Patric Nottret – Über den Wäldern ruht der Tod. Öko-Thriller

Der Umweltinspektor: Goldkäfern und Silberschätzen auf der Spur

Zwei französische Insektenforscher verschwinden spurlos. Die Suche nach ihnen führt Pierre Sénéchal, Spezialist für Umweltverbrechen, ins Amazonas-Gebiet. Er stößt auf die Kopie eines Kreuzes, das mit kabbalistischen Zeichen übersät ist. Mit Hilfe der brasilianischen Polizistin Maria-Esperanza Saint-Louis befragt er Mönche und Priester darüber – es entfacht offenbar religiöse Leidenschaften, die er am eigenen Leib zu spüren bekommt, als die frommen Männer ihm unvermittelt nach dem Leben trachten …

Der Autor

Patric Nottret hat kriminalistische Hörspiele für das Radio geschrieben, bevor er sich mit seinem ersten Thriller „Grünes Gift“ in Frankreich in die Bestseller-Charts katapultierte. Danach folgte „Über den Wäldern ruht der Tod“. Sein dritter Roman um den Umweltinspektor Pierre Sénéchal ist „H2O“. Nottret wurde laut Verlagsinfo 1953 in Saint-Denis de la Réunion geboren und hat eine ökologische Ausbildung vorzuweisen.

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[„Grünes Gift“ 4533
[„H2O“ 5858

Handlung

Der hünenhafte und mit einem sarkastischen Humor ausgestattete Pierre Sénéchal, Spezialist für Umweltverbrechen, wird von seiner Chefin, der „verehrungswürdigen“ Dame Pottier in den brasilianischen Urwald geschickt. Das französische Pharmaunternehmen Chitinex, das aus Insekten und Pflanzen des dortigen Urwaldes neue Wirkstoffe gewinnt, hat zwei seine Forscher verloren, die nach neuen Spezies suchten. Sénéchal nimmt den dicken Chemiker Serge „Lucrèce“ Mejaville mit, quasi als Geheimwaffe, und das erweist sich als kluge Wahl.

Er ahnt nicht, dass in der brasilianischen Region hinter Belém sehr merkwürdige Dinge vor sich gehen. Erst verschwinden zwei französische Forscher mitsamt ihrem Luftschiff, dann werden Kautschuksammler von Bombenfallen zerfetzt, und schließlich stoßen Indianer auf eine unheimliche Schlange, die Blitze aus Laserstrahlen verschießt. Auch von der Schießerei auf der Sojafarm des Magnaten Munoz hat Sénéchal noch nichts gehört. Ihr fielen sowohl Munoz als auch seine Konkurrent Darvalho zum Opfer. Sie wurden aus einer Entfernung von 1800 Metern von einem Scharfschützen erschossen.

Vor Ort in Belém arbeitet Sénéchal mit der wehrhaften Umweltpolizei-Kommissarin Maria-Esperanza Saint-Louis, zusammen, einer Indianerin, die weiß, wie man einen „Pushdagger“ einsetzt, einen in der Hand versteckten Dolch. In den Wohnungen der verschwundenen Franzosen stoßen Sénechal und seine Kollegen auf eine kleine Versuchsstation zur Züchtung von Goldskarabäen, die eine bestimmte Sojasorte zu fressen bekommen.

Von einem Insektenforscher erfährt Sénéchal, dass die Larven dieses bislang unbekannten und daher auf dem Sammlermarkt sehr wertvollen Skarabäus zu den größten Schädlingen von Sojapflanzungen zählen. Soll das heißen, dass hier ein Wirtschaftskrieg mit biologischen Waffen geführt wird, fragt Sénéchal. Diese Frage kann der Professor leider nicht beantworten. Aber klar ist, dass Sammler hohe Summen für die Insektenart zahlen würden, und das erklärt vielleicht auch die Webcam, mit der die zwei französischen Forscher ihre geflügelten Goldstücke fernüberwachten.

Aber es erklärt nicht die Skizze eines Kreuzes aus dem 16. Jahrhundert, das die beiden im Dschungel nahe ihrer Absturzstelle gefunden haben müssen. Pater de la Vega konsultiert einen Bekannten, Dom Faria de Queroz, einen rosenkranzbetenden Pater, von dem Sénéchal einen ziemlich merkwürdigen Eindruck hat. Dom Faria entdeckt auf dem Abbild des Kreuzes Symbole für die Sterblichkeit und die Apokalypse. Wie passend, knurrt der Umweltinspektor leise.

Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich auf die Spur der zwei Verschwundenen zu setzen. Vielleicht findet man dort dann auch das Original des Kreuzes. Der Ausflug in den Dschungel erweist sich jedoch als wesentlich gefährlicher als erwartet. Zu ihrer Überraschung stoßen Sénéchal und die Kommissarin auf die Ruinen eines vergessenen Dorfes von Kautschukbauern. Doch hier lauert der Tod in Gestalt von Sprengfallen auf sie …

Mein Eindruck

Selbst nach vier Fünfteln des Textes ist der Leser immer noch gespannt darauf zu erfahren, worauf dies alles hinauslaufen soll. Dem Autor gelingt es also hervorragend, den Leser bei der Stange zu halten. Er präsentiert ihm eine Menge Rätsel, die aber alle letzten Endes – wortwörtlich am Ende – ihre Auflösung finden.

Der Dschungel ist hier zugleich eine Metapher für das undurchsichtige Dickicht der Machenschaften von Forschern, Plantagenbaronen, Militärs und ehemaligen Kriegsverbrechern. Deren Interessen stehen denen der Aufklärung, auf die Umweltinspektoren und -polizisten aus Frankreich und Brasilien aus sind, diametral entgegen. Folglich kommt es bei der Aufklärung der Dschungelverhältnisse zu zahlreichen Konflikten, die sich steigern, bis Sénéchal sich schließlich in einer riesigen Falle sieht: Er wird von allen Seiten unter Beschuss genommen. Doch da er selbst bis an die Zähne bewaffnet ist, weiß er seine Haut teuer zu verkaufen.

Die Dschungel-Metapher hat der Autor diesmal auch auf die Form seines Textes übertragen. Durch die sehr kurzen Kapitel, die zwischen einer und maximal fünf Seiten lang sind, erinnert sein Buch diesmal stark Thriller von Jean-Christophe Grangé [(„Die purpurnen Flüsse“), 936 an Dan Brown und vor allem an James Patterson. Die Textsplitter liefern die Puzzlestückchen von Rätseln, aber auch filmische Schnipsel von Szenenfolgen.

Der Film ist wie gesagt die maßgebliche ästhetische Kategorie, mit der der Autor diesmal seine verzweigten Handlungsstränge präsentiert. Weil er weiß, dass das Filmpublikum, das auch sein Publikum ist, inzwischen durch Filme wie „Babel“ oder „Syriana“ an die multiperspektivische Erzählweise gewöhnt worden ist, kann er diese Strategie ebenfalls einsetzen. Es gibt nur eine Bedingung: Der Leser muss zügig lesen, sonst verliert er Anschluss und Übersicht. Das zügige Lesen ist jedoch durch genau diese kleinen appetitanregenden Häppchen sehr erleichtert. Man kann locker 200 Seiten am Stück weglesen, ohne müde zu werden. Die vielen halbleeren Seiten tragen dazu bei, dass sie wie von selbst vorüberfliegen.

Worum geht es überhaupt?

Auf der inhaltlichen Seite präsentiert uns Nottret diesmal ein Sammelsurium von mehreren Themen, und man muss seinen Glauben an die Wahrscheinlichkeit ein wenig aufgeben, um zuzugeben, dass alle diese Themen gleichzeitig auftreten können. Die Realität ist komplex. Warum sollte ein Roman, der vorgibt, sie abzubilden, es nicht auch sein?

Da sind zunächst die Insektenjäger, mit denen alles anfängt. Sie wollen die Goldskarabäen verkaufen und in der Wissenschaft Ruhm ernten, kein Problem. Sie finden ein Grabkreuz aus dem 16. Jahrhundert, doch wie kommt dieses in den hintersten Dschungelwinkel? Es gehört zu einer Kirche und zu einem Friedhof, die beide diverse gefährliche Geheimnisse bergen.

Raubbau

Dann ist da noch der mehr oder weniger verborgene Dschungelkrieg, den sich die Soja- und Rinderbarone liefern, allen voran Munoz und Carvalho. Diese roden den Urwald völlig illegal, weil sie die korrupten Beamten schön längst in der Tasche haben – auch den Gouverneur. Jede Minute fallen ihnen und anderen Räubern wie etwa Rohstoffkonzernen 2000 Hektar Urwald zum Opfer, also mehrere zehntausend Quadratkilometer pro Jahr.

Im Jahr 2050 wird der Amazonas-Urwald auf die Hälfte seiner aktuellen Größe geschrumpft sein. Das sind erschreckende Zahlen, wenn man bedenkt – und Nottret erinnert uns laufend daran -, dass das Amazonasbecken nicht nur die Lunge der Welt ist, sondern auch die größte Artenvielfalt der Welt aufweist (das Fachwort lautet „Biodiversität“ und wird im Text nicht näher erläutert, da es sich selbst erklärt). Dass dieser Vernichtungsprozess die ganze Welt angeht, sollte eigentlich jedem klar sein. Die Folgen der 33.000 Brände pro Jahr lassen sich an der zunehmenden Klimaerwärmung ablesen (ich vermeide den scheinheiligen Politiker-Terminus „Klimawandel“, der überhaupt nichts aussagt, denn damit könnte genauso gut die nächste Eiszeit gemeint sein).

Mehr Themen

Also müsste es eigentlich ganz toll sein, wenn diese gierigen Sojabarone und Hamburgerlieferanten (denn von dort holen viele Schnellimbissketten ihr Rindfleisch) erschossen werden. Inspektor Zé Ferrara hat damit jedoch ein Problem, denn erstens mag er es nicht, wenn in seinem Bezirk irgendwelche Unbekannten seine Schützlinge abmurksen, und zweitens sind die Umstände in höchstem Maße mysteriös. Wie konnte es dem unbekannten Täter gelingen, durch einen verschlossenen Eingang auch noch ins verbarrikadierte Allerheiligste der Wochenendhütte von Senhor Munoz vorzudringen? Von drei erschossenen Leibwächtern ganz zu schweigen.

Die Ermittlung des aufrechten Inspektors und die Forschungen von Sénéchal und seiner Umweltkommissarin führen unweigerlich zusammen, denn beide folgen den Spuren einer tödlichen Technologie: Kampfroboter. An der Militärakademie erklärt ihnen ein Ingenieur voller Stolz auf die neuesten Errungenschaften der Kampfrobotik, die die glorreichen Vereinigten Staaten von Amerika seinem armen Verbündeten Brasilien wohltätig zukommen lassen. Dumm nur, dass die Kamproboter eigentlich für den Einsatz gegen Eingeborene vorgesehen waren. Aber herrje, manchmal haben die Menschen nicht nur Pech, sondern sind auch noch im Unglück. Zum Beispiel der Indiojunge Xingu, dem eine mit Laserstrahlen bewaffnete Schlange ein Auge versengt.

Die Drahtzieher hinter diesen mörderischen Aktivitäten werden erst in einem abschließenden und klärenden Dialog zwischen dem Umweltinspektor und seiner hochwohlgeborenen Chefin bis ins Detail vorgeführt und erläutert. Dabei scheinen dann auch Verbindungen bis in den Algerienkrieg auf, und der ist ja nun wirklich eine französische Erblast. (Wer mal „Der Schakal“ von Frederick Forsyth |gelesen| hat, wird mit der Terrororganisation OAS vertraut sein.) Ich kann diesen politischen Hintergrund jedoch an dieser Stelle nicht vertiefen. Interessant ist allemal, was Nottret dazu ausgegraben hat.

Nun mag man sich fragen, wie es der Autor schafft, all diese Themen in nur einem Roman unterzubringen. Ganz einfach: durch die oben beschriebene Verhackstückung und häppchenweise Präsentation. So läuft es ja auch bei Dan Brown und James Patterson. Nur dass mir Nottrets Roman wesentlich relevanter erscheint als etwa [„Illuminati“ 2106 oder das neueste Abenteuer von Alex Cross.

Die Übersetzung

Im Vergleich mit dem ersten bei Lübbe verlegten Nottret-Roman, „Grünes Gift“, schneidet der vorliegende Roman um Längen besser ab, was die Quantität der Druck- und Satzfehler anbelangt. Tatsächlich wurde ich nur auf Seite 144 fündig: „… er hörte das Schnarchen der Schäfer“. Natürlich handelt es sich um das Schnarchen der SCHLÄFER!

Ansonsten ist die anspruchsvolle Übersetzung, die ja mindestens fünf Sprachen umfasst – Französisch, brasilianisches Portugiesisch, Spanisch, Latein und Englisch – ausgezeichnet gelungen.

Unterm Strich

Der zweite Öko-Thriller funktioniert auf zwei Ebenen. Im Vordergrund unterhält uns die in kurze, mundgerechte Häppchen zerschnipselte Handlung mit ihrem Indiana-Jones-Flair von Dschungel, Rätsel und einem verschwundenen Silberschatz. Diese Handlung wird erfreulicherweise über vier Fünftel des Romans aufrechterhalten und gipfelt in einem bleihaltigen Showdown, der mit allen kinematografischen Tricks multiperspektivisch in Szene gesetzt wird.

Doch die Hintergründe dieses mit Rätseln gespickten Geschehens müssen unbedingt nacheinander aufgedeckt werden, sonst ergäbe das Ganze keinen rechten Sinn und hinge wie eine Zaubershow in der Luft. Diese Hintergründe reichen zurück bis zum Algerienkrieg, bis zur Besiedelung Brasiliens durch die Portugiesen und weiter. Es ist eine Geschichte der Ausbeutung und des Raubes: an indianischen Sklaven, an deren Land, an Rohstoffen und bis heute am Urwald.

Aber es gibt auch Umweltpolizei und engagierte Urwaldschützer, etwa unter den Bauern vor Ort. Dummerweise vermutet niemand, dass mitten im Zentrum der Organisation der Umweltpolizei ein Verräter sitzt. Das mag ein thrillerübliches Element sein, aber es liefert eine Erklärung für viele rätselhafte Phänomene, auf die der französische Umweltinspektor stößt. Und der Verräter steht nur stellvertretend für die Korruption, die in jeder Behörde Lateinamerikas zu finden sein dürfte.

Ich habe mich in nur drei Tagen durch diesen Thriller gekämpft und mich nie gelangweilt, selbst dann nicht, als sich Sénéchal und seine Chefin die Informationen nur so um die Ohren hauen, um uns endlich über alles aufzuklären, was wir nicht verstanden haben. Das hat mich doch sehr an die ehrwürdigen Krimis à la Sherlock Holmes und Nero Wolfe erinnert. Hauptsache, es bleiben keine Fragen unbeantwortet.

Tja, und dann bleibt nur noch eines zu tun: Selber handeln und der Vernichtung der grünen Lunge Einhalt gebieten.

Originaltitel: Mort sur la forêt, 2007
Aus dem Französischen von Eliane Hagedorn und Barbara Reitz
415 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-431-03754-8 / Taschenbuch 978-3-404-16352-6

www.luebbe.de

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