McCaughrean, Geraldine – Weiße Finsternis

Liebe hat viele Gesichter. Zum Beispiel das von Titus Oates, den die vierzehnjährige Symone anhimmelt. Einziger Haken dabei ist, dass Titus Oates schon seit neunzig Jahren tot ist. Das hindert ihn aber nicht daran, Symone in ihrer Fantasie zu begleiten, und er erweist sich als sehr hilfreich, als Symones Leben plötzlich auf den Kopf gestellt wird …

Symone lebt gemeinsam mit ihrer Mutter und Onkel Victor, der eigentlich gar kein Onkel ist, zusammen. Ihr Vater ist gestorben, weshalb Onkel Victor der Familie nicht nur finanziell zur Hand geht, denn es steht nicht besonders gut ums Geld. Ihr Vater hatte Schulden, und diese müssen abgezahlt werden. Umso verwunderlicher ist es, als Victor Symone und ihre Mutter eines Tages mitten in der Schulzeit zu einem Trip nach Paris einlädt.

Ihre Mutter müssen sie leider in England zurücklassen, da diese ihren Pass nicht finden kann, doch Symone ist sich sicher, dass sie auch alleine mit Onkel Victor eine Menge Spaß haben wird. Victor allerdings hat ganz andere Pläne. Er möchte nicht nach Paris, er möchte zum Südpol. Symone ist seit frühester Kindheit Fan von allem, was mit Eis und Schnee zu tun hat. Sie hat Bücher und Filme zu diesem Thema – und ihren unsichtbaren Freund Titus Oates, der einst als Polarforscher die Südpol-Expedition von Robert Scott begleitete.

Titus ist ihr folglich eine große Hilfe, als sie plötzlich mit einer bunt zusammengewürfelten Reisetruppe im ewigen Eis landet, denn Onkel Victor hat diese Reise nicht zu Sightseeingzwecken unternommen. Im Gegenteil wird immer deutlicher, dass er bestimmte Pläne verfolgt. Pläne, die nicht nur Symone in Lebensgefahr bringen …

Geraldine McCaughrean [(„Peter Pan und der rote Pirat“), 3301 die unter anderem schon den Deutschen Jugendliteraturpreis erhalten hat, legt in „Weiße Finsternis“ einen sehr ungewöhnlichen Plot vor. Der Anfang wirkt noch recht banal. Ein Mädchen ist in ihrer Schule eine Außenseiterin, weil sie sich in ihrer Freizeit mit anderen Themen beschäftigt als ihre pubertierenden Freundinnen. Hinzu kommt die familiäre Tragödie, der Tod des Vaters. Erst als Symone und Victor sich in Paris befinden und Victor einige seltsame Verhaltensweisen an den Tag legt, wird klar, dass es hier um mehr geht als eine weitere Teenager-Außenseiter-Geschichte. Dieses Motiv spielt zwar an einigen Stellen mit hinein, mit der Zeit erschließt sich dem Leser aber, worum es wirklich geht in diesem Buch und was Victor plant. Dabei hat der Leser den Vorteil, dass er einige Dinge schneller erkennt als Symone. Diese hat eine sehr gutgläubige Einstellung gegenüber dem väterlichen Freund Victor, was den Zeitpunkt, als sie ihn durchschaut, umso dramatischer werden lässt.

Die Handlung ist spannend und sehr gut ausgedacht. McCaughrean strickt aus originellen Ereignissen eine abenteuerliche, aber trotzdem authentische Geschichte. Diese spielt sich zum Großteil in der Antarktis ab und der Autorin gelingt es auf wunderbare Art und Weise, diesen Schauplatz lebendig werden zu lassen. Mit einfachen Worten lässt sie Schnee und Eis vor dem inneren Auge des Lesers entstehen und schildert die Atmosphäre und die Besonderheiten des Südpols so verständlich und detailliert, dass man sich tatsächlich an Symones Seite wähnt, wenn sie sich durch den Schneesturm kämpft. Gerade die Beschreibungen und die Recherchen beweisen, dass McCaughrean nicht umsonst Preise gewonnen hat.

Daneben präsentiert sie eine sehr ansprechende Hauptperson beziehungsweise eine Hauptperson und die Stimme in ihrem Kopf, die einem seit neunzig Jahren toten Polarforscher gehört. Alleine diese Idee gefällt, die Ausarbeitung verdient richtig viel Lob. Die Schlagabtäusche zwischen Symone und Titus sind wunderbar humorvoll und lockern die Geschichte immer wieder auf. Hinzu kommt, dass Symone ein sympathischer und sehr realistischer Charakter ist. Sie erzählt aus der Ich-Perspektive, und dabei gibt sie sehr viele ihrer Gedanken preis. Dadurch erfährt man sehr viel über sie; beispielhaft seien an dieser Stelle die alterstypischen Gedanken genannt, die sich stets darum drehen, wie sie sich selbst sieht – und das ist nicht besonders positiv. Sie hält sich für tollpatschig & schüchtern, und die Autorin weiß diese Unsicherheit perfekt auszudrücken.

Die Sprache, die Geraldine McCaughrean dabei verwendet, ist jugendgerecht, also ziemlich einfach. Gehobene Ausdrücke kommen höchstens in Anführungszeichen vor, aber trotzdem schreibt die Engländerin unglaublich intensiv, treffsicher und bildhaft. Ihre Metaphern und Vergleiche bezieht sie zumeist auf die Antarktis, doch auch wenn nicht, sind ihre Stilmittel gut verständlich, anschaulich und von seltener Originalität. Nicht umsonst sind die Beschreibungen und die Hauptfigur so sympathisch – bei diesem Schreibstil kein Wunder!

In der Summe ist „Weiße Finsternis“ ein sehr empfehlenswertes Jugendbuch, das auch Erwachsene unterhalten kann. Bei diesem Roman stimmt einfach alles: Hauptperson, Handlung, Schreibstil – alles ist auf die Zielgruppe zugeschnitten, unterfordert diese aber auch nicht. Geraldine McCaughrean sollte auch für dieses Buch mit Preisen überschüttet werden.

http://www.cbj-verlag.de

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