Pinternagel, Stefan T. – Fragmente (Hörbuch)

_Inhalt_

„Ihr werdet behütet“ bzw. „Euch schützt die Masse“ – dies sind die ersten Worte des Holiday-Killers, der in verschiedenen Episoden auf sein bisheriges Leben zurückblickt. In ihm vereinen sich die finstersten Schatten der menschlichen Seele, und diese legt er nun in kompromisslosen Rückbesinnungen ein weiteres Mal offen: sein erster Mord, sein brutales Vergehen an einem unschuldigen Touristenpärchen, der Umgang mit seinen weiblichen Begleitungen und natürlich seine harte Kindheit, die in einer unrühmlichen Heimkarriere gipfelte. Dieser Mann hat die niederträchtigsten Seiten des Lebens kennen gelernt und sie bewusst gelebt, Rache und Vergeltung geübt und aus purer Lust gemordet; einmal, zweimal, dutzende Male, und jedes Mal wieder ohne Reue. Er kennt keine Gnade, denn das ist seine Geschichte, und nun will er, dass auch jeder sie erfährt.

_Kritik_

Bereits die Romanvorlage von Stefan T. Pinternagel sorgte vor einiger Zeit für Begeisterung und Entsetzen zugleich, denn dem Autor war es in seiner ausführlichen Portraitierung eines Massenmörders enorm gut gelungen, die abstrakten Gedankengänge des vom ihm entworfenen Protagonisten sehr authentisch darzustellen und der tragischen Geschichte ein recht abschreckend erscheinendes Forum zu bieten. Nun legt das erst vor kurzem neu gegründete Audio-Label |Hörplanet| die Story auch als Hörbuch auf und unterlegt die aus der eigenen Perspektive dargestellte Erzählung noch mit einer eiskalten, herzlosen Stimme (gesprochen von Dennis Rohling), die einem das Grauen im Inneren des brutalen Schlächters noch gezielter näher bringt.

Zwischenzeitlich wird einem dabei gar nicht bewusst, welcher Teil des Inhalts am meisten abstößt bzw. ob man den Fakt, dass es sich bei „Fragmente“ nicht bloß um die Schilderung einer fiktiven Geschichte handelt, abscheulicher findet als das inszenierte Selbstporträt des erbarmungslosen Killers. Mit diesem Medium fühlt man sich dem Mörder über die gesamte Distanz verbunden, wird bisweilen sogar ein Teil von ihm und wird dabei auch noch auf eine schonungslose Härteprobe gestellt. Sobald man nämlich tief in das Seelenleben des Erzählenden eingetaucht ist, beginnt man zu verstehen, verurteilt sich dann aber selber dafür, für die grässlichen Taten Verständnis aufzubringen oder sie gar zu akzeptieren. Dieser Aspekt der Geschichte ist mitunter der am schwersten verständliche und will einem auch irgendwie nicht mehr aus dem Kopf gehen, denn schließlich erlebt man jeden einzelnen Mord noch einmal detailgetreu mit und lernt das Ich der Erzählung zu verachten und zu hassen.

Und während der Holiday-Killer seine schrecklichen Verbrechen noch ein weiteres Mal durchlebt, begegnet man sich immer öfter beim Ausfechten dieses moralischen Konfliktes, der durch die von Sprecher Rohling vollführte emotionale Achterbahnfahrt noch verstärkt wird. Man entwickelt einerseits Sympathie für die arme Seele, die sich hinter der charakterisierten Person befindet, fiebert sogar bei seinen ‚Abenteuern‘ mit, kommt gleichzeitig aber auch an seine nervliche Belastungsgrenze, denn was in „Fragmente“ so alles vor sich geht, sprengt partiell die Grenzen der eigenen Vorstellungskraft – immer und immer wieder.

Man sollte allerdings nicht den Fehler begehen, das Buch bzw. das Hörbuch als großflächig inszenierte Gewaltorgie zu betrachten. Sicherlich geht der Autor nicht gerade zimperlich mit seinem Publikum um. Eingeweide und Blutorgien gehören in „Fragmente“ zum ‚guten‘ Ton und müssen als wichtiges Symbol akzeptiert werden, was noch einmal deutlich machen soll, dass die Sache alles andere als leichte Kost ist. Eher im Gegenteil. Doch die Brutalität, die Pinternagel in seinem Werk offenbart, ist vordergründig psychischer Natur und steigert sich auch erst in den Moment, in dem der im Grunde genommen stark angepasste Killer die Kontrolle verliert und seinen kaum zu befriedigenden, unmenschlichen Reizen nachgeben muss – und dies passiert innerhalb der 450 Minuten nicht gerade selten!

Ich habe das zugehörige Buch leider nicht gelesen, weshalb ich Vergleiche erst einmal nicht anstellen kann. Allerdings fällt mir die Vorstellung schwer, dass geschriebene Worte die kühle Stimme des Sprechers samt dessen Performance des Inhalts noch übertreffen könnten. Was Rohling hier vorliest, ist hart und stellenweise kaum erträglich. Da dankt man dem Produktionsteam, dass es zwischendurch zumindest mal einige kurze musikalische Lockerungsübungen eingeflochten hat, denn ohne einige wenige Verschnaufpausen wäre die Aufnahme des Inhalts kaum mehr erträglich gewesen.

Doch auch wenn es schwer verdaulich ist, was der |Hörplanet| an die Öffentlichkeit trägt, es ist auf jeden Fall ein sehr empfehlenswertes, wenn auch gewöhnungsbedürftiges Tondokument, das die menschliche Seele von einer bisher noch ungeahnten Seite präsentiert. Mich schaudert’s noch jetzt beim Gedanken an die reflektierte Welt des schizophrenen Psychopathen, doch gleichermaßen möchte ich die hier erlebten Erfahrungen auch nicht mehr missen. Wer Pinternagels literarischen Geheimtipp bis dato noch nicht verschlungen hat, ist mit der hier vorgestellten Hörbuch-Fassung wirklich super beraten. Voraussetzung: Nerven, die stärker als stark sind!

http://www.hoerplanet.de/

|Ergänzend dazu: Unsere [Rezension 1910 der Buchausgabe.|

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