_Vorab-Information:_
„Der Krähenturm“ ist die indirekte Fortsetzung von [„Die Alchemie der Unsterblichkeit“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=7169 und baut auf den gleichen Protagonisten auf. Es ist zwar nicht zwingend notwendig, den Vorgängerband gelesen zu haben, um dem Plot problemlos folgen zu können, aber es empfiehlt sich natürlich, die komplette Geschichte zu verfolgen, da hier und dort einige ‚vergangene‘ Themen zum Vorschein kommen.
_Inhalt:_
Icherios Ceihn rückt seinem anvisierten Medizinstudium immer näher, muss jedoch erneut einige faule Kompromisse eingehen, damit ihm sein großer Traum nicht verwehrt bleibt. Von der Karlsruher Dienststelle zur Beobachtung unnatürlicher Begebenheiten wird er nach Heidelberg entsandt, wo er unter dem Deckmantel seines Studiums die dortigen Vorkommnisse rund um den Ordo Occulto im Auge behalten. Dies gibt Icherios weiterhin die Möglichkeit, die Ursache des Todes seines besten Freundes Vallentin zu erforschen, die immer noch schwer auf seinem Herzen wiegt und ihn vor allem deshalb nicht loslässt, weil Vallentin offenbar vor Icherios‘ Augen sein Leben verlor.
In Heidelberg angekommen wird der junge Ceihn mit den bizarrsten Persönlichkeiten konfrontiert und entdeckt alsbald, dass die Geschichten über Vampire und Werwölfe keinesfalls zu den Märchen gehören, die ihnen zugeschrieben werden. Doch Icherios hat gar keine Zeit, allen Phänomenen mit gleicher Intensität nachzuspüren, denn sein Studium fordert ihn, der Universitätsleiter Anselm von Freyberg hat ihn ebenfalls im Visier, und auch seine neuen Freunde sind für Icherios alles andere als durchschaubar und vertrauenerweckend. Als er selber mit dem vampiresken Virus infiziert wird und zum Strigoi mutiert, ändert sich für den jungen Lehrling plötzlich alles; er sieht die Welt mit anderen Augen und kann die Vorkommnisse in Heidelberg völlig neu bewerten. Allerdings sind seine Möglichkeiten weiterhin begrenzt, und obschon er zahlreiche Verbündete für sich gewinnt, scheint Vertrauen das wertvollste Gut zu werden, um die finsteren Pläne des Ordo Occulto zu durchkreuzen und gleichzeitig die Spur von Vallentins Mörder nicht zu verlieren. Bevor sich Icherios versieht, droht die Welt um ihn herum in einem Gespinst aus Lügen und Intrigen zu verschwimmen, dem er nur noch Herr werden kann, wenn er seinen neuen Trieben nicht verfällt und sich auf seine gesund gebliebene Intuition verlässt – doch dies ist in jenen Zeiten leichter gesagt als getan …
_Persönlicher Eindruck:_
Kerstin Pflieger hat immense Ambitionen, was die Fortsetzung ihres erfolgreichen Icherios Ceihn-Starters „Die Alchemie der Unsterblichkeit“ betrifft, daran lässt sie schon in den ersten Kapiteln des direkten Nachfolgers keine Zweifel. Allerdings droht die Autorin in „Der Krähenturm“ gelegentlich an ihren zahlreichen Ideen zu zerbrechen, denn schon in den ersten Zeilen halst sie sich derart viele Stränge auf, dass es nicht nur schwerfällt, alle Handlungsabschnitte mit gleicher Intensität zu füllen, sondern auch unmöglich scheint, so viele Zufälle zuzulassen, damit die Geschichte weiterhin stimmig bleibt. Letztgenannter Umstand ist dann auch der größte Kritikpunkt, den man „Der Krähenturm“ zuschreiben muss. Viele ineinander greifende Fragmente des Plots sind so glücklich miteinander verwoben, dass die Story im weiteren Verlauf nicht immer glaubwürdig erscheint. Die einzelnen Zusammenkünfte, das Glück, welches Icherios stets bei seinen Nachforschungen begleitet, die ‚plötzliche‘ Einführung bedeutsamer Charaktere, die komischerweise immer dann in die Geschichte eingreifen, wenn sie vom Protagonisten gebraucht werden und schließlich die eigenwilligen Freundschaften und Zweckbündnisse, die phasenweise konstruiert wirken und dem ansonsten recht spontanen Fluss der Erzählung entgegenwirken – all diese Elemente werfen die berechtigte Frage auf, warum die Autorin ihren Roman überfrachtet und sich nicht auch weiterhin auf die Ausdrucksstärke ihrer Protagonisten verlässt.
Diese ist nämlich auch heuer gegeben, ganz besonders was Icherios selbst betrifft. Kerstin Pflieger hat einen charismatischen, manchmal auch launischen ‚Helden‘ erschaffen, dessen manchmal sehr emotionales Erscheinungsbild der Grundstein für eine erfolgreiche Fantasy-Handlung ist. Icherios bleibt nämlich seiner Linie treu, folgt dem Verstand in Kopplung mit dem Bauch, bleibt trotz aller Verwirrungen nahbar und ist in seinem Handeln und Denken transparent. Ähnliches kann man zwar auch für das Gros der übrigen Figuren bestätigen, jedoch scheint ihr Part in der Sache manchmal am Reißbrett konstruiert, so dass die eigentlich gelungene Interaktion der Charaktere durch die künstliche Präsenz im Storyboard nicht immer harmonisch bleibt. Und dieser Makel haftet nun einmal ebenso an „Der Krähenturm“ wie der holprige Schlussabschnitt, bei dem sich Pflieger dann mit einem Mal nicht mehr die Zeit nimmt, die Handlung ebenso schmückend auszufüllen, sondern anscheinend realisiert, dass sie zu viele Stränge unter einen Hut bekommen muss, dabei aber eben nicht für jede einzelne Nuance Platz bleibt, die bereits eröffnet wurde. Die These ‚weniger wäre mehr gewesen‘ greift also auch hier, wenngleich man niemals behaupten darf, dass „Der Krähenturm“ kein unterhaltsames Buch sei.
_Denn bei aller Kritik_ darf man die Qualitäten der Geschichte auch nicht außer Acht lassen, insbesondere die Atmosphäre, die die Autorin hier wirklich gekonnt inszeniert. Über dem gesamten Roman schwebt einerseits dieser spezielle historische Background, andererseits aber auch dieses düstere Stimmungsbild, hervorgerufen von all den sonderbaren Kreaturen, mit denen man im Laufe der Geschichte Bekanntschaft macht. Von dieser teils unkonventionellen Kopplung geht recht schnell eine gewisse Faszination aus, die das Buch auch überdauert und auch von den teils ungeschickten Wendungen in der Handlung nicht gefährdet werden. Icherios und seine streckenweise sehr eigenwilligen Begleiter tun in ihren Szenen das Übrige dazu und kaschieren überraschenderweise dann doch weite Teile der angesprochenen Kritik. Und genau das spricht am Ende auch wieder für die tolle Auskleidung der Geschichte, die so manchen Stolperer vergessen macht und „Der Krähenturm“ auch mit seinen genannten Schwächen zu einer durchaus empfehlenswerten Sache macht – erst recht, wenn man bereits mit dem Vorgänger vertraut ist!
Sollte die Autorin jedoch eines Tages in die Welt der Vampire und Alchemisten zurückkehren, sei ihr geraten, den Blick fürs Wesentliche zu schulen. Hätte Kerstin Pflieger nämlich im ersten Drittel des Buches so manchen Szenerie für weniger bedeutsam erklärt, würde sie sich am Ende auch nicht von der Geschichte überrollen lassen. Dass dies nun schlimmer klingt, als es tatsächlich ist, soll nicht unerwähnt sein. Aber gerade bei einem Buch, welches mit einer solch grandiosen sphärischen Dichte aufwartet wie dieses, sollten Enttäuschung und der Blick auf das ‚was wäre wenn?‘ nicht unkommentiert bleiben!
|Taschenbuch: 476 Seiten
ISBN 978-3442476794|
http://www.randomhouse.de/goldmann