Montgomery, Lucy Maud / Gruppe, Marc / Bosenius, Stephan – Anne in Windy Poplars. Folge 15: Das zweite Jahr in Summerside

_Heiter bis wolkig: Todesfälle und Bekehrungen_

Kanada Ende des 19. Jahrhunderts. (Fortsetzung von „Anne in Kingsport“)

Folge 13: Anne Shirley tritt ihre Rektorinnen-Stelle an der Summerside Highschool an. Schnell muss sie erkennen, dass sie in dem beschaulichen Städtchen keineswegs erwünscht ist. Bereits die Suche nach einer Unterkunft gestaltet sich schwierig, denn der alles beherrschende Pringle-Clan hat sich gegen die Neue verschworen …

Folge 14: Die unverheiratete Pauline Gibson fristet ein trauriges Dasein, denn sie betreut seit vielen Jahren ihre im Rollstuhl sitzende Mutter, die eine äußerst übellaunige Person ist. In einem Anflug von Mitleid ermöglicht Anne der Tochter den Besuch einer Familienfeier, indem sie für einen ganzen Tag die Sorge für die grantige Mrs. Gibson übernimmt …

Folge 15: Anne gibt nicht auf, ihrer biestige Kollegin Katherine Brooke die Freundschaft anzutragen. Vor allem will sie hinter das Geheimnis kommen, warum sich die Lehrerin allen gegenüber so unfreundlich verhält. Ein Aufenthalt auf Green Gables könnte helfen, diesem Ziel näher zu kommen …

Pünktlich zum 100-jährigen Jubiläum gibt es die Abenteuer des sympathischen Waisenmädchens Anne Shirley als Hörspiel-Serie, geeignet für die ganze Familie, gesprochen von den deutschen Stimmen vieler Hollywood-Stars.

_Die Autorin_

Lucy Maud Montgomery (1874-1942) war eine kanadische Schriftstellerin, die besonders durch ihre Jugendbücher um Anne Shirley bekannt wurde: „Anne of Green Gables“ und sechs Fortsetzungen.

Das Manuskript wurde zunächst von mehreren Verlagen abgelehnt, bevor es Montgomery gelang, es zu platzieren. 1908 war sie bereits 34 Jahre alt. Das Buch wurde zu einem Theaterstück verarbeitet, mehrmals verfilmt und in mehr als 40 Sprachen übersetzt.

Die erste Staffel: Anne auf Green Gables

Folge 1: [Die Ankunft 4827
Folge 2: [Verwandte Seelen 4852
Folge 3: [Jede Menge Missgeschicke 4911
Folge 4: Ein Abschied und ein Anfang

Die zweite Staffel: Anne auf Avonlea

Folge 5: [Die neue Lehrerin 5783
Folge 6: [Ein rabenschwarzer Tag und seine Folgen 5806
Folge 7: [Eine weitere verwandte Seele 5832
Folge 8: Das letzte Jahr als Dorfschullehrerin

Die 3. Staffel: Anne in Kingsport (Frühjahr 2009)

Folge 9: Auf dem Redmond College
Folge 10: Erste Erfolge als Schriftstellerin
Folge 11: Die jungen Damen aus Pattys Haus
Folge 12: Viele glückliche Paare

Die 4. Staffel: Anne in Windy Poplars (Herbst 2009)

Folge 13: [Die neue Rektorin 6084
Folge 14: [Ein harter Brocken 6085
Folge 15: Das zweite Jahr in Summerside
Folge 16: Abschied von Summerside

Die 5. Staffel („Anne in Four Winds“) erscheint im Frühjahr 2010.

_Die Sprecher/Die Inszenierung_

Erzähler: Lutz Mackensy (Rowan Atkinson, Christopher Lloyd, Al Pacino)
Anne Shirley: Marie Bierstedt (Kirsten Dunst, Kate Beckinsale)
Gilbert Blythe: Simon Jäger (Josh Hartnett, Heath Ledger)
Und viele andere.

Regie führten Stephan Bosenius und Marc Gruppe, der auch das „Drehbuch“ schrieb. Die Illustration stammt von Firuz Askin.

_Handlung_

Nach den Sommerferien scheint sich in Summerside nichts verändert zu haben. Elizabeth Grayson wartet wie immer sehnsüchtig darauf, dass Anne sie zu einem Spaziergang abholt, und Katherine Brooke ist kratzbürstig wie eh und je. Anne nimmt sich vor, diese harte Nuss schon bald zu knacken. Deshalb schlägt sie eine Spendensammelaktion für Katherines Lieblingsprojekt, das Schultheater, vor. Doch Katherine ist nicht dazu bereit, „betteln zu gehen“, wie sie sagt. Deshalb bittet Anne den Schüler Louis Allen, ihr zu helfen. Der Junge ist hellauf begeistert, denn bei der Gelegenheit kann er gleich alte Höfe knipsen, um damit an einem Fotowettbewerb teilzunehmen, bei dem es stolze 25 Dollar zu gewinnen gibt.

|Bettler!|

Doch fast überall wird den „Bettlern“ die Tür gewiesen. Als sie schließlich noch einen allerletzten Versuch starten, zu dem Anne Louis überredet, haben sie kaum noch einen Funken Hoffnung. Doch ausgerechnet hier soll sich alles ändern. Trotz des heruntergekommenen Aussehens des pittoresken Hauses macht Louis ein Foto – klick! Da kommt ein Junge aus der Tür und stellt sich als Teddy Armstrong vor. Seit er seine Mutter vor fünf Jahren verloren habe, meide sein Vater James den Kontakt zu Menschen, aber Teddy nenne er „seinen kleinen Kameraden“. Anne und Louis sind gerührt. Als der Junge ihnen eine Apfeltasche zum Teilen gibt, die sein Vater gebacken habe, freuen sie sich.

Rebecca Dew weiß alles über den Armstrong-Hof und setzt Anne ins Bild. Als Louis drei Wochen später die Fotos von Teddy auf Windy Poplars den Witwen und Rebecca zeigt, finden diese, dass Teddy Armstrong Louis Allen ziemlich ähnlich sehe. Aber Louis wurde doch in New Brunswick geboren! Na und, genau wie James Armstrong …

|Familienähnlichkeit|

Als Anne und Louis den Armstrong-Hof wieder besuchen, um dieses Rätsel aufzuklären, erwarten sie, Teddy wiederzusehen, doch stattdessen öffnet ihnen sein Vater James. Teddy sei eine Woche zuvor an einer Lungenentzündung gestorben, sagt er. Anne und Louis sind erschüttert. Louis gibt ihm das Foto, das er seinerzeit von Teddy und seinem Hund machte, und James ist für dieses Erinnerungsstück sehr dankbar.

Dann zeigt ihm Louis ein Foto, das ihn selbst im Alter von sieben Jahren zeigt – die Ähnlichkeit mit Teddy ist unverkennbar. Louis‘ Mutter hieß Mary Gardiner und ist die Halbschwester von Mr. Armstrong, und somit ist Louis sein Neffe! Er lädt den Jungen ein, bei ihm einzuziehen. Anne ist sehr froh für den Jungen, der nun nicht mehr für seinen Unterhalt schon vor der Schule schuften muss, sondern sich auf seine Ausbildung konzentrieren kann.

|Eine Bekehrung|

Nun gilt es, die harte Nuss Katherine Brooke zu knacken. Anne besucht ihre Stellvertreterin in deren Zimmer, das in einer sehr schäbigen Gegend der Stadt liegt. Darüber wundert sich Anne, denn schließlich bekommt Katherine ja ein Gehalt gezahlt. Ihre Verwunderung wird noch gesteigert, als sie Katherines Hauswirtin begegnet, die ihr schlimme Dinge von ihrer Kollegin erzählt: wie abweisend, eigenbrötlerisch und kratzbürstig sie sei. Neulich habe Katherine um die Erlaubnis gebeten, einen Hund halten zu dürfen, und diese Erlaubnis habe die vergraulte Vermieterin verweigert. Anne gelingt es, ihre Meinung dazu zu ändern. Dann lädt sie Katherine für die Weihnachtsferien nach Green Gables ein. Sie muss all ihre Überredungskunst aufbieten, bis Katherine endlich einwilligt.

Na, das kann ja heiter, denkt sich Anne, als sie mit Katherine den Zug nach Bright River besteigt, und Katherine vorschlägt, lieber zu schweigen als dummes Zeug zu reden. Davy, einer der Zwillinge, die in Green Gables aufgenommen wurden, holt sie am Bahnhof ab. Anne staunt, wie stark er gewachsen ist, und quasselt in einem fort, weil sie sich so freut, ihre Heimat wiederzusehen. Katherine Brooke ist befremdet über die herzliche Art und Weise, wie sie selbst, eine völlige Fremde, von Marilla Cuthbert und Rachel Lynde aufgenommen wird. So etwas ist sie von zu Hause nicht gewöhnt.

Und als sie mit Anne die Gegend per Ski erkundet und die Schönheit der Natur genossen hat, fließt ihr das Herz über und sie beginnt endlich zu erzählen, was mit ihr los ist …

_Mein Eindruck_

Gingen mir die vorherigen Episoden um Elizabeth Grayson und Sophie Sinclair schon ziemlich zu Herzen, so stellt diese Folge das bisher Geschilderte an Rührseligkeit noch in den Schatten. Dass der Tod Teddy Armstrongs durch die Entdeckung aufgewogen wird, dass Louis Allen Mr. Armstrongs Neffe ist, belegt in den Augen der Autorin wohl, dass die Hand des Schicksals – auch „Gott“ genannt – stets nimmt und gibt, aber unterm Strich alles ausgewogen sei. Darüber haben Optimisten und Pessimisten seit Anbeginn der Zeit gestritten, und ich werde nicht auch noch damit anfangen. Dass Waisenkinder ein neues Zuhause finden, ist von Anfang ein Thema der Anne-Serie: Anne wurde als Waisenkind nur durch eine Verwechslung in Green Gables aufgenommen.

Ein weiterer Glaubensgrundsatz der Autorin wird in der zweiten Episode dieser Folge auf die Probe gestellt: Dass nämlich in jedem Menschen ein guter Kern steckt, der sich nach Liebe und Zuneigung sehnt wie eine Blume nach dem Sonnenlicht. Aber bei Katherine Brooke muss Anne Shirley ziemlich lange und hartnäckig die Schale knacken und nach diesem weichen Kern bohren, bis endlich Katherine von sich aus bereit ist, aus ihrem Schneckenhaus hervorzukommen (sie ist vermutlich Sternbild Krebs) und Anne ihr Herz auszuschütten.

Weil Anne zudem glaubt, dass kein Mensch verloren ist, solange er selbst nicht die Hoffnung verloren hat, hilft sie Katherine, ihren Traum zu verwirklichen, eine Ausbildung als Fremdsprachensekretärin zu erhalten und danach in das Land ihrer Sehnsucht zu reisen: in den Orient (von dem sich Ende des 19. Jahrhundert die Bewohner des Okzidents Wunderdinge erzählten, wie man an Karl Mays Reiseerzählungen über Kara Ben Nemsi leicht ablesen kann).

Harte Aufgaben liegen noch vor Anne, so etwa das Aufspüren des Rabenvaters von Elizabeth Grayson und die Verteidigung des Glücks von Sophie Sinclair gegen ihren grantigen Vater, der einiges gegen Sophies ungenehmigte Hochzeit einzuwenden hat.

_Die Inszenierung_

|Die Sprecher|

Die Hauptrolle der Anne Shirley wird von Marie Bierstedt, der deutschen Stimme von Kirsten Dunst und vielen anderen jungen Schauspielerinnen, mit Enthusiasmus und Einfühlungsvermögen gesprochen. Obwohl Bierstedt wesentlich älter ist als die zwanzigjährige Heldin, klingt ihre Stimme doch ziemlich jugendlich. Manchmal darf sie aber auch ein wenig langsamer und überlegter sprechen, besonders mit „verwandten Seelen“.

Unter den weiteren weiblichen Sprecherinnen ragen die der Marilla Cuthbert (Dagmar von Kurmin) und der Rachel Lynde (Regina Lemnitz) heraus, die Anne regelmäßig im Sommer und zu Weihnachten besucht. Regina Lemnitz ist die Inkarnation der Plaudertasche und der wandelnden Gerüchteküche. Außerdem scheint ihre Rachel Lynde Vorsitzende des Dorfverschönerungsvereins zu sein und hat entsprechend viele Sorgen um die Ohren. Und sie ist natürlich die beste Freundin von Marilla Cuthbert, die die Witwe in ihr Haus aufgenommen hat.

|Geräusche|

Die Geräusche im Hintergrund sorgen für die Illusion einer zeitgenössischen Kulisse für das Jahr 1882, doch sind sie so sparsam und gezielt eingesetzt, dass sie einerseits den Dialog nicht beeinträchtigen, andererseits den Hörer nicht durch ein Übermaß verwirren. Deshalb erklingen Geräusche in der Regel stets nacheinander. Um die Epoche zu verdeutlichen, ist kein einziges Auto zu hören, sondern nur diverse Kutschen und Karren.

|Musik|

Die Musik ist ebenfalls ziemlich romantisch, voller Streichinstrumente, Harfen und Pianos. Das Klavier wird meist für melancholische Passagen eingesetzt, und diese sind ebenso wichtig wie die heiteren. Der kontrastreiche Wechsel zwischen Heiterkeit, Drama, Rührung und Melancholie sorgt für die emotionale Faszination beim Zuhörer. Die Musik steuert die Emotionen und untermalt die wichtigsten Szenen, kommt aber nicht ständig im Hintergrund vor. Besonders fiel mir die Variation von Heiterkeit und Rührung, von Verträumtheit und Aufbruchsstimmung auf.

Als Intro erklingt die Erkennungsmelodie der Serie: In einem flotten Upbeat-Tempo lassen Streicher, Holzbläser und ein Glockenspiel Romantik, Heiterkeit und Humor anklingen. Alle diese Elemente sind wichtige Faktoren für den Erfolg des Buches gewesen. Warum sollten sie also ausgerechnet im Hörspiel fehlen?

_Unterm Strich_

Per aspera ad astra – durch die Härten des Lebens zu den Sternen, so lautet auch hier wieder das Motto, das die beiden Episoden dieser Folge verbindet. Die Glaubensgrundsätze Anne Shirleys scheinen sich immer wieder zu bewahrheiten, auch wenn zuweilen etwas nachgeholfen werden muss. Nicht jeder hat eine so privilegierte Stellung wie die Rektorin der Schule, denken die Leute, doch sie setzt sich für Schüler und Gefährten ein, die das Glück im Leben nötiger haben als sie.

Denn sie hat ihr eigenes Glück ja bereits gefunden: Sie ist mit Gilbert Blythe verlobt. Mich hat – wie so manchen Hörer – verwundert, dass sie nicht sofort mit ihm zusammenzieht, um eine Familie zu gründen. Konservative Köpfe hätten so etwas sicher auch von Anne in ihrer Zeit erwartet. Doch Anne ist eben auch eine Frau einer neuen Zeit: Frauen dürfen und sollen Ende des 19. Jahrhunderts selbst arbeiten, bevor sie eine Familie gründen und dem Gatten das Zepter in die Hand geben (was sich noch herausstellen muss).

|Selbstbestimmung der Frau |

Das bedeutet, dass eine Frau ein selbstbestimmtes Selbstwertgefühl aufbauen darf, das ihr hilft, später in der Ehe – unweigerlich die Bestimmung jeder „ehrbaren“ damaligen Frau – eine eigene Position vertreten zu können, etwa in der Frage der Erziehungsweise ihrer Kinder. Außerdem erkennt sich die selbständige Frau als soziales Wesen, das Aufgaben in einer größeren Gemeinschaft als einer Familie über- und wahrnehmen kann. Wozu als Heimchen am Herd versauern, wenn man doch auch in der Gemeinde eine wichtige Rolle spielen kann? (Das erinnert uns daran, dass Anne es war, die den Dorfverschönerungsverein von Avonlea bzw. Bright River ins Leben rief.)

Eine wichtige Sache fehlt Frauen allerdings noch: das allgemeine Wahlrecht. Es ist erstaunlich, wie lange manche Frauen auf dieses Menschenrecht warten mussten. Nicht etwa nur bis 1918, wie in Großbritannien für 30-jährige Frauen der Fall (die restlichen englische Frauen mussten zehn Jahre länger warten), oder bis 1919 in Deutschland, sondern in Frankreich sogar bis nach dem II. Weltkrieg, wie ich neulich gelesen habe. Vielleicht hätten sie wie die Engländerin Emmeline Pankhurst (1858-1928) Bomben legen sollen.

|Das Hörspiel|

Man merkt dem Hörspiel die Mühe und Liebe an, die darauf verwendet wurden. Besonderes Vergnügen hat mir die akustische Umsetzung des Buches bereitet. Hörbaren Spaß haben die Sprecher an ihren Rollen, und insbesondere die Hauptfigur ist von Marie Bierstedt ausgezeichnet gestaltet. Sie schluchzt, lacht, schmollt, flüstert und quasselt, das man sich wundern muss, woher diese Vielseitigkeit stammt. In den Spider-Man-Filmen ist Kirsten Dunst nie so vielseitig. Bierstedts Anne muss sich nicht nur durch Höhen und Tiefen des Herzens lavieren, sondern auch noch weiterentwickeln.

|59 Minuten auf 1 CD
ISBN-13: 978-3-7857-4140-5|

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