Raupach, E. B. S. / Gruppe, Marc – Blutbaronin, Die (Gruselkabinett 14)

_Trivialliteratur aus der Gruft._

Ernst Benjamin Salomo Raupach hat 1784 in Schlesien das Licht der Welt erblickt, Theologie studiert, als Privatlehrer in Russland unterrichtet, wurde schließlich an der Philosophischen Fakultät in St. Petersburg zum Professor ernannt, fiel dort in Ungnade und kehrte nach Deutschland zurück, wo er sich als Autor für dramatische Stücke einen kurzlebigen Ruhm erschreiben konnte. Es heißt, seine Werke seien in der Tradition eines gewissen August von Kotzebue entstanden, und jener gilt heute als der Vater der Trivialliteratur.

Raupachs Kurzgeschichte „Lasst die Todten ruhen“, die von |Titania| ausgebuddelt und zur „Blutbaronin“ erhoben wurde, könnte einen passenderen Stempel kaum aufgedrückt bekommen:

_Finger weg von toten Liebsten!_

Baron Ferenc vergießt bittere Tränen am Grab von Elisabeth Bathory: Was seiner Angebeteten einfiele, klagt er, ihn so kalt anzustarren, während er im Reich der Lebenden vor Verlangen vergeht. Eine gruslige alte Kräuterhexe, von jedem im Ort gemieden, lauscht dem Lamentieren des armen Barons und erbarmt sich seiner, indem sie ihm jene verderbte Hilfe in Aussicht stellt, die gruslige alte Kräuterhexen immer im Futteral haben, wenn sie auf Friedhöfen herumschleichen: Sie kann die Geliebte zurück ins Leben holen. Natürlich wird Ferenc von ihr gewarnt, dass Elisabeth nicht mehr dieselbe sein wird, wenn sie erst einmal von den Toten auferstanden ist. Außerdem wird es sehr schwierig sein, droht sie, Elisabeth wieder in die Gruft zurückzubefördern, falls dem Baron dämmern sollte, welch grausliger Fehler ihm unterlaufen ist.

Ferenc lässt sich natürlich von niemandem verunsichern und pocht auf die Wiedererweckung. Bald schon nimmt er Elisabeth Bathory in sein Waldschloss und wundert sich nur wenig über Elisabeths Bitte, sie keinesfalls mit dem Tageslicht zu konfrontieren. Es ist allerdings nicht sehr geschickt von Ferenc, seiner Flamme zu beichten, dass er noch mit Katharina verheiratet ist und zwei Kinder hat. Elisabeth ist erbost. Sie verweigert sich dem Entbrannten und verlangt von ihm, sich von seiner Frau zu trennen. Der Baron lässt sich nicht zweimal bitten.

Bald darauf zieht Elisabeth Bathory selbst wieder in die Festung des Barons ein und erschreckt dort jeden, der sie erblickt: Das kann doch unmöglich die Baronin sein? Natürlich kann Ferenc niemandem gestehen, dass eine eigentlich Verblichene die Dienerschaft durch die kühlen Gänge hetzt, und versucht, die Belegschaft der Festung deshalb mit haarsträubenden Geschichten zu besänftigen: Die hübsche Dame habe er in der Fremde aufgetan und wegen ihrer Ähnlichkeit zu Elisabeth sei sein Herz sogleich zu ihr entbrannt – sogar ihr Name gleicht der Verstorbenen!

Gelinde Zweifel halten sich dennoch in Ferencs Festung, als Elisabeth ungebührliches Interesse an jungen Bediensteten findet, als immer mehr unerklärliche Todesfälle auftreten, ausgemergelte Leichen, grauhaarig trotz jungen Alters und leer (im wahrsten Sinne des Wortes). Irgendwann geht Ferenc auf, dass auch er nicht verschont wird, von der unheimlichen „Bluttrinkerin“ die umgeht – ganz im Gegenteil …

_Staub und Spinnweben._

Davon ist Raupachs Geschichte geradezu verkrustet. Natürlich muss man die Zeit bedenken, in der „Lasst die Todten ruhen!“ entstanden ist, und ich kann mir durchaus vorstellen, dass die Blutbaronin kräftig an den damaligen Moralvorstellungen gerüttelt hat: Da wird eine heilige Ehe annulliert, um eine Tote ins Schlafgemach zu hieven, und Elisabeth Bathory, ihrerseits eine pechschwarze Legendengestalt, ist die Sünde selbst. Eine schwarzhaarige Schöne mit vollen roten Lippen und einer kräftigen Stimme, ein Loch dort, wo eigentlich die Seele sein sollte. Es gibt Tränke aus Menschenblut, Hexenzauber, Versündigung gegen den Allmächtigen, außerdem haufenweise Anzüglichkeiten und subtile Erotik. Der „Bluttrinker“ ist zu jener Zeit noch eine frische Idee gewesen, ein unheimliches Wesen, weit weg vom heutigen Vampir, der schwarzgewandeten Modegestalt, der man viel zu oft die Zähne abgefeilt hat, um sie durch belanglose Vorabendserien zu scheuchen.

Den heutigen Hörer kann „Die Blutbaronin“ aber kaum hinter dem Ofen hervorlocken. Es gibt nichts, aber auch gar nichts, was man in dieser Form nicht irgendwann schon mal vorgesetzt bekommen hat. Elisabeth kommt ins Schloss, der Baron ist entzückt, die Bediensteten schöpfen Verdacht, der Baron ist blind vor Verlangen, die Bediensteten werden dezimiert, der Baron weigert sich mit Händen und Füßen, die Wahrheit anzuerkennen … Noch dazu fließt die Story so zähflüssig dahin wie abkühlendes Wachs: Endlose Belehrungen an den Baron („Bedenke, was du dir wünscht, Ferenc!“) und ewige Dialoge zwischen Bediensteten und der fiesen Baronin („Bitte nicht, verzeiht, Herrin!“ „Tu, was dir gesagt wird!“) Dazu ist Elisabeth Bathory eine energische Vertreterin des Schurken-Monologs. Ausschweifendst erzählt sie einer Amme von ihren finsteren Plänen, ehe sie ihr den Garaus macht.

_Gebrechlicher Geschichten-Greis im Profi-Klanggewand._

Auch der „Blutbaronin“ hat so manch illustre Persönlichkeit die Stimme geliehen: Ferenc wird von Uwe Büschken gesprochen (Hugh Grant), seine Frau Katharina spricht Arianne Borbach (Uma Thurman) und Hartmut Neugebauer, der sonst den Hagrid knarzt, übernimmt die Erzählerrolle. Der gesamte Sound enttäuscht wie immer nicht, aber auch er kann keine Atmosphäre schaffen, wenn der Story die Puste ausgeht. Hall-Effekte, Streicher, murmelnde Menschenmassen, pfeifender Wind um knirschende Grabsteine, schön und gut, aber ohne geschichtentechnische Rückendeckung nichts weiter als eine hübsche Schatulle.

Wie gesagt, der Story selbst soll hier kein Strick gedreht werden. Wer weiß, wie die Filmfans am Ende des 22. Jahrhunderts über die Idee von „Matrix“ urteilen! Schon jetzt setzt diese „die Realität ist nur eine virtuelle Illusion“-Idee ersten Staub an. Das ändert aber nichts daran, dass das damals eine wirklich knackfrische Herangehensweise war, ein Wendepunkt, wie ein Tritt in den Magen. Raupach mag der deutschen Phantastik einen Meilenstein der grusligen Trivialliteratur erschaffen haben, aber selbst das würde nichts daran ändern, dass „Die Blutbaronin“ heute ein staubiges Relikt ist. Hardcore-Nostalgiker mögen durchaus ihren Spaß an diesem Hörspiel haben und auch Komplettisten können sich „Die Blutbaronin“ ohne weiteres ins Regal stellen – es ist eine schwächere Story, kein Totalausfall. Für alle anderen aber gilt: Lasset die Todten ruhen!

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[„Carmilla, der Vampir“ 993 (Gruselkabinett 1)
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[„Frankenstein. Teil 1 und 2“ 3132 (Gruselkabinett 12 & 13)
[„Die Blutbaronin“ 3032 (Gruselkabinett 14)
[„Der Freischütz“ 3038 (Gruselkabinett 15)
[„Dracula“ 3489 (Gruselkabinett 16-19)
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