soll, und so schmieden beide einen Plan, um die Erde der Macht der Arkaner zu entziehen, was sich leichter anhört, als es letztendlich umsetzbar ist.

Kotja schickt Kirill in eine Welt namens Feste, die zwar von religiösen Institutionen regiert wird, es aber geschafft hat, sich der Macht Arkans und der Funktionale zu entziehen. Dort soll Kirill um Hilfe bitten. Doch diese wird ihm verweigert, und als die Arkaner gewaltsam nach Feste vordringen, muss Kirill erneut fliehen und erschafft ein Tor, durch das er in eine für ihn völlig neue Welt gelangt. Dort hofft er, das Herz der Funktionale zu finden, welches es ihm nicht nur ermöglicht, die Macht der Arkaner zu brechen, sondern ihm auch die Antworten auf seine Fragen bringen soll: Wenn Arkan Erde-1 ist, bei welcher Welt handelt es sich dann um Erde-0? Und wieso werden seine Fähigkeiten als Funktional zeitweise stärker, wo er doch kein Funktional mehr ist?

Kirill sieht sich selbst schon kurz vor dem Ziel, doch letztendlich kommt alles ganz anders …

_Eindrücke:_

Die „Welten“-Reihe von Sergej Lukianenko ist eine Mischung aus Fantasy und Science-Fiction. Im ersten Teil der Reihe, „Weltengänger“, wird der Hauptcharakter Kirill Maximow aus seinem Leben herausgerissen und gerät bei Bekannten, Freunden und sogar der Familie in völlige Vergessenheit, bis sich niemand mehr an seine Existenz erinnert. Sogar sein Ausweis zerbröckelt und es existieren keine Daten mehr über ihn – als hätte er niemals existiert. Dies ist nötig, damit er zu einem Funktional werden kann, da bis auf ein paar Ausnahmen unter den Menschen niemand etwas von der Existenz der Funktionale erfahren darf. Von da ab beginnt sein Leben als Zöllner-Funktional, was bedeutet, dass er in einem Turm lebt, der den Übergang in insgesamt vier Parallelwelten darstellt.

Diese Welten unterscheiden sich mehr oder weniger stark voneinander. In der einen gibt es kein Öl, die andere ist in der Antike stehengeblieben und wieder in der nächsten besteht die Luft aus bewusstseinsverändernden Dämpfen, die bei den Bewohnern zu einem andauernden Vollrausch führen. Wieder andere Welten sind gar nicht von Menschen bevölkert oder nur von Tieren bewohnt. Bald schon beginnt Kirill, sich zu fragen, was es mit der Welt der Funktionale auf sich hat und kommt durch seine Recherchen und sein aufmüpfiges Verhalten hinter einige der Geheimnisse der Welt der Funktionale, was ihm nicht nur die furchtbare Wahrheit über die Funktionale zeigt, sondern auch in große Gefahr bringt. Denn von nun an wird er von den Soldaten aus Arkan, Erde-1, gejagt. Doch statt sich zu stellen, versucht Kirill umso mehr, hinter die Geheimnisse der Welten zu kommen und will gegen die Macht der Funktionale ankämpfen.

Damit schickt der Autor Sergej Lukianenko seine Hauptfigur Kirill im zweiten Teil der „Welten“-Reihe nicht nur erneut in völlig neue Welten – wie zum Beispiel Feste, in der die Religion die Macht hat und kleine Terrier als tödliche Kampfhunde gelten -, sondern auch wieder durch alle möglichen Abenteuer. Dennoch unterscheidet sich „Weltenträumer“ von seinem Vorgänger. Während Kirill im ersten Teil noch das Leben als Zöllnerfunktional erfahren durfte und sich das Geschehen im Buch die meiste Zeit in seinem Zöllnerturm oder den Nachbarwelten abspielte, wird er nun als ehemaliges Funktional gejagt und kommt mehr in den Welten herum als im ersten Teil.
Obwohl das Ende von „Weltengänger“ für den ein oder anderen etwas kompliziert verlaufen sein könnte, kommt man dennoch gut wieder in die Geschichte rein und kann gleich wieder mit Kirill mitfiebern.

Schon in „Weltengänger“ lässt Sergej Lukianenko an jedem Anfang eines neuen Kapitels nachdenkliche Ansätze einfließen, die mal gesellschaftskritisch, mal philosophisch oder psychologisch angehaucht sind und Sergej Lukianenko nicht nur als guten Menschenkenner und Beobachter auszeichnen, sondern auch die Geschichte perfekt ergänzen. Genauso ist es auch wieder in „Weltenträumer“. Er greift Geschehnisse aus dem Kapitel davor oder welche, die noch kommen werden, auf und schafft damit eine passende Einleitung in das Kapitel, was „Weltenträumer“ zu etwas mehr macht als pure Unterhaltungslektüre. Zudem verfügt Lukianenko offenbar auch ein recht großes Allgemeinwissen, das er ebenfalls immer wieder in seiner Geschichte durchschimmern lässt. Der Autor findet wirklich zu jeder Szene, die er beschreibt, ein passendes Thema, über das sich philosophieren lässt, und diese Vorgehensweise macht das Buch neben der tollen Story und den Charakteren zu etwas Besonderem.

Die Charaktere sowie die Parallelwelten und die Geschichte in „Weltenträumer“ sind nicht nur einzigartig, sondern wirken in der Erzählweise des Autors sehr realistisch. Bei den Charakteren hat man das Gefühl, dass es sich um wirklich existierende Personen handeln muss, über die Sergej Lukianenko schreibt. Schon in „Weltengänger“ haben mich die Charaktere beeindruckt, und in „Weltenträumer“ geht diese Entwicklung auch ebenso weiter. Jetzt bemerkt man als Leser auch zunehmend eine Weiterentwicklung bei den Charakteren, die zwar nicht ganz offensichtlich ist, aber dennoch bemerkbar. Man nimmt wahr, wie Kirill nicht nur durch seine Kräfte als Funktional stärker wird, sondern auch selbstbewusster. Gleichzeitig entwickelt er einen ganz eigenen Humor, welcher der Geschichte an einigen Stellen einen amüsanten Touch verleiht und sie noch interessanter und unterhaltsamer macht. Bei Kotja ist keine wirkliche Weiterentwicklung zu erkennen, allerdings werden seine Charaktereigenschaften noch verstärkt und vertieft. Das gelingt dem Autor so stimmig, dass man es kaum hätte besser machen können. Lukianenko zeigt ein Talent für die Charaktergestaltung in seinen Romanen auf, das seinesgleichen sucht.

Ein deutlicher Pluspunkt in „Weltenträumer“ ist die konstante Spannung, die den Leser an das Buch fesselt. Dabei ist es völlig egal, ob sich Kirill gerade in einem förmlichen Gespräch befindet, sich durch eine menschenleere Eiswüste schlagen oder wieder einmal vor den Arkanern fliehen muss – die Geschichte ist und bleibt die ganze Zeit spannend und lässt den Leser kaum noch los. Hat man einmal angefangen zu lesen, wird man komplett in die Welt hineingezogen und erlebt die Abenteuer von Kirill mit, als wäre man selbst dabei.

Der Schreibstil in „Weltenträumer“ ist fließend und in Ich-Form gehalten. Da Gedankengänge von Kirill besonders wichtig für Spannung und die Unterhaltung der Geschichte sind, ist diese Variante hier eindeutig passend gewählt. So kann der Leser noch intnesiver in die Geschichte abtauchen. Der Schreibstil ist recht wortgewandt und wechselt zwischen humorvollem, kritischem und spannendem Erzählstil.

Schon das Ende von „Weltengänger“ war großartig und absolut unvorhersehbar. Daher war die Messlatte, die ich für das Ende des zweiten Teils gesetzt hatte, natürlich recht hoch. Ich war zwar nicht durchgehend vom Finale enttäuscht, fand es aber doch etwas schade, dass es dann nicht ganz so stark ausgefallen ist wie erhofft. Das Ende ist ein recht einfaches und lässt viele Fragen offen im Raum stehen. Zwar könnte man das Ende von „Weltenträumer“ als ein abschließendes ansehen, doch aufgrund der vielen unbeantworteten Fragen (Was ist mit Erde-0? Und der Macht der Arkaner? Etc.) bleibt zu hoffen, dass es noch einen weiteren Teil geben wird, in dem diese Fragen beantwortet werden und die Geschichte von Kirill weitergeht.

_Fazit:_

Mit „Weltenträumer“ legt Sergej Lukianenko eine würdige Fortsetzung von „Weltengänger“ vor, die dem Vorgänger in beinahe nichts nachsteht. Die Charaktere und die Welten sind fantastisch und wirken realistisch, die Geschichte bleibt durchgehend spannend und durch das Allgemeinwissen und die vielen nachdenklichen Ansätze, die der Autor in seinen Roman eingebaut hat, wird das Buch zu etwas besonderem. Nur das Ende, von dem ich mir nach „Weltengänger“ etwas mehr erhofft hatte, ist bei „Weltenträumer“ nicht ganz so spektakulär ausgefallen wie bei seinem Vorgänger.

_Der Autor:_

Sergej Lukianenko wurde am 11. April 1968 in Qaratau, Kasachstan geboren und ist einer der erfolgreichsten Science-Fiction- und Fantasy-Autoren weltweit. Doch bevor der Schriftstellerruhm ihn ereilte, studierte er Medizin und arbeitete lange Zeit als Psychiater. Seine ersten Kurzgeschichten veröffentlichte er in den achtziger Jahren in dem Magazin „Sputnik Junior – Junior Quest“. Sein erstes Buch war „Wächter der Nacht“, der Auftakt der Wächter-Tetralogie, die als Grundlage für aufwändig produzierte Kinofilme dienen. Heute arbeitet er als freier Schriftsteller und lebt mit seiner Frau Sonja in Moskau.

|Die Welten-Reihe:|

Band 1: Weltengänger
Band 2: Weltenträumer

|Originaltitel: Chistovik (The Final Draft)
Übersetzt von Christiane Pöhlmann
Paperback, 496 Seiten
ISBN-13: 978-3-453-52460-6|
http://www.heyne.de

_Sergej Lukianenko auf |Buchwurm.info|:_

[„Wächter der Nacht“ 1766 (Buchrezension von Dr. Maike Keuntje)
[„Wächter der Nacht“ 1828 (Buchrezension von Dr. Michael Drewniok)
[„Wächter der Nacht“ 3028 (Hörbuchrezension von Meike Schulte-Meyer)
[„Wächter des Tages“ 2390 (Buchrezension von Dr. Maike Keuntje)
[„Wächter des Zwielichts“ 2910 (Buchrezension von Dr. Maike Keuntje)
[„Wächter der Ewigkeit“ 3594 (Buchrezension von Dr. Maike Keuntje)
[„Das Schlangenschwert“ 3413 (Buchrezension von Birgit Lutz)

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