Mina, Denise – Hintermann, Der

Täglich drei harte Eier, Grapefruit und schwarzer Kaffee, und schon wird man pro Woche drei Kilo leichter. Klingt verlockend, diese Eierdiät, die Paddy Meehan, die Protagonistin in Denise Minas Buch „Der Hintermann“ seit einiger Zeit ausprobiert, um die überschüssigen Pfunde loszuwerden.

Bei der Diät ist Paddy leider so erfolgreich wie bei ihrer Arbeit als Mädchen für alles in der Zeitungsredaktion der „Scottish Daily News“ im Glasgow der achtziger Jahre. Eigentlich möchte sie Journalistin werden, aber ihre Beschäftigung besteht hauptsächlich darin, dem Chefredakteur Bier aus dem nahen Pub zu holen. Doch das junge Mädchen bekommt seine Chance, als der dreijährige Brian Wilcox brutal ermordet an einer Eisenbahnlinie gefunden wird. Als Verdächtige ermittelt man zwei Elfjährige. Einer von ihnen ist der Cousin von Paddys Verlobtem Sean, wie sie ihrer Kollegin Heather anvertraut. Heather, eine hübsche Studentin mit Ambitionen, nutzt diese Tatsache aus und bringt eine reißerische Story über die heruntergekommene Familie des Verdächtigen.

Das bleibt natürlich nicht ohne Folgen für Paddy. Ihre streng katholische Familie einschließlich ihres Verlobten ist fest davon überzeugt, dass sie den Artikel geschrieben hat. Paddy, von allen Menschen, die sie liebt, alleine gelassen, beschließt zu beweisen, dass dieser brutale Mord nicht von zwei Elfjährigen begangen worden sein kann. Bei ihrer Recherche stößt sie auf einen Fall von Kindsmord, der bereits acht Jahre zurückliegt und ein ähnliches Muster wie der Brian-Cox-Fall aufweist. Damals hatte man den Stiefvater des toten Jungen verurteilt, obwohl er standhaft behauptet hatte, unschuldig zu sein. Paddy fühlt, dass hier etwas nicht stimmt. Sie begibt sich auf die Spurensuche und befragt die Mutter des vor acht Jahren ermordeten Kindes. Bald stellt sich heraus, dass ihr gewisse Personen bei beiden Fällen begegnen. und sie beginnt, Parallelen zu ziehen. Doch da wird Heather, deren Namen Paddy bei ihren „Ermittlungen“ benutzt, ermordet aufgefunden. Als Paddy erkennt, dass sie das eigentliche Opfer gewesen wäre, wird ihr klar, was für Dreck sie mit ihrer Suche aufgewühlt hat …

„Der Hintermann“ ist eines dieser Bücher, die erst nach einer Aufwärmphase richtig gut werden. Der Anfang jedenfalls lädt eher dazu ein, den Thriller wieder aus der Hand zu legen. Denise Mina hält sich mit Hintergrundinformationen munter zurück. Sie wirft den Leser direkt ins Geschehen, und das ist in einem Buch, das vor zwanzig Jahren in einem Land spielt, dessen Verhältnisse nicht jeder kennt, nicht unbedingt der Königsweg. Die strikten Regeln des Katholizismus und die Feindschaft mit den Protestanten ist gerade für jemanden, der nicht mit den Sitten Schottlands vertraut ist, anfangs schwer verständlich. Mina fügt kaum Erklärungen an, das meiste muss sich der Leser selbst zusammenreimen.

Es ist hilfreich, dass die Hauptperson Paddy Meehan den Katholizismus in Frage stellt. Dadurch werden immerhin einige Dinge klar, auch wenn das eher beiläufig geschieht. Anfangs fällt es schwer, Zugang zu dem pummeligen, stets etwas melancholischen Mädchen zu finden, doch mit der Zeit wächst Paddy dem Leser ans Herz. Frei nach dem Motto „Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert“ befreit sie sich mit dem Erscheinen des Zeitungsartikels von sämtlichen Fesseln, die sie vorher gehalten haben. Ihre Familie ignoriert sie als Reaktion auf den Artikel, ihr Verlobter möchte nichts mehr von ihr wissen. Paddy hat nichts zu verlieren und wirft sich deshalb mit vollem Elan ins Leben. Das verändert sie nachhaltig und rückt ihre Zukunftsvorstellungen zurecht. Das Mädchen entwickelt im Verlauf der Geschichte ein neues Selbstvertrauen, so dass sich der einst konturlose Teenager immer mehr zu einer selbstbewussten Persönlichkeit wandelt.

Ähnliches gilt für die Geschichte, die Mina erzählt. Sie beginnt holprig und irgendwie konventionell – ein Mord passiert, eine Außenseiterin kommt der wahren Lösung auf die Spur -, doch mit der Zeit kommt eine sehr angenehme Atmosphäre auf, die zu der grauen Stimmung im trüben Glasgow passt. Trotzdem hängt das Buch bis zur Mitte ein wenig durch. Es passiert zu wenig Spannendes und Paddys Ermittlungen machen kaum Fortschritte. Wirklich rasant wird es nie, aber gegen Ende folgen die Ereignisse immerhin so dicht aufeinander, dass es nicht langweilig wird.

Der Erzählstil passt zu der gedrückten Stimmung, die im Buch vorherrscht und auf weiten Strecken auch Paddy anhängt. Einfach, auf das Vokabular eines jungen Mädchens abgestimmt, erzählt Mina aus Paddys Perspektive. Aufgrund des Anspruchs ihres Schreibstils ist „Der Hintermann“ dennoch nicht wie ein Jugendbuch geschrieben. Auffällig ist die Art der Autorin, auch unwichtig erscheinenden Kleinigkeiten Raum zu geben, so dass die Geschichte an vielen Stellen sehr ausgefeilt wirkt, was ihr nur zugute kommt.

Der Schreibstil kann allerdings nicht über die anfänglichen Probleme hinwegtäuschen. „Der Hintermann“ von Denise Mina hat durchaus seine Momente, doch vor allem der schwerfällige Start und die fehlenden zündenden Ereignisse in der Mitte machen es manchmal schwierig, das Buch weiterzulesen.

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[„Refugium“ 928

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