Menge, Wolfgang / Roland, Jürgen – Stahlnetz 3: Verbrannte Spuren

_Rätselhaft: die Leiche in der Scheune_

Die Rendsburger Mordkommission ermittelt: In der niedergebrannten Scheune des Bauern Cohrs liegt die Leiche einer Frau. War es ein Unfall, Brandstiftung oder gar Mord? Kommissar Strobel geht der Sache auf der Grund und löst den Fall auf jeden Fall.

Die TV-Serie „Stahlnetz“, die der NDR produzierte, ist vom Design her eine Übernahme der US-Krimiserie „Dragnet“, von der auch die markante Titelmelodie stammt. Doch die Inhalte sind quasi urdeutsch und entstammen deutschen Kriminalakten. Besonderes Kennzeichen von „Dragnet“: nur die Fakten zählen! – Die Tonspur wurde fürs Hörspiel bearbeitet und digitalisiert.

_Die Autoren_

Jürgen Roland (Regie), bekannt u. a. für seine TV-Serie „Großstadtrevier“ und mehrere Kriminalspielfilme, die ihn zu einem Pionier und Mentor der deutschen TV-Krimilandschaft gemacht haben.

Wolfgang Menge (Buch) verarbeitete echte Unterlagen der Kripo und schrieb sie Schauspielern auf den Leib. Er ist besonders bekannt für die Comedy-Serie „Ein Herz und eine Seele“ (mit Heinz Schubert).

Zusammen legten die beiden Pioniere den Grundstein für die Endlosserie „Tatort“ der Fernsehanstalten der ARD. In jeder Folge ermittelt ein neues Kommissarengespann in einer anderen Region Deutschlands, insbesondere in Großstädten.

_Die Mitwirkenden_

Kommissar Strobel: Karl-Georg Saebisch
Kommissar Ahrberg: Peter Lehmbrock
Obersekretär Eismann: Eddi Arent
Herr von Altmann: Robert Meyn
Beate von Altmann: Herta Fahrenkrog
Peter Holtzmann: Klaus Kindler
Frau Poppe: Hela Gruel
Nancy: Susanne von Ratony

In weiteren Rollen:
Egon Mohr, Günter Lüdke, Hans Gosslar, Adolf Hansen, Kurt Klopsch, Friedrich Schütter.

Die Produktionsleitung lag in den Händen von Erich Holder, den Ton steuerte Werner Stumpf, die Aufnahmeleitung hatten Edgar Paeper und Wolfgang Rau inne. Die Hintergrundmusik stammt von Ricardo Zandonai und Pérez Prado, die Titelmusik von Walter Schumann und Ray Anthony – sie ist der amerikanischen TV-Krimiserie „Dragnet“ entnommen.

_Handlung_

„Feuer!“ Eine Scheune brennt, und die Feuerwehr rückt mit Sirenengeheul an, doch es bleibt nicht mehr allzu viel zu löschen. Das Gebäude ist bereits zu stark niedergebrannt. Aber in den verkohlten Resten findet man eine völlig unkenntliche Leiche. Das ruft die Mordkommission Rendsburg auf den Plan. War es ein Unfall oder war das Opfer schon vor dem Brand tot? Das gilt es nun herauszufinden.

Die wichtigste Frage, welche die Kommissare Strobel und Ahrberg sowie ihr eifriger Obersekretät Eismann (Eddi Arent in einer nur halb ernsten Rolle) zu klären haben, lautet: Wer ist das Opfer? Dass es sich bei dem Brand um einen Unfall handelte, scheidet aus, denn es mangels Gewitter gab es auch keinen Blitz. Es war also Brandstiftung. Versicherungsbetrug? Nein, denn dann hätte der Täter keinen Mord riskiert.

Obwohl die Leiche bereits am Abend des 7. März gefunden wurde, braucht die Kripo geschlagene sechs Wochen, um die Identität der weiblichen Toten herauszufinden. In dieser Zeit gibt sich Eismann sogar als Pferdemaler aus, um bei dem Pferdezüchter von Altmann undercover zu ermitteln. Leider haben ihn die Damen des Gestüts schnell durchschaut, denn sein „Pferdeverstand“ tendiert gegen Null.

Während nach der Exhumierung der Leiche, die der Staatsanwalt angeordnet hat, diese nochmals von einem Spezialisten untersucht wird, begutachtet ein weiterer Helfer die in den Trümmern der Scheune gefundenen Sachen. Darunter ist ein Buch von Gustav Freytag: Doch „Soll und Haben“ besteht aus zwei dicken Bänden, es liegt nur der zweite Band vor. Warum sollte jemand zwei solche Schwarten auf einen Kurztrip mitnehmen? Das ergibt keinen Sinn.

Der Sinn ergibt sich jedoch sofort, als der Kieler Spezialist das Opfer genauer identifiziert und eine Vermisstenmeldung aus Hamburg eingeht. Die junge Dame wollte nicht aufs grüne Land fahren, das nicht mal eine Stunde entfernt liegt. Nein, sie wollte nach Zurüch, zu ihrem Verlobten, und dafür brauchte sie die zwei Bücher. Leider sollte die Schwangere dort nie ankommen.

Der Name führt zum Arbeitsplatz, und dort findet sich ein Mann, der die Tote sehr gut kannte. Aber: War es wirklich Mord – oder doch etwas ganz anderes?

_Mein Eindruck_

|Bones|

„Verbrannte Spuren“ ist kein Fall aus dem damaligen Lehrbuch des Jahres 1960: Erst muss in mühsamer Arbeit das verkohlte Opfer halb identifiziert werden. Das wäre eine hübsche Aufgabe für jedes CSI-Team gewesen, und Kathy Reichs hätte sicher einen erfolgreichen Bestseller plus einen TV-Krimi darüber schreiben können. Doch die eigentliche Identität wird erst durch die Vermisstenmeldung aus Hamburg feststellbar. Natürlich müssen die Spuren, die beim Opfer gefunden wurden, noch identifiziert werden – kennt man ja.

|Kontrastprogramm|

Doch diese harte kriminalistische Praxis stellt der Drehbuchautor dem scheinbar so friedlichen Landleben gegenüber: Pferdegestüt, Ackerbauern, reetgedeckte Häuser und Scheunen. Doch die Idylle trügt: Hier wurden in drei Monaten sieben Menschen als verschwunden gemeldet. Und wie sieht es mit Brandstiftung und Versicherungsbetrug aus? Der Besitzer der Scheune, Bauer Cohrs, wird halb im Scherz als „Brandstifter“ bezeichnet, was diesen sicher nicht gerade freut. Davon könnte ja was hängen bleiben.

|Charme|

Ein netter dramaturgischer Einfall ist die Undercover-Ermittlung des Polizeiobersekretärs (seltsamer Titel) Eismann. Er tritt als völlig ahnungsloser Pferdemaler auf, natürlich auf dem Gestüt eines gewissen Herrn von Altmann. Wieso der Kommissar aber ausgerechnet Altmann verdächtigt, leuchtete mir nicht ein. Altmann hat sich nur angelegentlich nach dem Scheunenbrand und dem Opfer erkundigt, das ist alles. Das macht ihn doch nicht verdächtig. Aber es passt gut in die Dramaturgie, dass Altman eine hübsche Tochter und diese eine noch hübschere Freundin namens Nancy hat. Da kann Eismann – nomen non est omen – seinen Charme spielen lassen.

|Kritischer Ansatz|

Der Grund für das Zutodekommen der jungen Frau aus Hamburg ist das damals geltende Verbot einer Abtreibung. Sie hätte das uneheliche Kind – sie verlobt, er verheiratet – wegmachen müssen. Das wollten oder konnten beide Elternteile nicht, und so wollten sie sich umbringen. Das klappte nicht so ganz. Mehr sei nicht verraten. – Aber dass die Abtreibung verboten war, kritisieren der Drehbuchautor und sein Film implizit: Das Verbot fordert Opfer, die bei einer Legalisierung der Abtreibung hätten vermieden werden können.

|Sprecher & Inszenierung|

Die Geräusche sind wie aus dem richtigen Leben und so, wie man sie aus einem normalen Fernsehkrimi kennt. Allerdings hört man solche Klänge wie hier nicht mehr allzu häufig. Denn die Handlung beginnt draußen auf dem Lande. Hier zwitschern die Vögel und klappern die Pferdehufe, und stetig weht eine sanfte Brise übers platte Land. Einen Übergang bilden bereits die Bahnhofsgeräusche: eine Dampflokomotive fährt im Hintergrund vorüber.

Das ändert sich natürlich, wenn das Polizeirevier mit seinem Schreibmaschinengeklapper die Szene stellt, oder auch mal eine Kneipe mit ihren Skat klopfenden Kartenspielern. Schließlich landen unsere Kriminaler sogar im geschäftigen Hamburg, und hier ist im Hintergrund quasi die Hölle los. Doch sobald sie ihren Kandidaten gefunden haben, führt die Handlung wieder zurück an den Ausgangspunkt: Es wird eine Rekonstruktion des Tathergangs ausgeführt. Ein Hund heult gar schaurig im Hintergrund, dass man glauben möchte, die Götter hätten den Weltuntergang beschlossen. Nun, für den Täter ist das Gefühl seiner Niederlage nicht viel anders.

Die Sprecher der zwei Kommissare – wieso brauchen die überhaupt zwei? – konnte ich überhaupt nicht auseinanderhalten, obwohl sogar einer der beiden als Erzähler fungiert. Ahrberg hielt ich für Strobel und umgekehrt – ihre Stimmen sind sich einfach viel zu ähnlich. Hingegen gelang es mir nach einer Weile, die wesentlich hellere Stimme von Eddi Arent herauszuhören. Arent war danach regelmäßig in den deutschen Edgar-Wallace- und Winnetou-Verfilmungen zu sehen und trug dabei stets das humorvolle, komische Element bei. In „Stahlnetz“ muss er sich jedenfalls sehr anstrengen, keine Lachnummer abzugeben, aber dass er einen ironischen, ja sogar sinnlichen Aspekt – er wird von zwei hübschen Damen umschwärmt – beiträgt, verleiht der Handlung ein entspannendes Element.

Die übrigen Sprecher sind mir kaum in Erinnerung geblieben, aber es gibt zwei bekannte Stimmen, die wir aus in den sechziger Jahren synchronisierten Fernsehserien kennen. Die eine Stimme gehört Klaus Kindler, der den Peter Holtzmann, den heimlichen Freund der Toten, spielt. Die andere gehört jenem Schauspieler, der den Rechtsmediziner in Kiel spricht, dem aber im Booklet kein Name zugeordnet wird. Er hat eine markante, tiefe Stimme, die später in Fernsehwestern zu hören war.

_Unterm Strich_

Auf dem Lande, da gibt es durchaus Sünden. Und eine der damals schlimmsten Sünden war eine Abtreibung. Ein junges Liebespaar, beide schon gebunden, muss den Preis für die rigiden Gesetze der damaligen Zeit zahlen – sie sehen keinen anderen Ausweg als den Freitod.

Mit dieser Episode der erfolgreichen TV-Krimiserie greift das Erfolgsteam aus Jürgen Roland (Regie) und Wolfgang Menge (Autor) ein für uns heute unvorstellbares Tabu an: das Abtreibungsverbot. Es gab ja damals noch nicht einmal die Pille für die Frau – und alles davor kommt uns wie finsterstes Mittelalter vor. Roland und Menge wollten zumindest den Finger in die Wunde legen und das tabuisierte Problem ins Bewusstsein heben. Ob danach etwas an den Gesetzen geändert wurde, wäre Gegenstand einer politologischen oder juristischen Recherche.

Wer sich also zunächst an der heiteren Landidylle erfreut, die am Anfang und in der Mitte aufscheint – mit Eddi Arent im Mittelpunkt -, der wird am Schluss mit einer ganz anderen Wirklichkeit konfrontiert. Eine, die unsichtbar ist und sich nicht für Postkartenbilder eignet, aber dennoch regelmäßig ihre Opfer gefordert haben muss.

|Die Serie|

Die Serie lieferte den deutschen TV-Zuschauern sowohl Unterhaltung als auch Dokumentation. Diese Kombination stieß ab 1958 auf ein enormes Echo und verschaffte dem Rezept eine lange Lebensdauer.

Die Tonqualität kann sich durchaus hören lassen. Stellenweise ist zwar bei großer Lautstärke noch das berüchtigte Knistern zu hören und die ganze Chose erklingt in Mono- statt Stereoton, aber im Großen und Ganzen erweist sich die digitale Überarbeitung als wahrer Segen für die Rettung solcher Schätzchen – ein Beleg dafür, dass schon damals das deutsche Fernsehen zu guten Leistungen in der Lage und nicht mehr unbedingt auf den Import ausländischer Krimikost wie „Dragnet“ oder „Kommissar Maigret“ angewiesen war.

|64 Minuten auf 1 CD|
http://www.audioverlag.de
Stahlnetz 1: [„Das 12. Messer“ 3394
Stahlnetz 2: [„Das Haus an der Stör“ 3430
Stahlnetz 4: [„Saison“ 3434