Eric Nylund – Gemini – Der goldene Apfel (Mortal Coils 1)

Die Mortal Coils-Serie:

Band 1: „Gemini – Der goldene Apfel“
Band 2: „All That Lives Must Die“ (noch ohne dt. Titel)

Die Zwillinge Eliot und Fiona sind nahezu völlig von der Welt abgeschottet aufgewachsen. Erst seit zwei Jahren verlassen sie überhaupt das Haus, und das auch nur, um in einem Restaurant einige Straßen weiter als Bedienung und als Tellerwäscher zu arbeiten. Doch eines Tages bekommt ihre kleine, abgeschlossene Welt Risse: Fremde tauchen vor ihrer Wohnung auf. Einer davon behauptet gar, ihr Onkel zu sein. Und plötzlich ist die Welt nicht nur viel größer, als die Zwillinge gedacht hatten, sie ist auch viel verwirrender, viel magischer und vor allem … viel gefährlicher!

In Anbetracht der Umstände ist es nicht verwunderlich, dass die Geschwister völlig ungewöhnlich sind. Beide sind hochgebildet, wurden von ihrer Großmutter sozusagen vollgestopft mit Wissen, jedoch in radikal zensierter Form. Das führt zu dem seltsamen Ergebnis, dass zum Beispiel beide genau wissen, wie man Wunden behandelt, die kochendes Fett verursacht hat, aber keinen Computer bedienen können.

Fiona ist eigentlich ein mutiges und kluges Mädchen. Ihrem Bruder gegenüber legt sie meist die schnippische Arroganz der Erstgeborenen an den Tag, was nicht heißen soll, dass sie ihn nicht mag. Tatsächlich aber besitzt sie kaum Selbstbewusstsein, sie ist nicht gerade hübsch, und die selbstgenähten Kleider, die sie tragen muss, sind ihr peinlich.

Eliot seinerseits versucht angestrengt, seine Schwester in den vielen kleinen Duellen zu schlagen, die sie über den Tag verteilt gegeneinander austragen. Dennoch ist er stets bereit, sie in Konfrontationen mit Außenstehenden zu unterstützen. Auch Eliot ist nicht dumm, allerdings ist er ein Träumer, dessen große Leidenschaft der Musik gilt.

Beide sind gleichermaßen glaubhaft und nachvollziehbar dargestellt. Die Mischung aus Andersartigkeit auf der einen und dem Wunsch, völlig normal zu sein, auf der anderen Seite, macht die Geschwister sympathisch, und ihre Unsicherheit im Zusammenhang mit der Welt außerhalb ihrer Wohnung bildet ein angenehmes Gleichgewicht zu ihren ungewöhnlichen Begabungen, sodass sie nicht zu Superhelden verkommen.

Des Weiteren gibt es eine wahre Flut an Nebencharakteren, die je nach Bedeutung für den Plot mehr oder weniger stark ausgearbeitet sind, größtenteils aber nur wenig eigenes Profil besitzen. Selbst die Mohnkönigin, die zu den wichtigeren Figuren gehört, ist ihrer Rolle innerhalb des Plots gemäß vor allen Dingen eine Intrigantin, aber kaum etwas darüber hinaus.

Die Nebencharaktere teilen sich – von wenigen Ausnahmen abgesehen – in zwei Gruppen, die man grob gesagt mit „Gut“ und „Böse“ überschreiben könnte. Allerdings hat der Leser bereits nach kurzer Zeit den Eindruck, als gäbe es da nicht allzu viele Unterschiede, zumal keine der beiden Parteien in sich geschlossen wäre, im Gegenteil. Streit ist bei den einen wie den anderen an der Tagesordnung.

Beide Seiten haben jedoch ein massives Interesse an den Zwillingen, denn die stammen von einer Göttin und einem gefallenen Engel ab. Um herauszufinden, auf welche Seite die Geschwister gehören, werden sie von beiden Parteien – der Liga wie den Höllischen – mehrfach auf die Probe gestellt. Genauso gut könnte man zwei Nichtschwimmer einfach ins tiefe Wasser werfen. Der Leser teilt dabei die Verwirrung der beiden Teenager, denn Informationen sind Mangelware. Immerhin ist zumindest der eine oder andere bereit, ein bisschen zu schummeln und ihnen wenigstens ein paar Tipps zu geben.

Was trotz der Geheimniskrämerei recht bald klar war, war die Frage nach der Identität der Eltern. Der Spannung tat das aber keinen Abbruch. Nicht nur, dass die Aufgaben, die die Geschwister lösen müssen, immer schwieriger werden, und sie in immer gefährlichere Situationen geraten. Es gibt da auch ein paar Leute, die nebenbei ihr ganz eigenes Süppchen kochen und dabei die Geschwister einfach vor ihren privaten Karren spannen.

Dass am Ende noch immer nicht ganz klar ist, ob die beiden nun zu den Guten oder den Bösen gehören, ist wohl Absicht. Der Grund für diese Zweifel wollte sich mir jedoch nicht ganz erschließen. Die Liga scheint ein Problem damit zu haben, dass Fiona in Notwehr einen Gefallenen Engel getötet hat. Dabei war bereits bei der zweiten Probe das Töten des Gegners Voraussetzung für das Bestehen der Prüfung. Warum das, worauf die Liga beim ersten Mal ausdrücklich bestand, beim zweiten Mal plötzlich suspekt sein sollte, ist nicht ersichtlich. Vielleicht erhält der Leser die Antwort darauf im Folgeband.

Abgesehen davon aber ist die Geschichte in sich schlüssig und auch fließend und interessant erzählt. In die beiden Protagonisten kann man sich leicht hineinversetzen und mit ihnen mitfiebern. Die unterschiedlichen Aufgaben bieten immer wieder neue Aufregung und Spannung, und in den Abschnitten dazwischen sorgen die vielen Geplänkel und Intrigen der Liga und der Höllischen sowie die Bemühungen der Zwillinge um Antworten auf ihre vielen Fragen dafür, dass es trotzdem nicht langweilig wird.

Eric Nylund ist hauptberuflich an der Entwicklung von Videospielen beteiligt, wen wunderts also, dass er zu einigen davon auch Romane geschrieben hat, so zum Beispiel drei Beiträge zur SF-Serie Halo. „Der goldene Apfel“ ist sein erster Fantasy-Roman, der auch ins Deutsche übersetzt wurde. Die Fortsetzung dazu erschien im Juli dieses Jahres unter dem Titel „All That Lives Must Die“.

Gebundene Ausgabe: 764 Seiten
Originaltitel: Mortal Coils
Deutsch von Maike Claußnitzer
ISBN-13: 978-3764530495
www.randomhouse.de/penhaligon
ericnylund.net