Juliette Manet – Wehrlos

Man bekommt in bestimmten Fernsehshows zwar manchmal einen anderen Eindruck, aber Fotomodells müssen nicht automatisch dumm sein. Juliette Manet ist ein gutes Beispiel dafür. Sie hat nicht nur Kunstgeschichte studiert, sondern auch einen spannenden Thriller geschrieben, der absolut vorzeigbar ist.

Vor zwölf Jahren wurde Paris von einem brutalen Kindermörder heimgesucht, der mit Vorliebe kleine Jungen vergewaltigte und sie schließlich ermordete. Sein Erkennungszeichen war die alte Radierung eines Akts, den er an den Tatorten hinterließ. Senda Barhi, die damalige Kriminalkommissarin, hatte schwer an diesem Fall zu kauen, doch er schien gelöst, als ein Tatverdächtiger Selbstmord beging. Man war davon überzeugt, den Richtigen gefunden zu haben, nur Senda war anderer Meinung. Sie glaubt immer noch daran, dass Raphael Schiller, der Vater eines ermordeten Mädchens, in den Fall verstrickt war, nur konnte sie es ihm damals nicht nachweisen.

Nun geschehen in Los Angeles Morde, die dem gleichen Muster wie damals in Paris folgen. Auch in den neuen Fällen sind Kinder verschwunden und genau die gleiche Radierung an den Tatorten aufgetaucht. Senda bekommt die Akten der Fälle per Zufall zugespielt und ist fest davon überzeugt, dass Schiller erneut die Finger im Spiel hat. Dieser wohnt mittlerweile unter neuem Namen, Vincent Connely, und mit neuem Gesicht in Los Angeles, wo er ein großes Wirtschaftsimperium betreut.

Als man die Leichen von drei der vermissten Kinder auf einem Grundstück seiner Firma entdeckt, scheint die Sache klar. Connelys Anwältin Judith Graham bekommt diesen allerdings aus dem Gefängnis frei. Wenig später wird seine Ehefrau grausam ermordet. Senda Barhi, die mittlerweile nach Los Angeles gereist ist, beginnt zusammen mit dem ortsansässigen Sergeant Tony Perez nach dem Mörder zu suchen. Senda ist beinahe besessen davon, ihn zu finden, doch sie merkt nicht, in welch geschickte Falle sie bei ihren Ermittlungen läuft …

„Wehrlos“ wird aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt, wodurch der Leser einen breiten Überblick über die Geschehnisse erhält. Senda nimmt zwar sehr viel Platz ein, aber Tony Perez und Judith Graham kommen ebenfalls zu Wort. Auffällig im Aufbau ist vor allem die Zusammenführung der beiden Fälle. Die Vorkommnisse in Paris werden als eigener Abschnitt sehr ausführlich erzählt. Das ist notwendig, um Sendas Obsession und Connelys Position zu verstehen. Die Autorin webt die Vergangenheit sehr geschickt in die Gegenwart ein, so dass keine Brüche entstehen. Die Geschichte gewinnt im Gegenteil eher noch an Spannung, da Manet bei weitem nicht alle Details des abgeschlossenen Falls verrät. Wichtige Aspekte, die auf die Ereignisse in Los Angeles abstrahlen, werden mit der Zeit aufgedeckt, was für zusätzlich Schub sorgt.

Doch trotz allem ist die Geschichte nicht immer einwandfrei. Manchmal geht Manet in zu großen Schritten voran, so dass sich der Leser bestimmte Sachverhalte selbst erschließen muss. Aufgrund der Komplexität des Falls ist das nicht immer ganz einfach. Zudem ist das Ende der Geschichte unglaubwürdig. Während der Rest der Handlung sich durchaus so ereignet haben könnte, zielt Manet zu sehr auf einen finalen Countdown ab. Es geschehen zu viele überraschende Wendungen auf engstem Raum und zu schnell nacheinander.

Manets Schreibstil ist angenehm nüchtern, beinahe distanziert. Sie drängt sich nicht auf, sondern erzählt schnörkellos und mit wenigen rhetorischen Mitteln. Das Hauptaugenmerk liegt dadurch auf der Handlung und den Personen. Diese sind interessant und wenig stereotyp. Einzig Schiller alias Connely wirkt ein wenig wie der hundertste Abklatsch des brutalen Serienmörders. Doch vor allem die ermittelnden Personen wirken sehr authentisch und sind voller Persönlichkeit. Senda Barhi ist beispielsweise zwar eine gute Polizistin, aber sie besitzt auch genug Schwächen. Sie konsumiert Drogen und neigt seit Abschluss des Falls Schiller zu Depressionen und Selbstmordgedanken. Manet schafft es, dies nüchtern, aber dennoch sehr deutlich darzustellen. Der Leser leidet mit ihr und möchte erfahren, was genau der Grund für ihren Gemütszustand ist.

Gerade Senda Barhi ist einer der Gründe, wieso „Wehrlos“ ein fesselnder Thriller ist. Ihre ausgefallene Persönlichkeit und ihre merkwürdige Besessenheit bezüglich des Falls Schiller sorgen dafür, dass es schwerfällt, das Buch aus der Hand zu legen. Manets Roman mag nicht fehlerfrei sein, aber er ist konsistent und spannend erzählt und damit eine Empfehlung wert.

351 Seiten, Hardcover
Originaltitel: Le Disciple du Mal
Aus dem Französischen von Oliver Ilan Schulz
SBN-13: 978-3-453-29037-2
http://www.diana-verlag.de

Hinweis: Juliette Manets nächster Thriller „Angstvoll“ erschien im August 2009 bei Diana.