McCrery, Nigel – Kaltes Gift

_Das geschieht:_

Seit sie als Kind miterleben musste, wie die Großmutter in einem Anfall von Irrsinn ihre Geschwister niedermetzelte, ist Madeleine Poel selbst eine psychisch gestörte Frau, die sich zu einer bemerkenswert erfolgreichen Serienmörderin gemausert hat. Sie tötet nicht, um sich damit zu brüsten, sondern macht sich an alte Frauen ohne Familie und Freunde heran, die sie an ihre Großmutter erinnern, freundet sich mit ihnen an und macht sich ihnen unentbehrlich, während sie ihnen tödliche Pflanzengifte verabreicht, deren Dosis sie ständig steigert. Haben die Opfer ihr alle Vermögenswerte überschrieben, macht Madeleine ein Ende mit ihnen, schlüpft in ihre Identitäten, macht auch Haus und Mobiliar zu Geld und zieht in eine andere Stadt, wo sie ihr tödliches Spiel neu beginnt.

Die Polizei kommt ihr auf die Spur, als nahe Chelmsford in der Grafschaft Essex ein Sportwagen in den Wald rast und dabei eine weibliche Leiche entdeckt wird. Sie wird als Violet Chambers identifiziert, was für arge Verwirrung sorgt, hebt die doch offensichtlich tote Frau immer noch Geld von ihrem Konto ab und schreibt sogar Karten. Detective Chief Inspector Mark Lapslie übernimmt den Fall, obwohl er aufgrund einer exotischen Krankheit, die ihn Geräusche buchstäblich schmecken lässt, gesundheitlich und psychisch stark angeschlagen ist. Zur Seite gestellt wird ihm nur die unerfahrene Emma Bradbury. Schon bald argwöhnt Lapslie, dass man ihnen die Ermittlungen ‚von oben‘ schwermacht. Wichtige Unterlagen werden heimlich kopiert und die Beamten überwacht.

Auf unorthodoxe Weise versucht Lapslie sich Klarheit zu verschaffen und seine Gegner bloßzustellen. Die Zeit drängt, denn in Madeleines Spinnennetz zappelt bereits ein neues Opfer …

_Serienmord britisch unterkühlt_

Nicht nur, aber vor allem seit Hannibal Lecter seine Zähne in diverse (immer kochkundig durchgebratene) Pechvögel schlug, hat sich der Serienkiller zur Inventarfigur des modernen Thrillers gemausert. Es existiert sogar ein eigenes Subgenre, in dem sich absolut durchgeknallte aber merkwürdigerweise trotzdem geniale Meuchelbolde beim Versuch förmlich überschlagen, sich gegenseitig in der Kreation absurder und möglichst geschmackloser Folter- und Mordmethoden auszustechen. Das Ergebnis lässt sich viel zu oft und nicht unerwartet in einem Wort zusammenfassen: lächerlich!

Den ‚echten‘ Serienmörder machen vor allem sorgfältige Planung und Zurückhaltung erfolgreich. Er – oder in unserem Fall sie – hat Methoden entwickelt und verfeinert, die ihn unter dem Radar der Polizei arbeiten lässt. Auch die Mitmenschen werden doppelt getäuscht – als Opfer und als ahnungsloser Hintergrundchor, zwischen dessen Mitgliedern der Killer förmlich verschwindet.

Der eher dem Spektakulären zugeneigte Leser mag dies langweilig finden. In der Tat muss sich ein Schriftsteller mehr Mühe geben, einen ’nur‘ raffinierten Mörder spannend ins literarische Leben zu rufen, als einen irren Primetime-Schlitzer. Wenn dieses Kunststück gelingt, ist die Wirkung freilich nachhaltiger; Nigel McCrery stellt dies mit „Kaltes Gift“ unter Beweis.

_Mord ist k/ein unterhaltsamer Akt_

Dabei spart er nicht an grausigen Details. Madeleine liebt es, ihre Opfer dabei zu beobachten, wie sie sich in Giftqualen winden, und wir Leser sind bei diesen hässlichen Lebensenden dabei. Es fehlen auch nicht die heute so beliebten Seziersaal-Sequenzen, wobei McCrery faulige Leichen detailfroh zu beschreiben weiß. Dabei schreitet er durchaus selbstzweckhaft zur Tat, vermeidet aber jederzeit, Madeleine in eine schäumende Schreckensgestalt zu verwandeln.

Madeleine ist total verrückt, und Madeleine ist eine kranke Frau. Diese Dualität darzustellen, ist schwierig. McCrery gelingt es; immer wieder ertappt sich der Leser dabei, wie er Mitleid mit dieser Frau empfindet und ihr die Daumen drückt, dass der aktuelle Coup gelingt. Das liegt an der perfiden Beiläufigkeit, mit der Madeleine mordet. Sie hat kein schlechtes Gewissen, und sie geht sehr gewissenhaft vor. Noch beeindruckender als ihre Kenntnis floraler Gifte ist ihr Talent zur Mimikry. Sie verschmilzt förmlich mit der Persönlichkeit ihrer Opfer und hat durchaus ihre Probleme damit. McCrery schildert diesen Prozess ungemein eindringlich.

_Mord hat seinen eigenen Geschmack_

Die Madeleine in „Kaltes Gift“ ist eine Serienmörderin im Anfangsstadium des endgültigen geistigen Zerfalls. McCrery zieht eine diesbezügliche Parallele zu ihrem Jäger. Inspector Lapslie ist seinerseits ein Gefangener seines eigenen Gehirns. Es verwandelt ein Geräusch in einen Geschmack – eine Krankheit, gegen die es keine Heilung gibt und die ihr Opfer isoliert. Lapslie hat seine Familie verlassen müssen und droht auch seine Arbeit und damit seinen letzten Halt zu verlieren. Anders als Madeleine findet er einen Weg, sich mit seinem Zustand zu arrangieren.

Allerdings würde die Geschichte auch ohne Lapslies Leiden problemfrei funktionieren. „Kaltes Gift“ profitiert von McCrerys profunder Kenntnis des modernen Polizeialltags; der Autor war selbst viele Jahre Polizist. Leider konnte er der Versuchung nicht widerstehen, seinem Helden ein Handicap aufzuerlegen, das ihn ‚interessanter‘ (und telegener?) machen und seine Persönlichkeit vertiefen soll. So dankbar man dem Verfasser ist, dass er dies nicht versucht, indem er Lapslie und Bradbury (die faktisch kaum eine Rolle spielt) zu einer tragischen Liebesbeziehung zwingt, muss man doch zu dem Schluss kommen, dass die Lapslie-Geschichte, die lange parallel zu, aber unverbunden mit dem Madeleine-Strang verläuft, mit diesem in Sachen Intensität und Überzeugungskraft nicht mithalten kann.

_Alles Böse kommt von oben_

Den eigentlichen Minuspunkt setzt indes dick ein seltsamer Subplot um ministerielle Intrigen, der hinter dem eigentlichen Geschehen herhinkt, bis ihm McCrery kurz vor dem Finale endlich ein Aufholen gestattet. Mit diesem plump gestrickten Komplott scheint der Verfasser jene Prise Gesellschaftskritik über seine Geschichte streuen zu wollen, die ein ‚richtiger‘ Kriminalroman heutzutage mitbringen muss. Die beiläufigen und nie wirklich in die Handlung integrierten Tücken staatlich legitimierter Schlipsschurken schaden dem Roman sehr.

Die Erklärung ist im Grunde einfach: McCrery plante Lapslie als Helden einer neuen Krimi-Serie. Die beschriebenen Beimischungen, zu denen sich noch die Beziehung des Inspectors zu seinem ‚besten Feindfreund‘, einem melancholisch gewitztem Gewaltverbrecher, sowie die aufkeimende Freundschaft zu einer körperbehinderten Pathologin gesellen, sind Investitionen in die Zukunft – Elemente, die in den nächsten Bänden ein seifenoperliches Eigenleben entwickeln werden. Originell ist das nicht, und ob es weiterhin spannend wird, bleibt abzuwarten. Von „Kaltes Gift“ wird dem Leser jedenfalls Madeleines Höllenfahrt im Gedächtnis bleiben – und das zu Recht!

_Der Autor_

Nigel McCrery wurde 1953 in London geboren. In Englands Hauptstadt war er später neun Jahre als Polizeibeamter tätig, was ihm in seiner zweiten Karriere sehr hilfreich war. McCrery studierte in Cambridge und arbeitete dann für die BBC. Dort entwickelte dort die Figur der Gerichtsmedizinerin Dr. Samantha Ryan. Sie fand 1996 ihren Weg ins Fernsehen und wurde dort vor und hinter der Kamera außergewöhnlich sorgfältig und kundig in Szene gesetzt.

Als Serie spielfilmlanger, lose verbundener Episoden, entwickelte sich „Silent Witness“ zum Straßenfeger und wurde (bis 2004) mit Amanda Burton in der Rolle ihres Lebens (und ab 2004 in neuer Besetzung) fortgesetzt. McCrery selbst schloss die Reihe 2003 ab, sodass andere Autoren die Drehbücher verfassten, was aber dem Erfolg keinen Abbruch tat.

Es folgten einige Einzel-Thriller, bis McCrery 2007 eine neue Serie um den beruflich und privat tüchtig gebeutelten Inspector Mark Lepslie startete. Neben diesen Romanen verfasste McCrery eine Reihe von Sachbüchern über polizeiliche und militärische Themen.

Die Mark-Lepslie-Romane von Nigel McCrery:

(2007) Kaltes Gift („Still Waters“)
(2009) „Tooth and Claw“ (noch kein dt. Titel)

Mehr von Nigel McCrery auf |Buchwurm.info|:

[„Denn grün ist der Tod“ 363
[„Die Fremde ohne Gesicht“ 2506

_Impressum_

Originaltitel: Still Waters (London : Quercus 2007/New York : Pantheon Books 2007)
Übersetzung: Ilse Bezzenberger
Deutsche Erstausgabe (gebunden): April 2009 (Droemer Verlag)
378 Seiten
EUR 16,95
ISBN 978-3-426-19791-2
http://www.droemer-knaur.de

Schreibe einen Kommentar