Quartey, Kwei – Trokosi

_Ermittlung auf dem Lande: Von Hexen und Heilern_

Eine strangulierte Medizinstudentin im Buschland von Ghana. Ein dubioser Dorfpriester, der verbotene Rituale pflegt. Unschuldige junge Frauen, die als Götterbräute, Trokosi, versklavt werden. Und ein Inspector, der nur widerwillig ermittelt.

Denn er hat Angst. Angst vor dem Busch, in dem einst seine Mutter verschwand; Angst vor den Abgründen, die sich vor ihm auftun, aber auch Angst um seinen schwerkranken Sohn, dem kein Heiler, sondern nur ein Londoner Herzchirurg helfen kann. Ein Spannungsroman, in dem das alte, abergläubische Afrika mit seinen Traditionen und das moderne Afrika aufeinanderprallen. (Verlagsinfo)

_Der Autor_

Der Arzt Dr. Kwei Quartey wurde in Ghana geboren und als Sohn einer afroamerikanischen Mutter und eines ghanaischen Vater aufgezogen. Beide Eltern waren Uni-Dozenten. Von seiner Englischlehrerin Miss Mensah, der herzlich im Nachwort dankt, angespornt, wollte Quartey schon früh schreiben, doch er studierte erst Medizin, um Arzt zu werden.

Heute lebt er in Pasadena, Kalifornien, wo er eine Wundbehandlungsklinik leitet und der leitende Arzt eines Nothilfezentrums ist. Doch jeden Morgen, bevor er zur Arbeit geht, schreibt er an seinen Krimis.

Mehr über sich erzählt er auf [seiner Homepage]http://www.kweiquartey.com/about-kwei-quartey/qa

Er hat zwei weitere „Darko Dawson“-Romane geschrieben:

1) „Children of the Street“ (kommt im Juli 2011)
2) „Men of the Rig“ (kommt 2012)

_Handlung_

Die junge Medizinstudentin Gladys Mensah wird in der ländlichen und rückständigen Region Obervolta in Ghana erwürgt aufgefunden. Efia, eine Trokosi – Braut der Götter – des hiesigen Priesters, hat sie gefunden und ruft den heiler Isaac Kutu herbei. Erst dieser alarmiert den Dorfpolizisten Inspektor Fiti, der wiederum den Fall der Behörde in Ho mitteilt.

Doch Kriminalinspektor Darko Dawson wird nicht von Ho aus angefordert, sondern vom Gesundheitsministerium in Accra, also viel weiter oben. Offenbar ist der Fall von Gladys Mensah ganz besonders wichtig: Sie war am AIDS-Bekämpfungsprogramm der Regierung beteiligt. Da sie bereits im dritten Jahr studierte, hatte der Staat bereits eine Menge Geld in sie investiert. Und keiner soll sagen können, man könne das AIDS-Bekämpungsprogramm sabotieren. Also ereilt Dawson der Ruf, und er macht sich auf die Fahrt in jenes Land, aus dem er selbst stammt.

Jede Nacht treiben ihn die Albträume um, aus denen er schreiend neben seiner Frau Christine erwacht. Der Geist seiner Mutter ruft ihn auf, ihren mysteriösen Tod endlich aufzuklären, und führt ihn jedes Mal in einen dunklen Wald. Sie reiste von einem Besuch bei ihrer Schwester Osewa in Ketanu wieder zurück nach Accra, kam dort aber nie an. Ein Unfall kommt als Todesursache nicht infrage, denn das wäre gemeldet worden. Schließlich funktioniert die britisch geschulte Polizei und Bürokratie Ghanas.

Deshalb ist Dawson ein wenig beklommen, als er in Ketanu eintrifft. Aber ist geschult und tut seine Pflicht. Ganz im Gegensatz zu Inspektor Fiti, der jemanden aus Ho erwartet hat, mit dem er umgehen kann. Über kurz oder lang müssen die beiden aneinandergeraten. Denn Dawson hat keinerlei Respekt vor einem Heiler (lies: Hexendoktor) und einem Priester, der den ganzen Tag besoffen ist und nachts die Götterbräute vergewaltigt, die für ihn arbeiten.

Tante Osewa gibt ihm zunächst keinen Hinweis: Sie wisse nichts, habe aber die Getötete gekannt, die ja schließlich fast täglich durchs Dorf kam. Erst mit der Befragung der Eltern der Getöteten erhält Dawson einen Hinweis: Sowohl Gladys‘ Tagebuch als auch ihr silbernes Armband sind verschwunden. Beides hatte sie stets dabei. Dawson macht sich sofort auf die Suche danach – und stößt ausgerechnet an der Uni von Accra, wo Gladys studierte, auf die Spur des Tagebuches.

Unterdessen macht es sich Inspektor Fiti einfach und verhaftet den halbwüchsigen Samuel, um aus ihm ein Geständnis herauszupressen. Denn Tante Osewa hat ihn zuletzt zusammen mit Gladys in den Wald gehen sehen. Und Tante Osewa ist eine ehrenwerte Frau. Oder etwa nicht?

_Mein Eindruck_

„Trokosi“ entpuppte sich zu meiner großen Erleichterung nicht als blutige Variante von „Apocalypse Now“, sondern als ein Krimi klassischer Machart. Die Hardboiled-Vorbilder wie Raymond Chandler sind durchaus erkennbar, aber es gibt, wie zu erwarten, einige signifikante Abweichungen von dieser amerikanischen Tradition, die der ghanaische Autor in den USA assimiliert hat.

Da der Ermittler die wichtigste Figur in einem Krimi ist, kommt viel darauf an, wie er beschrieben und dargestellt ist. Darko Dawson entspricht nicht dem Klischee vom einsamen Streiter für Gerechtigkeit, der vom Leben desillusioniert ist. Vielmehr hat er eine glückliche Familie, in der ihm nur der herzkranke Sohn Hosia Sorgen macht. Für dessen Herzoperation sparen er und seine Frau Christine. Sie hegen also Hoffnung.

Weil sie auf die westliche Medizin setzen, kollidieren ihre Vorstellungen mit denen von Christines Mutter. Diese unternimmt einen folgenschweren Versuch, Hosias Herzbeschwerden von einem Wunderdoktor traditioneller Art heilen zu lassen. Dabei wird der sich wehrende Hosia schwer am Kopf verletzt. Das wiederum bringt Darko so in Rage, dass er sich eigenmächtig zur Verhaftung des heilers hinreißen lässt. Wir lernen: Darko hat eine gewalttätige dunkle Seite. Der Gedanke liegt nahe, dass es mit dem Verschwinden seiner Mutter zu tun hat. Dieser Mann hat großen Bedarf an Erlösung …

Den Weg dorthin bildet die Ermittlung. Es ist ein steiniger Weg, auf dem die alte Tradition, die das Hinterland beherrscht, mit der rationalen Realität der Großstadtmoderne im Dauerkonflikt liegt. Musste Gladys Menah sterben, weil sie die Moderne vertrat? Der Verdacht drängt sich Darko mehrmals auf. Doch die Wahrheit ist so finster wie die uralte Seele des Menschen.

Es gibt jedoch eine weitere Eigenschaft, die Darko von anderen Ermittlern unterscheidet. Er hat ein so feines Gehör entwickelt, dass er sofort merkt, wenn sich jemand verstellt und lügt. Dabei verändert sich nämlich die Klangfarbe der Stimme, zum Beispiel von sanft zu rauh usw. Mit diesem Ermittlungsinstrument stößt er an den unerwartetsten Orten auf Lügen und verborgene Wahrheiten. Mehr darf dazu nicht verraten werden, ohne die Spannung zu zerstören.

In kühler, scheinbar objektiver Prosa, wie wir sie von Raymond Chandler kennen, erzählt der Autor von den Schrecken, die das Hinterland im griff halten. Da ist der alte Priester, der seine Götterbräute als Sex- und Arbeitssklavinnen hält; da sind die Dörfler, die ihm ihre Töchter als Opfer an die Götter übergeben. Kein Wunder, dass die Trokosi nicht gegen ihn aufbegehren – das würde ja erstens die Eltern beschämen und zweitens die Götter herausfordern.

Und da ist der wohlfeile Hexenglaube, der jederzeit benutzt werden kann, um eine alleinstehende, allzu selbstbewusste Frau (wie Gladys‘ Mutter Elizabeth) zu diffamieren und zu brandmarken. Darko muss sie vor einem angeheuerten Mob retten, der „die Hexe“ erschlagen will. Weiß sie etwa zuviel über den wahren Täter?

Als Ermittler mag Darko vielleicht seine Fehler haben – er kifft, wenn er Sorgen hat und nicht mehr weiter weiß -, doch er verfügt über eine scharfe Beobachtungsgabe. Mit Hilfe dieser weiteren Gabe gelingt es ihm, den Täter schließlich doch noch zu überführen. Und zugleich damit das Verschwinden seiner Mutter aufzuklären. Erst als dies erreicht ist, findet der Geist seiner Mutter, der ihn à la „Hamlet“ heimgesucht hat, Ruhe. Aber um welchen Preis?

_Die Übersetzung _

Die Übersetzung ist fehlerfrei und ausgezeichnet gelungen. Dem Buch ist ein Glossar sowohl vorangestellt als auch angefügt. Es erklärt sämtliche landesspezifischen Begriffe und sogar die Aussprache von bestimmten Buchstabengruppen wie gy, dj, dz („dsch“) und ky („tsch“).

Die Broschurausgabe, die der Lübbe-Verlag als erstes herausgebracht hat, enthält auf den Umschlaginnenseite sogenannte Adinkra-Symbole. Sie sehen etwas schamanistisch aus. Aber sie werden in zweierlei Hinsicht wichtig. Die ermordete Gladys Mensah trug eine Bluse mit diesen Symbolen. Und die Sicht- bzw. Nichtsichtbarkeit dieser Symbole aus einer Distanz von 300 Metern entscheidet über die Glaubwürdigkeit einer Zeugenaussage. Raffiniert, was Inspektor Darko Dawson aus dieser kniffligen Aufgabe macht!

_Unterm Strich_

Die Lektüre dieses waschechten Krimis bescherte mir eine positive Überraschung. Nicht nur wurde ich dazu gebracht, den verzwickten Fall mitzulösen, sondern auf eine Reise in die vorchristliche Zeit mitgenommen, als Hexendoktoren, Flüche und Götterbräute zum leben der Landbevölkerung gehörten.

Diese Phänomene machen den Roman nicht nur einzigartig, sondern bilden auch den Gegensatz zum modernen Ghana. Der Autor stellt auf dieser Grundlage die Frage, wie sich diese Altlasten mit der Moderne vereinen und versöhnen lassen. Geht das überhaupt und ist es wünschenswert, scheint er zu fragen. Würde Ghana ohne diese Vergangenheit nicht seinen Charakter verlieren?

Die Lösung des Falls kam entgegen meinen Erwartungen – schließlich handelt es hier bloß um Bauern, oder? – relativ überraschend und mit einem gelinden Schock. Bis zum Schluss bleibt offen, wer der Täter unter den zahlreichen Verdächtigen ist. Erst als Darko Dawson sich intensiv um die ständig unterdrückten Frauen von Ketanu bemüht, um sie vor Schaden zu bewahren, kommt er der Lösung näher. Damit deutet der Autor zaghaft an, dass der Schlüssel zur Zukunft des Landes in der Befreiung der Frau liegt – eine in vielen konservativen Ohren geradezu ketzerische Andeutung.

|Hardcover: 349 Seiten
Originaltitel: Wife of the Gods
ISBN-13: 978-3785760192|
[www.luebbe.de]http://www.luebbe.de

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