Nadel, Barbara – Tod am Bosporus

Das Lob im Klappentext, das Inspektor Íkmen als „Brunetti von Istanbul“ umschreibt, und der Vergleich von Barbara Nadel mit Krimigrößen wie Donna Leon wecken die Neugierde. Istanbul ist im abgegrasten Krimigenre immer noch einer der exotischeren Schauplätze, und bereits das ist Grund genug, einmal einen Inspektor-Íkmen-Krimi genauer unter die Lupe zu nehmen.

„Tod am Bosporus“ ist bereits der siebte Fall für Inspektor Íkmen und noch dazu einer, der sich als besonders knifflig erweist. In Istanbul sterben einige Jugendliche unter mysteriösen Umständen. Allesamt waren sie Mitglieder der Istanbuler Gothic-Szene. Und allesamt scheinen sie in seltsamen Ritualen umgekommen zu sein. Íkmen und seine Kollegen gehen Hinweisen aus dem Internet nach, und auch die Stieftochter seines Kollegen Mehmet Süleyman kennt sich in der Szene aus und kann den Ermittlern ein wenig auf die Sprünge helfen.

Doch sind die Istanbuler Gothics nur eine harmlose Modeerscheinung oder haben sie etwas mit den Morden zu tun? Ist der Täter einer der Ihren und vollzieht er womöglich satanistische Rituale? Als dann auch noch satanistische Schmierereien an Kirchen auftauchen, kann Max, ein englischer Magier, der seit Jahren in Istanbul lebt und den Süleyman und Íkmen schon lange kennen, etwas Licht ins Dunkel bringen. Doch dann verschwindet der Engländer plötzlich spurlos und die Wände seines Arbeitszimmers sind mit Blut bespritzt …

Istanbul als Schnittpunkt zwischen Orient und Okzident ist für sich genommen schon ein interessanter und geschichtsträchtiger Schauplatz. Barbara Nadel präsentiert vor diesem Hintergrund einen Plot, der gespickt ist mit Magiern und Zigeunern und immer wieder Bezug nimmt auf die reichhaltige kulturelle Geschichte der Stadt. Istanbul ist eine Stadt mit vielen Kontrasten und unterschiedlichsten Einflüssen – muslimisch, kurdisch, westlich.

Daraus entsteht eine im Grunde interessante Mischung, die aber leider keine ganz so intensive Atmosphäre entstehen lässt, wie man anfangs hoffen mag. Das Potenzial der Geschichte und des Handlungsortes sind groß, und Barbara Nadel beweist auch, dass sie sich in Istanbul gut auskennt (schließlich hat die Engländerin die Stadt zu ihrer Wahlheimat erklärt), dennoch vermag sie ihre Kenntnisse nicht hundertprozentig in eine atmosphärische Dichte umzusetzen.

Nadel lässt sich viel Zeit damit, den Plot aufzubauen. Sie widmet sich ausgiebig ihren Protagonisten, allen voran Çetin Íkmen und seiner Familie und seinem Kollegen Mehmet Süleyman, der aufgrund eines noch ausstehenden HIV-Testergebnisses seine ganz eigenen Probleme hat. Süleyman ist ganz der südländische Cassanova, der sich dummerweise ohne Kondom mit einer HIV-positiven russischen Prostituierten eingelassen hat und dem infolgedessen die Frau weggelaufen ist.

Ganz allgemein sind Nadels Protagonisten recht ambivalent, was sehr positiv zu beeindrucken vermag. Sie sind nicht die strahlenden Helden. Jeder hat seine ganz eigenen Macken und Fehler, und auch Gesetzesverstöße unterlaufen da schon mal. So legt Nadel ihren Charakteren eben keine plakative Schwarz-Weiß-Skizzierung zugrunde, und das ist einer der Vorzüge von „Tod am Bosporus“.

Der Plot an sich ist durchaus spannend erzählt, hätte aber ein wenig Straffung vertragen. Die Laufzeit des Hörbuches liegt bei knapp zwölf Stunden – für einen Krimi ist das schon sehr lang. Gerade am Ende, wenn der eigentliche Showdown vorbei ist, zieht sich der Roman weiter in die Länge. Zwar tut die belletristische Herangehensweise mit ausgiebiger Figurenskizzierung den meisten Romanen dieser Art durchaus gut, aber in diesem Fall hätte ich mir zugunsten der Spannung dann doch gewünscht, dass Nadel ihre Geschichte hier und da etwas kompakter und gradliniger abgefasst hätte.

Gerade der Genuss des Hörbuches braucht einige Zeit zum Einhören. Am Anfang hat man schon ein wenig Schwierigkeiten damit, sich in dem Wirrwarr der vielen türkischen Namen wiederzufinden, und bis man im Geiste alles sortiert und eingeordnet hat, vergeht einige Zeit.

Was leider ebenfalls wenig überzeugt, ist die Sprecherin Birgit Becker. Sie liest sehr langsam und dabei zwar stets sehr schön deutlich und verständlich, aber leider auch zu eintönig und mit wenig Satzmelodie. Auch mit der Akzentuierung von Emotionen hat sie so ihre Schwierigkeiten, und Dialoge lassen sich durch die stets sehr gleich klingende Stimme nicht immer gut nachvollziehen. Und so wird das fast zwölfstündige Hörbuch dann doch etwas fade und leblos. Schade eigentlich, denn inhaltlich gestrafft und durch gelegentliche Einspielung stimmiger Hintergrundmusik hätte man ein atmosphärisch dichtes Hörbuch aus der Geschichte machen können.

Lobenswert ist wie so oft bei |Radioropa Hörbuch| die technisches Umsetzung. „Tod am Bosporus“ liegt in Form von zehn Audio-CDs und einer mp3-CD vor. So bleibt einem für den mobilen Hörgenuss mit dem mp3-Player ein zeitraubendes Einlesen der Audio-CDs erspart. Das dürfen andere Hörbuchverlage sich gerne abschauen.

Bleibt unterm Strich also ein eher schwacher Eindruck zurück. Mit Inspektor Íkmen kann Barbara Nadel zwar einen sympathischen Protagonisten aufbieten und mit Istanbul hat sie sich auch einen interessanten Schauplatz herausgesucht, dennoch mangelt es „Tod am Bosporus“ hie und da immer wieder an Dichte und Spannung. Diesen Eindruck unterstreicht auch die etwas fade Sprecherleistung von Birgit Becker. Und so kann Íkmen am Ende als „Brunetti von Istanbul“ leider noch nicht so ganz überzeugen.

|Laufzeit: 11:57 Stunden
10 Audio-CDs + 1 Bonus-CD im mp3-Format
Buchausgabe bei List: März 2006, Broschur im Juli 2007|
http://www.hoerbuchnetz.de/

Schreibe einen Kommentar