Mills, Mark – siebte Stufe, Die

_Das geschieht:_

Auf der Suche nach einem Thema für seine Doktorarbeit reist Adam Strickland, Student der Kunstgeschichte, im Sommer des Jahres 1958 nach Italien. Dort besitzt eine alte Freundin seines Professors, Signora Francesca Docci, in den Bergen der Toskana bei Florenz ein Landhaus, zu dem ein Garten gehört, den der Erbauer der Villa im 16. Jahrhundert im Gedenken an seine früh verstorbene Ehefrau errichten ließ.

Abweichungen in der ihm wohlbekannten Formensprache der Renaissance verraten Strickland, dass die mit dem Garten verbundene Geschichte einer unsterblichen Liebe ein bisher unbekanntes und wohl auch hässliches Element besitzt. Das gilt offenbar ebenso für die gegenwärtige Docci-Generation, die Strickland im Verlauf seiner Forschungen so gut kennenlernt, dass ihn Francesca, die trotz Krankheit ihre Familie fest im Griff hat, in der Villa wohnen lässt.

Dort erfährt Strickland von einer düsteren Begebenheit der unmittelbaren Vergangenheit. 1944 wurde Emilio, Francescas ältester Sohn, angeblich von deutschen Besatzern im Obergeschoss der Villa erschossen. Strickland, der in der Familienbibliothek eigentlich nach Hinweisen auf den Gedenkgarten sucht, entdeckt jedoch Hinweise auf ein gut vertuschtes Familiendrama. Gemeinsam mit Antonella, der schönen Enkelin Francescas, und seinem inzwischen angereisten Bruder Harry verschafft sich Adam Zugang in das seit der Tragödie unberührten weil verriegelten Obergeschoss. Während er das Rätsel des Gartens lüftet, findet er heraus, was 1944 tatsächlich geschah.

Während Strickland für seine Leistung als Historiker großes Lob erfährt, beobachtet der noch sehr lebendige Mörder Emilios, wie der junge Mann der Wahrheit immer näher kommt. Da Strickland es im Umgang mit den lebenden Schurken an gebotener Zurückhaltung fehlen lässt, bringt er sich in Gefahr, als er seinem naiven Drang nach Gerechtigkeit nachgibt …

_Erkenntnissuche birgt Risiken_

Mark Mills ist offenkundig ein Autor mit Ehrgeiz. „Die siebte Stufe“ präsentiert nicht nur zwei Plots, die kunstvoll miteinander verwoben werden, sondern spielt auch noch in einer unaufdringlich und überzeugend heraufbeschworenen Vergangenheit. Darüber hinaus erzählt Mills von einem jungen, recht unbedarften Mannes, den das Erlebte merklich reifen lässt: „Die siebte Stufe“ wird zum „coming-of-age“-Roman – inklusive Liebesgeschichte.

Erfreulicherweise zeigt sich der Verfasser seinem Projekt durchweg gewachsen. „Die siebte Stufe“ liest sich spannend, die Figuren wirken lebendig, und auch stilistisch legt Mills die Latte hoch auf: Dies ist kein Buch, das sich zur Lektüre im Halbschlaf eignet. Die Geschichte fordert Aufmerksamkeit, aber die verdient sie auch. Mills sitzt außerdem nie auf einem hohen Ross; wenn er beispielsweise die vorder- und hintergründigen Motive der im Gedenkgarten aufgestellten Skulpturen erläutert und in Beziehung zu Dantes „Inferno“ setzt, versteht man ihn auch ohne eigenes Studium der Kunst- und Literaturgeschichte. Mills doziert nicht, er lässt keine Nebenfiguren in Vertretung des Lesers Fragen stellen, sondern die notwendigen Informationen in die Handlung einfließen.

Die ist trotz eines ‚gedoppelten‘ Plots zwar komplex, aber nie kompliziert. Das Rätsel des Gartens und das Geheimnis der Doccis besitzen keine unmittelbaren Berührungspunkte, da vier Jahrhunderte sie trennen. Die Parallelen gehen allein auf Mills zurück. Sie dienen ihm als Aufhänger für die Illustrationen eines nur scheinbar banalen Sprichworts: Schlafende Hunde sollte man nicht wecken!

_Auch sehender Eifer schadet nur_

Diese Erkenntnis fehlt noch im Erfahrungsschatz von Adam Strickland, der außerdem als Beobachter und Katalysator für eine in ihrem Fortgang erstarrte Tragödie auftritt. Mit seinen 22 Jahren wirkt Strickland zunächst harmlos. Von diesem Eindruck lassen sich auch die Doccis täuschen, die ihn sogar in ihr Haus einladen – eine Nähe, die sie seit den Ereignissen von 1944 selbst ihren Nachbarn nicht mehr gestatteten.

Zunächst beschränkt sich Strickland auch brav auf den Garten. Aber bereits hier bricht sich seine in der Unscheinbarkeit getarnte Intelligenz Bahn. Strickland ist der geborene Historiker. Er vermag Indizien zu finden und zu deuten, indem er sie in Relation mit bereits fixiertem Wissen zu setzen vermag. In diesem Punkt gleicht der Historiker dem Kriminologen: Dies ist eine Korrespondenz, derer sich Mills einfallsreich bedient. Unmerklich geraten Strickland Hinweise auf ein zweites Rätsel unter die Augen.

Dieses Rätsel ist nicht Jahrhunderte alt, sondern ‚frisch‘. Was das bedeutet, vermag Strickland erst zu spät zu erkennen. Ein uralter Mord ergibt eine interessante Geschichte, doch ein ungesühnter Mord bringt den noch lebenden Täter in Gefahr. Diesen Aspekt des Ent-Rätseln unterschätzt Strickland sträflich. Nicht nur er zahlt seinen Preis dafür. Er bringt Ereignisse zur Fortsetzung, die 1944 in einen Dornröschenschlaf versanken. In anderthalb Jahrzehnten haben sie ihre Sprengkraft nicht verloren.

_Idylle mit Fußangeln_

Die Toskana ist als Schauplatz fast zum Klischee geronnen. Viel zu viele Autoren beschränken sich darauf, die traumhafte Schönheit der Landschaft zum Inhalt ihrer Geschichten zu machen. Auch Mills hebt die Vorzüge von Land und Leuten hervor. Er sieht freilich hinter die Kulissen. Seine Geschichte siedelt er in einer seit jeher unruhigen Region an: Schon Dante Alighieri (1265-1321), sondern auch Niccolò Machiavelli (1469-1527) – deren Werke für „Die siebte Stufe“ von Bedeutung sind – mussten sich in die toskanische Verbannung begeben. 1958 ist die verschlafene Toskana längst nicht zur Ruhe gekommen. Im II. Weltkrieg bereiteten sich die nazideutschen Truppen hier auf die Entscheidungsschlacht mit den vorrückenden Alliierten vor. In den Bergen lauerten patriotische Partisanen. Ebenso patriotisch waren italienische Faschisten, die mit den Deutschen gemeinsame Sache machten. Der weltanschauliche Riss zog sich oft durch ein und dieselbe Familie. Nach dem Krieg rechneten die ‚Sieger‘ mit den ‚Kollaborateuren‘ ab und legten das Fundament für neue Bitterkeit, während eine echte politische Aufarbeitung der Mussolini-Ära ausblieb.

Immer wieder trifft Strickland Männer und Frauen, die noch eine Rechnung offen zu haben glauben. Unfreiwillig zündet der junge Fremde die schwelende Lunte wieder an. Die Macht der Tradition bleibt ihm fremd, obwohl er es aus dem Studium des Gedenkgartens besser wissen müsste: In der Toskana lässt man sich für die Rache Zeit. Bis er das begriffen hat, vergeht glücklicherweise einige Zeit und ist ein hindernisreicher Prozess, dem wir dieses unterhaltsame Buch verdanken.

_Der Autor_

Mark Mills (geb. 1963) studierte Kunstgeschichte in Cambridge. Nach seinem Abschluss 1986 arbeitete er als Drehbuchautor; auf seinen Vorlagen basieren u. a. die Filme „The Lost Son“ (1999, dt. „Der Zorn des Jägers“) und „The Reckoning“ (2003, dt. „Das dunkle Geheimnis“).

Als Romanautor debütierte Mills 2004 mit „Amangasett“ (auch „The Whaleboat House“, dt. „Netz der Lüge“). Im Gewand der Historienkrimis verband er meisterhaft eine spannende Handlung mit einem Gesellschafts-Panorama; die britische „Crime Writers Association“ kürte „Netz der Lüge“ zum besten Roman des Jahres 2004. Ähnlich begeistert nahmen Kritik und Publikum Mills nächste Romane auf.

Mit seiner Familie lebt und arbeitet Mark Mills in Oxford.

_Impressum_

Originaltitel: The Savage Garden (London : HarperCollins 2007/New York : G. P. Putnam’s Sons 2007)
Übersetzung: Anke u. Eberhard Kreutzer
Deutsche Erstausgabe (geb.): April 2009 (Karl Blessing Verlag)
384 Seiten
EUR 19,95
ISBN-13: 978-3-89667-245-2
http://www.randomhouse.de/blessing

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