Näter, Thorsten / Zahavi, Dror – Doppelter Einsatz: Mord auf dem Stundenplan

_Harter Realismus vs. romantische Finessen_

Eigentlich sollte sich Sabrina Nikolaidou auf ihren Undercover-Einsatz an einer Hamburger Gesamtschule konzentrieren. Hier wurde eine junge Lehrerin brutal ermordet. Doch einerseits muss sie versuchen, den plötzlichen Tod ihrer Partnerin Ellen zu verarbeiten und sich andererseits auch mit einer neuen Kollegin arrangieren: Caro kommt als Ellens Nachfolgerin ins Team. Für das Ermittlerteam werden Fall und Leben zu einer wahren Zerreißprobe. (abgewandelte Verlagsinfo)

Die TV-Reihe „Doppelter Einsatz“ wurde laut Verlag mehrfach mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet. Dass dies völlig gerechtfertigt ist, stellt auch diese Episode unter Beweis.

_Die Macher und Sprecher_

Es sprechen die Originalschauspieler der gleichnamigen RTL-Verfilmung, allerdings mit zusätzlichen Erzählertexten, gesprochen von Despina Pajanou, die im Film die Polizistin Sabrina Nikolaidou spielt. Es gibt noch einen zusätzlichen Erzähler, den Frank Gustavus (|Ripper Records|) spricht. Diese Texte stammen alle aus der Feder von Marc Sieper.

Die ziemlich wichtige Musik und die Hörbuch-Postproduction übernahmen Horst-Günter Hank und Dennis Kassel. Zusätzliche Aufnahmen, Schnitt und Mastering erfolgten durch die d.c. Tonstudios in Breckerfeld/Berlin.

Zu den zu hörenden Darstellern gehören: Despina Pajanou, Eva Herzig, Gerhard Garbers, Jürgen Janza, Jockel Tschiersch, Konstantin Graudus, Martin Goeres, Omar El-Saeidi, Sylta Fee Wegmann, Werner Daehn, Max Herbrechter u.v.a.

Das Drehbuch schrieb Thorsten Näter, Regie führte Dror Zahavi und Producer war Peter Otto.

_Handlung_

|PROLOG 1.|

Wieder einmal geht den Kripo-Fahndern der Drogendealer Frank Lipinski aus Hamburg durch die Lappen. Sabrina Nikolaidou (Pajanou) und ihre Kollegen haben das Nachsehen.

|PROLOG 2.|

An der Carl-von-Ossietzky-Gesamtschule in Hamburg St. Georg übt die Theaterarbeitsgruppe Shakespeares gruseliges Stück „Macbeth“. Dafür haben sich alle verkleidet, mit Gewändern und Masken. Als die Leiterin der AG, Isa Gerke, zur Toilette geht, folgt ihr der 18-jährige Schüler Jens Wahlmann – und findet sie in ihrem Blut liegen. Ist sie tot? Offenbar schon. Zu blöd, irgendwie.

Neben ihr findet Jens einen kleinen silbernen Ohrring, den er sofort wiedererkennt und deshalb an sich nimmt: Er gehört der von ihm geliebten Schülerin Oana Domenikou. Wenig später entledigt sich Manfred Gerke, Isas Mann und Rektor der Schule, seiner Verkleidung …

|Haupthandlung.|

Auf dem Kriminalkommissariat KK 15 bekommt Sabrina eine neue Kollegin: Caroline Behrens, kurz Caro genannt. Sie ist die Urlaubsvertretung für Sabrinas Einsatzpartnerin und Freundin Ellen Ludwig. Sabrina ist nicht bereit, sie zu akzeptieren, aber Caro braucht diesen Job unbedingt, um als alleinstehende Mutter ihre Tochter durchzubringen. Als sich bei dem Mord in der Gesamtschule herausstellt, dass man dort unter Schülern und Lehrern ermitteln muss, bietet Caro an, undercover zu ermitteln, da niemand dort ihr Gesicht kenne.

Als die Nachricht eintrifft, dass Ellen Ludwig mit ihrem Urlaubsflieger abgestürzt und samt Familie ums Leben gekommen sei, erleidet Sabrina fast einen Nervenzusammenbruch. Sie giftet Caro noch schärfer an, aber zu trauern bringt nichts, und deshalb bittet sie ihren Chef Weber, ebenfalls undercover ermitteln zu dürfen. Gemeinsam bekommen sie sicher mehr heraus als alleine.

An der Schule geht es schlimmer zu als im alten Rom. Die Schüler, fein säuberlich in Gruppen von „Deutschen“ und „Ausländern“ getrennt, dealen mit Stoff, Software und teuren Computerspielen. Dreimal darf man raten, wer der Dealer / Hehler des harten Kerns ist: Frank Lipinski. Als Caro die verwaiste Theater-AG übernimmt und Sabrina die Fächer Sport und Politik, lernen sie diese harten Burschen von ihrer unangenehmsten Seite kennen. Aber Sabrina macht den Wortführer Ralf fertig, woraufhin seine Clique beschließt, ihr einen Denkzettel zu verpassen, um sie zu vertreiben. Noch wissen sie nicht, dass sie es mit einem Bullen zu tun haben – aber sie bleiben nicht mehr lange unwissend.

Caro Behrens rührt mit ihrer Taktik die weichherzigeren Schüler zu Tränen, insbesondere Oana Domenikou und Murat Güzmal. Wie sich herausstellt, hatte Murat mit Isa Gerke ein Verhältnis, und sie erwartete ein Kind von ihm. Aber warum weint auch Oana um die getötete Lehrerin?

Also hatte offenbar Rektor Gerke ein handfestes Motiv, Isa zu töten, oder? Hoffentlich hat er auch ein gutes Alibi. Leider ist er nicht der Einzige, der eines braucht.

_Mein Eindruck_

In St. Georg herrscht offenbar der soziale Notstand (das braucht man den Leuten vor Ort sicher nicht zu sagen). Nicht mal erwachsen, dealen, kiffen und klauen die Schüler – „Ausländer“ wie „Deutsche“ – ohne Scheu mitten auf dem Schulhof oder in der Stadt, ohne dass jemand einzuschreiten wagt. Die Lehrer an dieser Schule schon gleich gar nicht. Sie scheinen entweder eingeschüchtert zu sein (Isa Gerke war’s sicher nicht) oder sie lügen sich selbst in die Tasche, dass sie dafür nicht zuständig seien.

Sie fühlen sich wahrscheinlich auch nicht dafür zuständig, wenn eine ihrer Schülerinnen zur Prostitution gezwungen wird, um ihre Schulden abzuarbeiten. So passiert es Oana mit Frank Lipinski. Als Jens Wahrmann dies herausbekommt, wird es richtig spannend. Denn da er Oana liebt, hat er natürlich einen Hass auf einen Typen wie Lipinski, der jeden ausbeutet, wo und wie er nur kann. Es kommt zu einem dramatischen Showdown in der Wohnung, wo Oana versteckt gehalten wird.

Doch inzwischen haben Caro und Sabrina spitzgekriegt, wer hier die Fäden zieht. Nachdem Sabrina mit Caros Hilfe dem Anschlag der kriminellen Clique entgangen ist, heften sie sich an Murats und Jens Wahrmanns Fährte. Dabei müssen sie allerdings das Misstrauen von Murats Bruder Teflik überwinden. Offensichtlich herrschen nämlich seitens der „Ausländer“ ebenso große Vorbehalte gegenüber „Deutschen“, Behörden zumal, wie umgekehrt gegenüber „Ausländern“. Jeder will eben für sich bleiben. Dazu braucht es nicht einmal islamistische Hetzprediger (die hier nicht auftreten).

Auf diesem mühseligen Weg kommen jedenfalls Caro und Sabrina dem Hintermann doch noch auf die Spur. Und da sie gerade noch rechtzeitig kommen, als Jens und Oana in die Enge getrieben sind, können sie offenbar auch Leben retten. So ein Showdown hat etwas für sich, aber der Drehbuchautor macht es sich und seinen Polizistinnen einfach: Sie brauchen gar nicht auf Lipinski zu schießen. Den Rest erledigt eine morsche Regenrinne. Auf diese Weise braucht später niemand eine moralische Schuld an Lipinskis Tod mit sich sich herumzuschleppen.

Auch die Spannung vor dem Anschlag auf Sabrina ist an den Haaren herbeigezogen: Sabrina ist verliebt und hat ihr Handy abgeschaltet – oder vergessen, es einzuschalten. Man fasst es kaum! Dadurch kann Caro sie nicht vor der drohenden Gefahr warnen.

Auch die Tatsache, dass die beiden Kolleginnen eigenmächtig die Aussage des Mörders von Isa Gerke „verschwinden“ lassen, will so gar nicht in die Realität passen, deren Bild uns täglich in der Zeitung entgegenspringt. Sie haben zwar das moralische Recht auf ihrer Seite, um die Zukunft des Mörders zu schützen, doch das Gesetz ganz sicher nicht. Es ist eben doch Fernsehen, was wir hier vorgesetzt bekommen. Wer das mit der Wirklichkeit verwechselt, ist selber schuld.

_Die Sprecher/Die Inszenierung_

Am besten wirken die Stimmen der Schauspielerinnen, die ja direkt vom TV-Band stammen, wenn sie sehr emotional sind. Das fällt Despina Pajanou, die zudem Ich-Erzählerin ist, nicht schwer. Sie trauert einerseits um Ellen Ludwig, bis die Niedergeschlagenheit der Wut weicht. Und diese Wut entlädt sich nicht zuletzt an der völlig unschuldigen Caro, die sie am liebsten zur Sau machen möchte. Dass Caro dann auch noch Ellens Nachfolgerin wird, gibt Sabrina den Rest.

Caro kommt in ihrer Rolle weniger gut weg als Sabrina, folglich muss Caros Darstellerin Eva Herzig (siehe Titelfoto) etwas härter daraufhin arbeiten, Eindruck zu machen. Dies gelingt ihr allerdings nur bedingt, ob als Mutter, Polizistin oder als engagierte Lehrerin: Sie bleibt eben immer nur die Nummer 2 hinter Sabrina / Pajanou. (Immerhin bietet die Rolle eine gewisse Vielfalt.)

Damit steht Eva Herzig fast auf einer Stufe mit allen männlichen Darstellern. Unter Letzteren ragt lediglich der Sprecher von Teflik Güzmal heraus. Teflik wird gemimt und gesprochen von Oktay Özdemir. Man könnte ihn ohne weiteres als Interpreten eines Lexikons von „Kanak-Sprak“ engagieren. Den Akzent hat er jedenfalls voll drauf.

|Musik und Geräusche|

Die Geräusche entsprechen denen im Film und der Zuhörer kann sich ohne weiteres die zugehörige Umgebung vorstellen. Nur an einer Stelle habe ich gerätselt, was das soll. Die Theater-AG übt wieder einmal „Macbeth“. Während im Vordergrund ein Dialog abläuft, ist im Hintergrund undeutlich ein skandierter Sprechgesang zu hören, der zu keiner mir bekannten Stelle in Shakespeares Stück gehört.

Dafür ist die Musik recht eindrucksvoll und passend. Jede Szene hat ja ihre eigene Stimmung und erfordert die entsprechende Instrumentierung. Nach dem rockigen Intro rückt die Musik in den Hintergrund, bis sie sich in Gestalt einer melancholischen Ballade wieder in den Vordergrund drängt. Die akustische Gitarre illustriert Sabrina Trauer überdeutlich. Als Caro bei ihrer Mutter und ihrer Tochter hereinschaut, deutet ein Piano zerbrechliche Emotionen an.

Gleich danach ein harter Kontrast: Auf dem Schulhof feiert das Verbrechen weitere Erfolge. Ein dynamischer Synthesizer sowie eine darauf folgende drum machine evozieren den Adrenalinschub, den das Rauben, Dealen und Zudröhnen den Jugendlichen verschafft. In den weiteren Szenen werden diese Hand voll Musikmotive variiert oder auch nur einfach wiederholt. Sie alle stammen aus dem Hause Horst-Günter Hank und Dennis Kassel, das neuerdings auch für die Produktion von Hohlbeins Hörbuch-Serie „Raven“ herangezogen wurde.

_Unterm Strich_

Diese Hörbuchproduktion hinterlässt bei mir einen zwiespältigen Eindruck. Das Hörbuch an sich ist ausgezeichnet produziert, wozu nicht zuletzt auch die Fernsehvorlage einen wesentlichen Anteil beträgt. Auch der ungeschminkte Realismus hinsichtlich der Darstellung der kriminellen Zustände an der Schule ist zu begrüßen und hat wohl auch die Preisjurys überzeugt.

Was mich jedoch stört, sind eben jene Aspekte an der Handlung, die auf die Genrekonventionen zurückgehen: Da schaltet die Polizistin ihr Handy ab, um sodann ahnungslos in die Falle zu tappen. Und dass das Geständnis des Mörders plötzlich „verschwindet“, ist der romantischen Ansicht geschuldet, Polizisten könnten vor Ort selber Richter spielen, wenn die moralische „Gerechtigkeit“ danach verlangt.

Ansonsten funktionieren einige Spannungseffekte und überraschende Wendungen ausgezeichnet. Dass sich Jens Wahlmann als Mörder outet, nehmen wir ihm natürlich keine Sekunde ab. Aber können wir wirklich sicher sein? Er ist zumindest der Strafvereitelung schuldig, aber auch dafür wird er nicht verknackt. Einen gespaltenen „Helden“ wie ihn muss man einfach lieb haben, gell?

Fortsetzung folgt:

– Doppelter Einsatz Nr. 2: Gefährliche Liebschaften;

– Doppelter Einsatz Nr. 3: Der Fluch des Feuers.

|92 Minuten auf 2 CDs|