Miller, Wade – Mord unterm Karussell

_Das geschieht:_

Die Lösung seines letzten Falls kostete drei Menschen das Leben, bescherte ihm Albträume und eine tiefe Abscheu vor Waffen. Seither übernimmt Privatdetektiv Max Thursday im südkalifornischen San Diego nur noch kleine und ungefährliche Aufträge. Sein aktueller Klient bestellt ihn kurioserweise in den Vergnügungspark „Joyland“, wo er in der Riesenschaukel auf ihn warten soll. Von dort muss Thursday mit ansehen, wie der junge Chinese David Song aus einem fahrenden Auto erschossen wird.

Leutnant Clapp von der Mordkommission übernimmt den Fall. Bei der Leiche findet sich ein Zettel, der darauf hinweist, dass Song einen unbekannten Mann namens Leon Jagger beschattet hat. Thursday will sich heraushalten, doch noch in der Mordnacht entführt ihn Davids Schwester Nancy mit Waffengewalt zum trauernden Vater Song Lee, der den Detektiv, der allmählich neugierig wird, tatsächlich engagieren kann.

Der unglückliche David pflegte zu Lebzeiten üblen Umgang. Er war dem Glücksspiel verfallen und ist offenbar in einen Gangsterkrieg zwischen Larson und Ulaine Tarrant, die brutal über ihr kriminelles Imperium herrschen, und dem Eindringling Jagger, der sein Stück vom Kuchen fordert, geraten ist.

Zwar hofft Thursday, er könne sich aus dem Konflikt heraushalten und trotzdem Davids Namen reinwaschen, doch rasch muss er bemerken, dass die ohnehin nervösen Verbrecher auf sein vorsichtiges Stochern sehr ungehalten reagieren: Versucht der Detektiv ihnen jeweils im Auftrag der Gegenseite einen Mord unterzuschieben? Sie schicken ihre Schergen aus, die Thursday eindringlich ‚befragen‘, worauf dieser, der hartnäckig weiter ermittelt, beschließt, den Schwur auf Waffenverzicht zugunsten einer Verlängerung seines Lebens zu brechen …

|Krimi-Spannung mit lässiger Eleganz|

Viel zu viele Krimis gibt es, die von der Zeit eingeholt und unter ihr begraben wurden, ohne dieses Schicksal zu verdienen. Die Klassiker Chandler, Hammett oder MacDonald werden nicht nur hierzulande immer wieder aufgelegt. Doch was ist mit den Pechvögeln, die keine Fürsprecher und Verlage finden, obwohl sich ihre Werke durchaus sehen bzw. lesen lassen?

Die Max-Thursday-Romane wurden von der zeitgenössischen US-Kritik nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern gelobt. Auch heute genießen sie ihr Renommee, und sie müssen auch in Deutschland mindestens von den Lesern zur Kenntnis genommen worden sein, denn sie sind sämtlich hierzulande erschienen. Ihre inhaltlichen wie formalen Qualitäten lassen eine Neuauflage wünschenswert erscheinen, die indes wohl nur ein Wunsch dieses Rezensenten bleiben wird.

Was ist es nun, das dieses Buch so lesenswert macht? Da ist vor allem ein Plot, der täuschend einfach wirkt aber – so gehört es sich – in die Irre führt, sodass die leicht irrwitzige aber logische Auflösung angenehm überraschen kann. Miller weiß sein Garn zu spinnen, Langeweile kommt nie auf, auch wenn so manche detektivische Ermittlung ins Leere läuft: Das gehört zum Job.

|Stimmung und Zeitkolorit|

Ein Umstand, den Miller einst womöglich für selbstverständlich hielt, hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte wie eine Vergoldung über seinen Roman gelegt: „Mord unterm Karussell“ besticht durch seine Atmosphäre. Das Buch spielt in einem Land, das den II. Weltkrieg zwar gewonnen aber noch nicht überwunden hat. Immer wieder lässt Miller die historische Gegenwart der frühen 1950er Jahre einfließen. „Joyland“ ist ein Relikt der hektischen Kriegsjahre, als Soldaten und Arbeiter in der Kriegsindustrie sich nach hartem Kampf oder Doppelschichten im Betrieb die kurze Freizeit vertreiben wollten. Die taffe Reporterin Merle Osborn gehört zu den wenigen Frauen, die nach 1945 noch nicht wieder in die Hausarbeit entlassen wurden, nachdem sie zuvor gut genug waren die in Übersee kämpfenden Männer in allen möglichen Berufen zu vertreten. Max Thursday hat selbst an der Front gedient und seine geistige Gesundheit dabei eingebüßt (s. u.)

In den klassischen, tief ’schwarzen‘ Film-Krimis dieser Ära lässt sich die Stimmung noch erfassen, die „Mord unterm Karussell“ auszeichnet. Damals muss dieser Roman sehr modern gewirkt haben. Auch heute erfreut die Abwesenheit so mancher zeitgenössischen Klischees. Die Übersetzung konnte dies bewahren und einen uralten, nur noch auf Flohmärkten zu findenden Dutzendkrimi in ein echtes, angenehm überraschendes Lektürevergnügen verwandeln.

|Das Leben kennt keine Gewinner|

Max Thursday gehört einerseits zu den geradezu klassischen Privatdetektiven: ein harter, unbestechlicher Schnüffler, der stets der Wahrheit den Vorzug vor einem bequemen Leben gibt und folglich von einem Fall auch dann nicht lassen kann, wenn dieser ihm wenig Geld aber viel Ärger bringt.

Andererseits kündigt sich mit Thursday schon ein neuer, zeitgemäßer Detektiv an, der nicht nur zum Gangsterjagen auf der Welt ist. Der II. Weltkrieg ließ auch die Unterhaltungsindustrie nicht unberührt. Zwar hatten die USA ‚gewonnen‘, doch der Preis war hoch gewesen, und nun schien man auf einen Krieg mit der Sowjetunion zuzusteuern, der jederzeit heiß werden konnte. Die Ideale der Vergangenheit hatten sich als Illusion erwiesen. Im Kino wurden nach 1945 die Krimis der „Schwarzen Serie“ zu einem eigenen Genre. Die Sünden und Schmerzen der Vergangenheit lasten hier schwer auf allen Protagonisten, denen das Schicksal nichts als Tod oder weitere Enttäuschung zu bieten scheint. Nichts ist mehr Schwarz oder Weiß, alles ist Grau.

|Vom Leben gebeutelt|

Max Thursday gehört zu denen, die nicht als siegreiche Helden, sondern als nervliche Wracks aus dem Krieg heimkehrten. Die Erinnerung daran, was er erleben und tun musste, hat ihn geprägt. Thursday will vor allem seine Ruhe, aber dafür hat er sich natürlich den falschen Job ausgesucht. Wieder ist da besagtes Schicksal, das ihn genretypisch stets dorthin führt, wo ihn wieder die fatale Entscheidung erwartet: Soll ich davonlaufen oder weitermachen? Selbstverständlich entscheidet sich Thursday für Nr. 2; er kann nicht anders, und Verfasser Wade Miller arbeitet heraus, dass genau dies auch Thursdays Problem ist. Er wird nie aufgeben und deshalb weiter verletzt werden. Dafür ‚belohnt‘ wird er mit Depressionen und Alkoholsucht.

Auch Merle Osborn kann so, wie sie Miller schildert, nur in ihrem Umfeld existieren. Sie hat die Grenzen einer alten gesellschaftlichen Schichtung überschritten, ist dank des Krieges in eine Männerdomäne vorgedrungen. Miller ist zu sehr Kind seiner Zeit, als dass er dies letztlich gutheißen könnte. So sehnt sich Osborn durchaus nach einer starken Schulter, an die sie sich in der Krise anlehnen kann. Bis es soweit – aber ohne Garantie eines Gelingens – ist, schlägt sie sich jedoch wacker und stellt eine echte Bereicherung des Figurenpersonals dar, das Miller auch sonst mit viel Liebe zum überzeugenden bis leicht absurden Detail zu zeichnen weiß.

_Autoren_

Wade Miller ist das Pseudonym des Autorenduos Robert Allison Bob Wade (geb. 1920) und H. Bill Miller (1920-1961). Die beiden seit Schultagen unzertrennlichen Freunde debütierten 1947 mit „Guilty Bystanders“, dem ersten Roman der Serie um den Privatdetektiv Max Thursday, die von der Kritik zu den besten ihrer Zeit gezählt wird. In den nächsten anderthalb Jahrzehnten schrieben Wade & Miller als „Wade Miller“ aber auch als „Will Daemer“, „Dale Wilmer“ und „Whit Masterton“ mehr als dreißig Romane, von denen immerhin neun verfilmt wurden. Unter diesen Filmen ragt hoch der Noir-Klassiker „Touch of Evil“ heraus, den 1958 Orson Welles mit Charlton Heston, Janet Leigh, Marlene Dietrich und sich selbst in den Hauptrollen inszenierte.

Als Miller 1961 völlig überraschend einem Herzanfall erlag, schrieb Wade im Alleingang weiter, beschränkte sich jedoch zukünftig auf das Pseudonym „Whit Masterton“. Sein bisher letzter Roman erschien 1979. Dem Krimigenre ist er jedoch als kundiger Spezialist und Autor der Kolumne „Spadework“ verbunden geblieben.

|Taschenbuch: 170 Seiten
Originaltitel: Fatal Step (New York: Signet 1948)
Übersetzung: A. B. Noack|
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