Patric Nottret – Grünes Gift. Öko-Thriller

Biotech-Thriller: Normannen in Guyana

Als die Polizei in einem Wald bei Paris auf die verstümmelte Leiche stößt, die eine unbekannte Pflanze bei sich trägt, wendet sie sich an den Spezialisten für Umweltdelikte, Pierre Sénéchal. Der für seine exzentrische Art gefürchtete Zwei-Meter-Riese und mühlenbewohnende Feinschmecker findet heraus, dass es sich bei der Pflanze um eine unerforschte Spezies aus dem Amazonasgebiet handelt.

Kurze Zeit darauf werden ein Professor für Biotechnologie ermordet, eine junge Pariser Wissenschaftlerin von Biopiraten ins Unglück gestürzt und ein Auftragskiller mit Froschgift ins Jenseits befördert. Den Zusammenhang mit dem Auftauchen einer neuen Droge in Französisch-Guyana sieht jedoch keiner – außer eben Pierre Sénéchal …

Der Autor

Patric Nottret hat kriminalistische Hörspiele für das Radio geschrieben, bevor er sich mit seinem ersten Thriller „Grünes Gift“ in Frankreich in die Bestseller-Charts katapultierte. Dort hat er auch bereits seinen zweiten Roman um Pierre Sénéchal veröffentlicht.

Handlung

Ein Pilzsammler stößt in einem Wald nahe Paris auf eine übel verstümmelte Leiche. Dem Mann wurde das halbe Gesicht weggeschossen und der Ringfinger kaltblütig amputiert. Doch die Männer von Oberkommissar Destouches, der immer fein in Designerklamotten gekleidet ist, finden etwas, was der Mörder übersehen hat. Im Jackensaum sind ein Tütchen mit Blättern und Samen sowie ein Foto von einer unbekannten Pflanze. Destouches zieht seinen Lieblingskollegen Pierre Sénéchal vom FREDE, dem französischen Bundesamt zur Verfolgung von Umweltdelikten, hinzu. Sénéchal ist auf Verbrechen im Bereich Biotechnologie spezialisiert. Vielleicht liegt so etwas hier vor.

Sénéchal ist ein Zwei-Meter-Riese aus der Normandie, der eine alte Mühle bewohnt, mit einer alten Mühle fährt, die die Luft verpestet, und zu guter Letzt auch noch Feinschmecker ist. Dass er ein Waffenexperte ist, verschweigt er gerne. Als er sich mit dem Toten im Wald weiter beschäftigt, sieht Sénéchal die einmalige Chance, seinem kleinen missachteten Amt, das im Keller sein Dasein fristet, zu neuem Glanz und einem wesentlich höheren Budget zu verhelfen. Denn niemand sonst weiß mit der Pflanze des Toten etwas anzufangen.

Aber auf dem Foto finden sich nicht nur die Abbildung der Grünpflanze, sondern – man höre und staune – die verschlüsselten GPS-Koordinaten ihres Fundgebiets. Es liegt jenseits der Grenze der Kolonie Französisch-Guyana. Sobald Sénéchal und Destouches das Gesicht des Toten haben rekonstruieren lassen und obendrein in seiner Krawatte Metallstaub eines Raketenantriebs gefunden wird, lässt er sich auch schon identifizieren: ein Angestellter der Raketenbasis Kourou aus Guyana. Was wollte der Mann im guten alten Mutterland? Es kann sich nur um die Pflanze drehen.

Könnte es sein, dass der junge Mann jenen Professor für Biotechnologie aufgesucht hat, der kurz zuvor ermordet neben einer Warnung „Finger weg!“ gefunden wurde? Und hat sein Verschwinden etwas mit dem Fall der junger Pariser Biowissenschaftlerin zu tun, die zur Betriebsspionage verführt wurde – und jetzt ihren Job und ihre wissenschaftliche Karriere los ist? Für Sénéchal ist klar, dass die Morde in einem Zusammenhang stehen, der mehr als bedrohlich ist. Als er erfährt, dass in eben jenem Französisch-Guyana eine neue Droge aufgetaucht ist, kann ihn seine Chefin nicht mehr aufhalten. Das nötige Budget vom Umweltministerium zu ergattern, ist für einen Mann mit seinem hinterlistigen Verstand ein Klacks.

Doch in Guyana, in das er mit seinem Lieblingsbotaniker und -chemiker Lucrèce reist, findet Sénéchal wesentlich mehr, als er gesucht hatte, nämlich etliche Leichen …

Mein Eindruck

Nach der langen Einleitungsphase, in der uns der Autor das Metier und die Arbeitsweise der FREDE vorstellt, kommt es in Guyana endlich zu einer Action. Für deutsche Leser mag dies seltsam anmuten, aber die Franzosen regieren Guyana – genau wie Martinique und alle anderen Übersee-Departements – wie ihr eigenes Land, komplett mit Polizei, Gendarmerie, Jurisdiktion und Bürokratie. Warum auch nicht, denn schließlich betrachten sich die Franzosen als Missionare von Kultur und Zivilisation. Das bedeutet aber nicht, dass Sénéchal nun als arroganter Kulturmissionar auftaucht. Ganz im Gegenteil: Sobald er die Eingeborenen kennenlernt, erweist er sich als ihr Freund und sucht ihre Gesellschaft.

Dass zahlt sich schon bald aus und er erringt gegenüber dem Geheimpolizisten Edouard, der sein Verbindungsmann vor Ort ist, einen Informationsvorsprung. Edouard selbst sieht sich einer doppelten Bedrohung ausgesetzt: erstens den Drogenhändlern, die von Surinam – vormals Niederländisch-Guyana – aus Rauschmittel in sein Land importieren und zweitens dem Verräter in den eigenen Polizeireihen, dem diese Drogenhändler es zu verdanken haben, dass sie den Razzien entgehen. Und nun kommt dieser Sénéchal und weist Edouard auf ein weiteres Problem hin: Biopiraterie. Wie sich allerdings herausstellt, wird diese Form der biotechnologischen Ausbeutung der einheimischen Flora ebenfalls von den Drogenhändlern betrieben. Trifft sich das nicht günstig?

Die Drogenhändler und Biopiraten haben es auf das Geheimnis der Grünpflanze abgesehen, die der Tote bei Paris bei sich trug und die aus dem Grenzgebiet stammen soll. Ein Botaniker, der auf eigene Faust arbeitet, schickt den Drogenhändler Fotos, auf denen der Wachstumsfortschritt seiner Pflanzen zu erkennen ist. Und diese Pflanzen sind etwas ganz Besonderes. Aus den männlichen Exemplaren lässt sich eine Droge gewinnen, die die Abhängigkeit von anderen Drogen wie Kokain oder Heroin beendet, während sie dem Konsumenten Träume vom Kontakt mit den Göttern verschafft. Wer also diese Drogen in einem anderen Markt einführt, kann ihn ohne weiteres übernehmen. Dadurch wird diese Droge zu einem mächtigen Instrument im Wirtschaftskrieg der südamerikanischen Drogenbarone. Dass sie auch helfen könnte, in aller Welt Junkies von ihrer Sucht zu befreien, ist für diese Kriminellen natürlich zweitrangig.

Schon bald sind Edouard und Sénéchal dem Botaniker wie auch den Schergen der Drogenbarone auf der Spur und liefern ihnen im Dschungel ein heißes Feuergefecht. Der Botaniker taucht unter und mit ihm seine kostbaren Schößlinge. Aber Sénéchal weiß etwas Besseres, als diesen Solokämpfer zu verfolgen. Durch Edouard und einen alten Goldschürfer ist er darauf gestoßen, dass der Ursprung der Pflanze, welche die Droge liefert, an einem Berg namens Devil’s Egg zu finden sei. Er bricht auf, um sich vor Ort umzusehen, und stößt auf die Spuren eines Kampfes. Hier vernichteten die Drogenbarone Surinams einen ganzen Indianerstamm. Aber wozu? Um die Quelle des künftigen Reichtums zu schützen? Skelette weisen Sénéchal den Weg …

Der Humor macht’s

Obwohl die Ermittlung langwierig und verzweigt ist, die Action relativ kurz und die Auflösung so unglaublich geschwätzig, dass sie fast 70 Seiten dauert, werden alle diese Mankos durch den flüssigen Erzählstil und die humorvolle Figurenzeichnung wieder aufgewogen. Ich habe das Buch in nur drei Tagen gelesen, denn es liest sich fast von alleine und bereitete mir durch Sénéchal & Co. großes Vergnügen.

Man muss dazu wissen, dass Pierre Sénéchal nicht nur ein begnadeter Koch, verkappter Waffenexperte & Kämpfer, sondern auch ein durchtriebener Informationspolitiker ist, dessen Charme bei seinen Manipulationen stets zum Erfolg führt. Mit seiner strengen Chefin, Dame Pottier, verständigt er sich ausschließlich mit ausgesuchtem Sarkasmus, der schlagfertig erwidert wird. Den Redefluss nervender Schwafler wie etwa eines Insektenforschungsprofessors erstickt er im Keim, während er einen Wirtschaftsboss so lange einwickelt, bis dieser sich bereits davongekommen glaubt – dann schlägt Sénéchal gnadenlos zu. Merke: Jeder außer seinen zwei Frauen – Gattin und Tochter – muss vor seiner spitzen Zunge und seinem scharfen Verstand auf der Hut sein.

Es gibt noch eine Reihe weiterer Originale, so etwa Louise, die weitgereiste und nun verblühte Biologin mit der eigensinnigen Ratte, die sie Livingstone getauft hat. Sie versucht, Sénéchal zu bezirzen und er kann sich gerade noch mit hintersinnigen Schmeicheleien aus der Affäre ziehen. Und da ist Destouches, der wandelnde Kleiderständer. Da ist Lucrèce, der gar nicht so heißt, aber den Sénéchal nach dem römischen Naturforscher Lukrez („De rerum naturae“) so nennt. Und noch viele weitere. Diese Figurenzeichnungen in Kombinationen mit den damit verbundenen Wortgefechten sind so herrlich lustig zu lesen, dass mir die vielen Dialoge und längeren Erklärungen nie zur Last fielen.

Durch die Hintertür führt der Autor natürlich ziemlich ernste Themen ein, so etwa die aufkommende Biotechnologie und die damit verbundene kriminelle Variante der Biopiraterie. Die großen Pharmakonzerne verwenden jeweils mehrere hundert Millionen Dollar bzw. Euro für die Entwicklung eines neuen Medikaments. Da bedeutet es erhebliche Kostenersparnis, wenn man den Schamanen, Medizinmännern und sonstigen Heilern, die für das Wohlergehen von 80 Prozent der Menschheit zuständig sind, hier und da ein Geheimmittel abluchst – ohne dafür zu bezahlen, versteht sich. So geschieht es mit der fiktiven Pflanze aus dem Urwald von Surinam, der Sénéchal auf die Spur kommt.

Unter Biotechnik sind nicht nur genmanipulierter Mais oder Soja zu verstehen, sondern weit mehr: beispielsweise Pflanzensorten, die über eingepflanzte Insektizide oder Pestizide verfügen. Die Gene dafür stammen gar nicht von anderen Pflanzen, sondern von Tieren. Dass an der Biotechnik auch die Kriminellen gut verdienen wollen, versteht sich von selbst. Und wenn sie dann noch eine Droge herstellen können, die über neuartige Eigenschaften verfügt, könnten sie den Markt umkrempeln, egal wo.

So vergnüglich und höchst spannend der Roman also zu lesen ist, so ernsthaft ist auch die Materie, die der Autor uns näherzubringen versucht. Ich habe jedenfalls beides gerne gelesen.

Die Übersetzung

Die Übersetzung von Eliane Hagedorn und Barbara Reitz ist auf weite Strecken einwandfrei, doch sie wimmelt von Druck- und Setzfehlern, einmal fehlte auch ein Buchstabe. Verantwortlich für deren Vermeidung war der Textredakteur Boris Heczko.

Ich frage mich, ob es den Begriff „opus operandi“, wie er auf Seite 151 auftaucht, wirklich gibt. Meist wird „modus operandi“, die Vorgehensweise, geschrieben. Ein „opus“ jedoch ist ein Werk, meist in der Musik. Ein weiterer Sachfehler ist auf Seite 354 das „Kaliber zweisiebenundfünfzig“, also .257. Im ganzen restlichen Text ist jedoch vom korrekten Kaliber .357 die Rede.

Den Vogel schoss jedoch ein völlig unverständlicher Satz auf Seite 377 ab. „Ich, Junior, habe meinen ergebenen Adjutanten also gebeten, [sich?] bei dem vermeintlichen Einstellungsgespräch des [als?] Wirsantex-Mitarbeiter auszugeben, damit jeder die Nachricht begreift.“ Wenn man die in Klammer gesetzten Wörter einsetzt, wird vielleicht ein Schuh draus – aber nur im richtigen Kontext.

Unterm Strich

„Grünes Gift“ ist ein spannender Thriller über Biotechnologie und die Verbrechen, die sich damit begehen lassen. Das Besondere an Nottrets Buch im Unterschied zu ähnlichen Romanen ist seine vergnüglich zu lesende Erzählweise, die auf verschrobene Charaktere wie Pierre Sénéchal setzt, geschliffene Dialoge voller Sarkasmus und und eine ausgeklügelte Präsentation von Puzzlesteinchen bietet, an der sich die grauen Zellen des Lesers abarbeiten können. Weniger lustig ist hingegen die textliche Präsentation.

Paperback: 429 Seiten
Originaltitel: Poison vert, 2002
Aus dem Französischen von Eliane Hagedorn und Barbara Reitz.
ISBN-13: 9783404156177
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www.luebbe.de

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