Zwölf Kurzgeschichten erzählen von ‚klassischen‘ Verbrechen im schottischen Edinburgh und ihrer Aufklärung durch den exzentrischen, aber fähigen Inspector Rebus:
– Playback („Playback“), S. 9-36: Inspector Rebus hasst die moderne Technik, aber der raffinierte Anrufbeantworter eines Mordverdächtigen fasziniert ihn – mit unerwarteten Folgen …
– Der Fluch des Hauses Dean („The Dean Curse“), S. 37-70: Ein Pechvogel von Dieb stiehlt ausgerechnet ein Auto, in dem eine Bombe installiert wurde; John Rebus ist das des Zufalls zu viel …
– Frank und frei („Being Frank“), S. 71-88: Landstreicher Frank belauscht zwei aus seiner Sicht gefährliche Verschwörer; Inspector Rebus weiß zum Pech für ein diebisches Duo Franks wirre Rede zu deuten …
– Eine Leiche im Keller („Concrete Evidence“), S. 89-116: Die Spur ist längst eiskalt in diesem uralten Mordfall, doch John Rebus macht das mit Einfallsreichtum und Dreistigkeit wett …
– Ansichtssachen („Seeing Things“), S. 117- 144: Die Erscheinung des leibhaftigen Jesus Christus entpuppt sich als Fehlinterpretation im Rahmen eines sehr profanen Verbrechens …
– Gut gehängt („A Good Hanging“), S. 145-178: Als genialischer Mörder sollte man vorsichtig sein, wenn man sich mit Inspector Rebus anlegt …
– Von Meisen und Menschen („Tit for Tat“), S. 179-202: Beobachtet er seltene Vögel oder hübsche Frauen? John Rebus stellt einen Hobbyfotografen auf die Probe …
– Not Provan („Not Provan“), S. 203-224: Kann ein Täter zur selben Zeit an zwei unterschiedlichen Orten sein? Inspector Rebus erklärt, wie’s geht …
– Sonntag („Sunday“), S. 225-240: Ein scheinbar ganz normales Wochenende spiegelt für John Rebus eine schreckliche Erfahrung wider …
– Auld Lang Syne („Auld Lang Syne“), S. 241-258: Im Neujahrstrubel auf Edinburghs Straßen entdeckt Inspector Rebus einen Gewaltverbrecher, den er sicher im Gefängnis wähnte …
– The Gentlemen’s Club („The Gentleman’s Club“), S. 259-282: Hinter den Fassaden zweier vornehmer Familien fördert Rebus das nackte Grauen zutage …
– Monströse Trompete („Monstrous Trumpet“), S. 283-318: 15 aufgebrachte Frauen sitzen Rebus im Nacken, der ein gestohlenes Kunstwerk wiederbeschaffen soll …
_Gegeizt wird mit Worten, aber nicht mit Spannung_
Die John-Rebus-Romane des Ian Rankin zeichnen sich (mit Ausnahme des ersten Bandes, der allerdings eine Sonderstellung einnimmt) nicht nur durch ihren enormen Unterhaltungswert, sondern auch durch ihre mit den Jahren stetig zunehmende Seitenstärke aus. Als Leser hat man sich daran gewöhnt und glaubt inzwischen sogar an ein Muss dieser Breite, ist doch die kriminelle, kriminalistische und private Welt des John Rebus so komplex geworden, dass sie selbst episodenhaft unter 500 Seiten nur ansatzweise zu würdigen ist.
„Playback“, die erste Story dieser Sammlung, schürt denn auch die Befürchtung, dass die kurze Form nicht die richtige für Rebus ist. Der Plot ist simpel: ein „Whodunit?“, wie es kaum rebustypisch genannt werden kann und zudem hölzern erzählt wird. Schon Anfang der 1990er Jahre dürfte die Auflösung wenig überzeugend gewirkt haben. Mit unfehlbarer Sicherheit fischt Rebus – zu diesem Zeitpunkt noch Inspector – das entscheidende Indiz aus einem Mülleimer. Offenbar hat ihn der Blitz der Erkenntnis getroffen, denn keine ‚logische‘ Erklärung kann seinen Fund nachvollziehbar machen.
Aber bereits mit „Der Fluch des Hauses Dean“ hat Rankin die Kurzgeschichte in den Griff bekommen. Das geschilderte Verbrechen ist ebenfalls ziemlich abgehoben, aber das geht in einem Feuerwerk boshaft-präziser Milieustudien, Reminiszenzen an Edinburghs oft bizarre Vergangenheit, tragikomischer Tücken des Objekts und knochentrockener bis schwarzhumoriger Scherze unter, wie wir sie kennen und lieben. Das Privatleben seines ‚Helden‘ ist für Ian Rankin ebenso integrales Element des modernen Kriminalromans wie für die meisten seiner Schriftstellerkollegen (vor allem diejenigen weiblichen Geschlechts), doch er meidet geschickt die seifenoperlichen Pseudo-Dramen, mit denen diese viel zu oft die Handlung aufblähen.
_Die vielen Fassetten des John R._
Rebus ist ein vielschichtiger Charakter. Rankin nutzt die Kurzgeschichte, um diverse Aspekte seines Wesen herauszuarbeiten. Die Story unterstützt die Möglichkeit der konzentrierten Darstellung. Beeindruckend ist Rankins Kunst, diese Figurenzeichnung jeweils in eine spannende Krimihandlung einzubetten. Die ist selten klassisch und beschränkt sich nicht auf die übliche Entlarvung alibifester Verdächtiger. „Frank und frei“ ist ein schönes Beispiel für Rankins Spiel mit dem Genre. Im Mittelpunkt steht ein Außenseiter, dessen Leben Rankin anschaulich beschreibt, bevor Rebus eher zufällig die Szene betritt, woraufhin das Geschehen einen Verlauf nimmt, der so grotesk ist, wie das Leben manchmal tatsächlich spielt.
Gelungen balanciert Rankin auch mit „Ansichtssachen“ auf dem schmalen Grat zwischen Komik und Ernst. Er kennt ’seine‘ Schotten, deren Eigenarten er buchstäblich Gestalt annehmen lässt. Schließlich gehört er selbst zu ihnen – eine Erkenntnis, die zu den eher düsteren Seiten des John Rebus überleitet, denn schnell kann die Stimmung umschlagen. Der Rebus aus „Eindeutig Mord“ ist dem ehemaligen Elite-Soldaten, der einen psychischen Zusammenbruch erlitt, noch sehr nahe; er ist labil und sehr von Stimmungen abhängig, was er gern vor sich selbst verbirgt. Gleichzeitig drastisch und einfühlsam beschreibt Rankin dies in „Sonntag“, als er dem Leser nur Stück für Stück ein furchtbares Erlebnis enthüllt, über das sich nachzudenken Rebus einfach weigert. Selbstverständlich funktioniert diese Verdrängung nicht; der Schrecken holt Rebus und mit ihm den Leser letztlich doch ein.
„Not Provan“ zeigt einen Rebus, der dem Gesetz nicht nur auf unkonventionelle Weise zu seinem Recht verhilft, indem er gesellschaftliche Regeln und Privilegien ignoriert bzw. durch seine ausgeprägte kriminalistische Findigkeit ersetzt. Dieses Mal bricht Rebus das Gesetz, um einen Verbrecher, dessen Taten er sehr persönlich nimmt, ins Gefängnis zu bringen. In „The Gentleman’s Club“ kann er den Schuldigen dagegen nicht der Gerechtigkeit ausliefern, was ihn, der unter der Schutzschicht des Zynikers sorgfältig sein idealistisches Wesen verbirgt, zutiefst verbittert.
Was macht John Rebus zu dem fähigen Polizisten, der er bei aller Exzentrik ist? Intelligenz, Erfahrung, dazu eine ausgeprägte Kenntnis Edinburghs und seiner Bewohner – das sind vier Schlüssel zum Erfolg. Da ist aber mehr, eine diffuse, schwer fassbare Intuition, über die sich Rankin Detective Constable Holmes, die heimliche zweite Hauptfigur dieser Sammlung, ausgiebig den Kopf zerbrechen lässt. Holmes – der Name ist Ironie, denn tatsächlich übernimmt diese Figur die Rolle des Watson – beobachtet seinen Chef bei der Arbeit und kommt selbstkritisch zu dem Schluss, dass ihm das Fünkchen vielleicht sogar irrer Genialität abgeht, das Rebus auszeichnet.
_Das Schicksal ist Schotte_
Dabei weiß Rebus um die Unwägbarkeiten eines Schicksals, das ihm immer wieder Streiche spielt. In „Auld Lang Syne“ nimmt eine Drogenrazzia einen völlig unerwarteten Verlauf, der aus einem anderen Blickwinkel betrachtet freilich völlig zielgerichtet wirkt; in „Ansichtssachen“ verwandelt sich eine religiöse Epiphanie in einen ganz und gar weltlichen Gangsterkrieg; in „Von Meisen und Menschen“ erweist sich das scheinbare Opfer heimtückischer Selbstjustiz als Täter: Nur selten sind die Dinge, wie sie zu sein scheinen. Was Holmes nicht begreifen kann, ist die daraus resultierende Lehre, die Rebus verinnerlicht hat – meide Konventionen und bleibe offen für Überraschungen, die garantiert eintreffen werden.
Auf dass diese Lektion nicht skandinavisch depressiv ausklingt, illustriert Rankin sie mit „Monströse Trompete“, einem kleinen Kabinettstück ausgefeilter Krimi-Komik. Ohne Rücksicht auf politische Korrektheit schildert er die einerseits kriminellen Umtriebe einer Gruppe von Frauen, die andererseits ausgesprochen ‚weibliche‘ und unter diesem Gesichtspunkt logische Beweggründe für ihr Tun vorbringen können. Holmes wendet an, was er auf der Polizeischule gelernt hat, und scheitert, während Rebus leichtfüßig über seinen Schatten springt und Deduktion mit Intuition ergänzt. Plötzlich wirkt ein völlig konfuses Geschehen absolut überzeugend. Der frustrierte Holmes akzeptiert die Tatsache, dass sein Vorgesetzter eine ganz besondere Sorte Mensch und Polizist ist, und ist gespannt auf die weitere Zusammenarbeit – eine Empfindung, die die Leser dieser zwölf Geschichten gern mit ihm teilen.
_Der Autor_
Ian Rankin wurde 1960 in Cardenden, einer Arbeitersiedlung im Kohlerevier der schottischen Lowlands, geboren. In Edinburgh studierte er ab 1983 Englisch, zunächst mit dem Schwerpunkt Amerikanische, später Schottische Literatur. Schon früh begann er zu schreiben. Zunächst hoffnungsvoller Poet, wechselte er als Student zur Prosa. Nach zahlreichen Kurzgeschichten versuchte er sich an einem Roman, fand aber keinen Verleger. Erst der Bildungsroman „The Flood“ erschien 1986 in einem studentischen Kleinverlag.
Nachdem sein Stipendium ausgelaufen war, verließ Rankin 1986 die Universität und ging nach London, wo er u. a. als Redakteur für ein Musik-Magazin arbeitete. Nebenher veröffentlicht er den Kolportage-Thriller „Westwind“ (1988) sowie den Spionageroman „Watchman“ (1990). Unter dem Pseudonym „Jack Harvey“ verfasste Rankin in rascher Folge drei Action-Thriller.
1991 griff er eine Figur auf, die er vier Jahre zuvor im Thriller „Knots & Crosses“ (1987; dt. „Verborgene Muster“) zum ersten Mal hatte auftreten lassen: Detective Sergeant (später Inspector) John Rebus. „Knots & Crosses“ war 1987 weniger als Kriminalroman, sondern eher als intellektueller Spaß im Stil Umberto Ecos gedacht, den sich der literaturkundige Autor mit seinem Publikum machen wollte. Schon die Wahl des Namens, den Rankin seinem Helden gab, verrät das Spielerische: Um Bilderrätsel – Rebusse – dreht sich die Handlung.
Mit John Rebus gelang Rankin eine Figur, die im Gedächtnis seiner Leser haftete. Als man ihn immer wieder auf das weitere Schicksal des Sergeanten ansprach, wurde er sich dessen Potenzials bewusst. Die Rebus-Romane ab „Hide & Seek“ (1991; dt. „Das zweite Zeichen“) spiegeln das moderne Leben (in) der schottischen Hauptstadt Edinburgh wider. Rankin spürt den dunklen Seiten nach, die den Bürgern, vor allem aber den (zahlenden) Touristen von der traulich versippten Führungsspitze aus Politik, Wirtschaft, Medien und Kirche gern vorenthalten werden. Daneben lotet Rankin die Abgründe der menschlichen Psyche aus. Simple Schurken, deren möglichst malerisches, weil ‚gerechtes‘ Ende bejubelt werden kann, gibt es bei ihm nicht.
Ian Rankins Rebus-Romane kamen nach 1990 in Großbritannien, aber auch in den USA stets auf die Bestsellerlisten. Die renommierte „Crime Writers‘ Association of Great Britain“ zeichnete ihn zweimal mit dem „Short Story Dagger“ (1994 und 1996) sowie 1997 mit dem „Macallan Gold Dagger Award“ aus. 1992 ehrte man ihn in den USA mit dem „Chandler-Fulbright Award“ als „Nachwuchsautoren des Jahres“. Rankin gewann im Jahre 2000 weiter an Popularität, als die britische BBC begann, die Rebus-Romane zu verfilmen.
Ian Rankins [Website]http://www.ianrankin.net ist höchst empfehlenswert; über die bloße Auflistung seiner Werke verwöhnt sie u. a. mit einem virtuellen Gang durch das Edinburgh des John Rebus.
Die John-Rebus-Romane erscheinen in Deutschland im |Wilhelm Goldmann Verlag| (Stand: Juni 2008):
01. [Verborgene Muster 956 (1987, „Knots & Crosses“) – TB-Nr. 44607
02. [Das zweite Zeichen 1442 (1991, „Hide & Seek“) – TB-Nr. 44608
03. [Wolfsmale 1943 (1992, „Wolfman“/“Tooth and Nail“) – TB-Nr. 44609
04. [Ehrensache 1894 (1992, „Strip Jack“) – TB-Nr. 45014
05. Verschlüsselte Wahrheit (1993, „The Black Book“) – TB Nr. 45015
06. Blutschuld (1994, „Mortal Causes“) – TB Nr. 45016
07. [Ein eisiger Tod 575 (1995, „Let it Bleed“) – TB Nr. 45428
08. [Das Souvenir des Mörders 1526 (1997, „Black & Blue“) – TB Nr. 44604
09. [Die Sünden der Väter 2234 (1998, „The Hanging Garden“) – TB Nr. 45429
10. Die Seelen der Toten (1999, „Dead Souls“) – TB Nr. 44610
11. Der kalte Hauch der Nacht (2000, „Set in Darkness“) – TB Nr. 45387
12. [Puppenspiel 2153 (2001, „The Falls“) – TB Nr. 45636
13. [Die Tore der Finsternis 1450 (2002, „Resurrection Man“) – TB Nr. 45833
14. Die Kinder des Todes (2003, „A Question of Blood“) – TB Nr. 46314
15. [So soll er sterben 1919 (2004, „Fleshmarket Close“) – TB Nr. 46440
16. [Im Namen der Toten 4583 (2006, „The Naming of the Dead“)
17. „Exit Music“ (2007, noch kein dt. Titel)
Darüber hinaus gibt es zwei Sammlungen mit Rebus-Kurzgeschichten: diese sowie „Beggars Banquet“. Hinzu kommt „Rebus’s Scotland“, ein Fotoband mit Texten von Rankin, der hier jene Orte aufsucht, die ihn zu seinen Romanen inspirierten. Wer es versuchen möchte, kann auch seine Englisch-Kenntnisse mit Hilfe der Rebus-Krimis aufpolieren: „Just Ask Inspector Rebus“ sowie „Three New Cases for Inspector Rebus“ erschienen 2007 in der Reihe der Berlitz-Sprachführer.
|Originaltitel: A Good Hanging
Aus dem Englischen von Giovanni & Ditte Bandini
317 Seiten
ISBN-13: 978-3-442-45604-8|
http://www.goldmann-verlag.de