Nix, Garth – Sabriel (Das alte Königreich 1)

Sabriel ist gerade erst mit der Schule fertig. Eigentlich freut sie sich darauf, ihren Vater wiederzusehen, aber er kommt nicht. Nur ein Sendling von hinter der Grenze des Todes taucht auf und bringt Sabriel Schwert und Glocken ihres Vaters. Sie weiß nun, dass ihm etwas zugestoßen sein muss. Noch in derselben Nacht packt sie ihre Sachen und macht sich auf zur großen Mauer, die Ancelstierre vom alten Königreich trennt. Kaum hat sie das alte Königreich betreten, gerät sie in eine extreme Gefahr, welche sie mit tödlichem Hass durch das gesamte Land verfolgt …

|Charaktere|

Garth Nix‘ Heldin ist noch jung und unerfahren. Da sie in Ancelstierre aufgewachsen ist, weiß sie fast nichts über ihre Heimat, das alte Königreich. Ihr Durchsetzungsvermögen und ihr Wagemut basieren nicht zuletzt darauf, dass sie so wenig Ahnung von den Verhältnissen auf der anderen Seite der Mauer hat. Sie handelt aus dem Bauch heraus und tut manches Mal nur instinktiv das Richtige, nicht, weil sie die Situation beherrscht. In eine Rolle gedrängt, die ihr zu groß scheint, legt sie nur umso größeren Wert darauf, sie selbst zu sein. Das macht sie sympatisch.

Mogget, die weiße Katze, ist ziemlich gut getroffen. Sie hat viel Kätzisches an sich, obwohl sie eigentlich gar keine Katze ist, sondern ein gebundener Geist freier Magie. Mit ihrer Herablassung geht sie Sabriel manches Mal gehörig auf die Nerven, ist aber auch ein guter Ratgeber, ein verlässlicher Wächter und ein machtvoller Verbündeter.

Touchstone ist dagegen zunächst ein ziemlicher Jammerlappen. Er muss offenbar erst einmal richtig aufwachen, ehe er nützlich werden kann. Das bezieht sich weniger auf seine Erinnerungen, die nach seiner Rettung aus dem Totenreich nur langsam zurückkehren, als vielmehr auf sein Verhalten. Ansonsten ist er der typische Adlige: edelmütig, tapfer und mächtiger als erwartet.

Der Bösewicht ist Kerrigor, ein so genannter Großer Toter. Wer sich hinter dieser schattenhaften Bedrohung wirklich verbirgt, erfährt der Leser erst gegen Ende, da Kerrigor zunächst nur seine Handlanger in den Kampf schickt. Feststeht jedoch, dass es sich bei ihm um die größte Gefahr handelt, die das Totenreich zu bieten hat: einen ehemaligen Adepten der freien Magie.

Die Charakterzeichnung ist deutlich, geht aber nicht über das Minimum hinaus. Lediglich Sabriel ist etwas genauer ausgeführt, sie hat Gedanken und Gefühle. Über die anderen erfährt man kaum etwas: nichts über die Motive Kerrigors, fast nichts über Moggets wahres Wesen und über Touchstone nur das, was man zum Verständnis der Handlung wissen muss.

|Anceltierre und das alte Königreich|

Das gilt auch für andere Teile des Buches. Zum Beispiel für den Entwurf Ancelstierres und des alten Königreiches.

Ancelstierre wirkt ein wenig wie ein europäisches Land in den Endzwanzigern des letzten Jahrhunderts. Es gibt bereits Autos und Flugzeuge, aber die meisten Leute fahren offenbar noch mit dem Pferdefuhrwerk. Es gibt elektrisches Licht und Telefon, es gibt Läden mit Schaufenstern, Kinos und wahrscheinlich auch Tanzbars und Ähnliches. Andererseits wird am College noch Etikette unterrichtet, und es gilt als höchst unanständig, wenn ein junges Mädchen allein mit einem jungen Mann unterwegs ist.

Da Ancelstierre offenbar eine Nation aufstrebender Technik ist, hält die Regierung nicht viel von Zauberei. Dennoch wird am College auch Magie unterrichtet. Denn so mancher Bedrohung an der Grenze kann man einfach nicht anders als mit Magie begegnen.

Im alten Königreich dagegen hat Magie ihren festen Platz. Sie tritt in zwei Formen auf. Einerseits als Chartermagie, wobei Charter die Bezeichnung für die guten Elemente der Magie ist, wenngleich eine genaue Definition nicht gegeben wird. Sichtbare Zeichen dieser Magie sind die Chartersteine, die das Land beschützen, sowie Moggets Halsband und der dazugehörige Ring. Auf der anderen Seite gibt es die freie Magie, die in der Regel zerstörerisch wirkt und daher als böse gilt. Mit ihr werden Chartersteine zerstört, sie schützt Kerrigors Sarkophag.

|Nekromantie und der Tod|

Detaillierter ausgebaut ist nur der zentrale Punkt der Handlung, die Nekromantie.

Nekromantie wird eigentlich definiert als Totenbeschwörung in dem Sinne, dass Tote aufgeweckt werden, zu welchem Zweck auch immer. Garth Nix hat die Bedeutung ein wenig aufgeweitet, denn auch Sabriels Vater wird als Nekromant bezeichnet, obwohl seine Aufgabe darin besteht, die Toten zu binden, also dort zurückzuhalten, wo sie sein sollten. Dazu wird auch Chartermagie benutzt, ein weiteres Zeichen dafür, dass Nekromatie nicht zwangsläufig böse ist. In der Hauptsache ist sie aber auch hier negativ behaftet. Um die Aufgabe der Totenbindung von den Nekromanten der freien Magie abzugrenzen, trägt der entsprechende Magier den Titel Abhorsen.

Auch ist es hier bei der Totenbeschwörung nicht damit getan, dass im Schein brennender Kerzen und im Rauch irgendwelcher Käuter Blut vergossen und zusammen mit den entsprechenden Gesten Formeln gemurmelt werden müssen. Hier gehören zum Handwerk eines Nekromanten lediglich eine magische Formel, gepaart mit Gestik, und diverse Glöckchen, welche die Toten auf verschiedene Weise beeinflussen. Wer allerdings Kontakt mit den Toten aufnehmen will, muss zunächst einmal selbst die Grenze zum Tod überschreiten, je nachdem, zu welchem Zweck, mehr oder weniger weit. Dass das nicht ungefährlich ist, versteht sich von selbst.

Die massive Konfrontation mit dem Tod macht dieses Buch zu einer recht düsteren, bedrohlichen Lektüre, zumal Kerrigor ein Adept der freien Magie war. Das verleiht ihm Macht nicht nur über geringere Tote, sondern auch über die Lebenden! Abgesehen davon hat er die unterschiedlichsten Helfer, von lebensaugenden Parasiten bis hin zu feurigen Schöpfungen aus Sumpferde, Menschenblut und freier Magie, die Garth Nix alle sehr anschaulich beschreibt.

Zusätzlich droht er ständig mit Demontage, damit, die Sicherheit eines Ortes als trügerisch zu entlarven. Das gilt für das Haus von Sabriels Vater ebenso wie für Heiligenhall. Je weiter der Leser kommt, desto größer wird die Bedrohung, als sich herausstellt, dass nicht einmal mehr der Sonnenschein oder fließendes Wasser eine Garantie dafür sind, dass die Protagonisten vor der ständigen Verfolgung durch den Tod geschützt sind. Die Aussicht, dass der Tod nicht das Schlimmste ist, was ihnen widerfahren wird, tut ein Übriges.

|Leseerlebnis|

Seit Clemens‘ |Hexenzyklus| habe ich nichts mehr gelesen, das so spannend gewesen wäre! Noch dazu, weil Sabriel genau den Fehler macht, den alle Helden ständig machen: sie trödelt! Immer wieder! Sie weiß doch, dass sie verfolgt wird, und trotzdem steht sie draußen am Tor herum und wartet auf den Nebel, oder sie steht an der Haustür des College und beobachtet den Kampf gegen die einfachen Untoten. Warum zum Henker kümmert sie sich nicht endlich um den Sarkophag?! Ich hätte sie schütteln mögen! Und prompt war es dann zu spät!

Natürlich ist das Autorentaktik. Es steigert nicht nur die Spannung, sondern lässt auch überraschende Wendungen zu, eine Lösung des Problems, die von der ursprünglichen Planung abweicht. Trotzdem kann der Leser nicht anders, als dem Autor zu folgen, wider besseres Wissen, und er kaut sich dabei die Fingernägel ab. Trotz Nix‘ zügiger Erzählweise ist man gelegentlich versucht, ihn anzutreiben, aber genau dann lässt er sich natürlich Zeit. Eine Grenze aber, die Clemens nicht im geringsten gekümmert hat, hat Nix nicht überschritten: Er hat keinen seiner drei Hauptprotagonisten vernichtet. Zumindest jetzt noch nicht …

|Der Autor|

Garth Nix ist gebürtiger Australier und war nach dem Studium in den verschiedensten Bereichen der Buchindustrie tätig, ehe er selbst zu schreiben begann. Außer seinem Zyklus |Clayr|, dessen erster Band „Sabriel“ ist, stammen von ihm die Jugendbuch-Zyklen |Seventh Tower| und |Keys to the Kingdom|. Letzterer ist noch nicht abgeschlossen – Band fünf ist für März nächsten Jahres vorgesehen. Auf Deutsch erhältlich sind bisher nur Clayr und Seventh Tower.

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