Moravia, Alberto – Römische Erzählungen

_Kurzweilige Reise in die jüngere Vergangenheit Roms_

Über die Vampire und Zauberer, von denen es in der zeitgenössischen Literatur nur so wimmelt, über historische Romane und andere überwiegend unterhaltenden Literatur vergisst man fast, dass es auch noch Schriftsteller gab und gibt, die sich durchaus realistisch mit der sie umgebenen Welt auseinandergesetzt haben. So ist es leicht möglich, dass man sich Alberto Moravias „Römische Erzählungen“ in Vorfreude auf einen Italienurlaub in der Buchhandlung greift und überrascht wird. Rot wie der Mohn zwischen den Steinen im Forum Romanum dominiert die Zeichnung eines leichten Schals den Einband von Luchterhands Wiederauflage. Sie zeigt bereits, wo die Reise hingeht: in undurchsichtige, in erotische, sogar in blutige Gefilde. „Meisterhafte literarische Momentaufnahmen (…) Ein Buch über Rom, über die Liebe, die Tragödien des Alltags und die Labyrinthe der menschlichen Seele.“ verspricht der Umschlagtext. Und er hält, was er verspricht.

Mit seinen 1954 und 1959 zum erstem Mal veröffentlichten „Racconti romani“ nimmt Moravia den Leser mit in das Nachkriegsitalien der 50er Jahre des 19. Jahrhunderts. Bereits die erste Geschichte „Der Dickschädel“ skizziert das Milieu, in dem sich alle Erzählungen bewegen. Der männliche Ich-Erzähler, ein römischer Taxifahrer, lässt sich in der Hoffnung auf ein amouröses Abenteuer darauf ein, zwei Männer und eine Frau nach außerhalb von Rom ans Meer zubringen. Obwohl die Frau wie eine Schlange wirkt, sind ihr roter und voller Mund sowie ihre schwarzen leuchtenden Augen zu verführerisch, um die Fahrt abzulehnen. Schnell stellt sich jedoch heraus, dass die Bande ihn erschießen und sein Auto stehlen will. Der Mordversuch missglückt, weil selbst die Pistole zu heruntergekommen ist, als dass sie noch richtig funktionieren würde. So recht trauen sich die Männer einen Mord auch gar nicht zu. Nach einer absurden Diskussion fährt der Taxifahrer nur mit der Frau nach Rom zurück und muss unterwegs auch noch feststellen, dass diese ihn die ganze Zeit an der Nase herumgeführt hat und es kein amouröses Abenteuer geben wird. Ganz im Gegenteil – er, der Arbeitszeit und Benzin vergeudet hat, wird am Ende noch als „Dickschädel“ beschimpft.

So oder ähnlich sind auch die Protagonisten der anderen Erzählungen gelagert. Man bekommt es mit leichten Mädchen, mit Mördern, Dieben, Messerstechern, Krüppeln, Kleinhändlern und merkwürdigen Figuren zu tun, die sich mehr schlecht als recht durch das Leben schlagen. Wie der Lastwagenfahrer aus der gleichnamigen Erzählung oder Gino aus „Das Double“ sind sie auf der Suche nach Freundschaft und Liebe. Dabei blickt Moravia auch in die Abgründe der menschlichen Seele, in der sich auch Hass und der Wunsch nach Rache ausbreiten können. Doch wie in der Erzählung „Das perfekte Verbrechen“ schlägt die bedrohliche Atmosphäre häufig ins Komische um und macht das perfekte Verbrechen auf ironische Weiser zu einem Verbrechen, das gar nicht erst geschieht.

Der Leser schmunzelt immer wieder über die Fehlinterpretation der Situationen durch die durchweg männlichen Ich-Erzähler Moravias. Diese sind nicht in der Lage, ihr Leben zu reflektieren, und versuchen nie, den Ursachen der ihnen widerfahrenden Schicksale auf den Grund zu gehen. Am Ende stehen sie meist so gewollt ahnungslos da wie der Erzähler aus „Laß es gut sein“, der bis zum Schluss der Geschichte nicht versteht, warum ihn seine Frau verlassen hat, obwohl durch die Schilderung des Charakters und der Taten des Protagonisten dem Leser auf didaktisch anschauliche Weise ganz genau vermittelt wird, dass es sich um einen Mann handelt, der seine Frau Tag und Nacht nicht für eine Minute allein gelassen hat und ihr in seiner „Anhänglichkeit“ sogar bis auf öffentliche Toiletten nachgelaufen ist. In seiner Verzweiflung wirkt er, der sich für den besten Ehemann hält, schon fast tragisch. Doch auch der Leser erkennt, dass es für diesen selbstverliebten Menschen nur den einen Rat gibt: „Lass es gut sein.“

Tatsächlich wirken die Geschichten, auch wenn sie von Versagen, Zurückweisung und Misserfolg erzählen, nie sentimental, sondern amüsant; bestes Beispiel ist auch die Geschichte des Müllmanns Luigi aus „Und du bist dran“, der seinen Beruf vor seiner Freundin geheimhalten will, weil er denkt, dass Frauen keine Müllmänner mögen, bis er schließlich seinen Job aufgibt und arbeitslos wird, woraufhin sie schließlich jemand anderen heiratet – einen Müllmann nämlich.

Einen beispielhaft mustergültigen Menschen gibt es trotz der didaktischen Absichten Moravias nicht. Seine Figuren sind nicht nur moralisch fehlerbehaftet wie jeder gewöhnliche Mensch. Sie sind auch äußerlich nicht perfekt und stehen dem Leser gerade deshalb nahe. Die Männer verlieben sich nicht in wunderschöne weibliche Überwesen, sondern beispielsweise in „ein kräftiges, nicht sehr großes Mädchen mit einem breiten, frischen, von Sommersprossen übersäten Gesicht und einer Brille für Kurzsichtige“ („Die Krankenschwester“) oder „dralle Mädchen, klein und krumm“ („Tarzans Revanche“).

Moravia, der in Rom geboren wurde und viele Jahre seines Lebens in dieser Stadt verbrachte, skizziert in den kurzen Geschichten eine bunte Stadt voller Leben. Sein Rom besteht aus kleinen Cafés und Bars, schmuddeligen Straßen, nachtfinsteren Parks, der braunen Dreckbrühe des trägen Tibers, dem hinter sonnenverbrannten Gräsern und trockenen Sträuchern gelegenem Meer sowie Wohnungen der Unter- und Mittelschicht. Es gibt kleine Geschäfte, mit denen sich die Inhaber gerade so über Wasser halten können. Die Menschen müssen im Kampf ums tägliche Überleben erfinderisch sein. Vom beginnenden Nachkriegsaufschwung hingegen zeugen Autos, Theater und Kinos. Man amüsiert sich beim Spazieren, bei Pferde- oder Windhundrennen oder bei einer Partie Billard, während man auf dem Land „die Hühner zwischen den Beinen hat“ und noch auf Pferde als Fortbewegungsmittel angewiesen ist. Solchermaßen kontrastierend erhält Rom seine Gestalt als Magnet für alle, die sich nach Fortschritt und einem besseren Leben sehnen. Die Landbevölkerung schneidet in Moravias Geschichten dabei schlechter ab als die Variation recht schlitzohriger oder trotteliger Römer. Tuda, das „Mädchen aus Ciociaria“, kann beispielsweise weder lesen noch schreiben und ist so einfältig, dass sie den Wert von Büchern allein an deren Anzahl und nicht an ihrem Inhalt misst.

So einfach wie die Menschen selbst und ihre Lebenswelt ist auch ihre Sprache. Schwarze Augen werden mit Kohlen verglichen; Körper mit Kohlköpfen. Schimpfwörter wie Nichtsnutz, Drückeberger, Faulpelz, Schurke, Hundsfott, gerissenes Luder oder Hexe begegnen dem Leser allenthalben. Sie klingen im Deutschen fast zahm, aber wenn man sie sich zusammen mit lebhaften Gesten und der leidenschaftlichen Intonation der Italiener vorstellt, ahnt man das Unbehagen, das die Darstellung der ungeschminkten Realität der einfachen Bevölkerung in ihren Entstehungsjahren ausgelöst hat. In diesem Sinne ist dieser moderne Klassiker der italienischen Literaturgeschichte dann doch wieder richtig aufgehoben im Urlaubsreisegepäck; als eine kurzweilige Reise in Roms jüngere Vergangenheit und die italienische Kultur, sicherlich keine ganz leichte Kost, aber in Häppchen dargeboten und daher gut verdaulich.

|Originaltitel: Racconti romani, 1954
Übersetzung: Michael von Killisch-Horn
476 Seiten, kartoniert
ISBN-13: 978-3-630-62180-7|
http://www.Luchterhand-Literaturverlag.de

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