Nix, Garth – Abhorsen (Das alte Königreich 3)

Band 1: [„Sabriel“ 1109
Band 2: [„Lirael“ 1140

Lirael und Sam haben es bis ins Haus der Abhorsen geschafft, wo sie allerdings bald von den Sklaven einer größeren Toten belagert werden. Um das Haus verlassen zu können, müssen sie einen unterirdischen Tunnel benutzen, was nicht ganz ungefährlich ist. Auch sonst müssen sie sich einige Tricks und Kniffe einfallen lassen, um ungeschoren den roten See zu erreichen, wo Sams Freund Nick sich aufhält und das Grauen ausgräbt. Bei ihrer Ankunft stellen sie mit Schrecken fest, dass die beiden silbern schimmernden Hemisphären, um die es geht, bereits auf Kähne verladen werden. Obwohl es Lirael gelingt, Nick aus dem Lager zu holen, kann sie nicht verhindern, dass er sich von ihr losmacht und zu Hedge zurückkehrt, und dass die Hemisphären abtransportiert werden. Auch die Überwindung der Mauer kann sie nicht verhindern. Jetzt bleibt nur noch, die Blitzfarm in Ancelstierre zu vernichten, ehe die Hemispären dort eintreffen. Doch die Zeit läuft Lirael und ihren Freunden davon …

|Charakterreifung und Enthüllungen|

Im letzten Band gelingt es Lirael endlich, sich von ihrem verzweifelten Wunsch nach einem Leben als Clayr zu lösen und sich selbst und ihre wahre Aufgabe zu akzeptieren. Zwar ist sie nicht frei von Angst bei dem, was sie tun muss, doch wie so oft hat sie als Heldin weder eine Wahl noch die Zeit, überhaupt darüber nachzudenken. Am Ende der Ereignisse fehlen allerdings die Bitterkeit und das Selbstmitleid, welche die Erkenntnis, dass sie keine echte Clayr ist, stets begleitet haben. Lirael ist erwachsen geworden.

Ebenso Sam. Seit sich herausstellt hat, dass er gar nicht der Abhorsen-Nachfolger ist, sondern das Blut der Mauermacher trägt, jener Chartermächte, die sich mit den Steinen der Mauer zwischen Ancelstierre und dem alten Königreich verbanden und darin aufgingen, ist der Druck einer Bürde, für die er nicht gemacht ist, von ihm abgefallen. Auch er hat immer noch Angst, aber jetzt, wo er weiß, dass er seiner Aufgabe auch gewachsen ist, fällt es ihm leichter, die Angst zu beherrschen. Er ist sogar bereit, sich Hedge zu stellen! Sein gestärktes Selbstbewusstsein ist für Lirael eine große Hilfe.

Aber nicht nur Lirael und Sam sind innerlich gewachsen, auch Hedges Macht hat außerordentlich zugenommen, seit die Hemisphären ans Tageslicht gelangt sind. Gleichzeitig verschiebt sich der Schwerpunkt des Kampfes von Hedge weg. Obwohl noch gefährlicher als zu Anfang, ist Hedge jetzt endgültig nur noch der Handlanger einer weit größeren Macht, die immer selbstständiger agiert, je näher sie ihrem Ziel kommt.

Die größte Überraschung waren Moggets wahre Identität sowie die der fragwürdigen Hündin. Wobei die Enthüllung Letzterer nicht ganz so überraschend war, eher wie ein Déjà-vu, das mich schmunzeln ließ.

|Die Magie des alten Königreichs|

Diese Enthüllungen gehörten unter anderem auch zu den Puzzleteilen, die das Bild von der Magie des alten Königreiches weiter vervollständigten. Der Zusammenhang zwischen den Glocken und der Charter, das Rätsel um die Neun und die Entstehung der Welt sind nun geklärt. Trotzdem gibt es noch unbeantwortete Fragen, zum Beispiel die nach dem Geschlecht der Mauerbauer. Auch fragte ich mich, warum im ersten Band weder Mogget noch Touchstone über die Charter reden konnten. Bei Mogget ist es inzwischen nachvollziehbar, nicht aber bei Touchstone. Allerdings schätze ich, diese Fragen werden wohl unbeantwortet bleiben. Da es schwierig werden dürfte, eine Bedrohung zu ersinnen, die noch umfassender ist als die eben Bezwungene, ist in diesem Fall wohl nicht unbedingt mit einer Fortsetzung zu rechnen. Einerseits schade. Andererseits soll man immer dann aufhören, wenn es am schönsten ist!

Am schönsten trifft es in diesem Zusammenhang vielleicht nicht ganz, aber am besten. Während in Band zwei die Spannung zugunsten der Charaktere ein wenig nachgelassen hatte, zieht sie in Band drei wieder massiv an. Wer bei Nicks Entführung durch Lirael und der Erfüllung der Sicht der Clayr schon glaubte, die Entscheidung stünde kurz bevor, der hatte sich kräftig verrechnet. Stattdessen knickt der Autor die Handlung ab, lässt Nick fliehen und fängt damit quasi noch einmal von vorne an, nur diesmal unter größerem Zeitdruck. Und je größer der Zeitdruck wird, desto mehr Zeit lässt sich der Autor. Wieder mal wünscht sich der Leser eine Peitsche, die er knallen lassen kann, um die Handlung anzutreiben. Dabei kann man Lirael nicht vorwerfen, dass sie trödeln würde. Diesmal liegt es eher daran, dass auf den letzten paar Seiten mehr Handlungsstränge gleichzeitig ablaufen als im gesamten Zyklus! Gekonnt lässt Nix den Leser beobachten, wie die Vorbereitungen zum Countdown ablaufen, schön langsam, aber offenbar immer noch schneller als alles, was Lirael und ihre Gefährten unternehmen, um es zu verhindern. So, wie in Band eins Kerrigor ins College eindringt, bevor sein Körper zerstört ist, so ist auch diesmal der Bösewicht befreit, bevor irgendjemand etwas dagegen unternehmen konnte. Und genau wie in Band eins nimmt der Kampf auch diesmal eine unerwartete Wendung …

|Abschlussbetrachtung|

Garth Nix ist es gelungen, einen spannenden und düsteren Zyklus zu schaffen, ohne seine Erzählung besonders auszuschmücken oder in unappetitlichen Details zu versinken, was sich auch in der relativen Kürze von ca. vierhundert Seiten der einzelnen Bände zeigt. Der Schwerpunkt liegt größtenteils auf der Handlung und der Magie rund um den Tod und die Totenbeschwörung. Erstaunlicherweise führt |Amazon| Band zwei und drei in der Kategorie Jugendbuch, was bei Band eins nicht der Fall ist. Meiner Meinung nach gehört der Clayr-Zyklus nicht unbedingt in die Jugendbuchsparte. Nicht, weil er „nicht jugendfrei“ wäre – alles, was hier mit Liebe zu tun hat, ist kaum mehr als die Andeutung einer Randerscheinung – sondern weil der finstere Tenor des Buches und die starke Betonung der Nekromantie stellenweise doch recht starker Tobak sind.

Also nichts für Liebhaber romantischer Fantasy, sondern eher für Leute, die es gern dunkel und ein wenig gruselig mögen. Für Letztere allerdings gilt: unbedingt lesen!

Sehr angenehm war das nahezu fehlerfreie Lektorat. Auch die Karte ist gut lesbar, was bei Taschenbuchausgaben nicht unbedingt immer der Fall ist. Zusätzlich hat |Lübbe| gegenüber der gebundenen Ausgabe von |Carlsen| einen Knacks bereinigt, sodass Lirael jetzt auf beiden Einbänden von Teil zwei und drei gleich aussieht. Dafür ist die Grundstimmung des Buches nur beim dritten Cover einigermaßen getroffen, in dieser Hinsicht hat |Carlsen| die bessere Ausführung.

Garth Nix ist gebürtiger Australier und war nach dem Studium in den verschiedensten Bereichen der Buchindustrie tätig, ehe er selbst zu schreiben begann. Außer seinem Zyklus |Clayr| stammen von ihm die Jugendbuch-Zyklen |Seventh Tower| und |Keys to the Kingdom|. Letzterer ist noch nicht abgeschlossen – Band fünf ist für März nächsten Jahres vorgesehen. Auf Deutsch erhältlich sind bisher nur |Clayr| und |Seventh Tower|.

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