Meister, Derek – Rungholts Ehre

[Lübeck,]http://de.wikipedia.org/wiki/L%C3%BCbeck weltbekannt durch das Marzipan von Niederegger und natürlich durch das alte Festungstor, auch Holstentor genannt – das eigentliche Wahrzeichen der damaligen „Königin der Hanse“, wie die Stadt stolz von sich sagen kann. Es gibt in Deutschland wenige so gut erhaltene Altstädte, in denen man noch einen Hauch von Mittelalter spürt, wenn man die kleinen Gassen betritt, durch die engen Gänge schleicht oder sich in einem wunderschönen Hof wiederfindet.

Gebäude, Straßennamen und die übrig gebliebenen Gänge und Höfe zeugen noch immer von der Macht und dem Wohlstand, den die Lübecker in ihrer für sie wichtigsten Zeit aufgebaut haben. Im 14. Jahrhundert war sie für den Seeverkehr im östlichen Raum um Brügge, London und Nowgorod das Zentrum für Handel, Kredite und die Macht der [Hanse.]http://de.wikipedia.org/wiki/Hanse Das Mittelalter war nicht nur eine dunkle Zeit; diese Epoche trug wesentlich dazu bei, den Wohlstand in den Städten und Gemeinden zu festigen. Berufe und ihre Zünfte, Handelsvereinigungen, die sich auch über die Grenzen Europas hinweg ausbreiteten, sowie Kunstwerke, Literatur und auch die Medizin hatten für den deutschsprachigen Raum in dieser Epoche ihren Nährboden.

Der in Berlin lebende Schriftsteller Derek Meister hat mit seinem Debütroman „Rungholts Ehre“ ein wundervolles Stück Mittelalter geschrieben, das in der damaligen [Hansestadt]http://de.wikipedia.org/wiki/Hansestadt Lübeck spielt.

_Story_

1390, Hansestadt Lübeck. Der Lübecker Kaufmann und Ratsherr Rungholt bereitet die Hochzeit seiner dritten Tochter Mirke vor. Mit ihren 13 Jahren soll sie den ehemaligen Bürgermeister und Kaufmann Attdorn ehelichen. Die Mitgift wurde ausgehandelt, der Vertrag aufgesetzt und liegt schon zur Unterschrift bereit, doch das junge Mädchen Mirke liebt jemanden anderen. Seit ihren frühen Kindheitstagen kennt sie den jungen Lehrling ihres Vaters, Daniel, der zwar wie ein Bruder für sie ist, aber inzwischen haben sie mehr als nur geschwisterliche Gefühle füreinander entwickelt, welche die ganze Situation nun etwas verkomplizieren.

Eines Tages, als sie sich heimlich an der [Trave]http://de.wikipedia.org/wiki/Trave treffen, entdecken dort beide eine übel zugerichtete Leiche, die auf dem Wasser treibt. Erschreckt und überrascht erkennt Daniel den Toten. Am Abend zuvor hat dieser doch mit ihm zusammen im Wirtshaus die Würfel rollen lassen; der Fremde hatte verloren und wollte seine Schuld nicht begleichen. Ein Prügelei entstand und der Fremde suchte das Weite …

Daniel verzweifelt, und voller Angst davor, dass man ihn nun für den Mörder halten wird, flüchtet er Hals über Kopf quer durch die ganze Innenstadt. Rungholt erfährt nur wenig später, dass Daniel festgenommen und damit für friedlos erklärt wurde. Rungholt, der sich in der Pflicht sieht, die Ehre seines Hauses wiederherzustellen, und der überhaupt nicht an die Schuld seines Schützlings und Lehrlings glaubt, erreicht einen Aufschub von zwei Tagen, bevor es zur Gerichtsverhandlung unter Leitung des jungen Richters Kerkings kommen kann. Die Zeit drängt und Rungholt beginnt zu ermitteln, stellt dabei aber schnell fest, dass Beweismittel verschwinden und man nicht wirklich ehrlich zu ihm ist, wenn er bohrende Fragen stellt und natürlich klärende Antworten erwartet.

Der Rat der Stadt Lübeck hat aber auch seine ganz eigenen Sorgen. Immer mehr Koggen der Hanse werden von den [Vitalienbrüdern]http://de.wikipedia.org/wiki/Vitalienbr%C3%BCder (Piraten) aufgebracht, geplündert und versenkt. Der ältere Ratsherr Winfried der Kahle will mit aller Macht gegen die Freibeuter vorgehen und versucht den Rat davon zu überzeugen, „Friedeschiffe“ bauen zu lassen, um diese bekämpfen zu können. Die beiden Hansestädte Wismar und Rostock hingegen gewähren den Freibeutern freien Zugang zu ihren Häfen, da diese auch dänische Schiffe aufbringen. Hieraus könnte ein gefährlicher Konflikt mit Mecklenburg entstehen, das eine Bekämpfung der Piraten als Unterstützung Dänemarks auffassen würde – eine politische Zwickmühle, und dazu noch eine sehr risikoreiche.

Den aufstrebenden Lübecker Kaufmann Hinrich Calve, der von den Vorkommnissen in seiner Heimatstadt nichts ahnt und sich wegen seiner Geschäfte in Stralsund aufhält, erreicht eine Hiobsbotschaft – sein ältester Sohn Egbert ist mit seinem Schiff ein Opfer der Piraten geworden und hat dabei den Tod gefunden. Sofort bricht Calve zusammen mit seinem jüngsten Sohn und einigen Söldnern auf, um die Heimreise anzutreten. Doch ihre Reise wird durch einen Überfall unterbrochen, Johannes wird von einer Armbrust schwer verletzt und die Räuber haben es scheinbar nicht auf die wertvolle Fracht abgesehen, sondern auf Calve selbst …

Rungholt findet trotz aller sich vor ihm auftuenden Schwierigkeiten erste Spuren und wird in Momentaufnahmen mit seiner eigenen Vergangenheit konfrontiert, mit der er sich lieber nicht auseinandersetzen will und die er lieber bewusst verdrängt. Die Spuren führen zusammen und enden bei Hinrich Calve, der etwas von seinem Haus entfernt einen Keller gemietet hat, in dem der ermordete Fremde lebte und scheinbar studierte und forschte. Rungholt kann mit den für ihn fremden Zeichen und Berechnungen wenig anfangen, erkennt aber recht schnell, dass diese nicht europäischen Ursprungs sind.

Als Rungholt sich mit dem inzwischen in Lübeck eingetroffenen Kaufmann Calve treffen will, wird er Zeuge davon, wie dieser von einem unbekannten Mann erdolcht und ebenfalls in den Fluss geworfen wird … Bedeutet das nun einen Tag vor der Gerichtsverhandlung den Tod durch den Galgen für Daniel und für Rungholts Ehre eine tiefe Schmach? Zusammen mit seinem Kapitän Marek tritt er die Flucht nach vorne an und beginnt zu verstehen, dass nicht nur das Leben Daniels auf dem Spiel steht, sondern auch er selbst in größter Gefahr schwebt …

_Kritik_

Derek Meister hat dem Mittelalter der Hansezeit ein wertvolles Geschenk vermacht. Nicht nur, dass die Geschichte spannend erzählt und die Handlungsstränge ineinander verworren, aber gleichmäßig fesselnd zu Ende gedacht und beschrieben werden; ebenso erfährt der Leser eine Menge vom alltäglichen Leben des Mittelalters in einer Stadt der Hanse.

Die Atmosphäre eines historischen Romans ist für die Authentizität absolut wichtig, und bei „Rungholts Ehre“ meint man als Leser direkt am Geschehen teilzuhaben, man spürt das pulsierende Leben auf dem Marktplatz, im Rathaus oder in den finsteren und schmuddeligen Gassen des damaligen Lübecks. Besonders gut und überhaupt nicht verwirrend oder einschränkend fand ich die Entscheidung des Autors, dass verschiedene alltägliche Gegenstände und Gepflogenheiten ihre eigentümliche Begrifflichkeit nicht verloren haben, wie z. B. Misericord, Toslach, Trippe u. ä. Diese sind im Anhang detailliert aufgeführt und erklärt und tragen viel dazu bei, dass der historische Kriminalroman lebensecht wirkt.

Traditionen und Lebensart, Handel und Handwerk, das Leben und der Tod werden in dieser Geschichte abwechslungsreich und lehrreich geschildert. Wie nur wenige Autoren findet Derek Meister den richtigen Weg, um dem Leser ein farbenprächtiges Leben des Mittelalters zu vermitteln. Der Spannungsbogen entwickelt sich dabei ebenso immer weiter wie die Charaktere. Besonders die Person des Patriziers Rungholt wird mit all ihren guten wie auch schlechten Eigenschaften charakterisiert. Der Leser leidet förmlich mit, wenn der gutherzige, aber immer jähzornige und aufbrausende Kaufmann vor Zahnschmerzen nicht mehr ein noch aus weiß.

Das Schicksal seiner Vergangenheit hinterlässt deutliche Spuren in der Erzählung. Rungholts Eigenheit, immer mit dem Kopf voran durch die Wand rennen zu wollen und auch dabei mal schmerzlich abzuprallen, machen ihn sehr sympathisch, und er hat das Herz über seinem stattlichen Bauch am rechten Fleck. Er sorgt sich um die Seinen, übernimmt Verantwortung, wo andere vielleicht eher wegschauen würden, und handelt oftmals ohne Rücksicht auf Verluste. Seiner Tochter Mirke möchte Rungholt ein guter Vater sein, doch hinterfragt er sein Handeln und kommt nicht wenige Male selbstkritisch ins Nachdenken.

Im Laufe der Geschichte wird dem Leser schnell klar, dass Rungholt mit den Schatten seiner Vergangenheit leben muss und diese ihn immer wieder belasten. Wie ein roter Faden zieht sich dies durch den Roman, ohne aber letztlich erklärt zu werden. Das nimmt dem Roman jedoch nichts an Spannung, im Gegenteil, macht es doch gleich noch mehr Lust darauf, den Nachfolger „Rungholts Sünde“ lesen zu wollen. Auch bei den vielen Nebenfiguren gibt sich der Autor die größte Mühe, diese detailfreudig zu entwerfen, bis der Leser fast glaubt, es mit guten, alten Bekannten zu tun zu haben.

Es gibt nur wenige Kritikpunkte anzumerken, ansonsten ist dieses Erstlingswerk durchweg grandios. Am Ende der Geschichte verliert sie ein wenig an Wendigkeit und endet zwar konsequent und schlüssig, aber nicht überraschend. Die dramatische Liebesgeschichte von Mirke und Daniel wird pragmatisch zu Ende erzählt, es bleibt allerdings noch viel Stoff übrig, um diese konventionell in den nächsten Büchern weiterzuführen.

Der Autor nimmt sich viel Raum und Zeit, um dem Leser das Mittelalter vor Augen zu halten, und dabei liegt es auch nahe, dass er aus dramaturgischen Gründen ein wenig die historischen Gegebenheiten verändert hat. Es sei ihm verziehen, denn im Nachwort ist dies im Detail noch einmal kurz erklärt und ggf. mit echten Daten aufgeführt.

Lobenswert bleibt noch zu erwähnen, dass es im Buch noch eine kleine historische Stadtkarte von der Altstadt Lübecks des Jahres 1390 gibt, die uns Nicht-Lübeckern die Straßen, Plätze, Gänge und wichtigen Standorte aufzeigt. Allerdings hätte ich mir noch ein Personenregister gewünscht, wie es oftmals gerade in historischen Romanen bereitgestellt wird.

_Fazit_

„Rungholts Ehre“ von Derek Meister kann ich nur empfehlen. Eine historische Kriminalgeschichte vor den Kulissen einer wundervollen und bedeuteten Stadt Lübeck spielen zu lassen und beides solcherart gekonnt miteinander zu kombinieren, verdient Hochachtung. Zwar geht es nicht unbedingt blutig zur Sache, bleibt also gänzlich ohne Schlachten und Kriege, aber auch Rungholt hat die Gelegenheit, seinen Jähzorn mit dem Schwert auszutoben. Die Dialoge zwischen den Figuren sind nicht häufig humorvoll und bilden mitunter den Kern des Romans, das Gleichgewicht zwischen Dialog und etwas Action wirkt belebend und frisch, nicht einseitig oder übertrieben.

Dieser Roman wird nicht nur die Herzen der Liebhaber historischer Geschichten höher schlagen lassen, auch der Krimiinteressierte wird unter Garantie nicht zu kurz kommen und seine helle Freude an den spannenden Verwicklungen haben. Prädikat wertvoll, und das in vielerlei Hinsicht, und damit freue ich mich schon auf die nächsten Romane mit dem dickköpfigen und aufbrausenden, aber doch herzlichen Kaufmann und Ratsherr Rungholt.

_Der Autor_

Derek Meister wurde 1973 in Hannover geboren. Schon früh entdeckte er seine Leidenschaft für das Geschichtenerzählen und den Film. So entstanden in den 1980er Jahren mit Freunden erste Spielfilme auf Super-8 im Wald hinter dem Haus.

Die frühen Versuche verschlugen ihn 1995 an die Filmhochschule Konrad Wolf in Potsdam/Babelsberg. Dort studierte er Film- und Fernsehdramaturgie. Schon während des Studiums wurden erste Drehbücher unter anderem vom ZDF realisiert. 2003 beendete Derek Meister sein Studium zum Film- und Fernsehdramaturgen mit Diplom.

Derek Meister schreibt für diverse Produktionsfirmen und Sender, darunter das |ZDF|, |RTL|, |Sat.1| und |Pro7|. Er entwickelte die Krimiserie „Mit Herz und Handschellen“ mit, die 2003 erfolgreich auf |Sat.1| lief, und wurde mit „Weg!“ für den FirstSteps-Preis nominiert. Außerdem gewann das Spiel „Wiggles“, für das er das Drehbuch verfasste, zahlreiche Branchenpreise.

Derek Meister arbeitet seit 1999 als freier Autor in Berlin. Neben der „Rungholt“-Reihe schreibt Derek Meister zusammen mit seiner Frau die Reihe „Drachenhof Feuerfels“, die im |Loewe|-Verlag erschienen ist.

http://www.rungholt-das-buch.de/

inhalt


http://www.blanvalet.de
[Unser Interview mit dem Autor]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=88

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