Popoff, Martin – Rainbow. Zwischen Genie und Wahnsinn

|“… einmal habe ich dabei zugehört, wie jemand Roger Glover interviewte, und ich saß dabei. Und er erzählte eine Geschichte darüber, was passiert ist, und ich saß dabei und rief: ‚Das ist nie geschehen und das auch nicht, und das war ganz anders!‘ Dann dachte ich mir, dass es schon seltsam ist, wie wir alle unsere Geschichten abändern, ohne es zu wollen. (…) Ich habe wahrscheinlich selbst Anekdoten erzählt und jemand anderer hat dazu gesagt: ‚Moment mal, so ist das aber nicht geschehen.‘ Es ist schon erstaunlich, wie man eine Geschichte verdreht, wenn man über etwas spricht, das 20 Jahre zurückliegt, und wie man sich an die Dinge erinnert.“|

Mit diesen Worten zitiert der Musikjournalist Martin Popoff in seiner neuesten Bandbiographie „Rainbow. Zwischen Genie und Wahnsinn“ (S. 169/171) Ritchie Blackmore, den Gründer und Kopf von RAINBOW. Dieses Zitat hätte er seinem Buch als Motto voranstellen können.

In seiner langjährigen Tätigkeit hat Popoff etliche Interviews mit Bandmitgliedern aus den verschiedenen Phasen der Gruppe geführt und damit eine breite und wertvolle Datenquelle geschaffen, aber sein Buch besteht in weiten Teilen nur aus einer unkritischen Zusammenstellung von Interviewzitaten. Weitere Quellen waren für den Autor offenkundig nur einige Fremdinterviews und die Covertexte der veröffentlichten Tonträger. Sein Buch hätte den Untertitel „RAINBOW in Selbstzeugnissen“ bekommen sollen. Was man als Leser aus dieser weitgehend unreflektierten und unkommentierten Aussagensammlung gewinnen kann, ist vor allem die Erkenntnis, wie sehr die Erinnerungen der Menschen von Eitelkeit, Kameradschaft, Interessantmacherei oder einfach einem schlechten Gedächtnis getrübt werden und das eingangs wiedergegebene Zitat Blackmores bestätigt wird. Wenn der Autor von verschiedenen Beteiligten allerdings gleichlautende Aussagen bekommt, dann gelingen ihm wichtige Erkenntnisse aus erster Hand. Insbesondere einige der vielen Umbesetzungen des autokratischen Bandleaders Blackmore (bei RAINBOW erschienen nie zwei Studioalben in der gleichen Besetzung) dürften hier endgültig geklärt sein und das Buch zur unverzichtbaren Quelle für alle weiteren Arbeiten über diese Band machen.

Ansonsten muss man als Leser zwischen den Zeilen lesen, besonders wenn die Musiker übereinander reden. Die Floskel „Aber er war ein netter Kerl“ scheint die gleiche Qualität zu haben wie „Der Trainer hat unser Vertrauen“ in Fußballerkreisen. Häufig interviewte Bandmitglieder werden – unabhängig vom Aussagewert – hinter ihren Äußerungen ein wenig als Menschen greifbar. So erkennt man einen launischen Blackmore, der heute seinen Begleitern kreative Freiräume gewährt und junge Talente fördert und sie morgen ohne ehrliche Aussprache feuert oder plötzlich Zugaben verweigert, wenn das Konzertpublikum sie nicht „verdient“ habe. Und einen eitlen Joe Lynn Turner (Sänger 1980 bis 1984), der gleich mehrfach betont, wie gut er doch beim weiblichen Publikum ankam, und mitteilt, dass seine Fans einer Umfrage zufolge intelligenter und wohlhabender seien als diejenigen seines Vorgängers Ronnie James Dio (trotzdem ist Dio natürlich ein netter Kerl).

Als Rockfan wird man auch den traurigen Eindruck nie ganz los, dass RAINBOW ein ungeliebtes Kind war. 1975 verlässt Ritchie Blackmore DEEP PURPLE, weil er fürchtet, dass die Soul-, Funk- und Blueseinflüsse, welche die Neumitglieder David Coverdale und Glenn Hughes mitgebracht haben, den reinen Rock auf barocker und klassischer Grundlage verwässern. Menschliche und hierarchische Reibereien dürften ebenfalls eine große Rolle gespielt haben. So entbeint Blackmore kurzerhand die PURPLE-Vorband ELF um ihren Gitarristen und spielt mit dem Rest als RAINBOW noch im selben Jahr das Debütalbum „Ritchie Blackmore’s Rainbow“ ein. Der erste gemeinsam aufgenommene Titel, der schlagerhafte Oldie ‚Black Sheep Of The Family‘ aus den 60ern, den die DEEP-PURPLE-Mitglieder zurückgewiesen haben, wirkt wie ein Fremdkörper auf dem Album und hinterlässt den Eindruck, dass es hier nur jemand den alten Kollegen ganz schnell zeigen wollte. Kaum ist die Platte draußen, entlässt Blackmore die ELF-Leute außer dem Sänger Ronnie James Dio. Die personellen und musikalischen Änderungen halten an. Im Rückblick ist Blackmore mit keinem Album restlos zufrieden, und als sich 1984 die Gelegenheit zur einer lukrativen PURPLE-Reunion bietet, löst er die eigene Band, in der er doch der Chef ist, wieder auf.

Martin Popoff lässt die Originalzitate aus den Interviews unverändert. Wenn ein Musiker mitten im Satz den Faden verliert und eine neue Formulierung beginnt, ist das genau so abgedruckt. Das zeigt einerseits den Respekt des Autors vor den Quellen, erschwert allerdings den Lesefluss, ohne zu einem Erkenntnisgewinn zu führen. Dass er, wie erwähnt, diese Zitate häufig auch ohne Überleitung und Kommentierung stehen lässt, führt dazu, dass neben Banalitäten der Sorte „Ich mochte diese Unterkunft, nicht aber jenes Studio“ echte Knaller fast untergehen. Wenn hier immer die Wahrheit gesagt wird, dann sind auf dem Erfolgsalbum „Love At First Sting“ der SCORPIONS ehemalige RAINBOW-Mitglieder und nicht etwa (nur) die eigene Rhythmusgruppe an Bass und Schlagzeug zu hören. Und dann wollte Ritchie Blackmore das 95er Album „Stranger In Us All“ gar nicht unter RAINBOW herausbringen, sondern wurde von den Kaufleuten beim Label zu diesem zugkräftigen Namen genötigt, was den Eindruck eines ungeliebten Kindes bestätigen würde.

Musik in Worten wiederzugeben, ist grundsätzlich schwierig. Aber der Autor geht in seiner nach Alben gegliederten Bandbiographie auf jeden veröffentlichten Titel ein, indem er O-Töne der Beteiligten zitiert oder eigene kurze Beschreibungen abgibt, wobei persönliche Meinungsäußerungen als solche kenntlich sind. Diese Konzentration auf die Musik als das Wesentliche ist eine Stärke des Buches. Aus den Aussagen mehrerer Bandmitglieder geht hervor, dass die Lieder in der Entwicklung der Gruppe von 1975 bis 1983/84 immer kommerzieller wurden und auch werden sollten. Nun bedeutet „kommerziell erfolgreich“ zunächst einmal nur, dass sich etwas besser verkauft, ein geringerer künstlerischer Wert ist damit nicht zwangsläufig gemeint. Ob RAINBOW vor oder nach Dios Weggang besser waren, ist eine Frage des persönlichen Geschmacks. Aber hier wäre eine Analyse oder Kommentierung des Autors gefragt, festzustellen, dass RAINBOW nach 1979 nie mehr echte Markenzeichen wie ‚Catch The Rainbow‘, ‚Gates Of Babylon‘ und vor allem ‚Stargazer‘ hervorgebracht haben, die man sich so bei keiner anderen Gruppe vorstellen könnte. Vergleiche mit anderen Bands wie JOURNEY seit dem Einstieg Steve Perrys hätten auch etwas über die damalige Zeit aussagen können.

Der Anhang des Buches enthält eine ausführliche Liste der offiziellen und halboffiziellen Alben. Das Bildmaterial reicht von gelungen (Bandfotos, Tourplakate, Magazincover mit einem humorvollen und selbstironischen Ritchie Blackmore) bis überflüssig (ganze Porträtstrecken von Ronnie James Dio, Roger Glover, Candice Night), wobei die fehlenden Bildunterschriften den RAINBOW-Neuling eher hilflos zurücklassen dürften. Seine Leser wir das Buch vermutlich überwiegend unter den beinharten RAINBOW-Fans finden.

http://www.ritchieblackmore.com (offizielle Seite zu RAINBOW und BLACKMORE’S NIGHT)
http://www.martinpopoff.com
http://www.ip-verlag.de

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