Marklund, Liza – Lebenslänglich

Mitten in der Nacht wird Polizistin Nina Hoffman zu einer Adresse gerufen, die ihr unangenehm bekannt vorkommt – ihre ehemals beste Freundin Julia Lindholm wohnt dort mit ihrem Mann David und ihrem Sohn Alexander. Genau in diesem Haus hat ein Mitbewohner einen Schusswechsel gemeldet. Nina und ihr Kollege Andersson sind die ersten Polizisten am Tatort. Als sie die Wohnung der Lindholms betreten, finden sie zunächst David, der erschossen in seinem Bett liegt. Julia hockt apathisch und kaum ansprechbar, aber unverletzt im Badezimmer, vom vierjährigen Alexander fehlt jede Spur. Doch Julia faselt etwas von einer fremden Frau, die ihn mitgenommen habe. Nina muss am Verstand ihrer Freundin zweifeln.

Nur mit knapper Not kann Annika Bengtzon ihre beiden Kinder aus dem brennenden Haus retten. Ihr gesamtes Hab und Gut ist abgebrannt und Annika hat weder Geld noch Papiere bei sich und weiß nicht, wohin sie sich wenden soll. Mitten in der Nacht klingelt sie bei ihrer Freundin Anne, um dort Unterschlupf zu finden, doch diese schmeißt Annika und die Kinder kurzerhand raus. Annika ist völlig verzweifelt, auch ihren Noch-Mann kann sie nicht erreichen, da er bei seiner Geliebten übernachtet. Eine Kollegin von ihr besorgt ihr die nötigsten Klamotten und ein bisschen Geld. Als Annika schließlich selbst der Brandstiftung bezichtigt wird, bricht für sie eine Welt zusammen.

Derweil trauert die Polizei um David Lindholm, der sich bei vielen Fällen als hervorragender Ermittler und Vermittler erwiesen hat. Julia dagegen wird schnell als Tatverdächtige abgestempelt. Trotz ihres desolaten psychischen Zustands kommt sie in Untersuchungshaft und muss fürchten, für den Mord an David und Alexander verurteilt zu werden. Dabei ist Alexander nach wie vor spurlos verschwunden.

Nina Hoffman zweifelt an ihrem Verstand. Was hat ihre Freundin Julia zu dieser Tat getrieben? Und wieso will die Polizei sie unter allen Umständen als Mörderin verurteilen? Auch Annika Bengtzon, eine bekannte Journalistin, bekommt Wind von dem Fall. Da sie selbst unschuldig der Brandstiftung verdächtigt wird, beginnt sie auf eigene Faust Ermittlungen, um Julias Unschuld zu beweisen. Doch die Beweise sind erdrückend. Was ist in der Familie Lindholm bloß vorgefallen?

_Vorschnell verurteilt_

Beim vorliegenden Buch handelt es sich bereits um den siebten Teil in der Annika-Bengtzon-Reihe. Auch wenn Annika als Journalistin arbeitet, ermittelt sie gerne auf eigene Faust. So auch in diesem Fall. Eigentlich hat sie privat genug um die Ohren, wo ihr untreuer Mann Thomas sie gerade verlassen hat und ihr Haus bis auf die Grundmauern nieder gebrannt ist. Zudem ist Annika die Tatverdächtige Nummer 1 und bekommt daher von der Versicherung keine Entschädigung ausgezahlt. Um sich abzulenken, übernimmt sie bei der Zeitung einige Artikel, für die sie im Fall Lindholm recherchieren muss. Schnell ist sie angefixt von Julias Fall und will die Unschuld der armen Frau beweisen. Zunächst muss Annika auf ihre Intuition vertrauen, denn alles spricht gegen Julia, doch nach und nach tauchen Hinweise auf, die nicht ins Bild passen und die vor allem David Lindholm in einem sehr viel schlechteren Licht dastehen lassen, als es der Polizei recht ist.

Ihre einzige Unterstützerin ist zunächst Nina, die einst gut mit Julia befreundet war, die aber nun einsehen muss, dass sie ihre Freundin gar nicht richtig gekannt hat. Nina zieht sich daraufhin zurück, sodass Annika nicht mehr auf ihre Hilfe zählen kann. Dennoch gibt sie nicht auf und findet immer mehr Leichen in David Lindholms Keller. So hatte er bereits zwei Ermittlungsverfahren gegen sich am Hut und war in mehreren Firmen in der Geschäftsleitung tätig. Auch als Vertrauensperson für Straftäter trat David Lindholm auf. Und immer wieder deckt Annika Bengtzon Verbindungen zu Mördern und anderen dubiosen Gestalten auf. Sie dringt immer weiter in Davids Geheimnisse ein, bis ihr spätabends zwei gefährliche Gestalten auflauern und ihr den halben Finger abtrennen – eine Warnung, sich nicht mehr einzumischen. Doch das stachelt Annika Bengtzons Neugierde noch mehr an.

Ihr Noch-Mann Thomas genießt derweil sein neues Leben mit der reichen Geliebten. Er will Annika die Kinder wegnehmen, bemerkt aber bald, dass er doch etwas überfordert von den beiden Kleinen ist. Im Job läuft es hervorragend für Thomas. Er bekommt eine langfristige Anstellung, muss dafür aber einen äußerst heiklen Vorgang abwickeln.

Häppchenweise deckt Annika Bengtzon die Geheimnisse aus Davids Vergangenheit auf. Und so ist der Leser immer animiert, selbst mitzuraten und sich zusammen zu reimen, was David Lindholm wohl auf dem Kerbholz gehabt haben könnte. Doch seine vielschichtigen Verbindungen mag man nicht durchschauen, und auch wenn Liza Marklund sie uns endlich präsentiert, muss man erst einmal genau über alles nachdenken und die Puzzleteile im Kopf selbst nochmal zusammen setzen. Das Buch ist dabei so fesselnd geschrieben, dass ich die knapp 500 Seiten innerhalb von zwei Tagen verschlungen habe, denn ich musste unbedingt wissen, ob Julia wirklich unschuldig ist und was tatsächlich hinter dem Mord an David steckt. Viel besser kann man einen Spannungsbogen kaum zeichnen, als Liza Marklund das hier getan hat.

_Tragische Heldin_

Im Mittelpunkt des Buches steht nicht etwa Nina Hoffman, wie man auf den ersten Seiten noch vermuten könnte, sondern Annika Bengtzon. Nina ist zwar Julias beste Freundin gewesen und auch die erste am Tatort, so dass sie zu Beginn des Buches viel Raum einnimmt, doch dann richtet Liza Marklund ihren Fokus immer mehr auf Annika Bengtzon und ihr Umfeld. Umfeld bedeutet in dem Fall, dass wir vieles über das Verlagsleben und über Thomas erfahren. Annika ist die tragische Heldin in diesem Buch. Sie ist die verlassene Frau, die vor den Scherben ihres Lebens steht. Ihr Mann hat sie betrogen und verlassen und will ihr nun auch noch die Kinder wegnehmen. Darüber hinaus verweigert die Versicherung die Zahlung einer Entschädigung für das abgebrannte Haus, und ihre gute Freundin Anne hat sie sträflich im Stich gelassen.

Am Ende ist Annika die einzige, die an Julias Unschuld glaubt und die intensiv in dem Fall ermittelt. So überführt sie schließlich den wahren Schuldigen und ist zur Stelle, als derjenige sich ins Ausland absetzen will. Hier wird Annika aktiv und verhindert die Flucht des wahren Täters.

Mir gefiel Annika Bengtzon als taffe Journalistin und Mutter im Grunde genommen sehr gut. Sie lässt sich nicht unterkriegen und versteht es, ihre Interessen durchzusetzen. Allerdings trägt Liza Marklund manchmal arg dick auf, denn ganz so dramatisch hätte sie die Ereignisse in Annikas Leben nicht zeichnen müssen, und auch der Showdown im Wald ist schon ziemlich abwegig. Schade fand ich es auch, dass Marklund Nina Hoffman zunächst viel Raum eingesteht, die junge Polizistin zum Ende hin aber nur noch selten erwähnt.

_Zu viele Köche verderben den Brei_

Liza Marklund arbeitet auf vielen Schauplätzen. Die ersten beiden sind die wichtigsten – nämlich der Mord an David Lindholm und der Brand von Annika Bengtzons Haus. Doch dann macht Marklund immer neue Fässer auf, z. B. beschreibt sie in aller Ausführlichkeit Thomas Bengtzons neues Leben bei seiner Geliebten und in seinem neuen Job und sie kommt immer wieder auf Annikas Freundin Anne zurück, die sie in der fraglichen Nacht so rüde abgewiesen hat. Zu allem Überfluss erfahren wir auch noch detailgenau, welch finanzielle Schwierigkeiten es im Verlag gibt, die dazu führen, dass bei der Zeitung zahlreiche Stellen abgebaut werden sollen. Diese Nebenhandlung hat rein gar nichts mit dem eigentlichen Kriminalfall zu tun und lenkt einzig und allein vom Geschehen ab. Annika ist nicht von den Einsparmaßnahmen bedroht und hat damit nichts zu tun. Ich hätte mir daher gewünscht, dass sich Liza Marklund auf das Wesentliche konzentriert. Diese Nebenschauplätze hätte sie deutlich reduzieren müssen.

Leider gibt es ein weiteres Manko: Liza Marklund vermischt ihre eigenen Bücher, so präsentiert sie in großer Ausführlichkeit Details aus vergangenen Büchern. Die Nobel-Morde, um die es im vorausgehenden Buch ging, sind immer noch Thema. Das fand ich arg verwirrend, da ich die anderen Bücher aus dieser Reihe leider nicht kenne. Und da Liza Marklund bereits so viel daraus verrät, lohnt es sich kaum noch, die Bücher im Nachhinein zu lesen. Besser wäre es gewesen, die vergangenen Fälle höchstens am Rande zu erwähnen, um treue Leser der Annika-Bengtzon-Reihe daran zu erinnern und um andere Leser neugierig auf die früheren Fälle zu machen. So verspielt Marklund viel Potenzial, denn ich habe einiges aus dem aktuellen Fall nicht verstanden, bin aber wenig motiviert, die alten Bücher zu lesen, da ich die Auflösung nun bereits kenne.

_Mitreißend_

Nichtsdestotrotz hat mich das Buch einfach mitgerissen. Von Beginn an war ich gefesselt von der Geschichte. Natürlich ahnt man schnell, dass Julia unschuldig ist. Doch was wirklich hinter der Tat steckt, ist so komplex, dass Liza Marklund uns an die Hand nehmen muss, um uns zur Auflösung des Falles zu lotsen. Der Spannungsbogen ist trotz der überflüssigen Nebenschauplätze hervorragend gelungen und auch das Ende des Buches hat es in sich, sodass ich bereits jetzt dem nächsten Fall in der Annika-Bengtzon-Reihe entgegen fiebere.

|Taschenbuch: 496 Seiten
ISBN-13: 978-3499239014
Originaltitel:| Livstid|
Deutsch von Dagmar Lendt und Anne Bubenzer|

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