Ian Rankin – So soll er sterben (Lesung)

Heikle Ermittlungen im Schamdreieck

In einer Edinburgher Sozialsiedlung wird ein illegaler Einwanderer ermordet aufgefunden – ein Mord mit rassistischem Hintergrund? Die Spuren führen Inspector Rebus in die Tiefen der Edinburgher Unterwelt. Unterdessen kümmert sich Siobhan Clarke um den Fall eines verschwundenen Mädchens, und auch sie taucht bei ihren Ermittlungen in die dunkelsten Ecken der Stadt ein. In den zwielichtigen Kneipen und Bars des so genannten „Schamdreiecks“ trifft sie auf Männer, zu deren Geschäften auch Menschenhandel im großen Stil zählt. Und die sehen es gar nicht gern, wenn ihre Kreise durch Schnüffler gestört werden. (abgewandelte Verlagsinfo)

Der Autor

Ian Rankin gehört zu den wichtigsten Krimischriftstellern der britischen Insel. Sein Inspektor Rebus macht die schottische Hauptstadt Edinburgh nun schon in zahlreichen Abenteuern sicherer – soweit man ihn lässt! Für „Die Kinder des Todes“ wurde Rankin mit dem Deutschen Krimipreis 2005 ausgezeichnet. Die englische Königin verlieh ihm für seine Verdienste um die Literatur den „Order of the British Empire“. Der Autor lebt mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen in Edinburgh. Mehr Info: http://www.ianrankin.net.

Der Sprecher

Udo Wachveitl, Jahgang 1958, begann seine Schauspielkarriere am Theater, bevor er 1979 für den Film entdeckt wurde. Ohne ihn ist der beliebte Münchner „Tatort“ nicht mehr denkbar. Seit 1989 hat er zusammen mit seinem Partner Miroslav Nemec insgesamt 27 Folgen gedreht.

Er liest eine von Karin Weingart gekürzte Fassung. Regie führte Günther Krusemark, für den Ton sorgte Air Play Entertainment, München.

Handlung

Eigentlich soll John Rebus ja schon längst in Pension gehen, aber daheim erwartet ihn nur Einsamkeit und deshalb arbeitet er weiter – egal wo. (Außerdem kann er dann jeden Werktag Siobhan Clarke sehen. Wir erfahren, dass er seine hübsche Kollegin einmal zu küssen gewagt hat. Wir hoffen auf mehr Wagnisse.) Und so kommt es, dass er einen Fall aus einer der Vorstädte Edinburghs zugeteilt bekommt.

Knoxland ist das Letzte: ein Paradebeispiel für Sechziger-Jahre-Plattenbarock, in dem Drogensüchtige und Asylbewerber vom Sozialamt untergebracht werden. Folglich ist der Ausländeranteil hoch. Und die nordirischen Drogendealer versuchen hier immer wieder einen Markt aufzuziehen. Nur Lebensmüde wagen sich in die dunklen, stinkenden Unterführungen. Hier wurde ein ermordeter Asylbewerber oder Einwanderer gefunden, getötet durch Messerstiche. Für den Reporter Steve Hollie ist der Fall klar: „ein Verbrechen aus Fremdenhass“. Es wäre das erste in der Stadt. Bekommt Edinburgh jetzt Glasgower Verhältnisse? Aber Rebus ist mit solchen vorschnellen Urteilen nicht leicht bei der Hand.

Rebus erfährt, dass es total einfach ist, solche Asylbewerber aus der Abschiebehaft zu holen: Man zahlt einfach die Kaution im Gefängnis Whitemare und weist eine Wohnung nach, basta. Es stellt sich heraus, dass eine ganze Etage im „Stevenson“-Haus mit solchen Leuten belegt ist, doch wozu und von wem diese Wohnung angemietet wurden, ist noch unklar. Auf dem Sozialamt sagt ihm eine Frau McKenzie, die Wohnungen seien von einem Mr. Robert Baird angemietet. Aber was will der Typ von den Leuten? Sollen sie für ihn arbeiten? Rebus stößt bei seinen Nachforschungen auf eine Asylantenindustrie, in der die Opfer schamlos von skrupellosen Geschäftemachern und Menschenschmuggeln ausgebeutet werden.

Unterdessen suchte Siobhan Clarke mehr aus Gefälligkeit als aufgrund eines Auftrags nach Isobel Jardine, der 18 Jahre alten Tochter eines Ehepaars, das bereits seine ältere Tochter Tracy verloren hat. Wenige Monate nach ihrer Vergewaltigung durch Donnie Cruikshank beging Tracy Selbstmord. Nun ist Isobel seit einer Woche verschwunden, und sie befürchten, dass sie auch ihr zweites Kind verlieren könnten. Zumal Donnie Cruikshank seine Haft abgesessen hat und seit kurzem wieder frei herumläuft.

Ein dritter Fall führt Siobhan wieder mit Rebus zusammen. In dem Vorratskeller einer Kneipe in der Gasse Fleshmarket Close wurden bei Bauarbeiten zwei Skelette gefunden. Es scheint sich um eine Frau und ein Kind zu handeln. Der aus der Oper herbeigerufene Experte erklärt wutschnaubend, dass man ihn wohl auf den Arm nehmen wolle. Die beiden Skelette stammen aus der medizinischen Fakultät der Universität und wurde dort vor zwei Jahren gestohlen. Bei der Frau handelt es sich um die von 250 Jahren als Hexe verbrannte Megan Lennox. Das andere Skelett ist aus Plastik. Dass die Knochen noch eine wichtige Rolle im Knoxland-Mordfall spielen würden, hätten die Polizisten nicht erwartet.

Dass alle drei Fälle miteinander zusammenhängen, kristallisiert sich erst heraus, als Siobhan und Rebus das Striplokal „The Nook“ (Die Nische, Ritze) genauer unter die Lupe nehmen. Dessen Geschäftsführer Stuart Bullen ist der Sohn eines Glasgower Gangsterbosses, der dem Edinburgher Unterweltboss Cafferty eine Niederlage beigebracht hat.

Höchste Zeit also für John Rebus, seinem alten Intimfeind Big Boss Cafferty einen Besuch in dessen nobler Hütte abzustatten. Der gealterte Gangster nimmt gerade ein Bad im Garten-Whirlpool, und diesen neumodischen Dingern hat Rebus noch nie etwas abgewinnen können …

Mein Eindruck

Für Abwechslung ist also durch drei separate Fälle genügend gesorgt. Es ist faszinierend und spannend zu verfolgen, wie die drei Ermittlungsverläufe sich einander zunehmend annähern, so als sei Edinburgh ein kleines Kuhkaff, in dem jeder mit jedem zu tun hat. Aber natürlich liegt dieser Eindruck vor allem daran, dass sich die Ermittler vor allem mit der Unterwelt und der umgebenden legalen Grauzone befassen. Dort sind die Beziehungen zwangsläufig enger verflochten.

Respektable Grauzone

Aber dem Autor gelingt es auch, jede Menge Kontraste herauszuarbeiten. Statt uns mit einem Melodram über das ach so harte Schicksal der Einwanderer und Asylbewerber zu nerven, arbeitet er heraus, wie es kommt, dass diese Asylbewerber so leicht auszubeuten sind – und vor allem, von welchen Leuten. Die Edinburgher Unterwelt bietet sich da an. Aber respektabel wirkende Leute wie Robert Baird und Cafferty haben ebenfalls ihre Finger im schmutzigen Geschäft.

Stuart Bullen scheint ebenfalls ein Angehöriger der „ehrenwerten Gesellschaft“ zu sein, aber schon bald findet Rebus heraus, dass unter seinen Stripperinnen Asylbewerberinnen sind und diese wiederum in Pornos eines „Freundes“ auftreten. Ihr künftiger Werdegang scheint vorgezeichnet. Zumal der Mann hinter der Kamera der berühmte „Mister X“ zu sein scheint: ein als ‚Spiderman‘ bezeichneter harter Killer, zufällig ein Freund des Vergewaltigers Donnie Cruikshank.

Bodysnatchers

Einen weiteren Kontrast steuern die Diebe der beiden Skelette bei. Es waren natürlich Medizinstudenten, die Maggie Lennox und das andere Knochengerüst geklaut haben. Dass dies die Ermittler sofort an die berüchtigten Edinburgher „bodysnatchers“ (Leichenräuber mit unorthodoxen Methoden der Leichenbeschaffung) des 19. Jahrhundert erinnert, ist klar. So viel Lokalkolorit muss sein. Nun stellen sich zwei Dinge heraus, die höchst ironisch wirken. Die Medizinstudenten sind reiche Schnösel, und der eine davon macht sofort die Polizistin Siobhan Clarke auf eindeutige Weise an. Arrogant tituliert er Rebus, der das Schauspiel am Nebentisch verfolgt, als „Primitivling“ und „dressierten Affen“, als Rebus seiner Kollegin besteht. Er hält sich offenbar für die Krone der Schöpfung.

Doch der Schnösel ahnt nicht, wozu die von ihm entwendeten Skelette missbraucht werden. Nachdem sie in dem Kneipenkeller einbetoniert wurden, führen die Menschenschmuggler renitente Asylanten zu dieser gruseligen Stätte, um ihnen zu zeigen, was mit denen passiert, die aufmüpfig werden und mehr Lohn verlangen … Der Trick wirkt, fast immer. Nur der Ermordete in Knoxland, ein kurdischer Journalist, der über die Edinburgher Zustände berichten wollte, gab nicht klein bei. „So soll er sterben“, dachte sich wohl der Drahtzieher der Asylantenausbeuter.

Humor und Amour

Als „Primitivling“ und „dressierter Affe“ musste sich Detective Inspector John Rebus schon lange nicht mehr titulieren lassen. Doch den Spaß davon hat alleine der Leser bzw. Hörer. Dass auch Rebus einen Spaß versteht, zeigt sich, als er und Siobhan sich kabbeln, wenn sie versuchen, einander näher zu kommen. Zu atmosphärischen Störungen kommt es zudem, als Rebus nähere Bekanntschaft mit der Künstlerin Carol Quinn schließt.

Carol setzt sich stark für die Belange der im Gefängnis Whitemare einsitzenden abgeschobenen Asylanten und illegalen Einwanderer ein. In einem Zelt, das sie vor dem Gefängnistor aufgeschlagen hat, hält sie eine Mahnwache für die Insassen. Hinter den Mauern des Knastes verrecken jede Nacht irgendwelche Leute, meist durch Selbstmord in Isolationszellen.

Als sich Siobhan und Carol in Rebus’ Stammkneipe begegnen, kommt es unweigerlich zu einer lautstarken Auseinandersetzung vor dem Damenklo. Shiv ist eben eine Frau, die starke Überzeugungen hat und nicht klein beigibt, denkt sich Rebus. Aber bei Carol beißt sie auf Granit. Rebus bleibt nichts anderes übrig, als sanft die Wogen zu glätten. Das dürfte wohl das Ende seiner kurzen Affäre mit Carol bedeuten. Er ist wieder Single. Gut für Shiv, die Morgenluft wittert.

Lose Enden?

Und Isobel Jardine – was mag wohl aus dem verschwundenen Mädchen geworden sein, dürfte sich der Leser bzw. Hörer fragen. Wie man weiß, ist sie keines der gefundenen Skelette. Und auch im Striplokal „The Nook“ wurde sie nicht gesehen, obwohl ihre Eltern die Straßenmädchen in der Nähe genug mit Fragen nach „Ish“ genervt hatten. Die Frage nach Ishs Verbleib treibt Rebus und Shiv immer wieder zum Betreiber der Kneipe mit den Skeletten: Ray Mangold. Und bei ihm werden sie auch fündig.

Der Sprecher

Zunächst einmal war ich begeistert von Wachveitls korrekter Aussprache des gälischen Namens Siobhan: [schiwå:n]. Das hätte ich nicht erwartet. Auch Isobel wird nicht wie erwartet ausgesprochen, sondern [ischb’l]. Alle anderen Namen sind nicht so schwer und meist sogar geläufig, wie zum Beispiel McKenzie.

Aber Wachveitl kann natürlich auch Figuren charakterisieren, indem er ihnen eine individuelle Tonlage und Stimmfärbung zuweist. Der Reporter spricht krächzend und provokant, auch ziemlich desillusioniert. Noch schlimmer klingt der aus dem Knast entlassene Donnie Cruikshank. Abschätzig und spöttisch äußert er sich über Detective Sergeant Siobhan Clarke, was deren Stimmung nicht gerade hebt. Ebenso reagiert sie auf Alexis Cater, den Ex-Medizinstudenten, der sie mit seinen Macho-Allüren auf die Palme bringt. Seine Stimme klingt verführerisch, ein wenig ölig, so als wolle er sie gleich ins Bett zerren.

Am interessantesten sind immer die Stellen, an denen der Sprecher ausländische Akzente zum Ausdruck bringen sollte. Mohammed Dirwan, der Anwalt der illegalen Einwanderer, ist offensichtlich indischer Herkunft und sein Zungenschlag klingt authentisch. Auch jener der osteuropäischen Einwanderer klingt in Ordnung. Schwieriger wird es bei den französisch sprechenden Senegalesinnen, die nun englisch (bzw. deutsch) radebrechen müssen. Das ist ganz schön knifflig. Auch der chinesische Akzent des Einwanderers Min Tan klingt echt. Aber was heißt schon echt in einer deutschen Übersetzung? Chinesen sprechen Englisch natürlich ganz anders aus. Doch in Deutsch wie Englisch bleiben bestimmte Charakteristika ihrer Muttersprache erhalten – ein Linguist kann sie genau bezeichnen. Wachveitl gelingt es, mit flexibler Aussprache alle Akzente zu reproduzieren.

Rebus selbst weiß einen Mann anhand seines Akzents genau einzuordnen: Ost- oder Westküste Schottlands, ein Ire? Er weiß Bescheid. Genau so könnte ein Deutscher einen Sachsen von einem Franken unterscheiden. Da ist also keine große Kunst. Aber sie da Rebus’ Arbeit in dem Sortieren und Bewerten von Beobachtungen und Fakten besteht, spielt es für ihn und die Geschichte eine Rolle.

Da das Hörbuch weder über Musik noch Geräusche verfügt, brauche ich über diese beiden Aspekte kein Wort zu verlieren.

Unterm Strich

Mir hat dieser neue Rebus-Fall gut gefallen. Die drei Handlungsstränge sorgen für eine Menge Abwechslung und ihre Annäherung und Verknüpfung sorgt zunehmend für Spannung. Eine Art Showdown gibt es zwar nicht, aber schließlich schreibt der Autor nicht für den Film. Es verwundert nicht, dass noch keine Rebus-Krimi-Verfilmung ihren Weg zu uns gefunden hat (sofern es überhaupt eine gibt). Das liegt wohl auch an dem schmuddeligen Helden und seinen unorthodoxen Ermittlungsmethoden. Er hat etwas von Maigret und Van Veeteren, ohne jedoch deren Autorität und Statur zu erlangen.

Aber die Handlung ist nicht auf Rebus fixiert, sondern konzentriert sich in gleichem Maße auf Siobhan Clarkes Abenteuer im so genannten „Pussy-Dreieck“ von Schottlands Hauptstadt, und dort geht es ruppig zu. Aber das ist ja nichts Besonderes. Der Kiez in Hamburg ist auch nicht menschlicher.

Die Aussage des Autors ist nicht einfach zu finden. Es dürfte wohl auf Folgendes hinauslaufen. Schottlands Bürger sollten mit dem Strom der illegalen Einwanderer etwas bewusster und umsichtiger umgehen, denn auch hier handelt es sich um Menschen, die über bestimmte Rechte verfügen. Sie in Ghettos abzuschieben und den Verbrechern zu überlassen, ist keine Lösung. Und sie in Abschiebegefängnissen vegetieren zu lassen, kann zu Missbrauch und weiteren Verbrechen führen. Rankin zeigt anschaulich, zu welchen Auswüchsen dies führen kann. Und er zeigt auf, wie schottische Ehrenmänner von diesen Missständen profitieren. Einer wird die Dreckarbeit schon erledigen, aber das wird für den Staat sicher kein Ruhmesblatt sein.

Das Hörbuch

Das Hörbuch wird von Udo Wachveitl vorbildlich gestaltet. Seine Aussprache ist ebenso fehlerlos wie die stimmliche Charakterisierung der einzelnen Figuren. Natürlich ist er kein Stimmkünstler wie Rufus Beck oder Stefan Kaminski, aber deren kinderorientierte Kunst würde sich in einem realistischen Krimi ziemlich deplatziert ausnehmen. Von mir bekommt der Sprecher die volle Punktzahl, ebenso wie das Hörbuch insgesamt. Einziger Wermutstropfen ist der nach wie vor hohe Preis der |Random House|-Hörbücher.

422 Minuten auf 6 CDs
Originaltitel: Fleshmarket Close, 2004
Aus dem Englischen übersetzt von Heike Steffen und Claus Varrelmann.
ISBN-13: 9783866040038

Siehe auch die [Rezension 1919 von Dr. Michael Drewniok zur Buchfassung.

www.luebbe.de

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