Maples, William R. / Browning, Michael – Knochengeflüster. Mysteriösen Kriminal- und Todesfällen auf der Spur

So mancher Berufszweig wird sich insgeheim glücklich schätzen über den weltweiten Siegeszug des Privatfernsehens, beschert ihm dieses doch die Aufmerksamkeit eines Publikums, das sich noch vor wenigen Jahren eher vor Lachen gewunden hätte oder vor Grauen geflohen wäre. Mit „Quincy“ (über den sich Maples amüsant zu beklagen weiß) und Gideon Oliver fing es schon vor Jahren sacht an, mit Patricia Cornwells Detektiv-Pathologin Kay Scarpetta oder Kathy Reichs‘ Temperance „Bones“ Brennan explodierte die Thriller- und „True Crime“-Szene förmlich vor Knochendetektiven. Seitdem giert die Welt nach Nachrichten und Bildern aus dem Leichenschauhaus, und sie bekommt reichlich, was sie begeht: wahrlich realen Horror und die Bekanntschaft mit jenen Menschen, die sich von Berufs wegen mit Leichen beschäftigen.

Zu ihnen gehört das exotische Völkchen der forensischen Anthropologen, das sich streng wissenschaftlich bemüht, aus den knöchernen Überresten meist übel geendeter Zeitgenossen deren Schicksal zu rekonstruieren. William R. Maples vom „Human Identification Laboratory“ des Florida-Museums für Naturgeschichte (das wiederum der örtlichen Universität angeschlossen ist), gilt seit Jahrzehnten als einer der Meister seines Faches.

Maples (unauffällig unterstützt von Co-Autor Michael Browning) schildert zunächst seine abenteuerlichen Jugend- und Wanderjahre – die offenbar zu allen Zeiten drückende Akademiker-Arbeitslosigkeit trieb ihn sogar zum Pavianfang nach Afrika -, welche – so ist das typisch für Biografien wie diese – schon die spätere Berufswahl anzukündigen schienen. Einen ersten Vorgeschmack erfuhr der junge William sogar bereits im zarten Alter von elf Jahren, als sich ihm die Möglichkeit bot, gemeinsam mit dem Vater und einem befreundeten Polizeibeamten die Autopsiefotos des berühmt-berüchtigten Verbrechenpärchens Bonnie & Clyde anzuschauen. Welches Kind könnte dieser Verlockung widerstehen …?

Schon wenige Jahre später verbrachte Maples glückliche Zeiten in der Gesellschaft malerisch verwester und zuvor erschossener, erschlagener, verbrannter, zersägter, zermahlener oder sonstwie einfallsreich zugerichteter Leichen. Darunter befanden sich so illustre Gestalten wie Francisco Pizarro (1478-1541), die koloniale Geißel Mittelamerikas, Zachary Taylor (1784-1850), Präsident der Vereinigten Staaten, den ein Imbiss aus rohem Gemüse, frischen Kirschen und eisgekühlter Buttermilch (kaum verwunderlich) auf das Sterbebett warf (oder war es doch eine Prise Arsen …?), Joseph Merrick, der „Elefantenmensch“ (dessen Skelett einst Michael Jackson käuflich erwerben wollte) oder die 1918 dilettantisch niedergemetzelte russische Zarenfamilie.

Aber auch über die ganz ’normalen‘ Toten weiß Maples grausige Geschichten zu erzählen. Mit Details (teilweise unerfreulich, wenn auch relativ dezent durch Fotos verdeutlicht) geizt er nicht, aber man muss ihm zugute halten, dass er nie wirklich spekulativ wird. Jawohl, die forensische Anthropologie weist als Wissenschaft bizarre Züge auf, und es ist schon eine besondere Sorte Mensch, die sich hier um die Wahrheitsfindung verdient macht. (Ich empfehle die ebenso beispielhafte wie bemerkenswerte Episode mit dem Leichentransport im nagelneuen Familienauto an einem heißen Sommertag …) Es ist durchaus faszinierend zu lesen, wie schwierig es heutzutage ist, eine unerwünschte Leiche tatsächlich verschwinden zu lassen. Der modernen Wissenschaft kann es gelingen, aus 10.000 (Maples hat nachgezählt …) Knochensplittern eines verbrannten Skeletts die Identität eines Menschen zu rekonstruieren. Schlechte Zeiten für Mörder also – wenn sie nicht darauf zählen könnten, dass Experten vom Schlage eines William Maples eher rar auf dieser Erde sind.

So kann man sich denn über „Knochengeflüster“ wohl ob des dämlichen deutschen Titels grämen (den amerikanischen Kollegen ist allerdings auch nichts wirklich Originelles eingefallen), doch dem Werk insgesamt Informationsgehalt und Unterhaltungswert keinesfalls absprechen. Sich über das Berufsbild eines Forensikers informieren zu wollen, ist keine Schande und verrät auch nicht den zukünftigen irren Serienmörder. Interesse und selbst sachte Neugier sind nur menschlich; bedenklich wird es erst, wo beides in kruden Ekeltourismus übergeht. (Das Internet wartet in dieser Beziehung mit einigen Überraschungen auf!)

Aber das muss sich Maples hier nicht vorwerfen lassen. Wer kann es ihm verdenken, dass er, der so viel weiß und zu erzählen hat, die Chance nutzen möchte, das Bild seines Berufsstandes ein wenig aus dem fahlen Dunkel des Seziersaals ins rechte Tageslicht zu rücken? Wie man mit dem Tabu-Thema Leichenforschung am besten umgeht, schildert der Autor an passender Stelle in der Einleitung: nämlich nüchtern und ohne vorgefasste Ressentiments.

Der normalsterbliche Zeitgenosse wird zwar auch nach der Lektüre einen weiten Bogen um jene Stätten schlagen, in denen die Kunst Dr. Maples und seiner Kolleginnen und Kollegen blüht, aber er hat aus der Flut einschlägiger und in der Regel wesentlich effekthascherischer ‚Sachbücher‘ einen Titel gefischt, der sich des Themas recht seriös annimmt, sehr gut geschrieben ist und auch noch sorgfältig übersetzt wurde!

http://www.springer.com/dal/home/birkhauser
http://www.heyne.de

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