Melzer, Brigitte – Vampyr

Catherine war vor Jahren aus ihrem Heimatdorf Asgaidh, einem kleinen Kaff im schottischen Hinterland, geflohen, weil sie mit angehört hatte, wie ihr Vater einen Verrat am dortigen Earl plante. Doch nun ist sie zurück, und als erste Amtshandlung rettet sie Martáinn, dem Sohn des damaligen Earls, das Leben, als auf diesen ein Mordanschlag verübt wird. Eigentlich möchte sie unerkannt bleiben, schließlich haftet noch immer der Verrat ihres Vaters an ihr, doch der Hauptmann der Burg Dun Brònach überredet sie, verkleidet als sein Knappe mit ihm zu kommen, um den Attentäter zu identifizieren.

An diesem Punkt verlässt Catherine das Glück: Es stellt sich heraus, dass tatsächlich jemand nach Martáinns Leben trachtet, dass ihr totgeglaubter Vater noch unter den Lebenden weilt (irgendwie jedenfalls) und dass sie in den walisischen Söldner Daeron verliebt ist. Zwischen all diesen Erkenntnissen wird sie von einem Vampir gebissen, verwandelt sich in eine Untote und es wird viel hin- und hergerannt (oder -geritten), um den allgemeinen Übeltäter zu finden. Dazwischen wird immer mal wieder der Geist einer vor zweihundert Jahren verbrannten Hexe, der Ushana, beschworen – offensichtlich einfach, weil ein bisschen Hexenglaube einem Vampirroman, der in den schottischen Highlands spielt, noch den letzten Schliff verleiht.

Brigitte Melzer, ihres Zeichens Fantasy-, Horror- und Historienautorin, hat ein begrenztes erzählerisches Talent, aber sie macht durchaus das Beste daraus. Sie führt solide und verlässlich durch die Handlung, auch wenn ihre Sprache von Zeit zu Zeit ins Blumige abdriftet, was dem Text keineswegs gut tut. In „Vampyr“ hat sie sich vorgenommen, zwei Konzepte zusammenzubringen, die für sich allein in der heutigen Unterhaltungsliteratur echte Renner sind: Da wäre zum einen der Vampirroman, der nie wirklich weg vom Fenster war, aber im Moment durch die Romane von Stephenie Meyer ungemeinen Auftrieb erfährt. Und da wäre zum anderen der in Schottland spielende historische Roman (bekannteste Vertreterin ist sicherlich Diana Gabaldon), der sich solcher Beliebtheit erfreut, dass er mittlerweile eigentlich eine eigene Genrebezeichnung verdient hätte. Eigentlich also sollte „Vampyr“ sowohl die Fans des einen als auch des anderen Genres begeistern, doch irgendwie will der Funke bei der Lektüre nicht überspringen. Woran liegt es?

Da wäre zum einen die Tatsache, dass Melzer ihr schottisches Setting kaum nutzt, und das, obwohl sie offensichtlich ein Fan der Highlands ist und Schottland mehrmals besucht hat. Zwar wirft sie mit unaussprechlichen gälischen Namen um sich und fügt ein Pseudoglossar an, um dem geneigten Leser zu erklären, was ein Kilt ist, aber darin erschöpft sich eigentlich auch schon die Verortung des Romans. Ja, es gibt ein Schloss mit vielen Geheimgängen und zugigen Fluren. Ja, es gibt eine verlassene Burg, in der geheime Rituale abgehalten werden. Und ja, am Rande der Handlung scheinen sich ein paar raue Berge zu befinden, aber all diese Beschreibungen wirken unoriginell und wenig plastisch. Es findet sich nichts Eigenes; nichts, was man so noch nie gelesen hätte – und das ist das Grundproblem des Romans.

Ein wirkliches Interesse am Schicksal der Charaktere will nicht aufkommen. Catherine, die Protagonistin, ist eine Frauenfigur, wie man sie schon in viel zu vielen Romanen gesehen hat. Sie kommt vermeintlich stark daher – immerhin traut sie sich, aktiv ins Geschehen einzugreifen, und tritt für ihre Überzeugungen ein. Doch dahinter verbirgt sich das altbekannte schwache Weibchen – ständig wird sie angegriffen und fällt in Ohnmacht, mit Vorliebe in die starken Arme eines der anwesenden Männer, die ihr selbstverständlich alle zu Füßen liegen. Zwar ist sie anfangs reichlich überrascht, als Daeron ihr seine Liebe gesteht (schließlich hatte er sie in der Vergangenheit ständig an den Zöpfen gezogen und sie geärgert), aber als sie diese Überraschung erst einmal überwunden hat, fällt es ihr natürlich leicht, ebenfalls in unsterblicher Liebe zu ihm zu entbrennen. Von da an wird die Liebesgeschichte vorhersehbar und kitschig, vor allem, als Daeron der frisch vampirisierten Catherine sein Blut als Nahrung anbietet. Die Szene ist ohnehin eher die kaum verhüllte Beschreibung einer Defloration, komplett mit der sich anfangs wehrenden Jungfer, die von ihrem starken Liebhaber zum Glück gezwungen werden muss (immerhin wurde das Konzept kess verdreht, da Catherine den „penetrierenden“ Part übernimmt, also diejenige ist, die ihre Beißerchen ins willige Opfer schlagen darf).

Gerade in solchen Szenen fragt man sich, mit welcher Art Roman man es bei „Vampyr“ nun eigentlich zu tun hat. Auf den ersten Blick scheint es sich um ein Jugendbuch zu handeln – dafür spricht die junge weibliche Heldin, mit der sich gleichaltrige Leserinnen sicherlich identifizieren können (vor allem in den Szenen, die vor Schmelz und unsterblichen Gefühlen nur so überfließen). Allerdings wird Melzer durchaus deutlich, wenn es um die Liebesgeschichte zwischen Catherine und Daeron geht. Die beiden verzehren sich mit solcher Leidenschaft nach einander, dass Daeron auch kein Problem damit hat, in heißer Erregung zu entflammen, als er eigentlich schon ziemlich verblutet und praktisch tot ist. Diese Szenen gehören natürlich eher in einen „erwachsenen“ Roman, doch schafft es Melzer nicht, sich dorthin zu schreiben. Ihre Handlung, ihre Beschreibungen und ihre Charaktere bleiben zu simpel gestrickt, um ältere Leser wirklich fesseln zu können.

„Vampyr“ ist nicht wirklich schlecht: Melzer hat einen grundsoliden Roman geschrieben, der sich aufgrund seiner leicht verständlichen Prosa flüssig lesen lässt. Und doch lässt den Leser die Geschichte um Catherine seltsam kalt: kein Buch zum Wiederlesen.

|271 Seiten, gebunden
Empfohlen ab 14 Jahren
ISBN-13: 978-3-8000-5268-4|

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Außerdem von Brigitte Melzer auf |Buchwurm.info|:
[„Elyria – Im Visier der Hexenjäger“ 4700