Radkowsky, Britta – Moderne Vampyre. Mythos als Ausdruck von Persönlichkeit

Der unbedarfte Leser wird bei Britta Radkowskys schmalem Bändchen zunächst über den Titel stolpern, sieht „Moderne Vampyre“ doch ganz nach einer antiquierten Schreibweise aus, die besonders ausgefallen und prätentiös sein will. Der Eingeweihte weiß jedoch: Vampir ist nicht gleich Vampyr, und genau diesen Unterschied will Britta Radkowsky, ehemals Redakteurin des Vampirmagazins sanktuarium.de, näher beleuchten.

Vampir und Vampyr wurden Anfang des 19. Jahrhunderts noch synonym verwendet. Beide Schreibweisen wechselten sich mit schöner Regelmäßigkeit ab, da der Begriff ursprünglich aus Osteuropa kam und sich die westlichen Autoren noch nicht ganz sicher waren, wie man den untoten Blutsauger denn nun zu schreiben habe. Heute ist das „y“ ein bewusst gesetztes Signal, unterscheidet es doch in der Regel den Vampir aus Literatur und Film von dem realen, lebenden Vampyr. Doch wie sich dieser Vampyr genau charakterisiert, das kann auch Britta Radkowsky nicht festmachen. Schließlich ist der Vampir eine geduldige Projektionsfläche für eine Vielzahl von Bedeutungen, sodass er letztlich eine grundlegend persönliche und subjektive Erfahrung ist.

Sie nähert sich dem Phänomen daher auf traditionelle Weise über den Volksglauben, die Literatur und den Film. Wer es (immer noch) nicht wusste, erfährt hier, dass der historische Dracula durchaus kein Vampir war, dass es aber eine ganze Reihe von wissenschaftlich belegten Fällen von Vampirismus aus Südosteuropa gibt. Welche Glaubwürdigkeit man diesen historischen Dokumenten allerdings zuschreibt, bleibt jedem selbst überlassen. Radkowsky jedenfalls vermeidet jegliche Propaganda und versucht keineswegs, den Leser von der Existenz von Vampiren zu überzeugen.

Im Abschnitt über Literatur und Film trifft man auf die üblichen Verdächtigen: Byron, Gaultier, Stoker, Rice bei der Belletristik und „Nosferatu“, „Dracula“, „The Hunger“ und „Near Dark“ bei den Filmen. Radkowsky enthält sich leider persönlicher Bewertungen (abgesehen von der Auswahl der besprochenen Bücher und Filme), bietet jedoch Zitate anderer Kritiker, sodass der Leser dennoch einen Überblick über die Qualität der vorgestellten Werke bekommt. Kurz und bündig kann sich so vor allem der Einsteiger einen Überblick darüber verschaffen, was man unbedingt lesen bzw. anschauen sollte, der Fan hingegen wird die meisten Titel bereits kennen.

Diese einleitenden Kapitel nehmen fast die Hälfte des Buches ein und so widmet sich Radkowsky erst relativ spät ihrem eigentlichen Thema, nämlich den lebenden Vampyren. Nun ist es nicht so, dass darunter wiederkehrende Tote zu verstehen sind, die das Blut der Lebenden saugen. Doch was ein Vampyr nun eigentlich ist, das kann auch Radkowsky nicht mit Bestimmtheit sagen. Sicher ist so viel: Es handelt sich um einen Lebensstil; eine Subkultur, die entweder mit dem Internet entstanden ist oder wenigstens dadurch eine Blüte erfahren hat. Vampyre entleihen Eigenschaften und Lebensweisen von Film- oder Romanvampiren und machen sie zu einem integralen Teil ihres eigenen Lebens. Besonders die sensiblen und chronisch schwermütigen Vampire von Anne Rice dienen dabei gern als Vorbild.

Britta Radkowsky bleibt auch hier an der Oberfläche und begnügt sich damit, an Beispielen von verschiedenen Vampir-Vereinigungen, wie dem offiziellen Anne-Rice-Fanclub und seinem legendären jährlichen Vampirball oder dem Sanguinarium mit seinem Regelwerk für Vampyre, das Phänomen zu illustrieren. Diese Beispiele zeigen zwar Aspekte der vampyrischen Subkultur, beleuchten jedoch weder ihre Ursprünge noch ihre Faszination. Viel interessanter dagegen sind die Interviews mit „Größen“ der Vampyrszene, die im Anhang zu finden sind. Webmaster einschlägiger Seiten beantworten hier Fragen zu ihrem ganz persönlichen Vampir- und Vampyrbegriff und erklären, wie, warum und ob sie Vampyr sind. Skeptiker werden feststellen, dass die Interviewten ihren Lebensstil durchaus reflektieren und umfassend belesen sind. Bloße Trittbrettfahrer finden sich im Interviewteil nicht. Allerdings zeigen die Interviews einmal mehr, dass eine Definition des Vampyrbegriffs ein unmögliches Unterfangen ist. Die Ansichten der Befragten können unter Umständen recht gegensätzlich sein, und doch schließen sie sich nicht aus. Wie der Einzelne den Vampirmythos empfindet und für sich interpretiert, ist eine persönliche und individuelle Angelegenheit. Und so ist auch jeder Vampyr individuell und anders. Einfache Formeln gibt es da nicht.

Abgerundet wird der schmale Band durch eine umfangreiche Literaturliste und eine einführende (wirklich nur einführend, da recht kurz) Filmographie für alle, die sich weiter mit dem Thema beschäftigen wollen. Insgesamt bleibt das Buch etwas zu allgemein – in allen angesprochenen Aspekten – eignet sich aber gerade dadurch vor allem für diejenigen, die einen Überblick über das Thema bekommen wollen. Radkowsky schneidet alle wichtigen Aspekte an, in einer flüssigen und gut lesbaren Sprache, ohne den Einsteiger mit tief gehenden Analysen zu verscheuchen.

Fazit: Ein Buch für diejenigen, die ihren inneren Vampyr erst noch entdecken wollen. Alle, die ihm bereits verfallen sind, werden hier nichts Neues mehr lernen.