Melneczuk, Stefan – Geisterstunden vor Halloween

Nach dem Achtungserfolg seines Romans [„Marterpfahl“, 4719 der vor zwei Jahren im rührigen |VirPriV|-Verlag erschien, präsentiert Stefan Melneczuk nunmehr 31 düstere „Oktobergeschichten“ in einer auch äußerlich sehr ansehnlichen limitierten Hardcoverausgabe (Cover: Mark Freier) des |BLITZ|-Verlages.

Ich gebe zu, dass ich nicht nur positive Erfahrungen mit deutschsprachigen Horrorgeschichten gemacht habe. Der Markt – sofern man überhaupt von einem Markt im wirtschaftlichen Sinne sprechen kann – wird hierzulande nach wie vor von Heftromanen dominiert, und die wenigen ambitionierten Anthologien und Sammlungen, die in Kleinverlagen erscheinen, erreichen oft nur wenige Leser. Dazu kommt die fatale Neigung einiger Autoren, Horror mit Splatter gleichzusetzen, was den Lesegenuss nicht selten arg beeinträchtigt.

Erfreulicherweise sind die Geschichten in der vorliegenden Sammlung aus völlig anderem Holz. Es beginnt verhalten mit einer kurzen Episode über eine Hungersnot im Irland des 19. Jahrhunderts, während derer der so genannte „Hungry Hill“ traurige Berühmtheit erlangt. Ohne vordergründige Schockeffekte kommt auch der „Schacht der Toten“ aus, der einem Rettungstrupp aus Freiwilligen zum Verhängnis wird. Wie in den klassischen englischen Gruselgeschichten z. B. eines Algernon Blackwood wird der in der Dunkelheit lauernde Schrecken nur angedeutet oder anhand seiner Wirkung auf die Protagonisten beschrieben. So erfährt der Leser mehr über die Ängste und Vorstellungen der handelnden Personen als über die Schreckgestalten und Geister, die gerade durch ihre Unfassbarkeit nachhaltig im Gedächtnis bleiben. So bleibt auch das Schicksal des kleinen Frederic buchstäblich im Dunkeln, nachdem in der „Geisternacht“ das Licht im Halloween-Kürbis erloschen ist, und die beiden Taucher, die im sagenumwobenen „Loch Ness“ ihrem Schicksal begegnen, schweigen danach ebenfalls für immer. Der Leser trifft auf verlassene Städte, die |so| verlassen nicht sind, auf Pferdefuhrwerke mit gespenstischer Fracht und auf Webseiten, deren Betrachtung den Tod bringt. Neben vertrauten Szenarien insbesondere der klassischen, stets ein wenig spleenig anmutenden englischen Grusel- und Kriminal-Literatur finden sich jedoch auch zahlreiche innovative Geschichten wie „Der Kongress“, in denen sich Erscheinungen der Moderne (hier eine Flugzeugentführung durch Terroristen) mit dem Unheimlichen konfrontiert sehen, was zu überraschenden Wendungen führt. Häufig bindet der Autor auch geschichtliche Ereignisse in die Handlung ein, zum Beispiel in „Langemark“, einer eindrucksvollen Anti-Kriegsgeschichte in der Tradition Remarques und Arnold Zweigs.

Dreißig Geschichten, so düster und unvorhersehbar wie das Wetter im Oktober, erwarten den geneigten Leser in diesem wirklich lesenswerten Band und als Zugabe mit „Elaine“ noch eine Novelle und Hommage an den Altmeister Edgar Allan Poe, in der ein unveröffentlichtes Manuskript des Meisters nicht nur die Sammlerleidenschaft entflammt.

Fazit: Uneingeschränkte Leseempfehlung und Respekt vor der Beharrlichkeit des Autors, der sich auch durch die im heutigen Literaturbetrieb im Grunde zwangsläufigen Enttäuschungen nicht von seinem Weg abbringen lässt.

|350 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
ISBN-13: 978-3-89840-284-2|
http://www.BLITZ-Verlag.de

_[Frank W. Haubold]http://www.frank-haubold.de/ _

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