Astrid Meirose / Volker Pruß – Schattenreich 1: Die Nephilim (Hörspiel)

Neue Gothic-Serie: Sakrileg trifft Offenbarung 23

Nach der Rückkehr in seine Heimatstadt – er war fünf Jahre im Ausland – wird der junge Kulturwissenschaftler Christian Wagner in mysteriöse Todesfälle verwickelt. Als ihn eine unsichtbare Macht ins Schattenreich entführt, enthüllen sich ihm die Nachtseiten der menschlichen Natur. Hinter den Masken bürgerlicher Wohlanständigkeit treibt ein skrupelloses Netzwerk ein größenwahnsinniges Spiel. (Verlagsinfo)

Die Autoren

Als Autoren zeichnen Astrid Meirose und Volker Pruß verantwortlich.

Folge 1: Die Nephilim
Folge 2: Finstere Fluten
Folge 3: Spur in die Tiefe
Folge 4: Nachthauch

Die Inszenierung

Die Rollen und ihre Sprecher:

Christian Wagner – Alexander Scheer
Alexa Voss – Sandra Speichert
Dr. Bruno Schwab – Volker Brandt
Adrian Bloch – Norman Matt
Geheimnisvolle Frau – Daniela Hoffmann
Hagerer, bleichgesichtiger Typ – Dero („Oomph!“)
Tina Müller – Anna Thalbach

sowie David Turba, Clara Nicolai, Manfred Lehmann.

Alexander Scheer (geboren am 1. Juni 1976 in Ost-Berlin) verließ nach dem 11. Schuljahr die Schule und jobbte die folgenden vier Jahre als Friedhofsgärtner, Postbote, Barkeeper und als Darsteller in einigen Werbefilmen. Er überzeugte den Regisseur Leander Haußmann bei einem Casting zum Film Sonnenallee, seiner ersten Kinofilmerfahrung, sodass Haußmann ihm die Rolle des Protagonist Michas anbot. Nach den Dreharbeiten zu „Sonnenallee“ folgte er Leander Haußmann, der Intendant am Schauspielhaus war, nach Bochum. Dort spielte er Rollen in Theaterstücken wie Viel Lärm um Nichts, Leonce und Lena oder Faust ist tot. Im Film „Viktor Vogel – Comercial Man“ trat er neben Götz George, Julien Lambroschini, Nele Mueller-Stöfen und Maria Schrader auf.

Anna Thalbach (eigentlich: Anna Maria Joachim genannt Thalbach) steht seit ihrem sechsten Lebensjahr vor der Kamera, dabei war der Weg zur Schauspielerei nicht so gerade, wie man es bei der Tochter von Katharina Thalbach annehmen könnte. Sie beginnt nach dem Abschluss der Mittleren Reife zunächst eine Hospitanz als Kostümbildnerin am Schillertheater. Doch der Hang zum Schauspiel überwiegt, und bald schon feiert sie selbst große Bühnenerfolge, so auch an der Seite ihrer Mutter in „Mutter Courage“. Mittlerweile war sie in rund dreißig Kino- und TV-Filmen zu sehen.

Sandra Speichert (geboren am 22. Januar 1971 in Basel) wurde als Tochter deutscher Eltern aus Lörrach geboren und wuchs in den Niederlanden, Belgien und Frankreich auf. Sie spricht neben Deutsch, Französisch und Englisch auch Flämisch und Schweizerdeutsch. Bis zu ihrem 16. Lebensjahr erhielt sie Ballett-Unterricht. Danach machte sie am Internationalen Gymnasium St. Germain-en-Laye das Abitur. Von 1990 bis 1992 nahm sie Schauspielunterricht am Cour Florent in Paris und trat unter anderem in La Traviata, Carmen und Bolero auf. Im Marais-Viertel, in dem sie lebt, ist sie seit Ende der 80er Jahre regelmäßig auf Theater-Bühnen zu finden. Sie spielte in „Profil Bas“, „Die Halbstarken“, „Der Campus“ und „Kai Rabe gegen die Vatikankiller“.

Dero wurde am 16. April 1970 in Wolfsburg geboren. In der Band |Oomph!|, die 1989 gegründet wurde, ist er der Mann für den Gesang, die Texte, Drums und Kompositionen. Der Weg zur Musik sah laut eigener Aussage für Dero so aus: „Auf diversen Familienfeiern in den 70ern wurde ich ‚gezwungen‘, mit meinem Vater (Gitarrist, Sänger) alle nur erdenklichen Elvis-Songs in grauenhaftem Englisch rauf und runter zu schmettern.“

Daniela Hoffmann ist die deutsche Stimme von Julia Roberts, Volker Brandt die von Michael Douglas.

|Die Musik:|

|Secret Discovery|: „Follow Me“ / „Away“
|Zeraphine|: „Die Macht in Dir“
|XPQ-21|: „Rockin’ Silver Knight“
|Diskonnekted|: „Neon Dream“
|X-Fusion|: „Masochist“
|[:SITD:]|: „Richtfest“
|Combichrist|: „Blut Royal“
Das Berliner Filmorchester und Kammerchor

Regisseur Simon Bertling und Tonmeister Christian Hagitte von |STIL| sorgten für die gute Produktion, die Musik und die Sounds; ihnen half Cornelia Schilling. Die Produzenten sind Marc Sieper von |Lübbe Audio| sowie Oliver Ihrens von |Radar Media|, Bochum. Das interessante Booklet-Design stammt von Kai Hoffmann.

Handlung

Christian Wagner erwacht, als sein Wecker klingelt und eine Krähe in seinem Zimmer krächzt. Nanu, wo kommt die denn her, fragt er sich, doch da klingelt schon sein Handy. Alexa, die Powerfrau-Polizistin, mit der er einmal liiert war, informiert ihn, dass schon wieder eine Leiche gefunden worden sei, genauso kopflos und tätowiert wie die anderen beiden. Ob er mal vorbeikommen könne? Dann zeigt ihm sein Handy eine SMS an und er spielt die Sprachnachricht ab: Es ist ein Goethezitat aus „Faust“. Er wird aus diesem Theaterstück noch zwei weitere Zitate erhalten. Wer sich wohl diesen seltsamen Scherz erlaubt, fragt er sich und taumelt zur Toilette.

Am Fundort der Leiche, die im Wald unweit der leer stehenden Villa Scholl liegt, sind außer der Mordkommission schon die Reporter versammelt. Nur Christian, der Kulturwissenschaftler, wird von Alexa durch die Absperrung gelassen. Da liegt die Leiche. Auf der rechten Ferse findet er das gleiche Tattoo, das er selbst auch trägt: das ägyptische Ankh-Symbol, ein Henkelkreuz, das „Leben“ bedeutet. Es ist kombiniert mit dem „Auge des Horus“, das, wenn geöffnet, einen Schutzzauber darstellt. [Beide Symbole sind auf der CD selbst aufgedruckt.] Dieses Auge hier jedoch ist pupillenlos, blind, und das jagt Christian einen Schauder über den Rücken. Dies ist ein böses Omen. Er erklärt Alexa, dass dies ein Nephilim sei, ein früheres, aber abtrünnig gewordenes Mitglied der „Titanen“.

Titanen

Alexa weiß Bescheid. Die Titanen – so nannten sich vor 15 Jahren die Mitglieder einer Gruppe von jungen Hochbegabten, die von der Scholl-Stiftung gefördert und von Dr. Bruno Schwab betreut und trainiert wurden. Die Titanen, so Bruno, waren in der antiken Sage die Kinder von Göttern und Menschenfrauen. Die Nephilim hingegen waren die Kinder von Dämonen, die sich mit Menschenfrauen paarten: negative Titanen. Treibt hier jemand ein fieses Spiel mit den letzten Titanen? Christian erinnert sich an seine geliebte Billie, die, wenn er selbst Osiris darstellte, seine Göttin Isis war. Doch da war auch Seth, der Gegenspieler des Gottes Osiris. Und der wurde von Adrian gespielt. Adrian treibt sich immer noch in der Stadt herum, als neuer Besitzer der Villa Scholl, dem Sitz der Titanen.

Schattenreich

Nach einem ergebnislosen Besuch bei seinem früheren Mentor Bruno Schwab, von dem er zweimal schachmatt gesetzt wird, besucht Christian abends eine Disko namens „Schattenreich“. Er zeigt seine Einladung vor und betritt ein völlig andere Welt. Halb entkleidete Tänzerinnen wiegen sich unter dem Einfluss von Marihuana, umgeben von gotischen Säulenbögen. Das Parkett zeigt die Felder eines ägyptischen Senet-Spiels*, wie er es zufällig bei Bruno gesehen hat.

Und da ist ja wieder die Frau mit der Medusenfrisur, die er am Fundort der Leiche zu sehen gemeint hat. Was aber dort eine Halluzination zu sein schien, entpuppt sich hier als erotische Realität. Und was noch besser ist: Sie sieht aus wie seine geliebte Billie, Gott hab sie selig. Während sie auf ihn zukommt, entblättert sie sich, so dass Christian nicht nur das Wasser im Mund zusammenläuft. Sie verziehen sich in eine ruhigere Ecke, wo sich ihm die „Pforte der Erkenntnis“ öffnet und er seine „Sehnsucht herausströmen“ lässt …

Erwachen

Am nächsten Morgen findet ihn eine Spaziergängerin nackt im Wald, mit einem Dauerständer. Sie ruft die Polizei, die in Gestalt von Alexa das Schlimmste zu verhindern weiß. Dann erinnert sich Christian, wie das Erlebnis in der Disko endete: Schwarze Nephilim-Kapuzenmänner marschierten in den Saal und eröffneten das Feuer aus Maschinengewehren.

*: »Senet war das wichtigste Spiel im Alten Ägypten. Erstmals erwähnt um 2600 v.Chr., frönten alle Teile der Gesellschaft bis in die Mitte des ersten Jahrtausend n. Chr. dieser Leidenschaft. Bis heute kursieren unterschiedlichste Spielregeln, doch worum ging es wirklich …« (zitiert nach der Website www.schattenreich.net, die eingestellt worden ist)

Mein Eindruck

Die Parallelen zu Dan Browns Megaseller „Sakrileg“ sind unverkennbar. Unser Kulturwissenschaftler entspricht dem Symbolkundler Robert Langdon und hat, wie dieser, die Aufgabe, diverse Symbole zu deuten. Praktisch alle Symbole stammen aus der altägyptischen Kultur, was zunächst für eine beruhigende Einheitlichkeit der Gegenwelt sorgt, in die uns nun die Handlung einführt.

Zunächst, denn Christian Wagner ist stärker in die Gegenwelt involviert, als er ahnt. Er war einer der „Titanen“, Mitglieder eines siebenköpfigen Zirkels aus begabten Eliteschülern, doch was ist aus ihnen geworden? Seine geliebte Billie (alias Sibylle Scholl) ist tot – angeblich starb sie bei einem Brand der Nervenheilanstalt, in der sie 15 Jahre lang untergebracht war und wo Christian sie zehn Jahre lang besuchte, bevor er das Land verließ. Aber vielleicht handelt es sich auch um den ersten Mord in der Serie, die Christian nun untersucht. Die Nephilim, in der hebräischen Sagenwelt die Nachkommen von Dämonen und Menschenfrauen, sind negative Titanen, doch in welcher Hinsicht? Und wenn es sich ehemalige Titanen handelt, wer hat sie dann „umgedreht“?

Christians Besuch in der Disko „Schattenreich“ als einfachen, aber in erotischer Hinsicht sehr erfolgreichen Drogentraum zu inszenieren, kommt im modischen Genre des Mystik-Horrors nicht gänzlich unerwartet. Solche Tricks setzt auch Wolfgang Hohlbein ein. Und das erotische Abenteuer in der ersten Episode unterzubringen, folgt der alten Produzentenmaxime, wonach in der ersten Viertelstunde eines Spielfilms entweder eine nackte Frau auftreten muss, etwas in die Luft fliegt oder ein Mann stirbt. Nun, zweieinhalb dieser Bedingungen können wir schon mal abhaken. Wenn man den Auftritt der ballernden Nephilimkiller im „Schattenreich“ als „halbe Explosion“ zählt.

Mit Vernunft und Logik ist also der Handlung herzlich wenig beizukommen, aber das liegt ja auch gar nicht in der Absicht der Macher. Und im Genre Horror liegt das Schwergewicht sowieso auf Symbolen: Die Außenwelt ist die Innenwelt, und wenn Christian in der Disko mit Billies Geist, der Medusenfrau, vögelt, so entspricht dies einem feuchten Traum. Ironisch ist denn auch, dass er anderntags im Wald nackt von einer alten Spaziergängerin gefunden wird. Sie entspricht seinem Über-Ich, das über die Kapriolen seines Es nur den Kopf schütteln kann.

Etwas prüde finde ich daher das Verhalten von Superfrau Alexa. Die Polizistin war ja schon ein- oder zweimal mit Christian im Bett, als sie noch zusammen waren, doch jetzt tut sie so, als ob sie seine Mutter wäre und ihn in die Schule schicken müsste. Das nenne ich pure Heuchelei. Dem Zuhörer, der ob Christians erotischer Eskapade womöglich von Schuldgefühlen geplagt wird, dürfte es das Gewissen beruhigen, wenn er von einer verzeihenden Mami so an die Hand genommen wird. Vielleicht hat Alexa aber auch noch andere Motive …

Die Inszenierung

Die Geräuschkulisse des Hörspiels ist nicht allzu realistisch. Man hört nicht jede Tasse klappern, nicht jedes Auto vorbeirauschen. Vielmehr stehen die Kommunikationsmittel im Vordergrund: Handys, Telefone, Türklingeln, fehlen nur noch Türklopfer und Megafone. Ein Wecker nervt mit seinem Ticken, und die Krähe am Anfang nervt noch mehr. Kein Wunder, dass Christian ständig an Kopfschmerzen und Schlafmangel leidet. Alexander Scheers raue Raucherstimme passt zum Möchtegerndetektiv à la Philip Marlowe, der nur per Zufall zum Kulturwissenschaftler geworden zu sein scheint. Sein Gegenteil, ein Ausbund an Disziplin und Pflichtbewusstsein, bildet die Rolle der Alexa Voss, gesprochen von Sandra Speichert. Wie gesagt, sie hat etwas Mütterliches an sich, so ähnlich, wie sich Barbara Bel Geddes sich in „Vertigo“ um den verliebt-verwirrten James Stewart alias „Johnnie-o“ Ferguson kümmert.

Die Musik

Spätestens nach einer halben Stunde des Anhörens verhärtet sich im Zuhörer der Verdacht, dass diese ganze ausgeklügelte Handlung eigentlich nur ein Vorwand ist. Nämlich der Vorwand, um möglichst viel deutsche Neo-Gothic-Musik abspielen zu können. Die oben aufgeführte Interpretenliste ist nur die Spitze des Eisbergs dessen, was den Zuhörer erwartet. Es verwundert nicht, dass in die Produktion des Hörspiels Firmen wie |Radar Media|, |Stil| (für die professionelle Soundproduktion) und das Musikmagazin [„Sonic Seducer“]http://www.sonic-seducer.de/ eingebunden sind.

Letzteres hat sich mit einem Aufkleber auf der Hülle verewigt. |Radar Media| ist im Booklet mit einer ganzen Seite Werbung vertreten: „Schattenreich Vol. 3: Die Kult-Kompilation als 2CD [sic!] und DVD u.a. mit Rammstein, Oomph!, Marilyn Manson […] und unveröffentlichten TV-Sessions [!!] mit „Camouflage“, „In Extremo“ und anderen Specials“. |Radar| hat das Copyright und die Markenrechte für „Schattenreich“ inne, folglich war die Firma auch an der Produktion beteiligt. Und da es in ihrem Interesse liegt, die Bands wie |Rammstein|, |Oomph!| usw. zu vermarkten, packte sie natürlich so viel Musik wie möglich auf die Silberscheibe. Jedes Mal eine Disko-Session in die Handlung einzubauen – egal wie –, war daher obligatorisch, und das merkt man auch in Episode 2.

Diese Dinge sollte man wissen, wenn man die Musikeinlagen des Hörspiels bewertet. Plötzlich wird aus der Handlung nicht das Hauptgericht, sondern lediglich die Beilage. Deshalb dröhnt unvermittelt der Leadsong „Follow me“ durch die Boxen, nachdem bereits ein Donnerschlag den Zuhörer aus seiner Bürgerruhe aufgescheucht hat. Es gibt anschließend kaum eine ruhige Minute, in der keine Musik erklingt. Hier hat |Radar Media| ganze Arbeit geleistet. Und wer sich nun verstört fragt, wer denn bitte schön |Rammstein|, |Marilyn Manson| und |Oomph!| seien, der sei auf die aktuellen Albumcharts verwiesen. Und wer mich nun fragt, was für eine Sprache dieser seltsam mystische Chor da singt, dem kann ich nur achselzuckend antworten, ich hätte keine Ahnung. Es klingt jedenfalls ein ganz klein wenig nach Hebräisch (aber das sage ich ohne Gewähr).

Unterm Strich

„Schattenreich 1“ ist der Beginn einer Serienhandlung, die Anleihen bei „Sakrileg“ und „Offenbarung 23“ macht, aber mit genügend Rätseln aufwartet, damit der Zuhörer bei der Stange bleibt. Ansonsten ist zu konstatieren, dass dieser Plot als Vorwand für a) Sex in der Disco und b) jede Menge Musik-Marketing dient. Daran trägt der Produzent |Radar Media| die Verantwortung. Und wenn die Handlung nicht in die Gänge kommt, dann liegt es an sinnlosen Szenen wie der in der titelgebenden Disco, die nur dem Aufgeilen des Publikums dient, aber ansonsten keinen geistigen Nährwert besitzt.

Wie bei allem, was das Studio |STIL| produziert, ist das Produkt hinsichtlich Sound und Optik vom Feinsten. Immerhin erreichen das Studio und der |Lübbe|-Verlag eine neue Zielgruppe, die mit „Offenbarung 23“ nur unzureichend bedient wird: die Gothic-Rockfans, die auf Bands wie |Rammstein|, |Oomph!| und |ASP| stehen. Diesbezüglich kann „Offenbarung 23“ glatt einpacken. Wer die Songs runterladen will, findet auf http://www.schattenreich.net den Link dorthin.

CD: 57 Minuten auf 1 CD
ISBN-13: 978-3785731697

https://www.luebbe.de/luebbe-audio

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