Preyer, J. J. – Sherlock Holmes und die Shakespeare-Verschwörung

_Actionreich: Schnitzeljagd auf Shakespeares Spuren_

Bei bizarren Morden in Stratford-on-Avon werden den Opfern, darunter einem Literaturprofessor, Zeilen aus Shakespeares Stück „Titus Andronicus“ auf den Leib gebrannt. Der Geheimdienst des Oberhauses bittet Holmes und Watson, die Verschwörung, die dahinter vermutet wird, zu zerschlagen. Ihr Weg führt sie in den Vatikan, auf ein schottisches Schloss, in die Saint Paul’s Cathedral in London und natürlich in Shakespeares Gruft. Es gelingt Holmes auf sensationelle Weise, das Rätsel um die Identität des berühmten Dichters zu lösen.

_Der Autor_

J. J. Preyer wurde 1948 in Steyr, Österreich, geboren. Nach einem Studium der Germanistik und Anglistik übte er eine Lehrtätigkeit in der Jugend- und Erwachsenenbildung aus. Ab 1976 arbeitete er als Lektor in Großbritannien, gründete 20 Jahre später den |Oerindur|-Verlag und gab unter anderem Romane von C. H. Guenter heraus.

Weitere Werke:

– Sherlock Holmes und die Freimaurer (BLITZ-Verlag)
– Das Kennedy-Rätsel (mit Cisa Cavka; BLITZ-Verlag)

_Handlung_

Der Geheimdienstchef des britischen Oberhauses, Sir Alexander Sisley, und zudem ein Logenbruder von Holmes und Watson, besucht Holmes in dessen Alterssitz, einem Hotel an der Küste von Sussex. Bei diesem Gespräch ist auch der Sohn von Prof. James Moriarty dabei; Stephen ist ein angehender Schriftsteller und tatsächlich auch der Chronist eines Großteils der vorliegenden Ereignisse. Anders als sein Vater ist er jedem Verbrechen abhold und Holmes für den Sieg über seinen Vater dankbar. Leider spricht er dem Alkohol in einem großen Maße zu.

Sisleys spricht von einer Verschwörung gegen das rechtmäßige Königshaus und seine Institutionen. Merkwürdig sind dabei ein paar Morde in Stratford-on-Avon, der Heimatstadt des Dichters William Shakespeare. Den Opfern, darunter einem Literaturprofessor, wurden dabei Verse aus den Stücken Shakespeares eingebrannt. Aber da waren sie zum Glück bereits tot. Seitdem gehen in Stratford Furcht und Schrecken um. Holmes nimmt selbstverständlich den Auftrag der Regierung an, schickt aber lieber seinen Freund Watson nach Stratford, damit dieser über die Vorgänge berichtet.

|In Stratford|

Watson gerät im Februar in die Vorbereitungsphase für die neue Saison, die im April beginnt. Das heißt, dass noch kein einziges Stück öffentlich aufgeführt wird, sondern nur Proben stattfinden. Aber an manchen Kleinbühnen werden Best-of-Zusammenstellungen dargeboten, die sehr gut besucht sind, so etwa die Zähmung der Widerspenstigen, das Liebeswerben des alten Malvolio um seine junge Herrin und dergleichen mehr. Bei dieser Gelegenheit tritt ein Trio von Frauenrechtlerinnen auf, die Freiheit für Frauen fordern und das Stück „Der Widerspenstigen Zähmung“ verdammen. Sind das schon Verschwörer, fragt sich Watson. Schon bald wird der Schauspieler Charles Wolseley, Vater der frischvermählten Braut Kitty und Darsteller des Titus Andronicus, vermisst.

Watson macht nähere Bekanntschaft mit der Tochter des ermordeten Literaturprofessors Robin Wilcher. Die junge Myra ist die Tochter von dessen 55 Jahre altem Assistenten Prof. Jonathan Hall. Sie kennt sich bestens mit Shakespeares Stücken aus, so etwa mit „Titus Andronicus“, einer wahren Schlachtplatte aus der frühen Schaffensperiode. Ist das krude Stück wirklich von dem Mann aus Stratford, oder hat es nicht doch Christopher Marlowe geschrieben, bekanntlich ein Spion im Dienste der Königin?

In der folgenden Nacht dringt ein Unbekannter durch einen Geheimzugang des offenen Kamins in Watsons Hotelzimmer ein, doch Watson, der alte Soldat, schläft nur mit einem Auge. Mit seiner zuverlässigen Webley-Pistole schießt er dem Eindringling ins Knie, dass dieser sofort Reißaus nimmt. Ein Brenneisen mit der Zeile „Hat der Himmel mehr als eine Sonne?“, das er im Kaminfeuer erhitzen wollte, lässt er fallen. Der Geheimgang führt über Umwege ins Freie. Watson zieht um.

Myra Hall war die Freundin des gemischtrassigen Regisseurs Robert Norton, bevor sie Hall heiratete, und hatte mit ihm einen Shon namens Ashley. Norton inszeniert jetzt den „Titus Andronicus“ neu, aber mit einer Aussage über den Rassismus im Stück: Der Liebhaber der Gotenkönigin ist ein Mohr und ihrer beider Kind ein Mischling. Dieses Kind wird auf der Bühne mit einem Schwert aufgespießt. Als Watson mit Myra in Robert Nortons Büro geht, stoßen sie auf dessen Leiche, gebrandmarkt und mit einem Schwert aufgespießt. Die Zeile lautet diesmal: „Den gottverdammten Mohr bringt vor Gericht“.

Myra bedauert den Tod ihres Verlobten sehr und nimmt Ashley bei sich und ihrem Vater auf. Sie vertrauen sich Dr. Watson an und zeigen ihm, was Prof. Wilcher entdeckt hatte: eine geheime Landkarte von Hinweisen (S. 91). Darauf stehen folgende Namen:

1) Trinity (= Holy Trinity Church zu Stratford, wo sich Shakespeares Gruft befindet);
2) Sterling (eine Stadt und ein Schloss in Schottland);
3) Westminster, was möglicherweise die Westminster Abtei meint, wo sich eine Büste des Dichters befindet;
4) Monument: das Stuart-Monument in Rom, meint Myra.

Kurz nach dieser erstaunlichen Entdeckung brennt nach einer Explosion das Hotel nieder, in dem Watson noch kurz zuvor gelegen hatte. Es ist einfach zu viel für ihn; er ruft Holmes zu Hilfe, der dem Ruf folgt. Zum Glück hält man nun Watson allgemein für tot, umgekommen in den Flammen des Hotels. Dabei logiert er quicklebendig auf einem Hausboot. Doch nicht für lange: Nachdem sie Myra Hall in ihr Vertrauen gezogen haben – sie ist hocherfreut, Watson am Leben zu sehen, und küsst ihn! -, setzen sie alle Hebel in Bewegung, um mit Hilfe eines Fachmanns in die Gruft des Dichters einzubrechen.

Wird sich dessen auf der Grabplatte eingravierter Fluch bewahrheiten, der jeden, der seine Knochen zu bewegen versucht, mit dem Tod bedroht?

_Mein Eindruck_

Diese Sherlock-Holmes-Pastiche liest sich so flott und leicht wie ein Heftchen-Roman und weist genauso wenig überflüssiges Material auf. Vielleicht war der Roman zunächst als Nachfolger für das Buch „Sherlock Holmes und die Freimaurer“ vom selben Autor geplant. Er liest sich jedenfalls wie eine Fortsetzung, kann aber eigenständig bestehen und vom Leser ohne Vorkenntnisse verstanden werden. Es wird zwar etliche Male auf die Freimaurer Bezug genommen, doch eine tiefere Kenntnis als die für die Allgemeinbildung übliche (man sollte schon mal von der Existenz der Logen gehört haben) ist nicht erforderlich. Das erleichtert die Lektüre erheblich.

Anspruchsvoller wird die Geschichte mit der Einführung der Shakespeare-Zitate. Die zugehörigen Stücke – es sind die zentralen und bedeutendsten Stücke des Dichters – setzt der Autor mit Recht als bekannt voraus, denn schließlich weiß der Leser allein schon durch den Titel, was auf ihn zukommt. Das große Rätsel der Identität des Dichters sollen die Stücke lösen helfen.

Allerdings bezieht sich die Handlung in erster Linie auf das blutige Stücke „Titus Andronicus“, das in Stratford am Memorial Theatre geprobt wird. Geschickt versteht es der Autor, die Hinweise des Stückes auf den möglicherweise wahren Schreiber der Stücke zu beziehen (sinnigerweise sind alle TITUS-Zeilen vom Autor selbst übersetzt – traue dem, wer will). So soll es um einen dunkelhäutigen Mischling gehen, der möglicherweise zwei Väter hat. Aber ist es gestattet, so mir nichts, dir nichts von einem Stück auf die Biografie des wahren Schreibers zu schließen? Ich finde dies ein wenig gewagt. Dr. Watson geht es genauso.

Aber dieser Wahnsinn, wenn es denn einer ist, hat Methode. Und diese führt die Figuren zu einem großen Erfolg, nämlich der Entdeckung eines bislang unbekannten Shakespeare-Stücks mit dem Titel „Elizabeth“. Der Autor scheut sich nicht, etliche Verse daraus als Weltneuheit in eigener „Übersetzung“ zu präsentieren. Wohl dem also, der seinen Shakespeare kennt und nicht auf diesen Schwindel hereinfällt. Aber hübsch und charmant ist diese Fiktion denn doch.

|Die Lösung ist elementar, Watson!|

Nun erhebt sich die berechtigte Frage, was denn die Identität eines Dichters des 16. und 17. Jahrhundert, bitteschön, mit der Verschwörung gegen die Legitimität der englischen Krone zu tun haben soll. Die Antwort kann nur auf eine Weise lauten: Shakespeare war nicht der Schreiber jener Stücke (oder zumindest nicht der besten), sondern vielmehr war es eine königliche Majestät, die nicht vor dem Zeilenschinden zurückschreckte. Als Throninhaber ist er selbstverständlich für die englische Krone relevant. Und wer weiß? Womöglich findet sich in seiner Gruft noch weiteres ketzerisches Material!

Deshalb führen Sherlock und der Autor die zwei Liebenden Stephen Moriarty und Myra Hall in einem furiosen James-Bond-Showdown zu eben diesem entscheidenden Ort, wo sich allerlei Geheimnisse lüften lassen. Und selbstredend taucht auch der Gegner hier auf, der so viele gebrandmarkte Leichen auf dem Gewissen hat – und um ein Haar auch den guten Dr. Watson. Dies ist aber nur das actionreiche Vorspiel zur eigentlichen Konfrontation mit Sherlock Holmes. Die findet wieder im vermeintlich so friedlichen Provinzkaff Stratford statt.

Den Bösewicht hat sich der erfahrene Krimikenner eigentlich gleich ausrechnen können, doch er wird niemals auch nur mit einem Sterbenswörtchen verraten, bevor die Szene dafür bereitet ist, komplett mit Feuerzauber, Pistole und tödlichem Ausgang. Dieser Sherlock-Krimi arbeitet mit allen Finessen und Zutaten, so dass ich mich bestens unterhalten fühlte.

|Tabus|

In einem genüsslich stets ans Licht gezerrten Subtext beutet der Krimi mehrere Tabus aus. Da wäre zunächst das rassische, nämlich die Verbindung zwischen einer weißen Frau (Myra Hall) und einem schwarzen Mann, hier dem Regisseur Robert Norton. Diese früher verbotene Verbindung ist ein Echo der gleichen Verbindung zwischen der Gotenkönigin Tamora in „Titus Andronicus“ und ihrem „Mohr“, aber auch eine Parallele zu Königin Maria Stuart und ihrem Liebhaber Daniele Rizzio, der vor ihren Augen bestialisch hingemeuchelt wurde. Der Autor deutet an, dass Maria später einen seiner Mörder, Bothwell, heiratete. Das Kind mit den zwei Väter aus dieser Zeit war König James I. Stuart, der nach Elizabeths Tod England und Schottland regierte – ein Mischling auf dem Thron?!

|Homosexualität|

Das zweite alte Tabu, das der Krimi immer wieder streift, ist die Homosexualität. Der Sohn des Schauspielers Charles Wolsely, der beinahe verbrannte Maler William, wird mit Homosexualität in Verbindung gebracht, aber auch mit Wahnsinn. Da er aber aus einer Schauspielerfamilie stammt, könnte dieser Wahnsinn vorgetäuscht sein.

Weit wichtiger aber ist die unterstellte gleichgeschlechtliche Neigung bei William Shakespeare. In einem seiner berühmtesten Sonette „Shall I compare thee to a summer day?“, das der Autor des Krimis selbst übersetzt hat (wiederum ist Vorsicht angebracht), bewundert der Dichter einen Mann, fällt aber über Frauen ein verachtungsvolles Urteil. Das ist natürlich ungerecht, und wie der verheiratete Dichter dazu kam, bleibt so lange ein Rätsel, bis der wahre Urheber dieses Sonetts offenbart wird: eine königliche Majestät mit entsprechender Neigung!

|Geschlechtertausch|

Das dritte Tabu besteht im Geschlechtertausch, und es steht in engem Zusammenhang mit Homosexualität. Es ist hoffentlich bekannt, dass es den Theaterproduzenten zur Zeit Shakespeares (1564-1616) bei Todesstrafe verboten war, Frauen als Schauspieler einzusetzen. Das ist ja auch der reizvolle Kitzel in dem OSCAR-prämierten Film „Shakespeare in Love“, in dem es eine edle Dame aus Liebe wagt, sich als Mann zu verkleiden, um neben ihrem Angebeteten auftreten zu können. Das verleiht der Sterbeszene in „Romeo und Julia“ erst die rechte Würze!

Es ist schade, dass der Autor die Möglichkeiten dieses Aspektes nicht für seine Handlung ausgeschöpft hat. Myra Hall wäre dafür geradezu prädestiniert: Sie ergreift die Initiative, besorgt sich auf eigene Faust einen geheimen Code, fährt nach Schottland und dringt Bond-mäßig in das königliche Schloss und die entsprechende Gruft der Stuarts ein. Sie scheut auch nicht davor zurück, einen Revolver zu handhaben.

Solche Amazonen suchte ich in Klaus-Peter Walters Sherlock-Pastiche „Sherlock Holmes im Reich des Cthulhu“ vergebens. Dort bleiben Männer quasi unter sich, was auf Dauer doch ziemlich langweilig ist. Mit Peter Prange bin ich einer Meinung: „Frauen machen das Leben spannend und bunt. Sie sind die geborenen Romanfiguren.“ (siehe mein [Interview]http://www.buchwurm.info/artikel/anzeigen.php?id=97 mit Peter Prange.)

|Dan Brown lässt grüßen|

In „Titus Andronicus“ werden Tabus am laufenden Band gebrochen, so dass auch beispielsweise Kannibalismus vorkommt. Aber das ist kein Handlungselement für den Krimi. Auch die Tatsache, dass der Mörder im Krimi Leute am laufenden Band brandmarkt, verhilft dem einen oder anderen Leser zu einem Kick. Mich erinnerte dieses Motiv viel zu sehr an Dan Browns „Illuminati“, um es amüsant zu finden. Auch die Szene, in der Watson entscheidende Hinweise auf einer Seidentuch-Landkarte präsentiert werden, könnte ich mir in einem Thriller mit Robert Langdon bestens vorstellen.

_Unterm Strich_

Ich fand diesen Holmes-&-Watson-Krimi recht kurzweilig und actionreich – wie in einem Heftchenroman passiert ständig etwas und die Szenen wechseln sehr rasch. Und doch verliert der Autor nie den Faden in seinem dichten Geflecht aus Querverbindungen, und verrät auch die Identität des Mörders nicht vor dem entscheidenden Moment. Die Identität Shakespeares wird natürlich schon viel früher gelüftet, und daraus ergeben sich etliche Schlussfolgerungen. Zudem hat der Vorschlag des Autors einiges für sich.

Das ist aber nicht entscheidend für den Erfolg der Geschichte auf einer inhaltlichen Ebene. Vielmehr ist auschlaggebend, dass die Motivation des Mörders bzw. Verschwörers, wie der Geheimdienstchef ihn bezeichnet, nachvollziehbar ist. Damit steht und fällt das gesamte Gebäude aus Fiktionen. Mir jedenfalls gelang es durchaus, dieses Motiv nachzuvollziehen. Es handelt sich um Rache und Verachtung. Ein Motiv, das in „Titus Andronicus“, aus dem der Mörder per Brandzeichen zitiert, eine grundlegende Rolle spielt. So kommt eines wunderbar gefügt zum anderen.

Schade, dass sich der Autor nicht stärker bemühte, Szenen und Locations auszumalen, um dem Format des Romans stärker gerecht zu werden. Aber immerhin gibt es mehrere Spannungs- und Motivbögen, die alle sauber abgeschlossen werden. Das kann man nicht von jedem Buch behaupten.

Auch die Ähnlichkeit zu Dan Browns Thrillern ist mir aufgefallen. Sie mag heutzutage unvermeidbar sein, aber man hätte sie vielleicht besser verschleiern können. Wenigstens hat sich Dan Brown noch nicht an Shakespeare vergriffen – das kommt womöglich noch. Insofern kann der Autor einiges an Originalität für sich in Anspruch nehmen, von seiner eigenen Übersetzung der Shakespeare-Verse aus „Elizabeth“, das wir bis dato noch nicht kannten, mal ganz abgesehen.

|Criminalbibliothek, Band 2
256 Seiten, gebunden
ISBN-13: 978-3-89840-278-1|
http://www.BLITZ-Verlag.de
http://www.oerindur.at/preyer.hth

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