Mayall, Felicitas – Stunde der Zikaden, die

_Inhalt_

Laura Gottberg, Münchner Kommissarin und Mutter zweier Halbwüchsiger, kann ihr Glück noch kaum fassen: Zwei volle Wochen kann sie nun einzig und allein mit Commissario Angelo Guerrini verbringen. Trotz aller Unwägbarkeiten haben die beiden viel beschäftigten Polizisten es geschafft, gleichzeitig Urlaub zu bekommen. Und den wollen sie zusammen verbringen: Es ist das erste Mal in ihrer inzwischen zweijährigen Beziehung, dass sie sich so lange Zeit am Stück sehen.

Angelo hat Laura mitgenommen in das Ferienhaus seiner Kindheit. Es liegt in einem noblen Resort an der toskanischen Küste, und Angelo fällt erst vor Ort auf, dass die Idee vielleicht nicht perfekt war: Die eine oder andere unschöne Erinnerung an seine Kindheitsferien kommt wieder hoch – ob es tatsächlich so gut ist, Laura dabeizuhaben? Er will sie ja nicht verschrecken.

Ehe Guerrini entscheiden kann, wie er mit den metaphorischen Leichen aus seiner Vergangenheit umgehen soll, trifft Laura beim Schwimmen auf eine tatsächliche. Guerrini explodiert: Er hat Urlaub und will nichts mit dem Toten zu tun haben! Doch als der ihm tatsächlich den Gefallen tut zu verschwinden und einer der Resortwächter gleich mit ihm, ist auch Guerrini klar, dass sie nun nicht mehr so tun können, als sei nichts passiert.

Ohne Anhaltspunkte strecken Angelo und Laura ihre Fühler aus, einzig geleitet von jahrzehntelang geschultem polizeilichen Instinkt, und tappen blindlings in ein Spiel hinein, das eine Nummer zu groß für sie ist und in dem ein Menschenleben nicht viel zählt.

Als der geheimnisvolle Fall dann auch noch Verbindungen zu Angelos weniger schönen Jugenderinnerungen aufzuweisen beginnt, ist der Urlaub wirklich völlig im Eimer: Der Commissario muss fürchten, dass der Fall seine Fangarme bis in seine eigene Familie hinein ausgestreckt und Narben hinterlassen hat. Zum Glück hat er Laura dabei, die bereit ist, mit ihm Schulter an Schulter bei Bedarf auch das organisierte Verbrechen herauszufordern …

_Kritik_

Felicitas Mayall hat mit der Beschreibung des Resorts einmal mehr Großes geschaffen: Wie sie die oberflächliche Schönheit beschreibt, die doch so trügerisch ist wie Treibsand, das ist ganz wunderbar gelungen. Die Atmosphäre, die ständig zwischen beschaulich und bedrohlich schwankt, ist ebenso gut herausgearbeitet wie die Stimmung zwischen Laura und Angelo, die sich so gern öffnen wollen und es doch nur unter Schwierigkeiten schaffen, bedrängt von äußeren Einflüssen und inneren Bedenken.

Auch die beschränkte Zahl der Personen vor Ort, die alle – durch die Urlaubssituation? Oder aus düstereren Gründen? – seltsam unwirklich erscheinen, lädt die Spannung noch auf. Wer von ihnen ist ein Verbrecher? Ist noch ein Ermittler vor Ort? Wo ist dieser Wachmann? Welche Rolle spielt der einsiedlerische alte Dichter, der fast das ganze Jahr hier verbringt? Und lässt Angelo sich in seinem Verdacht von alten Antipathien leiten oder steckt hinter seiner lebenslang gehegten Abneigung mehr?

Ein feines Netz aus Fragen legt sich um die gemeinsamen freien Tage der beiden Kommissare mittleren Alters und zwingt sie, ihre moralischen Pflichten und Ansichten neu zu beleuchten, so dass der Fall auf einer weiteren, tieferen Ebene die Erforschung des eigenen Selbst bedeutet – während direkt daneben die geliebte Person dasselbe tun muss. Werden sie mit den Antworten leben können?

Viele dieser Fragen benötigen eine behutsame Antwort, und umso größer ist die Überraschung, wenn die beiden Protagonisten einen krassen Angriff mit einer ähnlich heftigen Handlung reagieren – aber es ist so verflixt gut gemacht!

_Fazit_

Felicitas Mayall ist eine außergewöhnliche Stimme im vielfältigen Chor deutscher Kriminalautorinnen. Sie ist eine Meisterin im Erschaffen und Vermitteln von Atmosphäre, und sie macht es dem Leser dadurch leicht, sich mit ihren Büchern vollständig aus dem Alltag zu verabschieden. Wie schon ihre vorherigen Werke, kann ich auch „Die Stunde der Zikaden“ jedem Krimileser ans Herz legen – und jedem, der die Darstellung einer halbwegs realistischen, zögerlichen Liebe zu schätzen weiß, an der gearbeitet wird. Und jedem, der sich gern von Beschreibungen gefangen nehmen lässt. Und – ach Himmel, eigentlich gibt es keinen Grund, aus dem irgendwer es nicht lesen sollte. Tun sie’s einfach, Sie werden es nicht bereuen.

|Gebundene Ausgabe: 398 Seiten
ISBN 13: 978-3463405513|
http://www.rowohlt.de

_Mehr von Felicitas Mayall auf |Buchwurm.info|:_
[„Hundszeiten“ 6009

Schreibe einen Kommentar