Preyer, J. J. – Sherlock Holmes und die Moriarty-Lüge

_Unberechenbarer Holmes vs. Mathegenie Moriarty: Showdown im Grabmal_

Hier ist sie endlich: Die Wahrheit über das finale Duell zwischen Sherlock Holmes und seinem teuflischen Gegenspieler Professor Moriarty, bei dem die Statue eines Engels sowie der Schriftsteller Oscar Wilde eine nicht unerhebliche Rolle spielen – neben dem Meisterdetektiv, versteht sich. (Erweiterte Verlagsinfo)

_Der Autor_

J. J. Preyer wurde 1948 in Steyr, Österreich, geboren. Nach einem Studium der Germanistik und Anglistik übte er eine Lehrtätigkeit in der Jugend- und Erwachsenenbildung aus. Ab 1976 arbeitete er als Lektor in Großbritannien, gründete 20 Jahre später den Oerindur Verlag und gab unter anderem Romane von C. H. Guenter heraus. Seit 2010 schreibt er für die Jerry-Cotton-Reihe des Bastei-Lübbe-Verlags, seit 2012 für den Blitz-Verlag auch die Reihe „Der Butler“.

Weitere Werke:

– „Sherlock Holmes und die Freimaurer“
– „Das Kennedy-Rätsel (mit Cisa Cavka“
– [„Sherlock Holmes und die Shakespeare-Verschwörung“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=5513
– [„Sherlock Holmes und der Fluch der Titanic“]http://buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=6914

_Handlung_

In jener verzweifelten Zeit nach dem Verschwinden seiner Frau Mary Morstan-Watson und vermeintlichen Tod seines Freundes Sherlock Holmes wälzt sich Dr. John Henry Watson in quälenden Fieberträumen in seinem Bett, unfähig zu jedweder Tätigkeit. Im Traum erscheint ihm Prof. Moriarty als Schlange, die ihn vor die Wahl stellt, einen der beiden Lieben zu retten, wenn Watson den anderen opfert. Niemals, weigert sich der Träumer.

Da erscheint ihm in einem gesünderen Traum Holmes und zwingt ihn zur Logik und Faktenbewertung. Ist Mary Watson tot? Nein, nur verschwunden. Und er, Holmes? Seine Leiche wurde nie gefunden. Und was ergibt sich daraus? Klarer Fall: Watson muss sich endlich aufraffen und nach Mary gemäß den Gesetzen der Logik suchen, auch wenn die Logik mit ihm auf Kriegsfuß stehen mag.

Wenig später erblickt Watson seinen Freund leibhaftig an seinem Bett. Holmes kümmert sich freundlich um den Fiebernden und verspricht ihm, Mary zu finden. Er habe bereits einen Verdacht, wer hinter der Entführung stecken könnte: Moriarty natürlich. Denn Mary Watson ist keine andere als die Tochter von Moriartys Stabschef Oberst Sebastian Moran (aus dem „Abenteuer in dem leeren Haus“). Sie sollte Watson ausspionieren, verliebte sich aber in ihn und wurde daher zurückgezogen. Also ist es nur eine Frage der Höhe des Lösegeldes, wie man diese Geisel wieder auslösen kann. 5000 Pfund erweisen sich als die ausreichende Summe, wie sich zeigt: Mary kehrt wieder zu Watson zurück.

Doch dieser glückliche Ausgang der Entführung löst nicht das Grundproblem: Prof. Moriarty und seine verzweigte Organisation aus Verbrechern und geschmierten Speichelleckern unterminieren die Grundmauern der Gesellschaft. Soeben hat er die Herrschaft über die angesehene „Times“ erlangt und schickt sich an, die „Encyclopedia Britannica“, die von der Zeitung herausgegeben wird, umzuschreiben!

Der Times-Chefredakteur, Charles Bell, ist ein guter Freund von Holmes und berichtet, wie ihm Moriarty zusetzt. Daher verwundert es den Detektiv nicht, als der Leibdiener und Lehrer der Queen selbst, ein Inder namens Abdul Karim, von einem Times-Artikel ins Zwielicht gerückt wird. Hatte die Queen, Gott behüte!, etwa ein Techtelmechtel mit ihm? Holmes beschließt einzuschreiten und besucht seinen Bruder Mycroft, der ja immerhin der Chef des königlichen Geheimdienstes ist. Doch Mycroft wird selbst von seinem Diener abgehört …

Von Mycroft erfährt Holmes mehr über den tragischen Sturz des Dichters und Dandys Oscar Wilde, der mittlerweile wegen Homosexualität im Gefängnis sitzt. Erneut eine Intrige von Moriarty, fragt sich Holmes, und stößt tatsächlich auf eine Verbindung aus ferner Vergangenheit, als Moriarty noch ein sehr junger Mathematiklehrer in der irischen Kleinstadt Enniskillen war. Dort muss sich etwas Schlimmes zugetragen haben, das Moriarty der Familie Wilde immer noch nachträgt, ein dunkles Geheimnis, das niemals entdeckt werden darf.

In Enniskillen entdeckt Holmes erstmals die unheilvolle Rolle, die seit jeher Moriartys Mutter Elena, die Schlangenbeschwörerin, gespielt hat – und dass Moriarty mit den Wildes verwandt ist, darf niemand jemals erfahren. Fortan schwebt Holmes in Lebensgefahr …

_Mein Eindruck_

Der Autor setzt von Anfang zwei Metaphern ein, die den ganzen Text durchziehen: Schlangen und Mathematik. Es handelt sich stets um Giftschlangen, versteht, und ihr Gift besteht in einer Lüge. Bemerkenswert daran ist die Verbindung zu Moriarty, dem Mathematiker. James Moriartys Mutter Elena weist eine gespaltene Zunge auf, beherrscht ihren Sohn von jeher und ersinnt Böses für alle, von denen sie glaubt, dass sie zu viel wissen. Ihr Sohn ist ihr völlig ergeben, nicht zuletzt, weil sie ihn noch stillte, als er bereits 20 Jahre alt war, aber auch, weil sie stets einen Dolch bei sich trägt, den sie auch kaltblütig einzusetzen weiß.

Psychologisch gesehen ist es kein Wunder, wenn sich James Moriarty der Berechenbarkeit der Zahlen, Menschen und anderer Dinge widmet. Er muss sich dann nicht mit der Unberechenbarkeit seiner Mutter beschäftigen. Vielmehr denkt er, dass ihn die Mathematik und ihr Kalkül stärker machen, zumindest bei seinen Untergebenen und gegenüber den schwachen Menschen, die dieses Privileg noch nicht genießen.

Sherlock Holmes erkennt Moriartys Stärke als seinen schwachen Punkt. Er muss alles versuchen, um nicht selbst berechenbar zu handeln und zu denken. Das widerspricht jedoch seiner bisherigen Grundeinstellung und entspricht eher der Natur seines Freundes Watson. Watson ist Gefühl pur, wohingegen Holmes bislang stets das Gehirn dieses dynamischen Duos gewesen ist. Sobald Watson auf berechenbare Weise handelt, indem er sich, statt an den kühnen Plan Holmes‘, lieber an Scotland Yard wendet, hagelt es regelmäßig Opfer.

Aufgrund dieser leidvollen Erfahrung muss sich Watson, um seine erneut entführte Mary wiederzubekommen, wohl oder übel in Holmes‘ Hände geben. Dieser hat im ehemaligen Henker von London, einem weiteren Opfer Moriartys, den idealen Ausführenden seiner Pläne gefunden. Es kommt, nach einigen „unberechenbaren“ Wendungen, zu einem Showdown, der passenderweise in einem Grabmal mit einer Statue des Schlangentöters Michael stattfindet …

|Schwächen|

Diese Metaphorik und Umkehrung der Charakter-Vorzeichen ist klug ausgedacht und umgesetzt. Leider reicht das nicht ganz, um dem Leser auch das entsprechende Vergnügen daran zu vermitteln. Diese Umkehrungen müssen auch begründet und plausibel dargestellt werden. Daran hapert es vor allem in den entscheidenden Dialogen, die Holmes mit Watson führt.

Man kann natürlich sein diebisches Vergnügen daran finden, dass Holmes sich seinem besten Freund, Biographen und Chronisten gegenüber so verwirrend und „unberechenbar“ zeigt. Aber andererseits muss auch der hinterletzte Leser (der „dümmste anzunehmende User“, kurz: DAU) kapieren, welches schräge Spielchen Holmes treibt. Leider erwies auch ich mich als zu sehr DAU, um Holmes zu begreifen, vor allem am Anfang. So wird beispielsweise das wahre Geschehen, das sich an den Reichenbach-Fällen zugetragen haben muss, nur scheinbar erklärt – anhand der offiziellen Erklärung, die sich Watson für seine Geschichte „Sein letzter Fall“ ausgedacht hatte (S.23/24).

Zweitens erweist sich die Sprache selbst als Hindernis. Um den DAU zu bedienen, bedient sich der Autor eines Kniffs, den er aus den JERRY-COTTON-Heftromanen kennt, die er für den Bastei-Verlag schreiben darf: Er benutzt immer wieder den vollen Namen seines Protagonisten, wo es gefühlsmäßig gar nicht nötig wäre. Der volle Name stellt eine unwillkommene Distanz her, wo gerade Nähe hergestellt worden war oder Nähe wünschenswert wäre. Gleichwertig ist das Synonym „Der Detektiv“, was ebenso Distanziertheit erzeugt.

Ein Taschenbuch von 230 Seiten hätte theoretisch Platz genug, um die Figuren psychologisch besser zu charakterisieren. Doch der Autor fand es angebracht, sie wie in einem Groschenroman zu präsentieren: als Handlungsträger ohne Innenleben. Das zeigt sich besonders krass im Finale, wenn die Spielfiguren nacheinander fallen, als hätte ein Gott sie angeordnet. Da geht es holterdiepolter, bis nur noch die Guten übrig bleiben – ähm, zumindest die Männer …

Der Satz auf S. 157, den Elena Moriarty sagt, ist kein korrektes Deutsch: „Ich VERBIETE mir derart respektlose Reden!“ Nun, sie kann sich selbst alles Mögliche verbieten, aber wenn sie anderen etwas verbieten will, sollte sie „Ich VERBITTE mir derart respektlose Reden!“ sagen.

|Hinweis|

Schon zu Beginn erhalten wir Hinweise, dass die Handlung anno 1895 spielt, exakt vier Jahre nach dem verhängnisvollen Sturz an den Reichenbach-Fällen im Frühjahr 1891, bei sowohl Moriarty als auch Holmes den Tod gefunden haben sollen – falls man Watsons Geschichten Glauben schenkt. Die Jahreszahl 1895 passt auch zu Moriartys 50. Geburtstag und seinem Geburtsdatum 13. Juni 1845.

_Unterm Strich_

Über den Umweg der Familie von Oscar Wilde stößt also Holmes auf das Geheimnis, das die Familie Moriarty um jeden Preis – auch um den vieler Menschenleben – hüten will. Interessant ist dabei die Beschäftigung mit Oscar Wildes Werken mit darin verschlüsselten Hinweisen, Holmes‘ Begegnung mit dem inhaftierten Dichter selbst und natürlich die Konfrontation mit Moriarty selbst. Dessen Mutter wird als giftige Schlange dämonisiert, bis wir selbst ein wenig Mitgefühl mit dem „Napoleon des Verbrechens“ entwickeln.

Etwas erstaunlich für den Holmes-Kenner kommt das neuartige „unberechenbare“ Verhalten des Meisterdetektivs. Dass Holmes riskante Pläne ausheckt, gegen die Watson gerne sein Veto einlegen darf, empfand ich durchaus als neu und interessant. Der Grund dafür: Holmes will kein Spiegelbild seines Gegenspielers sein, sondern etwas Eigenständiges, etwas nicht Kalkulierbares. Nur dann kann er hoffen, alle Pläne, die das Mathegenie Moriarty gegen ihn bereithält, auszutricksen. Aber einmal ist er zu unvorsichtig und geht beinahe den Weg aller Sterblichen …

Dieser Roman der „Sherlock Holmes“-Reihe hat mich nur zu etwa 60 Prozent überzeugt, denn die sprachliche Ausführung und die Charakterisierung entsprechen zu sehr dem Niveau von Groschenromanen. Etwas mehr Zeit und Mühe für die Überarbeitung hätte sich bestimmt positiv bemerkbar gemacht.

|Taschenbuch: 221 Seiten
ISBN-13: 978-3898403368|
http://www.blitz-verlag.de

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