Mason, Richard – unsichtbare Vierte, Die

Bereits sein erster Roman „Der Liebesbeweis“, den Richard Mason mit gerade achtzehn Jahren verfasste, überzeugte Kritiker und Leser von der erzählerischen Virtuosität des Jungautors. Und tatsächlich erzählt Mason so kraftvoll und dabei so feinsinnig und federleicht, dass man seine Bücher – einmal begonnen – nur äußerst ungern aus der Hand legt.

„Die unsichtbare Vierte“ brilliert durch unendlich viele kleine Szenen, die sich vielversprechend wie schimmernde Perlen aneinander reihen. Szenen, die sich dann jedoch leider nicht gänzlich zur strahlenden Kette, zum überzeugenden Ganzen zusammenfügen wollen.

Denn auch wenn Richard Mason sich fünf Jahre Zeit genommen hat, um „Die unsichtbare Vierte“ zu komponieren – fünf Jahre übrigens, die er als Albtraum voller Selbstzweifel beschreibt -, verführt der Roman vorwiegend durch sein kunstvolles Arrangement, das mit Sprache, mit Zeitebenen sowie den Perspektiven seiner Figuren, drei unterschiedlichen Stimmen, gewandt zu jonglieren weiß.

In vier große Kapitel unterteilt Mason die Handlung. In ICH lernt der Leser zunächst die drei Protagonisten kennen: Julian, den etwas blassen Lehrer; Jake, den süchtigen, einst gefeierten inzwischen jedoch konzeptlosen Konzept-Künstler, und Adrienne, die Tochter aus mondäner New Yorker Gesellschaft, die einen erfolgreichen, viel älteren Filmproduzenten geheiratet hat. So unterschiedlich sich ihr Leben gestaltet hat, verbindet sie doch ein tragisches Ereignis, das mehr als ein Jahrzehnt zurückliegt. Denn alle drei fühlen sich in gewisser Weise für den Tod von Maggie – der unsichtbaren Vierten – verantwortlich.

In den Kapiteln DAMALS und WIR lässt Mason seine Figuren aus ihrer Jugend erzählen. Die Wege der vier kreuzten sich endgültig in Oxford, wo sich ihr Schicksal auf dramatische Weise für immer miteinander verknüpfte. In WIR nimmt der Roman die Züge des im englischsprachigen Raum sehr beliebten College-Mystery an, weshalb man „Die unsichtbare Vierte“ wohl des Öfteren mit Donna Tartts Weltbestseller „Die geheime Geschichte“ verglichen hat. In dem letzten Teil, HEUTE, treffen Julian, Jake und Adrienne nach über einem Jahrzehnt wieder zusammen – und erneut nimmt ihr Treffen einen schrecklichen Ausgang.

Ein US (WIR – so der Originaltitel) hat es letztlich niemals gegeben. Eigentlich war Maggie, Julians Schwester, die mit ihrem ungestüm charmanten wie dominanten Charakter Jake zu ihrem Liebhaber und Adrienne zu einer ihrer Freundinnen machte, das Bindeglied dieses tragisch endenden Quartetts.

„Die unsichtbare Vierte“ bezaubert – wie gesagt – durch Masons Geschick, mit Sprache wunderbare Atmosphäre und elegante, anekdotenhafte Szenen zu schaffen. Als Geschichte jedoch überzeugt „Die unsichtbare Vierte“ nicht gänzlich. Unzählige Zufälle lassen teilweise Zweifel an dem Plot aufkommen. Und auch die Figuren bleiben eher blass, ihre Motive und Beziehungen nicht immer nachvollziehbar – Was z. B. treibt Adrienne in Julians Arme und über Monate in sein Bett? Da klingen auch die ein oder andere philosophisch moralische Betrachtung und Hobbes zitiertes Weltbild zu kurz und zu unmotiviert an, um dem Text ernsthaft mehr Tiefe zu verleihen. Tragisch ist die Geschichte in vielfacher Hinsicht. Vor allem, da die drastisch grausamen, aber doch letztlich banalen College-Streiche, die Maggie inszeniert, um Gerechtigkeit herbeizuführen, für alle Beteiligten ein so schlimmes Ende nehmen. „Der kurze, reizvolle Augenblick, in dem aus einem Spiel das Leben wird – und dann der Tod.“ Wobei jedoch eigentlich die Unfähigkeit der Figuren zur Kommunikation das tragischste Moment der gesamten Geschichte ist.

„Die unsichtbare Vierte“ ist ein tragisch schöner, virtuos erzählter Roman, der jedoch an Logiklücken und der zu zahmen Umsetzung eines extremen Charakters kränkelt. Hätte Mason auf das Nachbeben, das die übrig gebliebenen drei Figuren noch Jahre später erschüttert, verzichten wollen, wäre der Roman vielleicht ein spannender Krimi aus der Sparte College-Mystery geworden. Mason jedoch zielt auf die erzählte Gegenwart ab, um die Auswirkungen von Maggies Tod zu verdeutlichen. „Die unsichtbare Vierte“ ist spannend, aber trotz Todesfällen nur bedingt als Krimi zu lesen. Denn Mason konzentriert sich nicht explizit auf Spannung und Thrill, sondern verlässt sich ganz auf seine Figuren. Ob diese Konstellation den Leser letztlich in den Bann zieht, muss jeder selbst entscheiden, so wie der Autor sich das vorstellt: ‚Ich möchte, dass die Leser bewegt sind, aber ich möchte auch, dass jeder Leser den Text auf seine eigene Weise erfährt.‘

© _Anna Veronica Wutschel_
|Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins [X-Zine]http://www.X-Zine.de/ veröffentlicht.|

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