Odenhoven, Thomas – Portobello Market

_Das neue Spiel des Jahres?_

Bereits vor der regulären Veröffentlichung von „Portobello Market“ wurde in Internetforen heiß über den neuesten Titel aus dem Programm von |Schmidt Spiele| diskutiert. Ersten Meinungen zufolge könnte dieses Spiel sogar ein heißer Anwärter auf die heiß begehrte „Spiel des Jahres“-Trophäe sein, einen Titel, den im letzten Jahr bereits der Sub-Verlag |Hans im Glück| für das grandiose „Thurn und Taxis“ einheimsen konnte.

Dieser Titel ist übrigens gar nicht mal direkt aus der Luft gegriffen, sondern im Bezug auf das Spielprinzip von „Portobello Market“ in manchen Zügen vergleichbar. Statt Kutschen und Kurieren sind es dieses Mal jedoch Marktstände, die einem die notwendigen Punkte zum Sieg bringen. Dennoch gibt es hinsichtlich der grundlegenden Systematik einige Parallelen zum Top-Hit der vergangenen Saison. Haben wir es daher also tatsächlich mit einem berechtigten Anwärter auf den wichtigsten deutschen Spielepreis zu tun? Genau das galt es zu prüfen …

_Spielidee_

Die Gassen auf dem Portobello Market sind gefüllt mit lukrativen Marktständen, die sich bei den Kunden recht unterschiedlicher Beliebtheit erfreuen. Schon straßenintern gibt es große Unterschiede, was die Effektivität eines Verkaufsstands betrifft, so dass immer derjenige, der den ersten Marktstand in eine Gasse setzt, einen großen Vorteil hat. Doch der Bau dieser Stände ist nicht immer einfach, denn nur die Anwesenheit des Bobbys in einem angrenzenden Distrikt erlaubt es dem Spieler, einen Markt aufzubauen.

Aber ein Stand alleine ist noch kein Garant für reißenden Absatz; erst die Kunden entscheiden, wessen Ware die beste und teuerste sein soll, doch diese erscheinen nicht immer in der begehrtesten Kombination. Jeder strebt danach, den Lord eines Tages bei sich zu begrüßen und ihm seine Produkte zu verkaufen – denn niemand bezahlt so gut wie er. Aber auf ihn ist nicht immer Verlass, so dass man dennoch versuchen muss, die übrigen Kunden zu seinen wertvollsten Märkten zu locken. Erst dann kann man ein Wörtchen beim Streit um den Sieg mitreden.

_Spielmaterial_

• 30 rote Marktstände
• 30 gelbe Marktstände
• 20 grüne Marktstände
• 16 blaue Marktstände
• 20 Aktionsplättchen
• 4 Wertungssteine
• 5 Gehilfen
• 5 Bürger
• 1 Lord
• 1 Bobby
• 1 Stoffbeutel
• 4 Spielertableaus
• 1 Spielbrett
• 1 Spielregel

Grundsätzlich ist das Material von „Portobello Market“ zweckdienlich und eher praxisbetont aufgebaut: robuste Holzspielsteine, stabile Plastiktableaus und –marker und ein leicht überschaubarer Spielplan. Im Gegensatz zum üblichen Verlagsprogramm ist das Design jedoch nur durchschnittlich. Etwas mehr Farbe hätte dem Material merklich gut getan, besonders bei der Bemalung der Spielfläche, die doch arg düster erscheint. Dies ist jedoch noch nicht so verheerend wie die vielen Schönheitsfehler bei den Holzsteinen im mir vorliegenden Spielset. Ungefähr die Hälfte der Marktstände weist bereits Beschädigungen und gravierende Farbunterschiede auf, teilweise ist die Farbe sogar ganz abgeblättert. Für die Praxis macht dies zwar sicherlich nicht viel aus, aber etwas mehr Liebe zum Detail hätte der Sache auf jeden Fall gut getan. Zumindest in dieser Hinsicht ist „Portobello Market“ definitiv noch kein verdienter Anwärter auf das „Spiel des Jahres“.

_Spielvorbereitung_

„Portobello Market“ ist mit zwei bis vier Spielern spielbar, und dementsprechend ist auch das Spielmaterial rationiert. Abhängig von der beteiligten Spielerzahl werden zunächst einmal die Marktstände in den gewählten Farben aufgeteilt. Weiterhin erhält jeder ein Tableau, die Aktionsplättchen mit den Ziffern 2 bis 4 sowie seinen Wertungsstein ausgehändigt. Die übrigen Aktionsplättchen werden mit dem höchsten Wert oben absteigend sortiert und neben das Spielfeld gelegt. Als Letztes werden nun die elf Kunden (Bürger, Gehilfen und der Lord) in den Stoffbeutel gemischt und bis auf weiteres dort aufbewahrt. Der Startspieler platziert nun vor Beginn des Spiels noch den Bobby auf einen beliebigen Distrikt. Jetzt kann das Spiel beginnen.

_Ziel des Spiels_

Punkte sind auch bei „Portobello Market“ das A und O. Nach dem Bau eines jeden Markstandes bekommt man Punkte, sobald die Gasse, in der sich dieser Stand befindet, komplett bebaut ist und an beiden Seiten von Kunden heimgesucht wird. Mit Hilfe zweier Aktionsplättchen ist es jedoch auch möglich, Zwischenwertungen durchzuführen und somit wertvolle Punkte einzuheimsen, die den Mitspielern eventuell verwehrt bleiben. Sieger ist schließlich derjenige, der am Ende die meisten Punkte sammeln konnte.

_Ein Spielzug_

Am Anfang des Spiels stehen jedem Spieler drei eigene Aktionsplättchen zur Verfügung, mit Hilfe deren er vor dem jeweiligen Zug wählt, wie viele Aktionen er nun durchführen wird. Er kann entweder zwei, drei oder auch vier Aktionen hintereinander erledigen oder aber die Plättchen mit den Ziffern 2 oder 4 in einem Distrikt ablegen und eine Distrikt- bzw. Zwischenwertung vollziehen. In diesem Fall nimmt er sich anschließend das oberste Plättchen des Ersatzstapels und kann dieses nun in zukünftigen Runden zum Einsatz bringen. Das Plättchen, das man zu benutzen gedenkt, legt man nun an sein Tableau, wo es so lange verharrt, bis jedes Plättchen einmal gespielt wurde. Ist dies geschehen, hat man wieder die freie Auswahl zwischen allen drei Markern, usw.

Egal für wie viele Aktionen man sich nun entschieden hat, muss man wählen, ob man entweder einen neuen Marktstand aufstellt oder einen Kunden platziert. Möglichkeit Numero eins würde bedeuten, dass man einen seiner Marktstände auf ein freies Feld in einer Gasse setzt, die direkt an den Distrikt angrenzt, in dem sich derzeit der Bobby befindet. Man kann diesen Bobby auch an eine gewünschte Position verschieben, allerdings kostet dies ggf. Punkte – es sei denn, die Gassen, die der Bobby überschreitet, gehören zu einer Mehrheit einem selber. Diese Punkte werden bei Gleichstand lediglich auf der entsprechenden Leiste nach hinten verschoben oder bei Mehrheit eines Mitspielers sogar auf seiner Leiste zusätzlich noch addiert. Die Bewegung es Bobbys gilt jedoch nicht als Aktion. Beim Bau des Markstandes gilt es weiterhin zu beachten, dass man denjenigen mit den meisten Punkten besetzt und, falls die Gasse nicht mehr leer ist, direkt an einen schon platzierten Marktstand ansetzt.

Wer indes die Option wählt, einen Kunden auf den „Portobello Market“ zu bringen, zieht blind eine Figur aus dem Stoffbeutel und setzt sie auf eine beliebige vakante Position zwischen den Gassen. Hierbei sollte man tunlichst darauf achten, an eigene Märkte bestimmte Kundenkombinationen anzusetzen, da diese den Wert der Märkte um ein Zwei-, Drei- oder gar Vierfaches erhöhen. Dort, wo also viele eigene Märkte stehen, wäre es gut, an einer Seite den Lord und an der anderen einen Bürger zu haben. Dies würde den Punktewert zum Beispiel vervierfachen.

Sobald eine vollständig bebaute Gasse an beiden Seiten von Kunden heimgesucht wird, folgt eine Wertung, die so genannte Gassenwertung. Alle Märkte werden gewertet und eventuell noch einmal mit einer Zahl, die sich aus der Kombination der Kunden ergibt, multipliziert. Anschließend rücken die Besitzer der Märkte die erzielte Punktzahl vorwärts. Bei einer Distriktwertung wird hingegen unabhängig von Kunden gewertet. Hiervon betroffen sind auch nur die Gassen, die noch nicht gewertet wurden, so dass eine frühe Distriktwertung in einem Distrikt, der vorwiegend von eigenen Marktständen umgeben ist, sehr lohnenswert sein könnte. Eine solche Wertung löst man mit dem Ablegen des 4er- oder 2er-Aktionsplättchens aus. Man legt es auf den gewünschten Distrikt und multipliziert alle umliegenden Märkte mit der individuellen Ziffer. Natürlich werden dabei auch gegnerische Märkte mitgerechnet.

Zum Ende des Spiels könnte es dann noch zur Lord-Wertung kommen. Falls der Lord nach Spielende am Ende einer oder mehrerer Gassen steht, die nicht komplett sind, können die darin befindlichen Stände trotzdem noch Punkte erzielen, und zwar genauso viele, als wäre die Gasse vollständig bebaut.

_Spielende_

Genau dann, wenn ein Spieler seinen letzten Marktstand aufgebaut hat, wird die Finalrunde eingeläutet. Jeder kommt noch einmal zum Zuge, dann folgt die Schlusswertung, in der dann der Sieger ermittelt wird. Dies ist, wie eben bereits beschrieben, derjenige mit den meisten Punkten.

_Meine Meinung_

Ich kann nicht abstreiten, dass ich aufgrund der hohen Erwartungshaltung ein wenig voreingenommen an „Portobello Market“ herangegangen bin, daher hielt sich die Euphorie nach der ersten Partie auch ein wenig in Grenzen. Problematisch war hierbei, dass die ersten Erfahrungen mit dem Spiel im Duell zu zweit gesammelt wurden, und in dieser Konstellation ist „Portobello Market“ auch nicht der günstigste Vertreter. Dies ändert sich jedoch sofort, sobald der Spieltisch komplett besetzt ist und man zu viert um die lukrativsten Plätze für die eigenen Stände buhlt.

Mit einem Schlag wird das Spiel um ein Vielfaches taktischer und lebendiger. Intuitives Handeln ist plötzlich gefragt, dazu Geschick bei der Planung und die Ausarbeitung guter Konterschläge, sobald man einmal in die Enge getrieben wurde und die Verschiebung des Bobbys teuer werden kann. Natürlich sind alle diese Eigenschaften auch im Zweierspiel gefragt, allerdings kommen hier weder das Tempo noch der Spaß auf, den die variantenreichere Partie mit maximaler Spielerzahl bietet. Dies sollte man bei der Kaufentscheidung also schon mal im Hinterkopf behalten.

Davon abgesehen, bietet „Portobello Market“ inhaltlich sicher nichts Revolutionäres. Ähnlich aufgebaute, simpel gestrickte Spiele gibt es heuer wie Sand am Meer, und nicht wenige von ihnen sind auch von einem vergleichbaren Kaliber wie dieser neue |Schmidt|-Titel. Und dennoch würde ich im Zweifelsfall für „Portobello Market“ stimmen, weil es schlichtweg sehr gefällig ist, wie Strategie, Intuition, Planung und natürlich auch Glück hier miteinander harmonieren. Interessant ist diesbezüglich auch, dass sich das Blatt in einer Partie relativ häufig wendet und so auch jedes Mal bis zum Schluss eine sehr hohe Motivation besteht, denn oftmals wird der Sieger tatsächlich erst in einer der letzten beiden Runden ermittelt – was für mich persönlich ein ausschlaggebender Punkt ist, dieses nette, interessante Familienspiel zu empfehlen. Das „Spiel des Jahres“ denke ich zwar hiermit nicht gespielt zu haben, doch für frischen Wind sorgt „Portobello Market“ allemal. Auch ohne wirklich neue Ideen …

http://www.schmidtspiele.de

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