Pfeiffer, Isabell – Sündentuch, Das

_Inhalt_

Ravensburg, 1429: Die junge Christine ist entsetzt. Sie hat während ihrer ersten Ehejahre keine Kinder bekommen, und nun schreibt ihr ihr wesentlich älterer Gatte von einer Geschäftsreise, dass er seinen unehelichen Sohn mit nach Hause zu bringen und ihn als Stammhalter zu erziehen gedenke. Was für eine Demütigung! Doch als der Junge erst einmal ankommt, erwärmt sich Christine schnell für ihn: Er ist ein schmaler, schüchterner Kerl, eher musisch als kaufmännisch begabt, und dass er aus seiner vertrauten Umgebung gerissen und von einem Mann fortgebracht wurde, den er wohl niemals wird zufrieden stellen können, bedrückt ihn sehr.

Christine tut alles, um dem Jungen eine Freude zu bereiten – unter anderem bedeutet das, dass sie Geld für ein ganz besonderes Geschenk braucht. Nur woher nehmen? Sie versetzt kurz entschlossen ein kostbares Tuch, das sie so gut wie nie trägt, bei einem jüdischen Pfandleiher und bringt damit Geschehnisse ins Rollen, deren Ausmaße niemand absehen kann. Sie verliert nicht nur jeglichen Respekt ihres Gatten, als der ihr auf die Schliche kommt, sie verliert auch ihr Herz an den Juden. Ehebruch allein wäre schon eine Todsünde, doch dass sich eine Christin mit einem Juden einlässt, ist absolut unvorstellbar. Und darüber hinaus sind die Jahre 1929 und 1930 in Ravensburg für die jüdische Bevölkerung keine guten: Über der im Verborgenen aufkeimenden Liebe drohen Gewitterwolken, und als dann auch noch ein Kind verschwindet, zieht sich die Schlinge endgültig zu …

_Kritik_

Es ist eine düstere Geschichte, die Isabell Pfeiffer vor den Leseraugen entfaltet. Eine düstere Geschichte, die umso bitterer wirkt, als sie nicht frei aus der Luft gegriffen ist. In den Jahren 1429/1430 setzt in den Reichsstädten des Bodenseeraums eine Judenverfolgung ein, die ihresgleichen suchte und der fast die gesamte damalige jüdische Bevölkerung zum Opfer fiel.

In das Gewebe aus Korruption, Verrat, Gier, Fanatismus, Angst und schlichtem Aberglauben, das zu diesem Massenmord führte, bettet die Autorin eine komplizierte Liebesgeschichte und einen ebensolchen Kriminalfall ein, verknüpft die Fäden von kleinen persönlichen Angelegenheiten und großen politischen Ränken zu einem tödlichen Netz. Fantasie und Fakten ergeben ein Drama, bei dem alles unerbittlich einem bestimmten Punkt zuläuft.

Dass in diesem mosaikartigen Kunstwerk manchmal die eine oder andere Person eine Winzigkeit unglaubwürdig handelt oder etwas klischeebehaftet wirkt, ist letztendlich egal: Der Roman führt unerbittlich vor Augen, wie etwas so Grauenvolles wie der von der Obrigkeit genehmigte Massenmord (in Form von Hinrichtungen) überhaupt geschehen kann, und da kann man die eine oder andere Ungereimtheit in den Charakteren schon einmal verzeihen.

Die Autorin hat sich mit ihrem Thema auseinandergesetzt und sorgfältig Personen, die real existiert haben, mit fiktiven vermischt. Erdachte Schicksale greifen perfekt in überlieferte, und das ist schon eine Kunst für sich.

_Fazit_

Wer historische Romane mag, in denen nicht nur Mantel- und Degenszenen vorkommen, sondern die auch ein wenig Hintergrundwissen vermitteln, ist mit „Das Sündentuch“ gut bedient. Man mag hier und da ein Auge zudrücken, wenn sich etwas nicht zur Gänze in das farbenreiche Bild einpassen möchte, aber im Großen und Ganzen ist dieser Roman saubere Arbeit.

|Taschenbuch: 560 Seiten
ISBN-13: 9783499255021|
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[www.isabellpfeiffer.de]http://www.isabellpfeiffer.de

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