Millet, Catherine – sexuelle Leben der Catherine M., Das

Es scheint, als ob es modern sei, sein Sexualleben der breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. Bereits vor der „sizilianischen Lolita“ Melissa P. hat die französische Kunstkritikerin und Chefredakteurin einer Kunstzeitschrift Catherine Millet ihren Rückblick auf die wilden Jahre mit dem Titel „Das sexuelle Leben der Catherine M.“ veröffentlicht.

Da ich das Buch im Kontext mit den Werken der kleinen Italienerin las, kam ich nicht umhin, beide zu vergleichen. Ist das gerecht? Schließlich bestehen beinahe vierzig Jahre Altersunterschied zwischen den beiden und dementsprechend gesetzter und weiser kann Madame Millet über ihre Eskapaden schreiben.

Was allerdings nicht zwangsläufig bedeuten soll, dass ihr Buch spannender ist. Inhaltlich hat es beinahe noch weniger zu erzählen als „Mit geschlossenen Augen“, wo wenigstens etwas Abwechslung vorkommt. Der Fokus von Catherine Millets Sexleben liegt hauptsächlich auf (analem) Verkehr in allen möglichen Varianten und Orten mit einer variierenden Anzahl von Männern und Frauen.
Glücklicherweise erzählt sie nicht chronologisch, sondern nach Themen geordnet, was immerhin ein wenig Abwechslung schafft. Außerdem erzählt sie mit einer angenehmen Distanz, die es ihr erlaubt, subjektiv zu werten und zu kommentieren. Es findet sehr viel Selbstreflexion statt, ohne selbstzerstörerisch oder unaufrichtig zu wirken. Im Gegenteil. Millet erzählt ohne Scham und Reue von ihrem früheren Sexualleben und wirkt trotz des expliziten Inhalts reif und selbstbewusst.

Dazu trägt sicherlich bei, dass Millet sich nicht auf die bloße Beschreibung der Szenen verlässt, sondern sie teilweise in einen allgemeineren Kontext setzt, mit der Meinung der Gesellschaft vergleicht oder gar eine kleine psychologische Selbstanalyse wagt. Wie gesagt, das trägt dazu bei, dass „Das sexuelle Leben der Catherine M.“ sehr interessant wird, aber auch sehr sympatisch. Manchmal hat man eher das Gefühl, persönlich ein Interview mit der Autorin zu führen als eine Autobiografie zu lesen. Einige Stellen werden fast schon philosopisch, wenn sie zum Beispiel darüber redet, was Paarbeziehungen in ihren Augen ausmacht.

|“Aus diesen Notizen ziehe ich zwei Schlüsse. Erstens bringt ein jeder in seine Paarbeziehung seine eigene Begierde und seine Fantasien ein, und beide verbinden sie in gemeinsamen Angewohnheiten. Dabei verändern sie sich, passen sich einander an, je nach der von jedem Einzelnen erwarteten Konkretisierung übertreten sie die Grenze zwischen Traum und Realität, ohne an Intensität zu verlieren.“| (Seite 151)

Wie man sieht, erzählt Millet in einer geradlinigen, nüchternen Sprache, die weniger wie Prosa denn manchmal sogar wissenschaftlich wirkt. Das verstärkt das Gefühl der Distanz natürlich noch. An der Art, wie sie mit der Sprache umgeht, ohne dabei hochgestochen zu klingen, aber trotzdem ein hohes Niveau zu halten, erkennt man, dass sie sich durch ihre Arbeit als Chefredakteurin damit auskennt, den Leser zu unterhalten, ihn zu fordern, aber nicht zu überfordern. Ich empfand diesen Schreibstil als sehr gelungen, da er leicht verständlich, aber dennoch intellektuell ist.

Das Buch wurde bei seinem Erscheinen heiß diskutiert. Millet selbst gibt im Vorwort einen Einblick in die Diskussionen, die sie auslöste. Millet als „Schlampe“ oder „Nymphomanin“ (Seite 16) zu bezeichnen, kann ich nicht so ganz nachvollziehen, denn wer dermaßen distanziert über seine Erlebnisse schreibt, wirkt alles andere als vulgär, sondern vielmehr intelligent. Eben gerade die Selbstreflexion und die nüchterne Erzählweise bar aller reißerischen Beschreibungen lassen „Das sexuelle Leben der Catherine M.“ eher zu einem akademischen Bericht als zu Pornografie werden.

Doch auch wenn ich das Buch in diesem Bezug in Schutz nehme – das tröstet nicht darüber weg, dass viele Wiederholungen und nur wenig konkreter Inhalt es stellenweise zu einem zähen Leseerlebnis werden lassen. Selbst der sympathische Schreibstil hilft da nicht immer. Trotzdem liest sich „Das sexuelle Leben der Catherine M.“ wesentlich angenehmer als die Sexbeichte unserer kleinen „sizilianischen Lolita“ – und hat auch wesentlich mehr Seiten!

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