Morrell, David – Level 9

Den Todesfallen des „Paragon“-Hotels gerade noch entkommen (s. David Morrell: [„Creepers“, 3049 |Knaur| Taschenbuch-Verlag/TB Nr. 63447), versuchen sich Ex-Polizist Frank Balenger und seine Leidens- und Lebensgefährtin Amanda Evert immer noch von ihren Qualen zu erholen, als neues Ungemach über sie hereinbricht: Ein genialer aber geistig gestörter Psychopath plant das ultimative ‚Gottesspiel‘. Der „Gamemaster“ präpariert ein abseits in den Bergen des US-Staates Wyoming gelegenes Tal für seine „Scavenger“-Jagd. Er entführt fünf Männer und Frauen, die in der Vergangenheit außergewöhnliche Krisensituationen überlebten. Sie sollen sich hier seinem Spiel auf Leben und Tod unterwerfen. 40 Stunden bleiben Ray, Bethany, Derrick, Vivian und der unglücklichen Amanda, das Ziel des ‚Spiels‘ zu erreichen: die geheimnisvolle „Grabkammer des weltlichen Begehrens“.

Damit sich die ‚Spieler‘ fügen, hat der „Gamemaster“ ihre Ausrüstung vermint; als die unglückliche Bethany die weitere Teilnahme verweigert und flüchten will, wird sie in die Luft gesprengt. Also fügen sich die Überlebenden und begeben sich auf einen mit wilden Hunden, giftigen Schlangen und anderen Todesfallen gespickten Hindernisparcours durch die Geisterstadt Avalon, deren Bewohner Anno 1900 auf geheimnisvolle Weise spurlos verschwanden.

Inzwischen bleibt Frank Balenger in New York nicht untätig. Er ahnt nicht, dass der „Gamemaster“ auch ihn in sein Spiel einbeziehen will und Fährten legen lässt, die auf Amandas Aufenthaltsort hinweisen. Balenger folgt ihnen und muss feststellen, dass auch auf ihn tödliche Fallen warten. Vom „Gamemaster“ per Telefon gereizt und angestachelt, findet er dennoch heraus, wohin Amanda verschleppt wurde. Er macht sich auf den Weg nach Avalon – und gerät vom Regen in die Traufe bzw. ins Zentrum der „Scavenger“-Jagd. Alle Beteiligten spielen inzwischen mit Tricks, die Regeln sind aufgehoben. In den Ruinen der Geisterstadt beginnt ein tödliches Katz-und-Maus-Spiel, das die Mehrheit der Teilnehmer nicht überleben werden …

David Morrell ist ein gebildeter Mann, der flachgründige Romane schreibt. Das ist kein Widerspruch, denn da der ehemalige Professor der Literaturwissenschaften weiß, wie ein Text ‚funktioniert‘, fällt es ihm leicht, die gewünschten Spannungseffekte zu erzeugen. Das Ergebnis sind Thriller wie „Level 9“ – ein Buch, das sich praktisch wie von selbst liest und seine Leser bei der Stange hält, obwohl sie sehr bald wissen, dass ihnen hier alter Wein im neuen Schlauch serviert wird.

Dieses Bild passt gut, denn bekanntlich bekommt das Alter dem Wein meist gut. Morrell kennt die Elemente eines Thrillers genau, und er weiß sie zu einem stimmigen Gesamtwerk zusammenzusetzen. „Level 9“ ist schieres Entertainment, sollte so goutiert werden und sorgt dann für angenehme Bauch-Lektüre.

Dass die Handlung eins-zu-eins einem Computerspiel ‚entlehnt‘ ist, spiegelt Morrells noch junge Faszination am Thema wider – so will es uns der schlaue Schriftsteller jedenfalls in seinem ausführlichen und lesenswerten Nachwort weismachen. Deshalb wird eine Menge metaphysisches Stroh gedroschen, diskutieren Frank Balenger und der „Gamemaster“ zwischen diversen Großfeuern, Explosionen und Totschlägen über das Wesen der Realität, die womöglich mehrdimensional ist, wobei die nächste Ebene per Cyberspace zu betreten ist. Das klingt mächtig bedeutsam, ist aber nur geschickt formuliertes Wortgeklingel, das eine Tiefe suggeriert, die dieser Roman niemals erreicht.

Mussten unbedingt Frank & Amanda die Protagonisten sein? Auch hier arbeitet Morrell ökonomisch. Für „Creepers“ bediente er sich 2005 praktisch des gleichen Handlungsprinzips. Die Hetzjagd ging damals durch ein mit Todesfallen gespicktes Hochhaus, während im Hintergrund ebenfalls ein Marionetten spielender Psychopath sein Unwesen trieb. Relativ überzeugend begründet Morrell die ‚Fortsetzung‘ in „Level 9“ mit der Qualifikation seiner beiden Hauptfiguren als Überlebenskünstler, die deshalb ins Blickfeld des „Gamemasters“ gerieten.

Ansonsten wird variiert, und das Spielfeld ist größer geworden. Die Regie ist dieses Mal makellos, die dramaturgischen Durchhänger, die „Creepers“ kennzeichneten, bleiben aus. Hilfreich ist darüber hinaus das Wissen, dass Morrell die Verheißung außerordentlicher Rätsel nicht einlösen wird. Lang und breit führt er uns in das wahrlich faszinierende Thema der Zeitkapseln ein, in denen Dinge und Daten versiegelt und vergraben werden, die in vielen Jahren Archäologen und Historikern, aber auch dem an der Geschichte interessierten Laien eine Bestandsaufnahme der Zivilisation zum Zeitpunkt der Ablage ermöglichen sollen. Für die Handlung ist dies alles ebenso Nebensache wie die unheilvolle Geschichte des Fanatikers Owen Pentecost: Schlagsahne auf einem gewöhnlichen Napfkuchen, die der Autor unbeachtet schmelzen lässt.

Gewaltige logische Löcher des Plots gleicht Morrell durch Höllentempo aus: Eine ‚Erklärung‘ dafür, dass unsere Helden finden, was Generationen aufmerksamer Schatzsucher verborgen blieb, gibt es nicht, weshalb der Verfasser es nicht einmal versucht. Über die reale Umsetzung eines Plans, wie ihn sich der ‚geniale‘ „Gamemaster“ ausgedacht hat, denkt man lieber nicht nach. So unverschämt, dass es nur als ironische Hommage gemeint sein kann, ist die Existenz eines Hebels, mit dem der „Gamemaster“ seine unterirdische Festung in die Luft jagen kann; so haben sich schon Dr. Frankenstein und andere geniale Irre in viel zu vielen Filmen vor einem glaubwürdigen Finale gedrückt! (Mein persönlicher Favorit ist dieses Rätsel: Wie viele Giftschlangen muss man fangen und in einem See aussetzen, damit sich der in eine Todesfalle verwandelt …?)

Noch ist es nicht so weit, dass die Charaktere von Computerspielen so ausgefeilt sind wie die Figuren in Filmen oder Büchern – wieso auch, da Games wie „Scavenger“ von Action und Bildern bestimmt werden. In solcher Umgebung bleibt für eine detaillierte Figurenzeichnung weder die Zeit noch wird sie von den Spielern erwartet. Es genügen diverse Grundsätzlichkeiten, die eine Spielfigur kennzeichnen und identifizierbar machen.

An diese Voraussetzung hält sich auch David Morrell. Den nicht so leselustigen Zeitgenossen mag diese Aussage empören, doch sie trifft zu: Sämtliche Emotionen, die unsere Protagonisten – die Guten wie die Bösen – umtreiben, sind behauptet und der Klischeekiste entnommen. Sie sorgen für die Erdung einer Handlung, deren Jump-and-Run-Dramaturgie sich sonst allzu intensiv offenbaren würde. Gleichzeitig gehen die ‚Gefühle‘ der Figuren niemals so stark in die Tiefe, dass sich die Action-Fraktion der Leserschaft davon gestört weil abgelenkt fühlen müsste. Wieder einmal zeigt sich Morrells Professionalität als Autor, der ganz nüchtern einzuschätzen weiß, wie viel ‚literarischen‘ Aufwand er in ein Projekt investieren muss.

Deshalb ist es für den Leser quasi ein Spiel im Spiel zu raten, wen es als nächsten erwischt. Es dürfte kein Spoiler sein, wenn ich an dieser Stelle verrate, dass man sich im Grunde gar nicht irren kann. Gestorben wird hierarchisch von unten nach oben, es beginnt mit diversen No-Names, danach kommen die Nebenrollen an die Reihe, und zuletzt erwischt es den Stellvertreter des Bösewichts und abschließend den Oberteufel selbst.

Doch auch wenn „Level 9“ primär jene zu Begeisterungsstürmen hinreißen wird, die weder des Lesens schon allzu lange mächtig sind noch seit Jahrzehnten mit cineastischem Junkfood malträtiert wurden und deshalb das Rumpeln der Story auf ihren über Gebühr ausgefahrenen Geleisen für normal halten, muss noch einmal darauf hingewiesen werden, dass Morrells Rechnung aufgeht. Ob Frank Balenger ein weiteres Mal auf einen Zick-Zack-Kopf-ab-Kurs geschickt wird, hängt praktischerweise nicht von Aspekten wie Logik oder Originalität, sondern nur von der Akzeptanz des Publikums ab. Das mäkelt allerdings und vermisst die munkelige Hui-Buh-Atmosphäre von „Creepers“. Vielleicht hätte Morrell berücksichtigen sollen, dass die frische Luft von Wyoming sogar im Hirn beinharten Gamer die Kritikzellen wecken kann …

Die deutsche Übersetzung lässt sich nicht nur gut lesen, sondern kommt schön und fest gebunden mit Schutzumschlag und erfreulich preisgünstig auf den Buchmarkt. Mit der Reihe „Premieren“ geht die „Weltbild“-Handelskette neue Wege: Veröffentlicht wird nicht mehr nur, was bereits anderweitig erschienen ist. „Level 9“ wird wie „Creepers“, der erste Band der Balenger-Serie, im März 2008 im Knaur Taschenbuch Verlag erscheinen. Vorab erscheint diese Ausgabe, die nur für ihr lieblos einem Bildstock entnommenen Cover zu kritisieren ist. (Abgesehen von der Frage, wieso „Level 9“ ein ‚besserer‘ i. S. von den Inhalt treffender umschreibender Titel als „Scavenger“ – „Schnitzeljagd“ – sein soll.)

David Bernard Morrell wurde 1943 in Kanada geboren, stammt also aus Kanada. 1966 emigrierte er in die Vereinigten Staaten. An der Pennsylvania State University studierte er Anglistik und schloss mit einem Magister- und einem Doktortitel ab. Einer seiner Dozenten half ihm bei ersten Gehversuchen als Schriftsteller. Morrell war ein guter Schüler: 1972 debütierte er mit „First Blood“ (dt. „Rambo“), der Geschichte eines Vietnamveteranen, der heimkommt in ein Amerika, das er und das ihn nicht mehr versteht, was in einem metapherreichen Stellvertreterkrieg an der ‚Heimatfront‘ mündet. „First Blood“ wurde zum Vorbild für unzählige Actionreißer, die mehr oder weniger nach demselben Muster gestrickt waren, ohne jedoch in der Regel die Qualität des Originals zu erreichen. Morrell wurde durch die erfolgreiche Verfilmung seines Buches mit Sylvester Stallone in der Titelrolle zum Bestsellerautor.

Ab 1970 lehrte Morrell als Professor für Englische Literatur an der University of Iowa, während er weitere Romane verfasste, Seit 1986 arbeitet er hauptberuflich als Schriftsteller. Sein Spektrum erschöpft sich längst nicht in spannenden Thrillern. Er legt auch literaturwissenschaftliche Essays vor oder berichtet über seine Erfahrungen als Schriftsteller. David Morrell lebt heute in Santa Fé, New Mexico. Er pflegt eine eigene Website (www.davidmorrell.net), die durch ihre Aktualität und ihren Informationsgehalt gefällt.

http://www.weltbild.de
http://www.knaur.de

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