Mischke, Susanne – Tote vom Maschsee, Der

Neue Krimis sprießen fast schon wie Unkraut aus dem Boden, und besonders beliebt sind Lokalkrimis, bei denen Krimihelden im eigenen Heimatort ermitteln. Doch leider war die schöne niedersächsische Hauptstadt bei Krimiautoren bislang offensichtlich nicht sonderlich beliebt. So haben wir zwar eine sehr gute Tatortkommissarin, die in Niedersachsen ermittelt, aber zu lesen gab es krimitechnisch über Hannover nicht sehr viel – das hat sich nun glücklicherweise dank Susanne Mischke geändert!

_Auf Haarmanns Spuren_

Dr. Martin Offermann, ein bekannter Psychologe, hält im Courtyard Marriott Hotel am Hannoveraner Maschsee einen Vortrag über die Typologie von Sexualstraftätern – noch nichts Böses ahnend, denn es wird nicht lange dauern, bis seine Zunge am Denkmal für Haarmanns Opfer auf dem Stöckener Friedhof gefunden wird und der Rest von Offermann tot im Maschsee.

Die Hannoveraner Kriminalpolizei ist sofort vor Ort, um Spuren zu sichern und Zeugen zu vernehmen. Jule Wedekin, die gerade ihren ersten Tag bei der Kripo verlebt und sich gleich mit den Vorurteilen ihrer neuen Kollegen konfrontiert sieht, bekommt keine Schonzeit zugestanden; sogleich gehört sie zur Ermittlungstruppe, die herausfinden soll, ob jemand Offermann zum Schweigen bringen wollte. Hat die herausgeschnittene Zunge ‚etwas zu sagen‘? Da der bekannte Psychologe oftmals als Gutachter für das Gericht gearbeitet hat, wühlt sich die Kripo durch Berge von Akten und zieht Erkundigungen ein zu laufenden Fällen. Auch Offermanns schöne Kollegin Liliane Fender rückt schnell ins Kreuzfeuer der Polizei, denn sie gibt immer nur so viele Informationen preis wie notwendig, außerdem verschweigt sie der Kripo, dass sie sich demnächst als Partnerin in der Praxis einkaufen wollte – für stolze 140.000 Euro, die sie nun dank Offermanns plötzlichem Ableben gespart hat. Klingt nach einem handfesten Motiv.

Doch die Polizei verfolgt zahlreiche weitere Spuren, denn der jüngste Fall, in welchem Offermann als Gutachter tätig war, erscheint ebenfalls vielversprechend. Es geht um einen Sexualstraftäter, der nun nach 15 Jahren Gefängnis entlassen werden soll – ohne Sicherheitsverwahrung, denn das Gericht hatte 15 Jahre zuvor versäumt, eine solche anzuberaumen. So müssen neue Informationen her, um den Straftäter weiter hinter Schloss und Riegel zu halten. Hat Offermanns Tod mit diesem Fall zu tun? Das bleibt abzuwarten …

_Gestörte Idylle am Maschsee_

Hannover als ehemalige Heimat des bekannten Massenmörders [Fritz Haarmann]http://de.wikipedia.org/wiki/Fritz__Haarmann bietet sich eigentlich an für einen Lokalkrimi, doch „Der Tote vom Maschsee“ war nun der erste von mir gelesene Krimi, der in meiner langjährigen Wahlheimat spielt. So war ich natürlich gespannt wie ein Flitzebogen auf lokale Begebenheiten, die ich selbst aus eigener Erfahrung kenne, und da enttäuschte mich Susanne Mischke nicht. Gleich zu Beginn findet sich eine abgeschnittene Zunge auf dem Stöckener Friedhof, kurz darauf geht es zum Leichenfund an den wunderschönen Maschsee, der damals in der Zeit des Nationalsozialismus künstlich angelegt wurde. Mischke geizt aber auch nicht mit Stadtteilbeschreibungen aus der Südstadt, Linden und auch der List. Stets nimmt sie den Leser an die Hand, leitet ihn über Hannovers Straßen und lädt ihn ein in Kneipen der Stadt. Wer Hannover nicht kennt, mag etwas überfordert sein, doch wer die Niedersächsische Hauptstadt kennt, wird begeistert allen Schritten folgen und sich gerne an die jeweiligen Stadtteile und Örtlichkeiten erinnern.

Doch Susanne Mischke hat noch mehr zu bieten, und zwar grandiose Charaktere. Allen voran wäre da beispielsweise Hauptkommissar Völxen zu nennen, der zu faul zum Rasenmähen ist und es deshalb für praktisch erachtet hat, sich stattdessen vier Schafe anzuschaffen, die das Rasenstutzen für ihn übernehmen. Was er allerdings nicht bedacht hat, war die Tatsache, dass leider auch die Schafe in regelmäßigen Abständen geschoren werden müssen, und so hat Völxen sich das geeignete Werkzeug gekauft und macht sich unter tatkräftiger Unterstützung seiner pubertierenden Tochter ans Werk. Doch bevor er seine Schafe fertig frisiert hat, ereilt ihn ein Anruf seiner Kollegen, die ihn zu einem neuen Tatort rufen, und so eilt er davon und überlässt seiner Tochter und dem nicht gerade gern gesehenen Freund das Feld. Grandios ist die Szene, als Völxen am Tag darauf seine Schafe beguckt und feststellen muss, dass seine Tochter besonders kreativ gewesen ist:

|“Nichts Gutes ahnend, stapft Völxen ums Haus herum und nimmt Kurs auf die Schafweide. Dort angekommen, schnappt er nach Luft, und an seiner Schläfe treten zwei Adern hervor. […] Völxen deutet stumm und anklagend auf das Schaf Angelina. Das Tier ist ordentlich geschoren, bis auf einen Streifen entlang der Wirbelsäule. Damit nicht genug, hat irgendein Blödian diese Irokesenbürste pink eingefärbt.“|

Völxen gibt auch an anderen Stellen genügend Anlass zum Schmunzeln; so ist er etwas beleibt und wird von seiner nicht mehr ganz so geliebten Ehefrau zum Diäten angehalten. Während er zähneknirschend zu Hause das Bier ausspart (glücklicherweise hält sein Nachbar immer ein gutes Herri – für den Nicht-Hannoveraner auch „Herrenhäuser“ genannt – bereit) und den Gemüsefraß herunterquält, gönnt er sich an anderer Stelle natürlich genügend Kalorienbomben, doch seine Frau hat noch bessere Pläne für ihn – nämlich Nordic Walking!

|“Fettverbrennung, schon wieder so ein Unwort. Hat etwa diese Übungsleiterin – „Ich bin Helga“ – dabei ihn angesehen? Dabei ist er hier längst nicht der Dickste. Schon eher diese Dame fortgeschrittenen Alters in den pinkfarbenen Leggins. Überhaupt – wären die Stöcke nicht, man könnte meinen, dies sei ein Treffen der Weight-Watchers. Er kommt sich albern vor in diesen Klamotten, die Sabine für ihn bei ihrem Lieblingskaffeeröster erstanden hat. Zum Glück sieht ihn hier niemand, der ihn kennt. Er hat sich extra bei der Volkshochschule der nahe gelegenen Kleinstadt Gehrden zum Anfängerkurs angemeldet…“|

Hauptkommissar Völxen ist allerdings nicht der einzige Charakter, der richtig Profil gewinnt und dem Leser höchst sympathisch wird. Auch die neue Kommissarin aus gutem Hause – Jule Wedekin -, die sich endlich von ihren Eltern abnabeln will und deswegen in eine kleine Wohnung in der List zieht, erlebt Kurioses: Als sie eines Abends nämlich zu ihrem Nachbarn geht, um das geeignete Equipment auszuleihen, um ihre Küchenlampe aufzuhängen, sieht sie mit Kennerblick sofort die kleine Hanfplantage auf der Fensterbank ihres Nachbarn und stellt sich ihm vorsorglich nicht als Polizistin vor. Thomas, so heißt der Hobby-Hanfzüchter, bietet sich sogleich an, die Küchenlampe eigenhändig aufzuhängen und begleitet Jule in ihre Wohnung, als auch schon ihr Kollege Fernando – ehemals bei der Drogenfahndung – vor der Tür steht und Thomas weismacht, dass er Fußpfleger wäre. Nachdem die zweite Flasche Wein geleert ist und eine Tüte kreist, klingelt auch noch die nächste Kollegin an Jules Tür – Oda, die sich gleich fröhlich zu der angeheiterten Runde gesellt und sich die Tüte schnappt. Genau so stellt man sich die deutsche Kriminalpolizei vor, zumal Oda sich ganz uneigennützig anbietet, den angeheiterten Hanfzüchter spätabends in seine Wohnung begleitet, um sich dort seine Pflanzensammlung zeigen zu lassen – und nicht nur das …

All diese Beschreibungen machen die handelnden Figuren sympathisch und fast schon zu guten Freunden. Susanne Mischke lädt uns ein, ihre Romanfiguren kennenzulernen und sie auf Schritt und Tritt zu begleiten. Derart herrliche Beschreibungen voller Situationskomik findet man leider selten, insbesondere im Krimigenre.

_Und was ist mit der Spannung?_

Neben der wunderbaren Charakterzeichnung vergisst Susanne Mischke selbstverständlich nicht ihren Kriminalfall, den es aufzuklären gilt. Und hier zeigt sie, dass sie die wesentlichen Elemente eines guten Kriminalromans kennt; sie legt verschiedene Spuren aus, die teilweise natürlich in die Irre führen, sie lässt verschiedene Menschen auf den Plan treten, die alle Stückchen für Stückchen zur Lösung des Falles beitragen oder vielleicht auch Hinweise geben, die in die falsche Richtung führen. So fiebert man beständig mit, will wissen, was mit Offermann geschehen ist, ob seine schöne Kollegin Fender Dreck am Stecken und warum man ihn zum Schweigen verurteilt hat.

Die Lösung des Falles überzeugt auf ganzer Linie, auch wenn sie wohl nicht vollkommen überraschend kommt. Schon ein wenig vorher deutet sich an, dass praktisch nur noch diese eine Auflösung möglich ist, doch glücklicherweise erlag Mischke nicht dem Wahn, ihrem Buch zum Schluss noch eine hanebüchene Wendung hinzufügen zu müssen, die an den Haaren herbeigezogen gewesen wäre.

Kriminaltechnisch gesehen geht „Der Tote vom Maschsee“ als gehobener Durchschnitt durch, doch als Gesamtkunstwerk betrachtet, das sich mit Sicherheit eher an die Bevölkerung Hannovers wendet, kann ich nur die Höchstnote zücken. Susanne Mischke streut genügend Lokalkolorit ein, um Hannoveraner bei Laune zu halten, verirrt sich aber nicht so sehr in Straßennamen und anderem Insiderwissen, dass andere Leser vollkommen ausgeschlossen wären. Insbesondere mit ihren sympathischen und authentischen Charakteren, ihrer Situationskomik und ihrem Wortwitz punktet Susanne Mischke und sorgt dafür, dass ich schon jetzt dem nächsten Fall entgegenfiebere, den Völxen und sein Ermittlungsteam lösen müssen.

http://www.piper-verlag.de

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