Nimmo, Jenny – Charlie Bone und die magische Zeitkugel (Die Kinder des roten Königs 2)

Die Kinder des roten Königs 1: [„Charlie Bone und das Geheimnis der sprechenden Bilder“ 1992

Nach den turbulenten Ereignissen in der Ruine der Bloor-Akademie hat Charlie seine Ferien so richtig genossen. Aber jetzt ist Weihnachten herum, und obwohl draußen beinahe arktisches Wetter herrscht und in Benjamins Schule der Unterricht ausfällt, holt Charlie die Schule wieder ein.

Und gleich am ersten Abend stolpert er über das nächste Abenteuer in Form eines Jungen, der plötzlich in der Eingangshalle wie aus dem Nichts auftaucht. Der Junge heißt Henry, sieht Charlie ziemlich ähnlich und ist auch ungefähr genauso alt. Bald stellt sich heraus, dass er Charlies Urgroßonkel ist. Eine magische Zeitkugel hat ihn um neunzig Jahre in die Zukunft versetzt.

Jetzt gilt es, Henry schleunigst zu verstecken. Denn die beiden wurden von Billy Raven beobachtet, und Charlie hat längst gemerkt, dass mit Billy in letzter Zeit etwas nicht stimmt. Tatsächlich suchen schon am nächsten Tag sämtliche Bloors nach Henry, und natürlich vor allem auch nach der magischen Zeitkugel. Um diese beiden in Sicherheit zu bringen, müssen Charlie und seine Freunde sich ganz schön anstrengen …

Jenny Nimmo baut ihren Zyklus sehr vorsichtig weiter aus. Bei den Charakteren sind drei Neuzugänge zu verzeichnen.

Zunächst natürlich Henry, der gleichaltrige Urgroßonkel. Seine Verwirrung angesichts der fremdartigen Welt, in die er geraten ist, hält sich in Grenzen. Das kommt wahrscheinlich daher, dass ihm als einem Verwandten der Bloors Magie nicht völlig fremd ist. Er weiß, wie die Zeitkugel funktioniert, was ihn aber nicht davon abgehalten hat, trotzdem hineinzuschauen. Kinder sind eben oft einfach noch unvernünftig und die Neugier stärker als die Angst. Insofern ist Henry gut getroffen.

Desweiteren wäre Mrs. Bloor zu nennen. Die Misshandlung und Unterdrückung durch die Familie ihres Mannes, der sie aus reiner Geldgier geheiratet hat, haben aus ihr ein verhuschtes, trübseliges Geschöpft gemacht. Dass aber sogar Manfred mit Begeisterung seine eigene Mutter quält, obwohl er gleichzeitig wohl eine gewisse Zuneigung zu ihr empfindet, zeigt schon einen recht verqueren Charakter! Kein Wunder, dass Mrs. Bloor die unverhoffte Gelegenheit der Zeitkugel nutzt, um schleunigst zu verschwinden!

Der wichtigste Zuwachs ist die Köchin. Eine mütterliche und gleichzeitig resolute Frau, der es ein großes Bedürfnis ist, Kinder zu beschützen, vor allem, wenn sie es schwer haben. Wie zum Beispiel der verfolgte Henry … Dabei bietet sie sogar Manfred die Stirn, was nicht weiter verwundert, denn offenbar ist auch die Köchin sonderbegabt. Sie wohnt in einer kleinen gemütlichen Wohnung innerhalb der Akademie, deren Zugang hinter einem Küchenschrank versteckt ist. Wie weit die Absonderlichkeiten im Hinblick auf diese Frau den Bloors bekannt sind, ist nicht ganz klar, jedenfalls kommt keiner von ihnen auf die Idee, Henry bei ihr zu suchen. Nicht einmal der Hund von Manfreds Großvater ist bereit, sie zu verraten.

In welchem Umfang Henry in den folgenden Bänden noch eine Rolle spielen wird, ist nicht sicher. Zwar ist er noch in Reichweite, aber da er keine Sonderbegabungen hat, gibt es eigentlich keinen Grund mehr für ihn, noch einmal aufzutauchen. Mrs. Bloor hat sich wie gesagt aus dem Staub gemacht.
Der einzige auf Dauer relevante Neuzugang dürfte deshalb die Köchin sein. Die ist aber auch wirklich interessant und ein echter Gewinn. Eine Verbündete innerhalb der Akademie, dann auch noch in einem solchen Versteck und mit einer Sonderbegabung, das klingt vielversprechend!

Auch im Hinblick auf die Handlung und die „Ausstattung“ erfolgte der Ausbau eher zurückhaltend.

Neu ist natürlich die Zeitkugel. Eine nette Idee, die die Handlung für diesen Band gestiftet hat, ähnlich wie der Roboter und der Metallkasten im ersten Teil. Genau wie diese ist auch die Zeitkugel am Ende des Buches wieder verschwunden und macht Platz für einen neuen Handlungsmotor.

Eine nachhaltigere Neuerung ist die Tatsache, dass Charlie inzwischen nicht nur die Leute auf Fotos und Gemälden hören, sondern auch in die Bilder eintreten kann. Er befindet sich dann tatsächlich an dem Ort auf der jeweiligen Abbildung und in Gegenwart der dort anwesenden Personen, die ihn auch wahrnehmen können. Nur der Rückweg bereitet ihm noch ziemliche Schwierigkeiten. Seinen ersten Versuch wagt er mit einem Gemälde, das seine Großmutter Bone absichtlich in der Küche liegen gelassen hat. An sich bereits ein ziemliches Wagnis, wenn man bedenkt, dass diese Großmutter nicht unbedingt seine Freundin ist! Wie war das noch mal mit dem kindlichen Leichtsinn? Trotzdem ist es Charlie gelungen, mit genau dem Werkzeug aus dem Bild zurückzukehren, das er braucht, um Henry zu helfen, anstatt sich von dem Magier im Bild zu einer Dummheit überreden zu lassen. Immerhin!

Das Werkzeug ist die zweite Neuerung, die langfristigere Auswirkungen besitzt. Es handelt sich um einen weißen Zauberstab, der einst einem walisischen Zauberer gehört hat. Jetzt hat Charlie nicht nur seine Sonderbegabung, sondern auch außerhalb dieser Zugriff auf Magie. Zumindest so lange, wie er den Stab vor den Bloors geheimhalten kann.

Die Erweiterung der Rahmenhandlung schließlich kommt sandkörnchenweise daher. Neu sind eigentlich nur der Baum mit den rotgoldenen Blättern, das Café der glücklichen Haustiere und sein Geheimgang in die Ruine des Bloors sowie der Schatten hinter dem Bild des roten Königs im Hausaufgabenzimmer der Sonderbegabten, dem einzigen Bild, das Charlie nicht reden hören kann. Hier lässt die Autorin sich besonders viel Zeit, aber schließlich soll der Rahmen ja wohl noch für einige weitere Bände reichen.

Was den Aufbau der Geschichte angeht, hat sich Jenny Nimmo an ihr Konzept vom ersten Band gehalten. Beschreibungen von Gegenständen und Charakteren oder auch Erklärungen von Funktionsweisen – etwa der Zeitkugel – wurden zugunsten der eigentlichen Handlung eher knapp gehalten. Die Handlung selbst ist nicht mit so vielen Überraschungen gespickt wie im ersten Teil, macht dafür aber einen etwas atemlosen Eindruck, vor allem, weil Henry sich ständig aus seinen Verstecken davonschleicht und jedes Mal entdeckt wird! Charlies Rettungsversuche werden oft genug vereitelt, nicht nur durch Billys Spionage, sondern auch durch die aufmerksame Bewachung, die ihm tagsüber durch Manfred, nachts durch seine Tante Lucretia zuteil wird. So verwundert es nicht, dass Henrys Rettung letztlich außerplanmäßig auf ganz unkonventionelle Weise erfolgt …

Der einzige Knacks, über den ich gestolpert bin, betrifft den Speisesaal. Im ersten Band saßen noch alle im selben Raum, jeder Schulzweig an seinem Tisch. Jetzt erwähnt die Autorin plötzlich einen eigenen Speisesaal für jeden Zweig, und sogar für jeden der drei Speisesääle eine eigene Küche. Wie in diesem Fall allerdings Olivia Manfreds bissige Bemerkung über ihre Haare gehört haben soll, und wo bei einer solchen Aufteilung die Lehrer sitzen, das ist ziemlich unklar. Ich denke aber nicht, dass solche Dinge auch Kindern zwischen acht und zwölf auffallen.

Im Vergleich zu Rowlings Blockbuster, der sich aufgrund der doch recht starken Ähnlichkeiten immer wieder aufdrängt, klingt das alles ziemlich bescheiden. Andererseits hat Charlie Bone am Ende des ersten Bandes gerade mal ein paar Wochen am Bloor verbracht, der zweite Band umfasst nur drei Wochen. Harry hat nach zwei Bänden bereits zwei ganze Schuljahre hinter sich.

Spätestens hier zeigt sich deutlich, dass Charlie Bone für jüngere Kinder geschrieben wurde. Und während Harry seiner ursprünglichen Leserschaft spätestens im fünften Band aus den Schuhen rauswächst, wird Charlie Bone wohl noch länger Kind und damit seinen Fans treu bleiben.

Jenny Nimmo arbeitete unter anderem als Schauspielerin, Lehrerin und im Kinderprogramm der BBC. Geschichten erzählte sie schon als Kind, Bücher schreibt sie seit Mitte der Siebziger. Unter anderem stammt der Zyklus |Snow Spider| aus ihrer Feder, sowie „Im Garten der Gespenster“, „Der Ring der Rinaldi“ und „Das Gewächshaus des Schreckens“. „Charlie Bone und das Geheimnis der sprechenden Bilder“ ist der erste Band des Zyklus |Die Kinder des roten Königs| und hat sie auch in Deutschland bekannt gemacht. Seither sind drei weitere Bände von Charlie Bone erschienen, „… die magische Zeitkugel“, „… das Geheimnis der blauen Schlange“ und im Februar dieses Jahres „… und das Schloss der tausend Spiegel“.

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