Edgar Allan Poe – Morella (Folge 33)

_Psycho 2.0: Wie erschießt man einen Geist?_

Die Hörspiel-Reihe bringt unter Mitwirkung von Ulrich Pleitgen und Iris Berben, eingebettet in eine Rahmenhandlung, Erzählungen des amerikanischen Gruselspezialisten zu Gehör. Mit „Feeninsel“ beginnt die achte Staffel des großen POE-Epos. Die Vorgeschichte findet man in den vorangegangenen 32 Folgen sowie in dem Roman [„Lebendig begraben“,]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3404156757/powermetalde-21 erschienen bei |Bastei Lübbe|.

USA um 1850. Der Mann, der sich POE nennt und kein Gedächtnis besitzt, versucht nach den schrecklichen Erlebnissen in New York City, ein neues Leben zu beginnen. Er glaubt, er ist Poe, wer sonst? Sicher ruht auf dem Friedhof von Baltimore ein Namenloser. Nach seiner Flucht aus dem Irrenasyl von Blackwell’s Island hat er seine Beinahegattin Leonie wiedergetroffen und versucht, seine Identität durch seinen Verleger Graham bestätigen zu lassen – nur um in eine perfide Falle zu tappen.

Nun sucht Poe mit Leonie seine Spuren in dem kleinen Weiler Fordham in den nördlichen Wäldern, wo Poe einmal gewohnt hat. Das weiß er aus einer Kurzbiografie in einem von Poes Büchern, die Graham gedruckt hatte. Doch in Fordham will niemand etwas mit dem Namen „Poe“ zu tun haben …

Die |Edgar Allan Poe|-Serie von |STIL| bei |Lübbe Audio|:

#1: [Die Grube und das Pendel 1487
#2: [Die schwarze Katze 755
#3: [Der Untergang des Hauses Usher 761
#4: [Die Maske des roten Todes 773
#5: [Sturz in den Mahlstrom 860
#6: [Der Goldkäfer 867
#7: [Die Morde in der Rue Morgue 870
#8: [Lebendig begraben 872
#9: [Hopp-Frosch 1906
#10: [Das ovale Portrait 1913
#11: [Der entwendete Brief 1927
#12: [Eleonora 1931
#13: [Schweigen 3094
#14: [Die längliche Kiste 2510
#15: [Du hast’s getan 2518
#16: [Das Fass Amontillado 2563
#17: [Das verräterische Herz 2573
#18: [Gespräch mit einer Mumie 3178
#19: [Die Sphinx 3188
#20: [Scheherazades 1002. Erzählung 3202 (auch: Die 1002. Erzählung)
#21: [Schatten 3206 (ursprünglicher Titel: Die Scheintoten)
#22: [Berenice 4394
#23: [König Pest 4408
#24: [Der Fall Valdemar 4420
#25: [Metzengerstein 4471
#26: [Die Flaschenpost 4946
#27: [Landors Landhaus 4966
#28: [Der Mann in der Menge 5000
#29: [Der Kopf des Teufels 5089

Achte Staffel (11/2008):

#30: [Feeninsel 5540
#31: [Teer und Federn 5569
#32: [William Wilson 5578
#33: Morella

_Der Autor_

Edgar Allan Poe (1809-49) wurde mit zwei Jahren zur Vollwaise und wuchs bei einem reichen Kaufmann namens John Allan in Richmond, der Hauptstadt von Virginia, auf. Von 1815 bis 1820 erhielt Edgar eine Schulausbildung in England. Er trennte sich von seinem Ziehvater, um Dichter zu werden, veröffentlichte von 1827 bis 1831 insgesamt drei Gedichtbände, die finanzielle Misserfolge waren. Von der Offiziersakademie in West Point wurde er ca. 1828 verwiesen. Danach konnte er sich als Herausgeber mehrerer Herren- und Gesellschaftsmagazine, in denen er eine Plattform für seine Erzählungen und Essays fand, seinen Lebensunterhalt sichern.

1845/46 war das Doppeljahr seines größten literarischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolgs, dem leider bald ein ungewöhnlich starker Absturz folgte, nachdem seine Frau Virginia (1822-1847) an der Schwindsucht gestorben war. Er verfiel dem Alkohol, eventuell sogar Drogen, und wurde – nach einem allzu kurzen Liebeszwischenspiel – am 2. Oktober 1849 bewusstlos in Baltimore aufgefunden und starb am 7. Oktober im Washington College Hospital.

Poe gilt als der Erfinder verschiedener literarischer Genres und Formen: Detektivgeschichte, psychologische Horrorstory, Science-Fiction, Shortstory. Neben H. P. Lovecraft gilt er als der wichtigste Autor der Gruselliteratur Nordamerikas. Er beeinflusste zahlreiche Autoren, mit seinen Gedichten und seiner Literaturtheorie insbesondere die französischen Symbolisten.

Mehr von und über Edgar Allan Poe auf |Buchwurm.info|:

[„Faszination des Grauens 554“]
[„Edgar Allan Poes Meistererzähler“ 4832 (Hörbuch)
[„Der Untergang des Hauses Usher“ 2347 (Gruselkabinett 11, Hörspiel)
[„Der Doppelmord in der Rue Morgue“ 2396 (Hörbuch)
[„Der Streit mit der Mumie“ 1886 (Hörbuch)
[„Die Brille“ 1885 (Hörbuch)
[„Mythos & Wahrheit: Edgar Allan Poe. Eine Spurensuche mit Musik und Geräuschen“ 2933
[„Visionen“ 2554

_Die Sprecher/Die Inszenierung_

Ulrich Pleitgen, geboren 1946 in Hannover, erhielt seine Schauspielerausbildung an der Staatlichen Hochschule für Musik und Theater in seiner Heimatstadt. Pleitgen wurde nach seinen Bühnenjahren auch mit Film- und Fernsehrollen bekannt. Er hat schon zahlreiche Hörbücher vorgelesen und versteht es, mit seinem Sprechstil Hochspannung zu erzeugen und wichtige Informationen genau herauszuarbeiten, ohne jedoch übertrieben zu wirken. In der POE-Reihe interpretiert er den Edgar Allan Poe und andere Figuren.

Iris Berben gehört zu den bekanntesten und profiliertesten Schauspielerinnen hierzulande. Ihr Repertoire umfasst Krimis („Rosa Roth“) ebenso wie Komödien und klassische Werke. Für ihre Leistungen wurde sie unter anderem mit dem |Bambi| und mit der |Goldenen Kamera| ausgezeichnet. In der POE-Serie interpretiert sie die weibliche Hauptrolle Leonie Goron und andere Figuren.

Edgar Allan Poe: Ulrich Pleitgen
Leonie Goron: Iris Berben
Rick Ellis: Tilo Schmitz (Ving Rhames, Michael Clarke Duncan)
Morella: Sabine Arnhold (Lola Glaudini, Melinda Clarke)
Alte Frau: Hannelore Minkus (Kathryn Joosten, Frances Sternhagen)
Und andere.

Der deutsche Prolog wird von Heinz Rudolf Kunze vorgetragen, der englische von Giuliana Ertl, die Ansage erledigt André Sander. Die deutsche Hörspielfassung stammt von Melchior Hala nach einer Idee von Marc Sieper, Dicky Hank und Thomas Weigelt. Für Regie, Musik und Ton waren Christian Hagitte und Simon Bertling vom |STIL|-Studio verantwortlich.

_Vorgeschichte_

Ein Mensch ohne Namen. Und ohne jeden Hinweis auf seine Identität. Das ist der Fremde, der nach einem schweren Unfall bewusstlos in die Nervenheilanstalt des Dr. Templeton eingeliefert und mittlerweile entlassen wurde. Diagnose: unheilbarer Gedächtnisverlust. Er begibt sich auf eine Reise zu sich selbst. Es wird eine Reise in sein Unterbewusstsein, aus dem schaurige Dinge aus der Vergangenheit aufsteigen. Woher kommen sie? Was ist passiert? Was hat er getan?

Schon 32 Stationen hat der Fremde durchwandert, stets begleitet von Alpträumen. Nach einem Aufenthalt in einem Gasthaus begibt sich der Fremde ohne Gedächtnis auf eine Seereise, die ihn zunächst nach New Orleans führt. Aus einem Schiffswrack rettet er eine schöne Landsmännin, Leonie Goron. Sie weist ihn darauf hin, dass man ihm möglicherweise nach dem Leben trachtet. Nur zu wahr, denn auf der letzten Station vor dem Ziel New Orleans muss sie ihm das Leben retten. Selbst in der großen Stadt bleibt Poe nicht von Alpträumen nicht verschont. Doch er findet etwas über seine und Leonies Vergangenheit heraus und welche finstere Rolle Dr. Templeton als Francis Baker darin spielt.

_Handlung_

Nach schrecklichen Erlebnissen und Träumen beschließt Poe, seine Verwandten zu suchen. Und es gibt auch einen Hinweis, den er der Kurzbiografie im Buch fand, das er in der Gruft las: Poe lebte eine Zeitlang in dem Dörfchen Fordham, das in den nördlichen Wäldern liegt – einer verrufenen Gegend, wie Poe inzwischen wohl bewusst ist. Er will sich auf Ricks Rat hin als Poes Biograph tarnen. Man weiß ja nie, wie die Leute dort auf den Namen „Poe“ reagieren.

Endlich stößt auch Leonie wieder zu ihm! Sie hat ihn bei Rick, ihrem gemeinsamen alten Unterschlupf, gefunden. Die Postkutsche setzt sie beide in Fordham ab, doch keiner will dort Unterkunft gewähren, sobald der Name „Poe“ fällt. Nach einem Hinweis gehen sie zu dem abgelegenen Haus, wo Poe mit einer Familie gewohnt haben soll. Neben dem Haus erblickt Poe eine Hütte und fragt dort eine alte Frau nach Informationen, doch auch sie sagt nichts.

Obwohl das Haus verlassen und verfallen aussieht, bleibt Poe und Leonie nichts anderes übrig, als dort zu übernachten. Die Dusche fällt Poe sofort auf: Sie ist ungewöhnlich modern eingerichtet und im Gegensatz zum Rest des Hauses blitzblank. An einer der Wände steht das Wort MORELLA. Was mag es wohl bedeuten? In der Nacht hat Poe den ersten von mehreren Träumen, in denen eine junge Frau zu ihm spricht. Wer ist sie? Hat sie hier mit dem Dichter gelebt?

Es gibt Anzeichen, dass in der Nacht jemand im Haus war. Aber die Suche muss weitergehen: Sie suchen alle Zimmer ab, sogar das Arbeitszimmer, wo sich ein verfallenes Bücherregal findet, doch keine Bücher. Nur ein verstecktes altes Foto, eine Daguerreotypie: Sie zeigt eine alte Frau, die den Betrachter freudlos anschaut. Keine Daten geben Aufschluss über das Entstehungsdatum. Im nächsten Traum kommt die junge Frau wieder zu ihm: Er solle lernen, die Frau zu achten, die er einst verschmähte.

Leonie wird das Haus allmählich ganz schön unheimlich. Da auch der Keller keine Hinweise liefert, beschließen sie, ihre Sachen zu packen und die nächste Postkutsche zu nehmen, die einmal am Tag Fordham passiert. Doch etwas hält Poe noch an diesem Ort: Er ist sicher, das Rätsel lösen zu können. Sie bleiben noch eine Nacht, und wieder erscheint ihm die Frau im Traum. Eine Totenglocke läutet, heute wird sie begraben: „Du wirst finden, was du einst verlorst“, sagt eine Stimme zu ihm. Die Zukunft liege in seiner Vergangenheit …

Als Poe erwacht, ist Leonie nicht in ihrem Bett. Als er sie im Erdgeschoss sucht, folgt er dem Geräusch des Rauschens von Wasser. Sie muss in der Dusche sein. Eine bizarre Szene bietet sich ihm: Leonie steht mit einem Messer in der erhobenen Hand vor einer nackten jungen Frau, die in der Dusche steht. Ist dies die nächtliche Besucherin?

_Mein Eindruck_

Wenn sich jemand an die berühmte Duschszene aus Hitchcocks Thriller „Psycho“ (1960) erinnert fühlt, so lag dies sicherlich in der Absicht der Macher dieses Hörspiels. Das erhobene Messer, die Dusche, das ominöse Rauschen des Wassers, das wehrlose weibliche Opfer – es ist alles angerichtet, um einen schön blutigen Mord zu zelebrieren. Doch so weit soll es (leider) nicht kommen, denn Poe ist keineswegs umnachtet, wie er vielleicht gemeint hat, sondern durchaus noch im Diesseits. Doch wer ist die junge Frau in der Dusche?

Schon in den Hörspielen zu „Eleonora“ und „Berenice“ wurden mit Poes Erzählungen über junge, schöne Frauen bekannt gemacht, die früh starben (ein sehr romantisches und poetisches Motiv), aber von jenseits des Todes ihren unheilvollen Einfluss auf ihren einstigen Geliebten ausüben. Poe hat den Tod junger Frauen, wie oben aus seiner Biografie ersichtlich wird, selbst erlebt und mehrfach in seinen Erzählungen verarbeitet. „Morella“ ist die Nr. 3, doch die beste ist Nr. 4 „Ligeia“. Auf dieses Hörspiel warte ich bereits sehr gespannt.

Morella tritt in dem Hörspiel erst nur im Traum auf, als wäre sie ein Geist. Die Traumauftritte wechseln sich mit dem relativ drögen Tagesgeschehen ab und bilden eine Sequenz, die offenbar einem Höhepunkt zustrebt. Wird Morella, die Traumfigur, persönlich auftreten? Das ist die spannende Frage, die sich der Hörer stellt. Und wenn ja, wird sich dann ihr Einfluss fördernd oder verderblich auf Mr. Poe, den Besuchten, auswirken?

Genau an diesem Punkt stellte sich mir die Frage, wie ein solches Geistwesen sowohl real als auch eine Traumfigur sein kann. Die Nagelprobe erfolgt dann wenig später, als ein Schuss fällt und es einen Toten gibt. Ist die Traumfigur für eine Pistolenkugel überhaupt erreichbar, fragte ich mich. Aber wenn es das Mädchen Morella wirklich gäbe, in welcher Beziehung stünde sie dann zu dem Dichter Poe, als dessen Reinkarnation ihr der Mann, der sich Poe nennt, erscheinen muss?

Diese Geheimnisse sollen nicht verraten werden, um die Spannung nicht zu verderben.

In dieser Episode stößt Poe auf zwei Spuren seiner Familie. Die eine führt zu seiner Mutter nach Boston, die andere zu seiner Schwester nach Baltimore. Von beiden Damen ist in den Poe-Biografien, die ich gelesen habe, sehr wenig die Rede, ganz einfach deshalb, weil sie schon früh aus seinem Leben verschwinden. Umso neugieriger macht mich nun ihr unvermitteltes Auftreten. Als nächstes ist „Das Geheimnis der Marie Rogêt“ zu lüften.

_Die Inszenierung_

|Sprecher & Figuren|

Pleitgen spielt die Hauptfigur, ist also in jeder Szene präsent. Er moduliert seine Stimme ausgezeichnet, um das richtige Maß an Entsetzen, Erstaunen oder Neugier darzustellen. Aber Poe kann auch sehr pragmatisch agieren, und Pleitgen weiß die scharfe Beobachtungsgabe seiner Hauptfigur wie auch dessen Hinterlist ebenso glaubwürdig darzustellen. Sein Poe ist kein hilflos durch die Gassen torkelnder Somnambuler, sondern ein hellwacher Geist, der nur ab und zu unter ein paar Bewusstseinstrübungen leidet, die ihn in Gestalt von Träumen heimsuchen. Diese Träume, so erkennt er schließlich, sind Erinnerungen an seine eigenen Erzählungen. Aber trifft dies auch auf Morella zu?

Leonie Goron erschien uns in den ersten Staffeln als patente und zupackende Helferin und Gefährtin des manchmal recht hilflosen Poe. Doch nach dem scheinbaren Tod Dr. Templetons ändert sich ihr Erscheinungsbild. Sie hat ja zuvor schon Andeutungen gemacht, dass sie vor gewissen Ereignissen in England geflohen sei, um bei ihrer Kusine in den Vereinigten Staaten Hilfe und Obdach zu finden.

Doch offensichtlich ist ihr ihr Mann, den sie als einen verurteilten Mörder verließ, in die Neue Welt gefolgt und hat sie bereits einmal gefangen genommen. Der Schluss liegt nahe, dass es sich bei ihrem Mann, der bislang noch keinen Namen bekommen hat, um Dr. Templeton alias Baker handelt, Poes Peiniger. Das würde der Geschichte eine weitere Ebene an tragischer Ironie hinzufügen. Kein Wunder, dass Templeton sowohl seine Aufzeichnungen von Poe als auch seine entflohene Frau zurückhaben will.

Nun erscheint Leonie als gehetzte Frau auf der Flucht vor der Vergangenheit – so ziemlich das Gegenteil zu Poe. Denn Poe sucht in der Vergangenheit sein Heil, die in seiner Identifizierung als der echte Edgar Allan Poe bestehen soll, um ihm eine Zukunft zu ermöglichen. Ob dieser Glücksfall und Erfolg wirklich eintritt, ist noch abzuwarten.

Die Figur der Morella wird leider überhaupt nicht ausgebaut, sondern lebt nur in der Erinnerung der alten Frau fort, die nahe Poes Ex-Haus wohnt. Diese Alte ist Morellas Mutter und spielt eine verhängnisvolle Rolle, erweist sich aber auch als Informationsquelle.

|Geräusche|

Der Sound liegt im Format PCM-Stereo vor, wie mir mein DVD-Spieler angezeigt hat, und klingt glasklar. Mindestens ebenso wichtig wie die Sprecher sind bei den POE-Produktionen auch die Geräusche und die Musik. Hut ab vor so viel Professionalität! Die Arbeit des Tonmeisters beim Mischen aller Geräusche ist so effektvoll, dass man sich – wie in einem teuren Spielfilm – mitten im Geschehen wähnt.

Die Geräuschkulissen sind entsprechend lebensecht und detailliert gestaltet. Aber sie werden nur ganz gezielt dort eingesetzt, wo sie einen Sinn ergeben. Die Geräusche im Haus sind entsprechend reduziert: Stühle, Betten, Gerümpel, Schritte.Von draußen sind Regen und Wind zu hören, ab und zu auch mal ein Vogelruf (diesmal kein Wolfsgeheul).

Diese untere Schicht von Geräuschen wird von der Musik ergänzt, die eine emotionale Schicht einzieht. Darüber erst erklingen die Stimmen der Sprechen: Dialoge, aber auch Rufe und sogar Schreie. Durch diese Klang-Architektur stören sich die akustischen Ebenen nicht gegenseitig, sind leichter aufzunehmen und abzumischen. Das Ergebnis ist ein klares Klangbild, das den Zuhörer nicht von den Informationen, die es ihm liefert, ablenkt.

|Musik|

Die Musik erhält eine wichtige Bedeutung: Sie hat die Aufgabe, die emotionale Lage der jeweiligen Hauptfigur und ihres Ambientes darzustellen. Leonie hat nicht ihr eigenes musikalisches Leitmotiv, doch allenthalben stößt sie auf die Spuren Poes, der musikalisch mit seinem Leitmotiv sowie mit dem Chor „Dies illa, dies irae“ zitiert wird. Da diese Handlung jedoch auf eine Duschszene à la „Psycho“ sowie einen Schuss im Dunkeln hinausläuft, lässt die Musik die bekannten kreischenden Psycho-Geigen von Bernard Hermann erklingen.

Aber die Musik kann auch Poes Jubel über das Wiedersehen mit Leonie illustrieren, sowie die unheimliche Stimmung in Poes altem Haus, in dem Poe mit Leonie zusammen wie Ehepartner leben. Erst nach dem Schuss tritt wieder die düstere Stimmung vieler Poe-Folgen auf, und zwar mit der dramatischen Stimmung einer Tragödie. Erst durch die Geräusche des Aufbruchs zu neuen Zielen wird dieser Tiefpunkt überwunden. Und der Schluss-Song entführt den Zuhörer wieder in andere Gefilde.

Ein Streichquartett und Musiker des Filmorchesters Berlin wirken zusammen, um eine wirklich gelungene Filmmusik zu den Szenen zu schaffen. Das Booklet führt die einzelnen Teilnehmer detailliert auf, so dass sich niemand übergangen zu fühlen braucht. An der Musik gibt es absolut nicht auszusetzen. Für die jüngere Generation mag sie aber zu klassisch orientiert sein.

|Der Song|

Jede Folge der Serie wird mit einem Song abgeschlossen, und in jeder Staffel gibt es einen neuen Song. Diese Staffel enthält den Song „You see“ von der deutschen Gruppe |Elane|. Die Stilrichtung entspricht einem weiterentwickelten Celtic Folk Rock, wie er von der Gruppe |Clannad| in den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts entwickelt wurde. Auch bei |Elane| wird englische mit gälischer Sprache kombiniert.

Die Musik verbindet Romantik und sehnsuchtsvolle Mystik, was einerseits durch die Instrumentierung, zum anderen durch den mehrstimmigen Frauengesang betont wird. Zu den Instrumenten, die für Folk Rock obligatorisch sind, gehören die akustische Gitarre, die Harfe und die Flöte. Dass Drums, E-Gitarre und E-Bass eine elektrisch verstärkte Rhythmusgruppe bilden, wurde schon von |Clannad| als Standard etabliert. Besonders interessant bei |Elane| ist die Mehrstimmigkeit.

Ich konnte zwei tiefe Frauenstimmen ausmachen und eine hohe Frauenstimme, also Alt und Sopran. Die Überlagerungen machen die Harmonien zu einer kniffligen Angelegenheit der gegenseitigen Abstimmung, sonst können leicht Disharmonien oder gar Rhythmusstörungen entstehen. Soweit ich hören könnte, gelingt die Polyharmonie jedoch durchweg einwandfrei – Applaus.

Ob der Celtic Folk Rock dem Thema „Feeninsel“ Rechnung trägt, sei dahingestellt. Aber es gibt jedenfalls schlimmere Abschluss-Songs, und „You see“ klingt sehr erträglich.

_Unterm Strich_

Diese Folge habe ich mit hohen Erwartungen antizipiert, doch die Ausführung hat mich enttäuscht. Statt zahlreicher Hinweise auf Poes Familie liefert die Handlung nur Flops und stark verzögerte Belohnungen, während man dem Eheleben der Beinahe-Poes folgt und das Haus auf den Kopf stellt.

Die Daramaturgie verfolgt ein anderes Ziel als vordergründige Action, nämlich einen psychologisch herbeigeführten, dramatischen Höhepunkt. Dass sich dieser erst aus Poes innerem Erleben ergeben kann, dürfte einleuchten. Geschickt balanciert Morellas Erscheinen im Traum in der Ungewissheit, ob es sich wirklich um einen Traum, eine Erinnerung oder gar um die Einflüsterung einer realen Figur handelt.

Umso verblüffender dann die Duschszene aus „Psycho“. Da hat man doch ein wenig stark aufgetragen, wenn auch der melodramatische Effekt sehr willkommen ist. Der Eindruck, dass sich die Entwicklung zuspitzt, wird schon von der übernächsten Szene bestätigt, als ein Schuss mit verhängnisvollen Folgen fällt.

|Das Hörspiel|

Die akustische Umsetzung ist vom Feinsten, und man merkt in jeder Szene, wie viel Sorgfalt die Mitwirkenden und Macher aufgewendet haben, um die Episode reizvoll und stimmungsvoll zu gestalten. Aber die Episode langweilt in den ersten zwei Dritteln durch ihre Taktik verzögerter Belohnungen: Die Hinweissuche ergibt fast nichts. Kein Wunder, sagt man sich hinterher, denn die wirklich wichtigen Hinweise finden sich erst im direkten Kontakt mit der Vergangenheit. Das letzte Drittel überrascht dann mit umso mehr Action, die nun jedoch unausgewogen und überstürzt wirkt, als sei sie drangeklebt worden. Wenigstens hat Poe nun zwei weitere Ziele, die er anpeilen kann.

|68 Minuten auf 1 CD
ISBN-13: 978-3-7857-3689-0|
http://www.poe.phantastische-hoerspiele.de
http://www.luebbe-audio.de
http://www.elane-music.de