Tobias O. Meißner – Das vergessene Zepter (Im Zeichen des Mammuts 3)

Band 1: „Die dunkle Quelle“
Band 2: „Die letzten Worte des Wolfs“

Mammut Ho!

Pünktlich ist er, Meister Meißner, hat er doch seinen Leser in einem Interview für das |phantastisch!|-Magazin versprochen, die Wartezeit zwischen den Mammut-Romanen nicht über ein Jahr hinaus auszudehnen, und voilà: Hier ist sie, die dritte von sieben Reisen, die das Mammut auf sich nehmen muss, um das Gleichgewicht der Götter, der Natur und der Menschen wieder in Einklang zu bringen.

_Raus aus dem Laufstall!_

Das Mammut ist den Kinderschuhen entwachsen. Im ersten Band musste Rodraeg Talavessa Delbane seine Mitstreiter erst suchen und sie zusammenschweißen, im zweiten Band galt es, Wale zu retten und den mysteriösen Werwolf Dasco zur Strecke zu bringen, dessen Rolle im Spiel der Welten noch immer nebulös ist. Von dieser Reise kehrt das Mammut zurück, erfahren, zu einer Einheit verwachsen, einsatzbereit eigentlich, wenn Rodraeg durch seine Schwarzwachsvergiftung nicht zu einem hustenden Elendsbündel dahingesiecht wäre. Alle magischen Tricks verlieren ihre Wirkung, Rodraeg hustet Blut und Schwarzwachsbrocken; die Heiler sprechen ihm höchstens noch ein paar Wochen Lebenszeit zu.

Überschattet wird die Truppe von Sorge um ihren Anführer und um die Neige ihrer finanziellen Mittel. Aber wenigstens Naenns Nachwuchs wächst und gedeiht in ihrem Bauch und Cajin kümmert sich rührend um die erschöpften Streiter. Dann allerdings flattert ein neuer Auftrag für das Mammut herein, ein Auftrag eigentlich nicht, eher ein geheimnisvolles Sammelsurium an Hinweisen, denen das Mammut folgen soll, um den nächsten Auftrag zu erhalten. Sie schleppen den schwerkranken Rodraeg entlang dieser Hinweise also ins Wildbart-Gebirge, wo sie auf Attandurik treffen, den Sprecher der Riesen.

Die Rasse der Riesen läge im Sterben, behauptet er, kaum Nachwuchs könne noch gezeugt werden, und die wenigen Riesen, die noch leben, müssen sich in verschlungenen Höhlen verstecken, weil Haarjäger ihnen nach dem Leben trachten, um ihnen den Pelz abzunehmen. Um Abhilfe zu schaffen, soll das Mammut das vergessene Zepter beschaffen, ein magisches Artefakt, das die Riesen wieder fruchtbar machen soll, und um „den Hauch des Sterbens“ aus der Luft zu vertreiben. Zu finden ist das Zepter in der Höhle des alten Königs, gesichert durch Rätsel und Irrwege, aber selbst wenn das Mammut das Zepter in Händen halten sollte, muss dieses wieder zurück zu den Riesen gebracht werden, auf einer gefahrvollen Reise durch den halben Kontinent, weil das Zepter jedes magische Geschöpft anzieht wie Honig Fliegen. Aber schon auf dem Weg zu der Höhle kann sich der kranke Rodraeg kaum mehr auf den Beinen halten …

_Erste Fäden verknüpfen sich …_

Was sich im zweiten Band nur angedeutet hatte, wird in diesem dritten Band mehr als deutlich: „Im Zeichen des Mammuts“ ist ein komplexes Gesamtwerk, dessen Fäden zusammengehalten werden wollen. Wo das Mammut früher einfach drauflos stampfte, musste Meißner hier ständig Begebenheiten und Zusammenhänge aus der Vergangenheit wiederbeleben, die man nach einem Jahr Wartezeit eben vergisst: Der verheerend gescheiterte Feldzug gegen die Affenmenschen, der Krieg zwischen den Seestädten Skerb und Wandry, Kindgreis Riban Leribin, dessen „Beteiligung“ an Rodraegs Schwarzwachsvergiftung, Cajins Vergewaltigungsabstammung, Naenns Schwangerschaft durch den Vergewaltiger Ryot Merlon, der geheimnisvolle Bienenmann, der missverstandene Werwolf Dasco, das Stadtschiff von Tengan, der Mammut-Traum, die Jäger darin und König Rinwes legendärer Sieg über die Geisterarmee, um nur das Wichtigste zu nennen.

Meißner hat das hervorragend gelöst und flüssig in die Story eingewoben, aber trotzdem ist ein gelegentlicher Blick in das Namensregister sehr hilfreich. Man ist rasch wieder von der Story gefesselt; in kürzester Zeit stellt es sich wieder ein, dieses behagliche Gefühl der Vertrautheit, wenn man dem Mammut bei seinen Abenteuern zusieht. Das Feeling ist auch in diesem dritten Band unvergleichlich, Fantasy-Standards sucht man beinahe vergeblich, und wenn sie doch auftauchen, sind sie von ausgeklügelten Rahmenbedingungen eingefasst, die jeden Ruch von Klischee gleich von Anfang an ersticken.

Entscheidend zur Stimmung trägt auch die ständige Geldknappheit des Mammuts bei. Deren Thematisierung erzeugt eine Art „Zelda-Rollenspiel-Feeling“: Man weiß immer, wie viel das Mammut zur Verfügung hat, überlegt, was die Truppe brauchen könnte, sich aber eigentlich nicht leisten kann, und freut sich für die Streiter mit, wenn dann doch ein anständiges Mittagessen und brauchbare Ausrüstung dabei herausspringen. Auch die Hilfsmittel, die Rodraeg von Heiler Nerass bekommt, haben diese „Rollenspiel-Steigerung“: Erst war es ein Kraut, auf dem Rodraeg kauen musste, dann halfen Schwämme mit Kjeer-Klippenwasser, dann musste Rodraeg Kjeer-Klippenwasser trinken und schließlich hilft gar nichts mehr, ein Algensalz schafft es lediglich, ihn aus den Ohnmachtsanfällen zu erwecken, die ihn immer öfter heimsuchen.

Natürlich bekommt es das Mammut mit massenhaft neuen Rätseln und Fakten zu tun auf seiner Suche nach dem vergessenen Zepter: Ein seltsamer Prediger schart Anhänger um sich, die ebenfalls vor der Höhle des alten Königs lauern, um Einlass zu erhalten, ein zwielichtiger Degenkämpfer erkundigt sich auffällig unauffällig nach den Absichten der Abenteurer, eine Organisation namens „Dämmerung“ kommt ins Spiel und weitere Details aus der Geschichte der Hauptfiguren treten ans Licht.

Kernschauplatz im dritten Mammut-Band ist die Höhle des alten Königs. Schon im zweiten Band ist das Mammut an dieser Höhle vorbeigekommen, auf ihrem Weg nach Wandry, aber ihnen fehlte der Schlüssel dazu, den sie erst vom Sprecher für die Riesen erhalten haben. Im Inneren der Höhle erwartet das Mammut eine Reihe bizarrer Rätsel und Fragen, mit denen geprüft werden soll, ob das Mammut des Zepters tatsächlich würdig ist.

Hier hat Meißner den bisherigen Höhepunkt der Serie geschaffen: Eine surreale Szenerie voller Bilder und Visionen, Prüfungen, die zum Nägelkauen spannend sind, und Bilder, die lange anhalten. Dazu dieses ständige Gefühl, dass einem immer mehr Puzzlestücke eines Gesamtkunstwerkes in den Schoß fallen; über Eljazokats Vergangenheit erfährt man viel, oder über den Grund, warum Hellas schneeweißes Haar hat. Wunderbar!

_Herangereift, aber nicht müde!_

Ja, auch „Das vergessene Zepter“ steht seinen Vorgängern nicht nach. Im Gegenteil, Meißner scheint zusammen mit seiner Geschichte und seinen Figuren zu reifen und nimmt den Fantasy-Leser mit auf eine Reise, auf die er nach all den unzähligen Tolkien-Klonen schon fast gar nicht mehr zu hoffen gewagt hat. Das Mammut ist stark wie nie zuvor, und wiederum kann ich es kaum erwarten, bis der nächste Band erscheint. Fantasy-Pflichtlektüre!

Taschenbuch: 400 Seiten
www.piper.de